Professor Zamorra 1246 - Michael Schauer - E-Book

Professor Zamorra 1246 E-Book

Michael Schauer

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Beschreibung

"Bitte, Monsieur Zamorra", sagte Mystique. "Die Kammer des Verschwindens ist für Sie bereit."
Zamorra wandte sich um. Er hätte schwören können, dass der große Glaskasten noch nicht da gewesen war, als er die Bühne betreten hatte. Eine Tür schwang auf, die so perfekt in die Wand eingefasst war, dass sie in geschlossenem Zustand praktisch unsichtbar blieb.
"Treten Sie ein", sagte der Magier. "Treten Sie ein und gehen Sie auf eine Reise durch Raum und Zeit. Eine winzig kleine Reise nur, doch ich schwöre Ihnen, Sie werden verzaubert sein ..."


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Inhalt

Cover

Die furchtbare Welt des Monsieur Mystique

Leserseite

Vorschau

Impressum

Die furchtbare Weltdes Monsieur Mystique

von Michael Schauer

»Bitte, Monsieur Zamorra«, sagte Mystique. »Die Kammer des Verschwindens ist für Sie bereit.«

Zamorra wandte sich um. Er hätte schwören können, dass der große Glaskasten noch nicht da gewesen war, als er die Bühne betreten hatte. Eine Tür schwang auf, die so perfekt in die Wand eingefasst war, dass sie in geschlossenem Zustand praktisch unsichtbar blieb.

»Treten Sie ein«, sagte der Magier. »Treten Sie ein und gehen Sie auf eine Reise durch Raum und Zeit. Eine winzig kleine Reise nur, doch ich schwöre Ihnen, Sie werden verzaubert sein.«

»Mach's nicht!«

»Sei kein Feigling!«

Der ältere Junge sah den Jüngeren provozierend an.

»Warum willst du das denn machen?«, fragte der Jüngere.

»Weil ich es kann.« Der Ältere grinste gemein. »Sieh her!«

Er beugte sich zu der Katze hinab, die ihnen auf dem einsamen Pfad mitten im Wald über den Weg gelaufen war. Sie war nicht sehr groß, sah aber wohlgenährt aus und hatte ein glänzend schwarzes Fell. Aus wachen grünen Augen musterte sie die beiden Jungen, bereit, sofort zu flüchten, sollten sie etwas tun, das sie als Bedrohung wahrnehmen würde. Die Katze hatte zwar keine Angst vor Menschen, aber sie war scheu. Sie war es gewohnt, in freier Wildbahn zu überleben und sich von Mäusen und kleinen Vögeln zu ernähren.

Der Ältere trat einen Schritt auf sie zu. Er hob eine Hand, spreizte die Finger, richtete sie auf das Tier. Die Katze beobachtete die Geste interessiert.

Ein rosafarbener Blitz zuckte aus dem Mittelfinger des Jungen, schoss auf sie zu und hüllte sie ein wie ein großes, leuchtendes Tuch. Sie stieß ein klägliches Miauen aus und wollte davonrennen, aber es ging nicht, denn sie hatte keine Beine und keine Pfoten mehr und lag auf dem Bauch. Das Leuchten verschwand.

»Du bist fies«, stieß der Jüngere hervor.

Der Ältere lachte roh. »Ich kann es eben.«

Er wandte sich um, stapfte über den Pfad davon und verschwand hinter der nächsten Biegung, ohne die jetzt verkrüppelte Katze und seinen Bruder noch eines Blickes zu würdigen.

Der Jüngere ging neben dem Tier in die Knie. Das Köpfchen mit den dreieckigen Ohren zuckte wild umher, der schlanke Körper zitterte. Es wusste nicht, was geschehen war, wollte nur noch weg von diesem Ort, und war doch nicht in der Lage dazu.

Vorsichtig streckte er die Hand aus, streichelte der Katze sanft über das Fell. Er flüsterte leise einige fremdartig klingenden Worte, dann erhob er sich und folgte dem Älteren.

