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Der furchtlose Held und die Liebe, die stärker ist als jeder RingSiegfried wächst im tiefen Wald auf, erzogen von dem hinterlistigen Zwerg Mime, der dunkle Pläne mit dem Jungen verfolgt. Als Siegfried erfährt, dass seine Eltern – Siegmund und Sieglinde, die verbotenen Liebenden aus den Wälsungen – tot sind, schmiedet er das zerbrochene Schwert Nothung neu und zieht aus, um den gewaltigen Drachen Fafner zu töten.Der Sieg über Fafner bringt ihm den verfluchten Ring des Nibelungen – und die Erkenntnis, dass selbst in der Einsamkeit des Waldes die Intrigen der Götter und Menschen ihn nicht verschonen. Nachdem er den verräterischen Mime erschlägt, führt ihn ein Waldvöglein zu einem Felsen, umgeben von Flammen.Dort liegt Brünnhilde, die verstoßene Walküre, in todesähnlichem Schlaf. Nur einer, der die Furcht nicht kennt, kann sie wecken – und Siegfried ist dieser Eine. Was als Erweckung beginnt, wird zur großen Liebe. Gemeinsam geben sie den Ring den Rheintöchtern zurück und suchen nach einem Platz in der Menschenwelt.Doch in Worms, am Hof des Fürsten Gunther, lauern neue Gefahren. Der kalte Hagen spinnt ein Netz aus Lügen, und Siegfried und Brünnhilde werden zu Flüchtigen. Ihre Reise in die Freiheit wird zum Wettlauf gegen ein Schicksal, das bereits seine dunklen Schatten vorauswirft.Der dritte Teil der Ring-Tetralogie – eine epische Geschichte von Heldenmut, Liebe und dem Preis der Freiheit.
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Seitenzahl: 245
Veröffentlichungsjahr: 2025
Anno Stock
Siegfried - Kein Drama nach Richard Wagner
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Table of Contents
Kapitel 1: Das zerbrochene Schwert
Kapitel 2: Der fragende Wanderer
Kapitel 3: Kunde der Vergangenheit
Kapitel 4: Mimes finstere Pläne
Kapitel 5: Nothungs Feuerprobe
Kapitel 6: Wächter in der Nacht
Kapitel 7: Waldweben
Kapitel 8: Leuchtende Liebe
Kapitel 9: Erda erwacht
Kapitel 10: Die Reise zum Rhein
Kapitel 11: Begegnung mit den Rheintöchtern
Kapitel 12: In der Menschenwelt
Kapitel 13: Worms und die Burg der Burgunden
Kapitel 14: Schatten über Worms
Kapitel 15: Der Preis der Freiheit
Nachwort
Impressum neobooks
Siegfried – Kein Drama nach Richard Wagner
Ein historischer Roman
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Der Hammer sang sein ewiges Lied auf dem Amboss, funkensprühend und hart, doch was unter seinen Schlägen entstand, taugte nichts. Mime wusste es, noch bevor er die Klinge ins Wasser tauchte und das Zischen der Enttäuschung hörte. Er wusste es an der Art, wie sich das Metall unter seinen Händen fügte – zu willig, zu weich, ohne jenen inneren Widerstand, der wahre Stärke verriet.
Die Höhle im Neidhöhl, tief im finsteren Wald, war seine Werkstatt und sein Gefängnis zugleich. Hier hatte der Zwerg die Jahre verbracht, seit jener verhängnisvollen Nacht, als Sieglinde sterbend das Kind in seine Arme gelegt hatte. Jahre der Mühsal, Jahre der geheimen Hoffnung. Der Schmiedefeuer Schein tanzte über die rußgeschwärzten Wände, warf groteske Schatten, die Mimes bucklige Gestalt noch verkrümmter erscheinen ließen.
Er hob die Klinge ans spärliche Licht, das durch die Felsspalten drang. Wieder eine Enttäuschung. Das Schwert sah prächtig aus – scharf geschliffen, mit kunstvollem Griff –, aber es würde nicht halten. Nicht gegen ihn. Nicht gegen den Knaben, der zur Bestie herangewachsen war.
Ein dumpfes Dröhnen erschütterte die Höhle. Mime fuhr zusammen, und seine knorrigen Finger umklammerten den Schwertgriff fester. Er kannte dieses Geräusch. Siegfried kehrte heim.
Das Dröhnen schwoll an, wurde zu einem wilden Lärm, der die Werkzeuge an den Wänden klirren ließ. Dann flog die Türe auf, und mit ihr stürmte die Unbändigkeit selbst herein. Siegfried, hochgewachsen und von einer Kraft, die jede Faser seines Leibes zu durchströmen schien, trat ein. Auf seiner Schulter trug er einen gewaltigen Bären, lebend, brüllend, mit Stricken notdürftig gebändigt.
»Mime! Komm her, mein Alter!« Siegfrieds Lachen füllte die Höhle, hell und furchtlos. »Sieh, wen ich dir mitgebracht habe! Einen Gesellen für deine einsamen Stunden!«
Der Zwerg wich zurück, das Schwert schützend vor sich haltend. »Fort damit! Fort mit dem Tier!«
»Was, fürchtest du dich?« Siegfried ließ den Bären von seiner Schulter gleiten. Das Tier, verwirrt von der plötzlichen Freiheit, taumelte durch die Werkstatt, schnüffelte an den Werkzeugen, stieß gegen den Amboss. Mime flüchtete kreischend hinter die Esse, während Siegfried sich vor Lachen bog.
