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Die tödliche Fracht erreichte Polhamus Landing mit der Western Star, die an diesem Morgen um neun Uhr am Steg der Colorado Steam Navigation Company verzurrt wurde. Der Heckraddampfer kam von der Quartette-Mine. Er hatte neben einem ausrangierten Kessel verschiedene Erztöpfe geladen, die für einen Schmelzofen stromabwärts bestimmt waren.
Kein Matrose an Bord der Western Star wusste davon.
Die Männer löschten die Ladung mit der üblichen Sorgfalt, pfiffen ihre Liedchen dabei und hoben die orientalische Truhe, die Sheriff Andrew Cooper töten würde, auf ein Lastfuhrwerk. Sie banden sie mit einem Strick fest, füllten die Frachtpapiere aus und übergaben sie dem Kutscher.
Zuckelnd rollte das Gespann an und bog in die Cochran Street, die hinauf zum Büro des Sheriffs führte...
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Lassiters falsches Spiel
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Impressum
Lassiters falsches Spiel
von Marthy J. Cannary
Die tödliche Fracht erreichte Polhamus Landing mit der Western Star, die an diesem Morgen um neun Uhr am Steg der Colorado Steam Navigation Company verzurrt wurde. Der Heckraddampfer kam von der Quartette-Mine. Er hatte neben einem ausrangierten Kessel verschiedene Erztöpfe geladen, die für einen Schmelzofen stromabwärts bestimmt waren.
Kein Matrose an Bord der Western Star wusste davon.
Die Männer löschten die Ladung mit der üblichen Sorgfalt, pfiffen ihre Liedchen dabei und hoben die orientalische Truhe, die Sheriff Andrew Cooper töten würde, auf ein Lastfuhrwerk. Sie banden sie mit einem Strick fest, füllten die Frachtpapiere aus und übergaben sie dem Kutscher.
Zuckelnd rollte das Gespann an und bog in die Cochran Street, die hinauf zum Büro des Sheriffs führte...
Seiner Frau hatte Sheriff Andrew Cooper, gewählt ins Amt seit fünf Jahren, nichts von den Zeichnungen gesagt, die er in der obersten Schublade seines Schreibtisches aufbewahrte. Die Kartonbögen stammten von einem Künstler aus St. Louis, den Cooper an Bord der Mohave II kennengelernt hatte und der ihm jedes Stück für einen beträchtlichen Obolus von fünf Dollar per Kurierbrief nach Arizona gesandt worden.
Skandalöser als der Preis war nur der Inhalt jener Kärtchen.
Sie zeigten nicht, wie es jeder Bekannte Coopers vermutlich beschworen hätte, leicht bekleidete Damen der Halbwelt, denen der Sheriff zugetan war. Sie zeigten ebenso wenig geschmackvolle Boudoir-Miniaturen, auf denen sich Hofdamen ihren Verehrern hingaben.
Auf den Tuschezeichnungen waren vielmehr Jünglinge und Männer zu sehen, die nackt und mit verklärten Mienen an römische Säulen lehnten oder sich vom Betrachter abwandten, um die Idylle der sizilianischen Inseln zu bewundern.
»Sheriff Cooper?«
Die Stimme von Mrs. Langwood riss Cooper aus den sündigen Träumereien, die jene Kärtchen in ihm hervorriefen. Der Sheriff sprang von seinem Stuhl auf, stopfte die frivolen Kunstwerke in die Schublade zurück und ging der aufdringlichen Gattin des Sägewerksbesitzers von Polhamus Landing entgegen. Er zwang sich zu einem freundlichen Lächeln und schloss Mrs. Langwood die Tür auf.