Die Katze starrte auf ihre Vorderpforten. Was war geschehen? Hatte sie geträumt?

Sie setzte sich auf die Hinterpfoten, als wolle sie überprüfen, dass auch wirklich alles wieder in Ordnung war. Einige Minuten verharrte sie noch auf dem Pfad, beobachtete etwas ratlos die Umgebung. Dann sprang sie unvermittelt auf und verschwand zwischen den Bäumen.

Über vierzig Jahre später.

»Wollen wir ein bisschen zaubern?«

Bruno Dubois drückte seiner Frau Colette einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen, den sie ebenso leidenschaftlich erwiderte, und für einige Augenblicke standen sie engumschlungen da, ganz in sich und in den Moment versunken.

»Was möchtest du denn zaubern?«, fragte Colette schließlich. Ein verführerisches Lächeln umspielte ihre Lippen, auf denen der Lippenstift nun nicht mehr ganz so strahlend wirkte wie noch einige Sekunden zuvor.

»Ich könnte zum Beispiel deinen Büstenhalter wegzaubern. Mit nur einem Finger.«

Colette kicherte. »Das ist viel zu einfach. Etwas für Anfänger. Ich dagegen beherrsche ganz andere Tricks.« Mit diesen Worten schmiegte sie ihren Unterleib an den seinen. Dubois wurde es plötzlich sehr warm, und ein wohliges Gefühl breitete sich in seinen Lenden aus.

»Ach, den Trick meinst du?« Seine Stimme klang heiser vor Erregung. »Den kenne ich zwar schon. Aber weißt du was, ich kann nicht genug davon kriegen.«

»Das dachte ich mir.«

Sie entzog sich seiner Umarmung, trat einen Schritt zurück, knöpfte langsam die schwarze Bluse auf und ließ sie von ihren Schultern gleiten. Darunter trug sie einen burgunderroten Büstenhalter aus transparentem Stoff, der mehr zeigte, als er verbarg.

»Ich bin wirklich froh, dass Monsieur Mystique dich nicht tatsächlich hat verschwinden lassen«, sagte Bruno Dubois und leckte sich unwillkürlich über die Lippen.

»Das solltest du auch, sonst würde dir heute Nacht einiges entgehen.«

»Das klingt sehr vielversprechend.«

»Und ich mache keine leeren Versprechungen, wie du weißt. Zieh dich aus und leg dich aufs Bett, ich verschwinde kurz im Bad.«

»Bleib nicht zu lange weg.«

»Keine Sorge.«

Colette zwinkerte ihm zu und fuhr sich lasziv durch das schulterlange, rabenschwarze Haar. Dann wandte sie sich um und verschwand in dem an das Schlafzimmer angrenzende Bad. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, knöpfte Dubois eilig sein Hemd auf, schlüpfte aus Hose und Unterhose, streifte die Socken ab, legte alles achtlos auf einen Stuhl und warf einen prüfenden Blick in die Spiegeltür des großen Kleiderschranks, der gegenüber dem Ehebett stand. Ja, für seine fast fünfzig Jahre hatte er sich gut gehalten. Natürlich war er nicht mehr so schlank wie mit zwanzig, aber man sah ihm die regelmäßigen Joggingrunden und Besuche im Fitnessstudio an. Sein immer noch dichtes Haar war fast vollständig ergraut, aber Colette liebte die Farbe. Sie fand, das mache ihn sexy.

