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Durch das trockene Flusstal zog Qualm und verbarg die Toten. Der Rauch hatte den beißenden Geruch von schmorendem Harz und war schwarz wie das Herz des Teufels. Er brannte Ellie Massey im Hals.
Die junge Schwarze hustete und stützte sich ab.
Sie hatte einen Streifschuss an der Hüfte, einen anderen am Schenkel und fühlte sich so schwach, dass sie keinen weiteren Schritt laufen wollte. Sie sah nach ihrem Vater, der ein paar Yards weiter im Geröll lag, und nach Lassiter - dem Weißen, der sie gerettet hatte. Sie wischte sich das eintrocknende Blut von den Händen.
"Mr. Lassiter!", rief Ellie und kroch ein Stück. "Sind Sie tot? Sind Sie tot, Mr. Lassiter?"
Die lähmende Stille ließ Ellie schaudern. Sie pfiff Behold The Lamb Of God, ein Kirchenlied aus dem Repertoire ihres Vaters, das sie mochte. Sie pfiff es, bis sie vor dem reglosen Lassiter kniete...
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Pailletten und Patronen
Vorschau
Impressum
Pailletten und Patronen
Der zweite Teil eines Doppel-bandes von Marthy J. Cannary
Durch das trockene Flusstal zog Qualm und verbarg die Toten. Der Rauch hatte den beißenden Geruch von schmorendem Harz und war schwarz wie das Herz des Teufels. Er brannte Ellie Massey im Hals.
Die junge Schwarze hustete und stützte sich ab.
Sie hatte einen Streifschuss an der Hüfte, einen anderen am Schenkel, und fühlte sich so schwach, dass sie keinen weiteren Schritt laufen wollte. Sie sah nach ihrem Vater, der ein paar Yards weiter im Geröll lag, und nach Lassiter – dem Weißen, der sie gerettet hatte. Sie wischte sich das eintrocknende Blut von den Händen.
»Mr. Lassiter!«, rief Ellie und kroch ein Stück. »Sind Sie tot? Sind Sie tot, Mr. Lassiter?«
Die lähmende Stille ließ Ellie schaudern. Sie pfiff Behold The Lamb Of God, ein Kirchenlied aus dem Repertoire ihres Vaters, das sie mochte. Sie pfiff es, bis sie vor dem reglosen Lassiter kniete...
Der Traum zeigte ihm das Tal hinter den Hügeln, durch das Feuerstöße fauchten und die Schreie der Getroffenen gellten. Er stand auf dem Dach der Steinmühle, die mit Schieferschindeln gedeckt war und einen gemauerten Schornstein besaß. In den Händen hielt er ein Gewehr, dessen Lauf aus reinem Gold bestand. Aus der Mündung rann dünnflüssiges Blut.
Vor der Mühle tobte der Kampf zwischen den Farmern und den Afroamerikanern.
Die erbitterten Schusswechsel hatten einen feinen Dunst aus Pulverdampf hinterlassen, der sich mit dem tiefschwarzen Qualm aus dem Mühlgraben mischte. Das Holz im Graben brannte lichterloh, die Flammen schlugen nach der Mühle, die tosende Feuersbrunst verschlang die Rufe all jener, die sich in ihrer Nähe aufhielten. Es war, als nähme man den Männern die Stimmen.
Das goldene Gewehr blutete weiter.
Der Mann der Brigade Sieben richtete es gegen sich selbst, drückte es an die Brust, mit dem Laufende voran. Seine Rippen gaben knackend nach. Er spürte, dass die Waffe ihn durchbohrte. Sie schob sich unter seinem Herzen hindurch und trat am Rücken wieder aus. Er tastete nach dem Abzug. Er hörte den Hahn klackend auf die Zündkapsel schlagen.
Der Schuss riss Lassiter aus seiner Ohnmacht.
Das leere Flussbett mit seinen Dutzenden Leichen kehrte zurück, und mit ihm der unselige Kampf der Farmer des Städtchens McCormick, die gegen die schwarzen Familien in den Hügeln vorgegangen waren. Die Luft hatte vom Gewehrfeuer geglüht, das Grollen der Schüsse von der Felswand zurückgeschallt, die steil am nördlichen Ufer aufragte.
Müde blinzelte Lassiter das Gesicht an, das über ihm war.
Er erkannte die junge Schwarze, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anschaute, wusste ihren Namen, der Ellie lautete, wusste auch, dass ihr Vater, Reverend James Massey, in seiner Kirche die Waffen ausgegeben hatte. Das Mädchen ergriff Lassiter bei den Schultern und rüttelte ihn.