»Sind Sie taub?«, schimpfte die Matrone und klopfte mit dem Knöchel gegen den Türrahmen. »Ich ließ die Glocke schon zum fünften Mal läuten. Sie sollten sich eine andere Anstellung geben lassen, Mr. Cooper.« Sie zog die Taschenuhr unter dem Rock hervor. »Elf Uhr ist es bereits, Sheriff.«
»Elf Uhr an einem schönen Montagmorgen«, munterte Cooper seinen Gast vergeblich auf. Er wusste aus Erfahrung, dass er Mrs. Langwood für einige Stunden nicht loswerden konnte. »Mögen Sie einen Kaffee?«
»Höchstens den Brasilianischen!«, krächzte Mrs. Langwood und ließ sich mit einem Seufzer in den Sessel fallen, der eine Ecke von Coopers Büro einnahm. Sie wischte sich mit einer dramatischen Geste den Schweiß von Stirn. »Wissen Sie nicht, dass ich schon seit fünf Uhr auf den Beinen bin! Mein Mann wirft die Sägegatter um diese Stunde an. Sie rattern... Tack-di-tack-di-tack-di-tacktack! Kein vernunftbegabter Mensch könnte bei diesem Lärm schlafen!«
Boshaft drängte sich Cooper die Überlegung auf, dass unter diesen Umständen Mrs. Langwood außerordentlich gut schlafen müsste, doch der Sheriff blieb still und goss der Dame, die allein wegen der Verbrechensmeldungen zu ihm kam, den gewünschten Tee aus Brasilien auf.
»Ein Kellner ist an Ihnen verlorengegangen!«, erklärte Mrs. Langwood und nahm die Tasse entgegen. Sie verbrannte sich die Finger und schimpfte leise darüber. »Nun... Wenigstens ein Koch oder ein Gemüsehändler! Sie hätten sich nicht zum Sheriff verpflichten lassen müssen!«
Gemeinhin war es kein Geheimnis, dass sich auch Peter Langwood, der Mann von Mrs. Langwood, um den Posten des Sheriffs beworben hatte. Jedoch hatten sich unter den fünfzig Bewohnern von Polhamus Landing gerade zwei Männer finden können, die dem Sägewerksbesitzer ihre Wahlstimme hatten leihen wollen.
»Ich muss zunächst die Post erledigen!«, rief Cooper und begab sich in die Nebenkammer seines Büros, in dem auf einem Tisch die Post lag, die mit den Dampfern hereingekommen war. Der Sternträger zählte fünf Briefe aus den Minensiedlungen, daneben zwei Schreiben vom Direktorium der Colorado Steam Navigation Company und eines von der Landgesellschaft.
Unter dem Tisch stand zudem eine verschlossene Truhe.
Sie musste mit einem der Flussdampfer gekommen sein, hatte an den Ecken rostige Beschläge und war mit fernöstlichen Ornamenten verziert. Aus dem Deckel ragten zwei stählerne Ringe, an denen ein Vorhängeschloss hing. Am Bügel des Schlosses war ein Kuvert befestigt, nach dem Cooper zuerst griff.
»Kommen Sie nicht zurück?«, beschwerte sich Mrs. Langwood im Büro. Sie wippte auf ihrem knarrenden Stuhl vor und zurück. »Sie wollten mir von der Romano-Bande erzählen, die sich in Omaha herumtreibt! Ist es wahr, dass sie fünf Menschen erschossen haben? Fünf unbescholtene Bürger?«
Die unbescholtenen Bürger waren Hehler der Romano-Bande gewesen, die sich ihr Geld mit Banküberfällen und Erpressungen verschafft hatte. Sie war schon vor Monaten gefasst worden. Cooper hatte Mrs. Langwood davon erzählt. Er missachtete dabei jedoch stets, dass die alte Dame jegliches Wissen ablehnte, das sich nicht in Klatsch verwandeln ließ.
»Seien Sie geduldig, Ma'am!«, rief Cooper fröhlich zurück. Er kniete sich unter den Tisch und riss das Kuvert auf. »Ich bin jede Minute wieder bei Ihnen.«
Aus dem Briefumschlag rutschten ein zusammengefalteter Steckbrief, ein Schlüssel und eine Münze, die in der Mitte durchschossen war. Der Steckbrief war mit dem düsteren Konterfei eines Mannes bedruckt, den Cooper selbst ins Jail gesperrt hatte, eines Mörders und Banditen namens Gregory Dorner. Er hatte ihn in den Hügeln am Fluss aufgespürt, ihn mit einigen Deputies gestellt und als Gefangenen hinüber nach Omaha gebracht.
Ratlos starrte Cooper auf die gemusterte Kiste.
Er hob den Vierteldollar auf, der aus dem Kuvert gefallen war, und betrachtete den sauberen Durchschuss darin. Der Kugel hatte Kaliber .45 oder .48 besessen und war keinesfalls aus nächster Nähe abgefeuert worden. Der Schütze hatte belegen wollen, dass er einen kleinen Gegenstand auf große Entfernung traf.