Er ließ sich rückwärts auf das Bett fallen und landete weich auf der dicken Matratze, die unter seinem Gewicht sanft nachfederte. Den Blick erwartungsvoll auf die Badezimmertür gerichtet, schweiften seine Gedanken zurück zu der Zaubershow, die er sich mit seiner Frau heute Abend im Theater Bistrot de la Scène in Dijon angesehen hatte. Die Show trug den seiner Meinung nach ziemlich reißerischen Titel »Die furchtbare Welt des Monsieur Mystique«. Mystique, der sich selbst den Magier des Schreckens nannte, hatte viele weithin bekannte Nummern gezeigt, etwa die zersägte Frau oder den Mann ohne Unterleib, alles jedoch mit einer kräftigen Portion Horror gewürzt. Als er sich etwa selbst den Kopf abgeschlagen hatte – was wirklich täuschend echt gewirkt hatte –, war das »Blut« bis in die vorderen Zuschauerreihen gespritzt. Dubois hatte verstanden, warum das Publikum dort vor der Vorstellung mit Regencapes ausgestattet worden war.

Dubois war eigentlich kein Freund von Zaubershows, er hatte die Karten nur Colette zuliebe besorgt, die sich im Gegensatz zu ihm für alles »Magische« begeisterte. Aber er musste zugeben, dass dieser Mystique seine Sache wirklich gut gemacht hatte. Die Show hatte ihm gefallen, und er hatte sich keine Sekunde gelangweilt.

Der Höhepunkt war natürlich gewesen, als Monsieur Mystique Colette auf die Bühne geholt hatte.

Der Magier hatte angekündigt, jemanden aus dem Publikum verschwinden zu lassen, war die kleine Treppe von der Bühne in den Zuschauerraum heruntergestiegen und zielsicher auf Colette zugesteuert, als hätte er sie schon lange vorher ausgesucht. Dubois musste schmunzeln, als er sich daran erinnerte, wie Colette neben ihm ganz nervös auf ihrem Sitz geworden war, obwohl sie eigentlich eine taffe Frau war, die sich so leicht nicht aus der Ruhe bringen ließ. Aber sie war dem Magier bereitwillig gefolgt, als er sie gebeten hatte, mit ihm zu kommen.

Mystique hatte sie auf die Bühne geführt, wo wie aus dem Nichts eine etwa zwei Meter hohe Kabine aus durchsichtigem Glas aufgetaucht war. Er hatte die Tür geöffnet, Colette hineingebeten und die Tür hinter ihr wieder geschlossen. Dann hatte er dem Publikum mit einigen blumigen Worten angekündigt, dass Colette gleich verschwinden würde. Kaum hatte er zu Ende gesprochen, war ein Blitz durch die Kabine gezuckt, so grell, dass Dubois geblendet die Augen hatte schließen müssen. Als er sie wieder geöffnet hatte, war die Kabine tatsächlich leer gewesen. Aber Colette war nicht wirklich verschwunden. Nein, sie hatte mit verblüfftem Blick neben ihm gesessen, als hätte sie ihren Platz nie verlassen.

Alle Augen hatten sich auf sie gerichtet, dann war ein tosender Applaus losgebrochen.

Auf der Heimfahrt hatten sie sich lange darüber unterhalten, aber Colette hatte keine Ahnung, wie sie aus der Kabine und auf ihren Sitzplatz gekommen war. Sie wusste nur, dass der Blitz auch sie geblendet hatte. Außerdem hatte sie kurz ein leichtes Prickeln im Nacken gespürt.

Wirklich beeindruckend.

Der Abend hatte Colette jedenfalls restlos begeistert.

Und dafür wird sie sich jetzt bedanken, dachte Dubois und grinste in der Erwartung der Freuden, die ihm seine attraktive Frau gleich bereiten würde. Die Tickets waren wahrlich nicht billig gewesen, doch nun entpuppten sie sich als eine lohnende Investition.

Wo blieb sie eigentlich? Inzwischen waren bestimmt mehr als fünf Minuten vergangen.

»Schatz, was machst du denn so lange? Hier ist jemand bereits mächtig ungeduldig«, rief er.

Keine Reaktion.

Dubois runzelte die Stirn. Die Badezimmertür war dünn, so dünn, dass sich Colette immer genierte, wenn sie auf die Toilette musste und er sich im Schlafzimmer aufhielt. Unmöglich, dass sie ihn nicht gehört hatte. Sie konnte das Bad auch nicht verlassen haben, es gab nur dieeine Tür.

