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Lustspiele, Komödien, Tragödien, Dramen – viele großartige Werke aus vergangenen Zeiten sind für die meisten Menschen heute Bücher mit sieben Siegeln. Insbesondere die altertümliche Sprache und der sprachliche Aufbau als Bühnenstück lassen nicht nur Schülerinnen und Schüler verzweifeln. Die Reihe "Kein Drama" bringt alte Klassiker in Prosa neu heraus. So werden sie endlich für jede und jeden verständlich. Dabei handelt es sich stets um Übersetzungen, die sich inhaltlich dicht an der Vorlage orientieren.
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Seitenzahl: 46
Veröffentlichungsjahr: 2025
Kapitel 1: Die Nacht der Enthüllungen
Venedig, eine Spätsommernacht
Die Kanäle Venedigs lagen schwarz und still unter dem Nachthimmel. Nur das leise Plätschern der Wellen gegen verwitterte Mauern durchbrach die Stille, während zwei Gestalten durch die engen Gassen hasteten. Der Mond versteckte sich hinter Wolken, als hätte er kein Interesse daran, Zeuge dessen zu werden, was sich in dieser Nacht abspielen würde.
Rodrigo blieb abrupt stehen. Sein teurer Samtmantel, der ihn normalerweise als Mann von Stand auswies, hing schwer von der Feuchtigkeit der Nacht. Er drehte sich zu seinem Begleiter um, und selbst in der Dunkelheit konnte man die Wut in seinen Augen erkennen.
"Genug, Iago! Kein Wort mehr!" Seine Stimme bebte vor unterdrückter Empörung. "Du hast meine Börse verwaltet, als wäre sie deine eigene. Mein Gold hast du genommen, meine Geschenke an Desdemona weitergeleitet – und die ganze Zeit wusstest du von dieser... dieser Ungeheuerlichkeit!"
Iago trat einen Schritt näher. Er war einer jener Männer, deren Gesicht Vertrauen einflößte – offene Züge, ehrliche Augen, ein Lächeln, das Wärme versprach. Doch wer genauer hinsah, hätte bemerkt, dass dieses Lächeln niemals seine Augen erreichte.
"Ihr glaubt wirklich, ich hätte das gewusst?" Seine Stimme klang gekränkt, beinahe verletzt. "Bei allen Heiligen, Rodrigo, wenn ich auch nur geahnt hätte, was der Mohr im Schilde führt..."
"Du hast mir versichert, dass du ihn hasst", unterbrach Rodrigo ihn scharf.
Ein bitteres Lachen entfuhr Iago. "Hassen? Das Wort ist zu schwach für das, was ich empfinde." Er lehnte sich gegen eine feuchte Mauer und seine Stimme nahm einen vertraulichen Ton an. "Hört zu, mein Freund. Drei der einflussreichsten Männer dieser Stadt haben sich für mich verwendet. Sie gingen zu Othello, diesem aufgeblasenen Feldherrn, und empfahlen mich als seinen Leutnant. Wisst Ihr, was er tat?"
Rodrigo schüttelte den Kopf, gefangen von der Intensität in Iagos Stimme.
"Er wies sie ab. Höflich natürlich, mit all dem militärischen Pomp, den er so liebt. Sprach von Verdiensten und Erfahrung. Und wen wählte er stattdessen?" Iago spuckte auf den Boden. "Michael Cassio. Ein Schönling aus Florenz, der seine militärische Ausbildung aus Büchern bezogen hat. Ein Mann, der noch nie eine Schlacht gesehen hat, außer auf Pergament gemalt."
Die Bitterkeit in seiner Stimme war greifbar. Rodrigo beobachtete, wie sich Iagos Hände zu Fäusten ballten.
"Und ich?" fuhr Iago fort. "Ich, der ich an seiner Seite in Zypern gekämpft habe, der ich die Narben von Rhodes und anderen Schlachten trage – ich darf weiterhin sein Fähnrich bleiben. Sein Gepäckträger, sein Laufbursche."