»Aber Mr. Cooper!«, war Mrs. Langwood zu hören. »Sie sind fürwahr kein Mann der Etikette! Wie darf ich es verstehen, dass Sie mich in Ihrem Büro warten lassen? Bin ich bloß eine Dienstbotin?«
Ohne sich um Mrs. Langwoods Nörgelei zu scheren, nahm Cooper den Schlüssel, der aus dem Umschlag gefallen war. Er griff nach dem Vorhängeschloss.
Mrs. Langwood rief ein letztes Mal nach ihm.
✰
Polhamus Landing, Arizona, zwei Tage darauf
Die schluchzende Mrs. Langwood stand auf dem Hof des Sägewerkes und beantwortete die Fragen eines Reporters des Southwest Couriers. Sie hielt dabei die Hand ihres Mannes Peter Langwood, der ernst und verdrossen dreinblickte, sich hin und wieder einmischte und seine Gattin verbesserte. Er schenkte den beiden Männern, die sich am Tor des Sägewerkes aufhielten, keinerlei Beachtung.
»Sie reden seit zwei Tagen«, sagte Mittelsmann Bill Grisson und schob die Hände in die Taschen. Er hatte zu früheren Zeiten als Flussaufseher am Colorado River gearbeitet und sich die ruhige Wesensart bewahrt, die man für diese Anstellung brauchte. »Langwoods Frau muss ihn noch gesehen haben.«
Der Tod von Sheriff Andrew Cooper, der ein enger Freund Lassiters gewesen war, hatte die Städte entlang des Colorado River in Aufruhr versetzt. Die Flussschiffgesellschaften hatten zur Jagd auf den Mörder aufgerufen, die Stadtverordneten eine Kommission gegründet, die Wochenblätter ausführlich berichtet. Die feige Tat hatte jede und jeden erschüttert, in dessen Brust ein Herz schlug.
»Gehen wir!«, schlug Grisson vor. »Ich muss Ihnen Dokumente übergeben, die mir das Hauptquartier zugesandt hat. Die Berichte sind für Ihre Mission bestimmt.«
Vom Sägewerk bis zum niedergebrannten Büro des Sheriffs waren es weniger als hundert Schritte, und Lassiter legte die Strecke an diesem Tag bereits zum vierten Mal zurück. Er war mit dem Dampfboot aus Yuma gekommen, gerade einen halben Tag, nachdem er vom Tod seines Freundes Cooper erfahren hatte.
Der schwelende Giebel des Hauses war abgestützt worden.
Schon am Morgen hatten einige Männer einen Balken emporgezogen, ihn mit dem rußgeschwärzten Holz vernagelt und Coopers Haus damit vor dem Einsturz bewahrt. Das Dynamit hatte die Rückwand herausgerissen und die Stühle und den Esstisch des Sheriffs in den Hinterhof geschleudert.
»Kommen Sie!«, sagte Grisson und zerrte Lassiter an Coopers Haus vorbei. »Sie werden noch genug Gelegenheit haben, in den Trümmern herumzustöbern. Die Explosion muss Cooper buchstäblich zerrissen haben.« Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich bitte um Verzeihung. Ich weiß, dass Sie und er –«
»Befreundet«, kam Lassiter dem Mittelsmann zuvor. »Wir waren nichts weiter als befreundet. Er hat mir bei einer Mission in den Black Mountains geholfen.«
Der Mittelsmann bewohnte ein Zimmer im Hotel von Manda Yates, das am Ufer des Colorado River stand und ein hübsches Gebäude mit Veranda und großen Fenstern war. Die Inhaberin stand selbst an der Rezeption und händigte Grisson die Schlüssel aus. »Heult die alte Langwood immer noch? Sie hat... Es hätte ihr kaum besser ergehen können, als im Haus des Sheriffs zu sein, als er getötet wurde. Mein Gott...« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist eine furchtbare Tragödie.«
Dieselben Worte hatte Matthew Gordon gebraucht, der Lassiter telegraphiert und ihn angewiesen hatte, sich ohne Verzug nach Polhamus Landing zu begeben. Das Hauptquartier wollte jemanden für den Fall, der Cooper gekannt und geschätzt hatte.