»Colette?«

Diesmal hatte er etwas lauter gerufen.

Nichts.

Ob sie ohnmächtig geworden war? Ein Schwächeanfall? Oder vielleicht Schlimmeres?

Er richtete sich auf, tappte auf nackten Füßen zur Tür und klopfte.

»Colette? Liebling? Ich komme jetzt rein.«

Dubois legte eine Hand auf die Klinke und drückte sie nach unten. Mit einem leisen Knarren schwang die Tür auf.

Drinnen war alles wie immer. Er sah die weiße Badewanne, den schwarzen, weichen Vorleger, die Toilette, das mannshohe Badeschränkchen, die beigefarbenen Handtücher, die an zwei Haken an der im Schachbrettmuster gefliesten Wand hingen.

Nur von Colette war nichts zu sehen.

»Zamorra?«

»Endlich erreiche ich Sie. Ihre Nummer war schwer rauszukriegen.«

»Wer spricht dort?«, fragte Zamorra. Die Stimme des Anrufers klang tief und dröhnend.

»Mein Name ist Jean Morel. Ich arbeite als freier Journalist in Paris. Haben Sie ein paar Minuten für mich?«

»Wenn das ein Interview werden soll ...«

»Nein, kein Interview. Ich bin an einer Geschichte dran, über die ich mit Ihnen sprechen möchte. Das könnte Sie interessieren.«

Zamorra lehnte sich in seinem Stuhl zurück und warf einen Blick aus dem geöffneten Fenster seines Arbeitszimmers. Draußen ging gerade ein wunderschöner Februartag zu Ende. Die Sonne verschwand langsam am Horizont und tauchte den Himmel in ein warmes, rötliches Licht.

»Ich höre, Monsieur Morel«, sagte er.

»Haben Sie schon einmal etwas von Monsieur Mystiques furchtbarer Welt gehört?«

»Nein, habe ich nicht. Aber Sie werden mir sicher gleich sagen, wo sie sich befindet.«

Morel lachte. »Tatsächlich ist es keine Welt, sondern eine Show. Monsieur Mystique ist ein Zauberer, ein Magier. Gerade tourt er durch Frankreich.«

»Sie meinen, so jemand wie David Copperfield?«

»Ganz genau, Monsieur Zamorra. Nur etwas jünger. Und im Gegensatz zu David Copperfield lässt er sein Publikum offenbar nicht nur auf der Bühne verschwinden.«

»Wie meinen Sie das?«

Unvermittelt öffnete sich die Zimmertür. Nicole Duval, seine Lebensgefährtin, Kampfgefährtin und Sekretärin in einer Person, steckte den Kopf herein, sah, dass er telefonierte, warf ihm eine Kusshand zu und verschwand. Zamorra lächelte kurz, dann konzentrierte er sich wieder auf das Gespräch.

»In den vergangenen Wochen sind in Frankreich zwölf Menschen spurlos verschwunden«, fuhr Morel fort. »Das ist so weit nichts Ungewöhnliches, jedes Jahr gehen Hunderte aus dem Haus und tauchen nie wieder auf. Aber diese zwölf haben etwas gemeinsam.«

»Und das wäre?«

»Sie alle hatten sich kurz zuvor Monsieur Mystiques Show angesehen. Habe ich Ihre Aufmerksamkeit?«

»Sie haben sie.«

»Das erste Mal ist es in Bordeaux passiert. Jacques LeVielle hat die Show mit seiner Tochter besucht. Er wurde von Mystique auf die Bühne geholt und in einen großen Glaskasten gesteckt. Ein paar Sekunden später saß er wieder neben seiner Tochter im Zuschauerraum, und der Kasten war leer. Bis hierhin ein normaler Zaubertrick, hätte auch von Copperfield sein können. Nach der Vorstellung sind die beiden etwas essen gegangen. LeVielle saß am Tisch und nippte gerade an seinem Weinglas – und zack, war er wieder weg. Aber diesmal tauchte er nicht mehr auf.«