»Mr. Lassiter!«, rief Ellie. »Mr. Lassiter! So wachen Sie doch auf! Kommen Sie zu sich!«
Der Hals schmerzte Lassiter auf quälende Weise, als hätte ihm jemand einen Halsring umgelegt und mit Schrauben festgezogen. Der Mann der Brigade Sieben fasste sich ans rechte Ohr, das feucht von seinem eigenen Blut war, und stemmte sich mit dem Arm in die Höhe.
»Mr. Lassiter!«, sagte Ellie und weinte. »Sie sind am Leben! Sonst ist es kaum noch jemand...«
Bill Kimber...
Unvermittelt tauchte in Lassiters Gedanken der Name jenes Mannes auf, der mit einem Messer auf ihn eingestochen hatte. Er und Lassiter hatten im Flussbett miteinander gekämpft, nachdem Ellie auf Kimber geschossen hatte. Die Klinge hatte Lassiter am Hals getroffen, und als er seinen Gegner hatte packen wollen, war Kimber ein weiterer Farmer zu Hilfe gekommen.
»Wo... ist dein Vater?«, presste Lassiter hervor und hielt sich den Hals. Er fühlte das Blut unter seinen Fingern pulsieren. »Ist er tot? Ellie, sag mir die Wahrheit! Ist er tot?«
»Ich... ich weiß es nicht.« Das Mädchen schluchzte und warf den Kopf zur Seite. »Er liegt dort vorn... Er... er bewegt sich nicht.«
Die lockeren Steine im Flussbett rutschten unter Lassiters Händen weg und erschwerten ihm das Fortkommen. Er robbte bäuchlings vorwärts, durch die staubenden Kiesel, hin zu den abgetretenen Schuhsohlen, die er von James Massey sah. Der Reverend war in den Rücken getroffen worden. Lassiter griff nach dem Bein des Reverends, zog und zerrte daran und rief Masseys Namen.
Sie hatten gemeinsam in der Kirche gestanden.
Die Gewehre hatten in einer Truhe gelegen, die Massey hinter dem Altar seiner Kirche versteckt hielt, und als der Prediger später die Snider-Enfield-Büchsen an seine Gemeinde ausgab, war Lassiter bewusst geworden, dass Massey den Zorn der weißen Farmer lange erwartet hatte. Lassiter hatte Scham darüber empfunden, selbst zu den Weißen zu gehören.
»James!«, rief Lassiter und stieß Massey an. »Sie sind fort! Du hast sie vertrieben!«
Die Wangen des Reverends waren losem Ruß bedeckt, der Mund stand ein Stück offen, die oberen Zahnreihe war entblößt. Massey blutete aus einer klaffenden Schusswunde, die tief ins Fleisch reichte und von einer Gewehrkugel verursacht worden war. Mit einer Hand hielt Massey noch sein eigenes Gewehr fest.
Verzweifelt wälzte Lassiter Massey auf den Rücken.
Er presste das Ohr auf die Brust des Gottesmannes, lauschte auf einen Herzschlag oder einen Atemzug, auf einen Funken Leben, der noch in diesem Körper steckte. Als er sich gerade Masseys Tochter zuwenden wollte, vernahm er ein leises Ächzen.
»Kimber«, hauchte Massey und bewegte die starren Lippen. »Wo... ist Kimber?«
Ein Jauchzer der Freude entfuhr Ellie, die sich mühsam erhob und zu den beiden Männern lief. Sie sank neben ihrem Vater auf die Knie, wischte ihm den Schmutz aus dem Gesicht, strich ihm zärtlich über die Brauen. »Denk nicht an Kimber, Papa! Denk nicht an ihn! Er ist... er ist gegangen.«
»Sein Sohn!«, wisperte Massey und heftete den Blick auf Lassiter. »Er hat seinen Sohn losgeschickt... Sein Sohn jagt Mrs. Cornish und ihre Töchter.« Er griff nach Ellies Hand und hielt sie fest. »Ihr... ihr müsst nach McCormick.«
Sie halfen Massey auf die Beine und brachten ihn zu den anderen Verwundeten in der Mühle. Aus den Hügeln waren Frauen herbeigekommen und hatten Verbände, Heiltinkturen, Jod und Schmerzsalben mitgebracht. Die Siedlung auf den Hügeln hatte fast zwei Dutzend Männer im Kampf verloren.