»Nehmen Sie Platz!«, bat Grisson und ging ins Nebenzimmer, um die Unterlagen zu holen. Er kehrte mit einem braunen Kuvert zurück, in den Washington alles gestopft hatte, was es über den Fall Andrew Cooper zu wissen gab. »Der Sheriff soll von einem Mann ermordet worden sein, der ihn gut kannte. Sein Name ist Gregory Dorner. Er ist wegen Mordes und einiger Raubzüge entlang der Central-Pacific-Linie verurteilt worden.«
»War Cooper daran schuld?«, fragte Lassiter und nahm das Kuvert zur Hand. Er ließ es geschlossen und sah Grisson an. »Rache wäre ein Grund für ein Blutbad.«
Der Sheriff hatte über seinem eigenen Zaun gehangen, als man ihn fand, die Hände zu Rußklumpen geschrumpft, der Hals aufgerissen, der Bauch vom Dynamit zerfetzt. Der Totengräber hatte sich geweigert, Cooper in den Sarg zu heben, und war seiner Pflicht erst nachgekommen, als die Langwoods ihm zehn Dollar Prämie bezahlt hatten.
»Schauen Sie ins Kuvert!«, verlangte Grisson und wies mit einem Nicken darauf. »Sie finden alles Nötige darin.«
Wie schon in Yuma kreisten Lassiters Gedanken um die letzten Stunden, die der Sheriff in seinem Büro verbracht hatte, um die letzten Handgriffe, die er verrichtet hatte, und das letzte Wort, das er an seine Frau Sussie gerichtet hatte. Er hatte Cooper gemocht. Er hatte in ihm einen integren Mann gesehen, der mit Mut gegen das Unrecht in seiner Stadt vorging.
Die Lasche des Kuverts war mit Wachs verklebt, und Lassiter musste den Fingernagel hindurchziehen, um sie aufzukommen. Er zog ein Papierblatt daraus hervor, das zuoberst lag und mit einem Siegel des Justizministeriums versehen war.
»Sie nennen es eine Selbstbezichtigung«, erläuterte Grisson und stützte sich auf die Lehne des Sessels, hinter dem er stand. »Das Ministerium hat sie vor einigen Tagen erhalten.«
Das Schriftstück war schwungvoll von Hand verfasst worden und enthielt lediglich zwei Sätze, die mit einem breiten Tuschestrich unterstrichen worden waren:
Vermutlich bin ich nicht lange genug am Leben, um meinen Namen reinzuwaschen. Man wird mich jagen und mir nachstellen, bis mich die gerechte Strafe trifft, vor der ich fliehe.
Unter diesen Zeilen war ein Signum, bei dessen Anblick sich Lassiter die Brust zusammenzog. Er las den Namen erneut, las ihn noch einmal, und er spürte, dass Grissons Blick auf ihn ruhe, dass der Mittelsmann auf diesen Augenblick gewartet hatte.
Der Brief war in Lassiters Namen verfasst worden.
Er war an eine Stabsstelle im Justizministerium gesandt worden, die ausschließlich Agenten der Brigade Sieben kannten, und er war vor zwei Tagen durch ebendiese Stelle gesiegelt und ins Hauptquartier expediert worden.
Das metallische Klicken eines Spannhebels schreckte Lassiter auf.
Er starrte in den Lauf eines Brevet-Revolvers, den Grisson hinter dem Rücken hervorgezogen hatte. Der Mittelsmann legte den Fingern an den Abzug und nickte Lassiter zu. »Bleiben Sie ruhig, Mister! Es muss kein weiteres Blut in Polhamus Landing vergossen werden!«
Der Brief mit seiner eigenen Unterschrift rutschte Lassiter aus den Händen, und die marternde Frage, ob er selbst dieses Schriftstück verfasst haben konnte, bohrte sich in seinen Schädel. Er wusste, dass er nicht seine Handschrift auf dem Schreiben las, wusste jedoch genauso, dass die Brigade Sieben gegen Verräter in den eigenen Reihen eisern vorging.
»Stehen Sie auf!«, flüsterte Grisson. »Stehen Sie langsam auf!«
✰
Der Reporter des Southwest Courier hatte gerade Mrs. Langwoods letzte Antwort in die Kladde gekritzelt, als die Schüsse über den Colorado River schallten. Sie klangen dumpf und satt wie die Schläge, die entstanden, wenn man mit einer Zeitung Fliegen erschlug, und wäre nicht das Kreischen einer Frau hinzugekommen, hätte Patty Harris das Gespräch mit der weinerlichen Mrs. Langwood vermutlich fortgesetzt.