»Woher wissen Sie das so genau?«

»Ein alter Kollege, der in Bordeaux für die dortige Tageszeitung Sud Quest arbeitet, hat mir die Geschichte erzählt. Die Tochter hat geschworen, dass ihr alter Herr sich vor ihren Augen in Luft aufgelöst hat. Natürlich hat ihr keiner geglaubt, und die anderen Gäste in dem Lokal hatten nichts mitbekommen. Aber Fakt ist, dass der Mann bis heute verschwunden ist.«

Nicole erschien erneut in der Tür. Als sie sah, dass Zamorra immer noch telefonierte, zog sie einen Schmollmund. Zamorra machte mit der freien Hand eine entschuldigende Geste. Sie verdrehte die Augen und schloss die Tür, deutlich lauter als beim ersten Mal.

»Monsieur Zamorra?«, hörte er Morel fragen.

»Entschuldigen Sie, Monsieur Morel, ich war abgelenkt. Fahren Sie fort.«

»Der zweite Vorfall geschah in Périgueux, nur ein paar Tage später. Diesmal traf es eine Frau, Claudine Chabrol. Ich habe die Geschichte im Internet gelesen. Sie hat spätabends mit ihrem Mann einen Schaufensterbummel unternommen. Als sie vor einem Juweliergeschäft stehen blieb, ging er ein paar Schritte weiter, und als er sich kurz darauf nach ihr umdrehte, war sie weg. Diesmal stand nichts von der Zaubershow in dem Artikel, aber wissen Sie, ich habe einen Riecher dafür, wenn etwas faul ist.«

»Den braucht man wahrscheinlich als Journalist.«

»Ganz genau. Jedenfalls habe ich mir daraufhin den Tourneeplan von Monsieur Mystique angesehen. Tatsächlich lief die Show in Périgueux, am selben Tag, an dem Madame Chabrol verschwunden ist. Ich habe Kontakt zu ihrem Gatten aufgenommen, und er hat mir bestätigt, dass sie die Show besucht haben. Und dass seine Frau an der Nummer mit dem Glaskasten teilgenommen hat.«

Zamorra richtete sich in seinem Stuhl auf. Die Sonne war nun endgültig untergegangen, und es war dunkel im Zimmer geworden. Er knipste die kleine Schreibtischlampe an.

»Fünf Tage später gastierte die Show in Angoulême. Die Zeitung dort nennt sich Charente Libre. Zwei Tage danach stand auf deren Online-Portal eine Geschichte über René Picard, einen jungen Mann, der ein Taxi gerufen hatte und sich während der Fahrt buchstäblich in Luft auflöste. In dem Artikel stand nichts darüber, dass er die Show besucht hatte, aber er war direkt vor dem Theater in das Taxi eingestiegen, kurz nachdem die Vorstellung zu Ende gegangen war. Seitdem ist in jeder Stadt, in der Mystique aufgetreten ist, jemand am selben Abend auf mysteriöse Weise verschwunden. Sozusagen wie weggezaubert, wenn Sie mir das Wortspiel erlauben.«

Zamorra hatte nach der Tastatur seines Computers gegriffen, den Internetzugang geöffnet und »Monsieur Mystique Zaubershow« in die Suchmaschine eingegeben. Der erste Treffer war die Homepage einer Ticketagentur. Er klickte darauf und studierte den Tourplan.

»Morgen ist die Show in Dijon, ab Samstag gastiert sie für einige Tage in Paris«, stellte er fest.

»Ich merke, Sie machen bereits Ihre Hausaufgaben. Genau deswegen rufe ich Sie an. Ich finde, wir sollten uns diesen Monsieur Mystique einmal ansehen.«

»Wir?«, fragte Zamorra.