»Ich muss nach McCormick«, sagte Lassiter zu Ellie und drückte sich einen mit Bourbon getränkten Stofflappen auf die Wunde. »Falls es wahr ist, dass Mrs. Cornish und ihre Kinder in Gefahr sind, muss ich ihnen helfen. Man hatte mich ihretwegen in die Stadt geschickt.«
»Geh nur!«, sagte Ellie und nickte. »Aber komm bald zurück.« Sie deutete auf Massey. »Vater wird dich brauchen.«
✰
Den toten Kutscher Louis Goslin hatten die Mädchen unweit der festgefahrenen Postkutsche gefunden und waren mit verweinten Gesichtern ins Lager zurückgekommen. Sie hatten Goslin das blutige Halstuch abgenommen, zeigten es ihrer Mutter und schmiegten sich in deren Arme. Sie waren bloß noch schwache, zitternde Kinder, denen Julia McCornish keinen Trost spenden konnte.
Zornig starrte Julia zu Henry Kimber.
Der vierzehnjährige Junge mit den zarten Gesichtszügen saß auf einem Baumstumpf, schnitzte an einem Stock herum und erwiderte ihren Blick flüchtig. Er hatte Goslin erschossen, war mit seinem Pferd am Gespann vorbeigeprescht und hatte im Galopp die Wallache, die ungarischen Kaltblüter, losbekommen, mit denen Goslin seine Kutsche bespannt hatte. Der Concord-Wagen hatte daraufhin seine eigene Deichsel zermalmt, war über einen Felsen gerast und zwischen zwei Pinienstämmen zum Stehen gekommen.
Vor Henry lag dessen angerosteter Lefaucheux-Revolver.
Den Griff der Waffe zierten Blumenornamente, deren erhabene Flächen sich im Laufe der Jahre blankgeschliffen hatten. Die Trommel klemmte allenthalben, wie Julia mitbekommen hatte, und von den Patronen besaß Henry kaum noch die Hälfte. Der Junge hatte viermal in die Luft geschossen, als die Mädchen in ihrer Furcht vor ihm davongelaufen waren.
Äußerlich glich Henry ganz seinem Vater Bill.
Der frühere Deputy von McCormick war mit seinem rundlichen Gesicht und dem lichten Haar keine auffällige Erscheinung gewesen, doch Julia, die vor genau drei Wochen zum Sheriff ernannt worden war, hatte sich dessen Physiognomie bis in die letzte Einzelheit eingeprägt. Sie hatte Kimber zunächst als Verbündeten betrachtet, als einen Freund ihres verstorbenen Mannes George, der vor ihr im Sheriffbüro gesessen hatte. Kimber und George hatten sich mit dem Mord an der alten Mrs. Chaseman befasst. Das schändliche Verbrechen hatte Julias Mann solcherart aufgeregt, dass dieser seinem hartnäckigen Herzfieber erlegen war.
Doch Kimber hatte sich als durchtrieben und illoyal erwiesen.
Er hatte in Georges Tod die Gelegenheit gesehen, selbst zum Sheriff von McCormick ernannt zu werden. Von Countyrichter Thomas Andrews, der zum Erstaunen aller Julia zum Nachfolger ihres Mannes gemacht hatte, um sie vor der Armut zu bewahren, war Kimber bitter enttäuscht gewesen. Er hatte seinen Rachedurst stillen wollen, und das war ihm erst auf den Hügeln gelungen, deren afroamerikanischen Bewohner er mit vier Dutzend schwer bewaffneten Farmern angegriffen hatte.
»Hey!«, rief Henry und fasst blitzschnell nach seinem Revolver. Er deutete mit dem Lauf auf das Schlaflager zwischen den Bäumen. »Bring die Kinder ins Bett! Ich will nicht, dass ihr die ganze Nacht zusammenhockt!«
Seit fast einem Tag hatte Henrys nicht geschlafen, und Julia fragte sich, ob sich Kimbers Junge entscheiden würde, sie und die Mädchen zu fesseln, sobald er zu müde wurde. Henry schien sich um seinen Vater zu sorgen, nachdem die bellenden Schüsse in den Hügeln verstummt waren.
»Lass die Mädchen schlafen«, sagte Julia sanft. »Was sollen sie anrichten! Sie sind erschöpft... Sie müssen sich ausruhen.«
Insgeheim wusste Julia, dass ihre Kinder hellwach waren und den Worten lauschten, die zwischen ihr und Henry gewechselt wurden. Sie hatten längst verstanden, dass Henry zwar gefährlich, aber mitnichten mutig war, und dass Julia ihn bei der erstbesten Gelegenheit überwältigen würde. Bloß ein einziges Mal musste er seinen Lefaucheux aus den Augen lassen.