»Verflucht!«, knurrte Peter Langwood und nahm seine Frau unter den Arm. »Kommt diese Stadt nie wieder zur Ruhe! Erst der Sheriff! Nun offene Schüsse! – Schreiben Sie bloß, dass Polhamus Landing einen neuen Sheriff braucht! Schreiben Sie das, Mr. Harris!«
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Harris bereits einen Streifen Kautabak in den Mundwinkel geschoben, wie er es gegen die Nervosität zu tun pflegte. Er arbeitet seit fünf Jahren für den Courier und beabsichtigte, diese Spanne wenigstens zu verdoppeln oder – wenn es gut lief – den greisen Samuel Watkins auf dessen Posten zu beerben.
Die Langwoods liefen zum Sägewerk hinüber und betraten die Werkshalle durch eine der zahlreichen Seitentüren. Sie würden sich verkriechen, bis in der Stadt wieder Ruhe einkehrte, doch ein solches Privileg war einem Reporter nicht vergönnt. Harris hatte von Watkins den Auftrag erhalten, die Lage in der Stadt zu erkunden, und dazu gehörten vermutlich auch Schüsse über dem Colorado River.
»Mister!«, rief Harris einem Droschkenkutscher zu, als er das Fabrikgelände verließ. »Mister! Fahren Sie mich zum Fluss hinunter! Ich muss... Es gibt offenbar eine Sensation!«
»Oh!«, fuhr der Kutscher aus seinem Dämmerschlaf hoch. »Freilich fahre ich Sie, freilich! Steigen Sie zu, junger Mann, ich fahre Sie –«
»Fahren Sie, fahren Sie!«, zischte Harris dem Kutscher zu. Er sprang in den Einspänner und verstaute die Kladde unter der Jacke. »Sie müssen zum Fluss! Wo die Schüsse gefallen sind!«
»Schüsse?« Der Kutscher drehte den Kopf zu Harris. »Sind Sie des Wahnsinns? Der Mörder von Sheriff Cooper ist vermutlich noch in der Stadt! Und Sie wollen –«
»Sie haben geschlafen!«, schnitt ihm Harris aufs Neue das Wort habe. »Sie wüssten nicht einmal von den Schüssen, hätte ich ich's Ihnen nicht gesagt!«
Die Kutsche donnerte mit krachenden Speichen die Mainstreet hinunter, verspritzte rechts und links Schlamm, sowie sie durch eine Pfütze fuhr und erreichte die Docks, in denen sich die Hafenarbeiter auf der Kreuzung drängten. Einige der Männer hatten Revolver und Gewehre dabei und hielten den Einspänner an.
»Was ist passiert?«, brüllte der Kutscher und stand vom Bock auf. »Lasst mich durch! Ich habe einen Gast! Ich muss zum Fluss hinunter!«
»Keiner fährt zum Fluss hinunter!«, brüllte ein Hafenarbeiter. Er hatte ein breites Gebiss, in dem die mittleren Zähen fehlten. »Irgendwo unten am Yates-Hotel ist jemand erschossen worden! Er fiel tot aus dem Fenster! Wir wollen den Mörder finden!«
Kurzerhand sprang Harris von der Kutsche, mischte sich unter die Arbeiter und gelangte mit ihnen zu den Landungsstegen hinunter. Einige Dampfboote lagen vertäut, andere kehrten mit rauchenden Schloten von der Fahrt zurück. Die Arbeiter signalisierten ihnen mit Handzeichen, dass sie vorerst nicht festmachen sollten.
»Wo ist das Yates-Hotel?«, fragte Harris einen der Arbeiter, die sich zurückhaltender verhielten als die übrigen. Er musste jemanden finden, der ihm vertraute. »Wie heißen Sie?«
»Hen«, sagte der bärtige Schwarze. »Oder Henry, wie's dir passt. Bist vom Courier, was?« Er grinste. »Hab' dich oben bei den Langwoods gesehen!«
»Vom Courier!«, bejahte Harris nickend. »Ich hörte am Sägewerk die Schüsse und bin gleich hinuntergefahren.«
»Bei diesen Dummköpfen erfährst du nichts.« Hen lachte ihn breit an. »Aber ich könnte dich an einen Ort bringen, an dem du etwas herausfindest. – Komm mit! Ich hab' eine Hütte unten am Fluss und hab's selbst gesehen, als ich vorhin nach meinem Essen gesehen habe.«