"Warum dienst du ihm dann noch?" fragte Rodrigo verwirrt.
Ein seltsames Lächeln spielte um Iagos Lippen. "Oh, ich diene ihm. Aber nicht so, wie er glaubt. Es gibt Männer, die ihren Herren aus Liebe und Treue folgen – arme Narren, die sich abrackern und am Ende mit einem Begräbnis auf Staatskosten abgespeist werden. Und dann gibt es Männer wie mich."
Er trat näher an Rodrigo heran, seine Stimme wurde zu einem Flüstern. "Ich trage die Maske des treuen Dieners, aber mein Herz gehört nur mir selbst. Othello sieht in mir seinen ergebensten Fähnrich, während ich in Wahrheit nur auf den Moment warte, da ich ihm zeigen kann, wer Iago wirklich ist."
Rodrigo schluckte. Es war etwas Beunruhigendes an der Art, wie Iago sprach – eine kalte Berechnung, die ihm Schauer über den Rücken jagte.
"Aber das hilft mir nicht", jammerte er. "Desdemona ist verloren für mich. Sie hat diesen... diesen Mohren geheiratet!"
"Verloren?" Iago lachte leise. "Nichts ist verloren, solange wir noch Karten zu spielen haben. Kommt, wir wecken ihren Vater. Brabantio weiß noch nichts von der heimlichen Hochzeit seiner Tochter. Stellt Euch sein Gesicht vor, wenn er erfährt, dass seine reine, unschuldige Desdemona in den Armen eines Schwarzen liegt."
Sie erreichten den Palazzo Brabantio, dessen Fenster dunkel in die Nacht starrten. Iago bedeutete Rodrigo zu warten und begann dann mit lauter Stimme zu rufen:
"Signor Brabantio! Erwacht! Diebe sind in Eurem Haus!"
Nichts rührte sich. Iago griff nach kleinen Steinen und warf sie gegen die Fensterläden. "Feuer! Feuer! Erwacht, oder Ihr verliert alles!"
Endlich öffnete sich ein Fenster im oberen Stockwerk. Brabantio erschien im Nachthemd, eine Kerze in der Hand, sein graues Haar wirr vom Schlaf.
"Was ist das für ein Lärm? Wer stört die Nachtruhe eines Senators?"
"Signor, seid Ihr bei allen Sinnen?" rief Iago hinauf, während er darauf achtete, im Schatten zu bleiben. "Ist Eure Tochter zu Hause?"
"Was geht Euch meine Tochter an, Ihr Schurke?"
"Schurke?" Iago lachte rau. "Seht lieber nach, ob Eure Tochter noch in ihrem Bett liegt. Sie ist fort, Signor. In diesem Moment liegt sie in den schwarzen Armen eines Mohren. Eure weiße Taube ist zum Raben geflogen."
Brabantios Gesicht wurde bleich. "Das ist unmöglich. Wer seid Ihr, der solche Lügen verbreitet?"
Rodrigo trat aus dem Schatten. "Ich bin es, Signor Brabantio. Rodrigo."
"Rodrigo? Du hier?" Der alte Senator klang verwirrt. "Ich habe dir doch gesagt, dass du dich von meinem Haus fernhalten sollst. Desdemona ist nicht für dich bestimmt."
"Hört mich an, Signor", drängte Rodrigo. "Wenn Ihr Eure Tochter nicht dem General Othello zur Frau gegeben habt, dann ist sie in dieser Nacht aus Eurem Haus geflohen. Prüft es nach. Seht in ihrem Zimmer nach."
Brabantio verschwand vom Fenster. Man hörte eilige Schritte, Türen, die aufgerissen wurden, dann einen Schrei der Verzweiflung. Wenig später erschien er wieder, diesmal angekleidet, gefolgt von mehreren Dienern mit Fackeln.
"Meine Tochter!" Seine Stimme brach. "Oh, meine Tochter! Wie konnte das geschehen? Sie war so rein, so unschuldig. Dieser Mohr muss sie verzaubert haben. Mit welchen dunklen Künsten hat er sie verführt?"