»Halt die Klappe!«, knurrte Henry und warf den Stock weg, dessen Spitze er mit dem Messer scharfgefeilt hatte. »Schaff die Mädchen weg und komm zurück zum Feuer! Ich will, dass du uns ein bisschen Proviant holst und über den Flammen brätst!«
Die Satteltaschen am Pferd des Jungen waren mit Speck und Brot vollgestopft, woraus Julia den Schluss zog, dass Henry einen längeren Aufenthalt in den Bergen erwogen hatte. Er hatte von Kimber vermutlich die Anweisung bekommen, sie und die Mädchen festzuhalten, bis der Kampf in den Hügeln zu Ende gegangen war. Sie waren Kimbers Faustpfand.
Stumm stieß Julia ihre Töchter Mary und Bridget an und ging mit ihnen hinüber zum Lager. Sie strich ihnen die muffigen Decken zurecht, die Henry ihnen hingelegt hatte, gab der jüngeren Bridget einen Kuss auf die Stirn und drückte Mary die Hand. Sie beugte sich zu den Kindern herunter, lächelte aufmunternd und deckte Bridget bis zum Hals zu.
Bei ihrer Rückkehr zum Lagerfeuer kämpfte Julia dennoch mit den Tränen.
Sie hätte Andrews' Bitte abschlagen müssen, den Posten ihres Mannes zu übernehmen, hätte sich nicht von der Aussicht auf Georges Lohn blenden lassen dürfen, den sie erhielt und der sie und die Kinder tatsächlich vor der Mittellosigkeit bewahrte. Sie hätte sich ihrem Schicksal als Witwe fügen und den Gürtel enger schnallen müssen.
»Setz dich!«, befahl Henry und fuchtelte mit dem Lefaucheux herum. »Ich muss mit dir reden! Du kennst meinen Vater gut... Was will er von euch? Aus welchem Grund sollte ich euch gefangen setzen?«
Gleich eine Handvoll Gründe fielen Julia für dieses Verbrechen ein, und sie zwang sich, dem Jungen beherrscht und kühlen Kopfes zu antworten. Sie nannte den Sheriffposten zuerst, der ihrem Vater zugeständen hätte, wäre nicht sie, Julia Cornish, zum Sheriff von McCormick ernannt worden. »Ich habe mich nicht darum beworben, Henry. Es war die Entscheidung von Countyrichter Andrews.«
»Er hat sich für eine Frau entschieden«, zischte Henry und richtete den Blick auf die Flammen. »Er hat eine Frau auf einen Posten gesetzt, auf den ein Mann gehört. Er hat Ihnen zu viel zugetraut.« Er hielt ihr die linke Hand entgegen, auf deren Zeigefinger ein klobiger Ring steckte. »Kennen Sie dieses hässliche Ding noch?«
Der Ring stammte von Jacob Woner, dem Mörder von Mrs. Chaseman. Er war aus schwarzem Celluloid, hatte eine Letter als Gravur und war der Grund dafür gewesen, dass man Woner ins Gefängnis gesperrt hatte. Er war Julia nur allzu gut bekannt.
»Jacob«, sagte Julia mit trockenem Hals. »Woher hast du ihn? Er hat im Blut von Mrs. Chaseman gelegen.«
Mit triumphierender Geste nickte Henry. »Ich erhielt ihn von meinem Vater. Er hat ihn von Woners Fingern gezogen, als er den Dreckskerl aufgehängt hat.« Henry zog die Hand zurück. »Ma'am, Sie waren zu schwach für ein Todesurteil. Sie brauchten meinen Vater als Henker. Ich denke, dass er ein mutigerer Sheriff als Sie gewesen wäre.«
»Zumindest ein härterer.« Julia stand auf und machte sich an der Satteltasche zu schaffen. Nur abgepackten Speck fand sie darin, kein Messer, keinen anderen Gegenstand, mit dem sie Henry hätte überwältigen können. »Er hat die Schwarzen auf den Hügeln gehasst, Henry. Er hat die Hälfte von McCormick gehasst.«
Auf diesen Anwurf fand Henry keine Erwiderung. Er rammte den angespitzten Stock in die Glut, stocherte darin und kommandierte Julia mit dem Revolver herum. »Mach uns etwas zu essen, los! Beeil dich damit!«
✰
Die Kirchenfenster waren in der oberen Hälfte von zwei Kugeln durchschlagen worden, die drinnen über das Kreuz des Heilands hinweggegangen und sich in die Emporenbrüstung gegraben hatten. Die Einschusslöcher waren fingerhutgroß und mit den gestauchten Patronenhülsen gefüllt. Sie lagen eine Handspanne weit auseinander und hätten den Orgelspieler Joe Fields töten können, der während der Schießerei Behold The Lamb Of God gespielt hatte, ein Kirchenlied, das Ellie ebenfalls von Herzen liebte.