»Man erzählt über Sie, dass Sie ein Mann sind, der sich mit übersinnlichen Phänomenen auskennt. Mit Magie und dunklen Mächten. Vorher habe ich an solchen Hokuspokus nicht geglaubt, aber inzwischen denke ich, dass ich meine Meinung ein wenig revidieren muss. Ich habe nämlich das Gefühl, dass wir es hier mit genau so etwas zu tun haben. Auf der Bühne jemanden aus dem Publikum wegzaubern, das kann jeder drittklassige Magier. Aber dass ausgerechnet diese Menschen kurz danach tatsächlich wie vom Erdboden verschwunden sind ... Das kann kein Zufall sein, meinen Sie nicht?«

»Da könnte in der Tat etwas dran sein.«

»Sie nehmen den Typen unter die Lupe. Wenn Mystique mit dem Teufel im Bunde ist oder so, dann können Sie ihn unschädlich machen. Und ich habe eine schöne Story. Was halten Sie von dem Plan?«

»Ich stehe ehrlich gesagt nicht so gerne im Rampenlicht.«

»Da werden wir uns schon einig. Aber als ersten Schritt sollten wir uns am Samstag die Show ansehen.«

»Allerdings ist sie ausgebucht. So steht es jedenfalls auf der Homepage des Ticketshops.«

»Nun, Monsieur Zamorra, auch ich mache meine Hausaufgaben. Hier vor mir liegen zwei Karten, achte Reihe, direkt am Gang.«

»Besorgen Sie eine dritte.«

»Eine ... dritte?«

»Ich bringe jemanden mit. Ihr Name ist Nicole Duval.«

Professor Zamorra legte den Rückwärtsgang ein und rangierte den weißen Citroën D 23 Pallas in die Parklücke. Mit einem zufriedenen Seufzer schaltete er den Motor aus.

»Perfekt. Ich hätte nicht gedacht, dass du das hinbekommst. Da hätte ich ja mit meinem Wagen kaum reingepasst«, sagte Nicole Duval anerkennend.

»Du bist ja auch eine Frau, meine Liebe.«

»Ganz dünnes Eis, mein Lieber.«

Nicoles Augen funkelten angriffslustig und bildeten einen reizvollen Kontrast zu ihrer eleganten Erscheinung. In ihrem engen, trägerlosen schwarzen Kleid, dessen Saum ihr bis knapp über die Knie ging, sah sie wirklich hinreißend aus. Ihre seit drei Tagen feuerroten Haare fielen ihr über die nackten Schultern. Neben ihr kam sich Zamorra in seinem schlichten, aber modischen weißen Anzug und der braunen Krawatte beinahe unscheinbar vor.

»Sieh mich nicht so an, ich weiß genau, was sich hinter diesem Blick verbirgt, du Lüstling. Dafür haben wir jetzt keine Zeit.«

»Du kennst mich einfach zu gut«, schmunzelte Zamorra.

»In der Beziehung ist das auch kein Kunststück, da seid ihr Männer nämlich alle gleich.«

Sie drehte sich um, fischte ihre rote Jacke, die perfekt zu ihrer Haarfarbe passte, aus dem Fond, öffnete die Beifahrertür und schwang die wohlgeformten Beine aus dem Wagen. Ihre Füße steckten in ebenfalls roten Pumps. Während Zamorra ausstieg, schlüpfte sie in die Jacke, die ihr bis knapp über die Hüfte reichte. In den vergangenen Tagen waren die Temperaturen etwas gestiegen, aber die Luft war noch weit davon entfernt, wirklich warm zu sein.

»Endlich wieder in Paris«, freute sich Nicole. »Das muss Gedankenübertragung gewesen sein. Als du mit Morel telefoniert hast, wollte ich dir genauso einen Ausflug vorschlagen. Nur hatte ich eher Einkaufen als Zauberei im Sinn. Wo ist das Theater?«