»Segne dich der allmächtige Gott!«, sagte Ellies Vater und stützte sich an der Brüstung ab. Er hatte Joe einen Taufschal umgelegt, der symbolisieren sollte, dass der Organist knapp dem Tod entronnen und somit neu geboren worden war. »Die Wunder unseres Herrn sind der Zahl viele.«
Geduldig ließ Joe, von dem Ellie wusste, dass er es mit den Gebeten nicht allzu genau nahm, die Zeremonie über sich ergehen. Er lächelte Ellies Vater an, danach umarmten sie einander wie Freunde. Sie hatten sich in der verwüsteten Kirche verabredet, aus der heraus die Männer von den Hügeln bewaffnet worden waren. Die Truhe, in der Ellies Vater die Snider-Enfield-Gewehre aufbewahrt hatte, stand offen hinter dem Altar.
»Ich spielte zu dieser Stunde«, sagte Joe und schüttelte wieder den Kopf. Er mochte nicht glauben, dass ihn die klapprige Bretterbrüstung vor dem Tod bewahrt hatte. »Ich wollte die Leute beruhigen. Es waren so viele Frauen in die Kirche gekommen... Sie beteten und weinten.«
Ellies Vater umarmte ihn erneut. »Du hast ein gutes Werk getan, Joe. Ich bin dir dankbar. Ich bin dir dankbar für jede Note, die du hier oben gespielt hast.« Er war noch schwach auf den Beinen und hielt sich an der Orgelklaviatur fest. »Sag allen, dass wir die Kirche am Montag aufräumen. Es soll am Sonntag jeder sehen, zu welchen Opfern man uns in den Hügeln gezwungen hat.«
Sie stiegen die knarrende Wendeltreppe ins Kirchenschiff hinunter, und als Joe ging, konnte sich Ellie endlich um ihren Vater kümmern. Sie nahm ihm den Verband ab, wischte ihm das verkrustete Blut von den Halswunden und betupfte alles mit Jod. Sie musste an Lassiter denken, der hinunter nach McCormick geritten war. »Ob er Mrs. Cornish und ihre Töchter schon gefunden hat?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ihr Vater und stöhnte vor Schmerz leise. »Aber ich hoffe es, Ellie. Es darf nie wieder zu solch einem Kampf kommen. Ich muss die Familien dazu bringen, dass wir uns mit der Stadt aussöhnen.«
Von der Aussöhnung sprach er schon den ganzen Vormittag, und Ellie fragte sich, was es damit auf sich haben sollte. Sie hatte den Hass in den Gesichtern gesehen, den Zorn, die Empörung über die Toten, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand aus den Hügeln den weißen Farmern in McCormick verzeihen würde.
»Hör auf«, sagte Ellies Vater und schob ihre Hand beiseite. »Ich habe mich schon zu langen um meine Wunden gekümmert. Die Wunden der Gemeinde sind tiefer... Sie brauchen mich.« Er lief durch die umgekippten Bänke und blieb vor dem Kreuz stehen. »Ich darf sie nicht im Stich lassen.«
»Du hilfst niemanden, indem du deine Wunden entzünden lässt.« Sie rückte ihm mit dem Jodschwamm zu Leibe. »Hör auf, dich zu martern. Du bist nicht anders als Mutter damals. Sie starb an diesem Kummer. Du... du hast genug getan für die Gemeinde.«
Der Reverend fuhr herum und hatte funkelnde Augen. »Sieh dich um, Ellie? Sieht es in dieser Kirche aus, als hätte ich genug getan? Ich hätte die furchtbare Schießerei verhindern sollen. Ich hätte Frieden predigen müssen, statt am Altar Gewehre zu verteilen.« Er senkte den Blick und atmete schwer ein und aus. »Es ist genug. Es ist genug mit dem Hass.«