»Genug! Genug der Torheit!« Mime rang nach Atem. »Treib das Untier hinaus!«
Mit einer lässigen Bewegung löste Siegfried die Stricke. Der Bär, froh seiner wiedergefundenen Freiheit, trottete zur Tür hinaus, zurück in den Wald, wo das Rauschen der Blätter und das Murmeln der Bäche seine Heimat waren.
Siegfried wischte sich die Hände an seinem Wams ab. Seine Kleidung, aus Häuten gefertigt, trug die Spuren des Waldes – Moos, Schlamm, die Krallen des Bären. Er war neunzehn Jahre alt, doch seine Statur hätte einem ausgewachsenen Recken alle Ehre gemacht. Goldenes Haar fiel ihm in die Stirn, und seine Augen, blau wie der Sommerhimmel über dem Wald, blickten mit jener Mischung aus Unschuld und Wildheit, die Mime gleichermaßen faszinierte und ängstigte.
»Du hast mir ein Schwert versprochen«, sagte Siegfried und ließ sich auf einen Baumstumpf fallen, der als Sitzgelegenheit diente. »Ist es fertig?«
Mime kroch hinter der Esse hervor, das Schwert noch immer in Händen. Seine Gedanken überschlugen sich. Sollte er es wagen? Das Schwert war nicht stark genug, das wusste er. Aber vielleicht, vielleicht würde Siegfried es diesmal schonen, es mit Bedacht prüfen.
»Hier«, sagte er und reichte die Klinge mit zitternden Fingern dar. »Des feinsten Stahls härteste Schneide! Ich habe Tage daran gearbeitet, Nächte durchwacht. Die Glut musste genau die richtige Temperatur haben, das Eisen aus drei verschiedenen Erzen geschmolzen –«
Siegfried nahm das Schwert, wog es in der Hand, prüfte die Balance. Für einen Moment schien er zufrieden. Dann, mit einer plötzlichen Bewegung, hieb er damit gegen den Amboss.
Das Metall zerbrach mit einem hellen Klirren. Die Klinge zersprang in zwei Stücke, die klirrend zu Boden fielen.
»Untauglicher Tand!« Siegfried schleuderte den Griff in die Ecke. »Was soll ich mit solchem Spielzeug? Ich suche ein Schwert, das hält, wenn ich zuschlage! Ein Schwert, das Bäume fällt und Felsen spaltet!«
»Die Schwerter, die ich schmiede, taugen anderen Helden«, murrte Mime, während er die Bruchstücke aufsammelte. Seine Hände zitterten vor unterdrückter Wut und Verzweiflung. »Nur du zerbrichst sie wie Strohhalme.«
»Andere Helden?« Siegfried lachte bitter. »Wo sind diese Helden? Ich kenne nur dich, alten Zwerg, und du bist wahrlich kein Held. Erzähle mir von den Helden! Erzähle mir von denen, die mit solchen Schwertern Taten vollbrachten!«
Mime schwieg. Er kauerte sich vor die Esse, fütterte das Feuer mit neuem Holz. Die Flammen leckten gierig empor, spiegelten sich in seinen müden Augen. Wie oft hatte er diese Szene erlebt? Zu oft. Jedes Mal, wenn er glaubte, diesmal ein Schwert geschmiedet zu haben, das hielt, zerschmetterte Siegfried es mit einem einzigen Hieb.
»Du schweigst«, stellte Siegfried fest. Seine Stimme wurde sanfter, aber nicht freundlicher. »Du schweigst immer, wenn ich nach der Welt jenseits dieses Waldes frage. Was verbirgst du mir, Mime? Was weißt du, das ich nicht wissen soll?«
»Nichts verberge ich dir«, log der Zwerg. »Ich bin ein einfacher Schmied, mehr nicht. Die Welt draußen ist hart und gefährlich. Hier bist du sicher.«
»Sicher!« Siegfried sprang auf, durchmaß die Höhle mit langen Schritten. Seine Bewegungen waren die eines Raubtiers in einem zu engen Käfig. »Sicher vor was? Vor dem Leben? Ich ersticke hier, Mime! Dieser Wald mit seinen ewigen Bäumen, diese Höhle mit ihrem Rauch und ihrer Enge – das ist nicht das Leben, von dem ich träume!«
Er blieb vor einer Felsspalte stehen, durch die ein Sonnenstrahl fiel. Draußen sang ein Vogel sein Nachmittagslied, klar und rein. Siegfried lauschte, und seine Züge entspannten sich.
»Heute war ich am Bach«, erzählte er leiser. »Ich sah mein Spiegelbild im Wasser. Und weißt du, was ich dachte?«
Mime schwieg, ahnte, was kommen würde.
»Ich dachte: Wie seltsam, dass ich so aussehe. Wie das Wild im Wald, das sich im Wasser spiegelt und seine Jungen neben sich sieht. Der Hirsch hat seine Hirschkuh, der Wolf seine Wölfin. Sie alle haben ihr Gleichen, ihre Familie. Aber ich?« Er drehte sich zu Mime um. »Ich habe nur dich. Und du, Mime, du siehst mir nicht ähnlich. Gar nicht.«
Der Zwerg spürte, wie sein Herz schneller schlug. Das war der Moment, den er gefürchtet und doch erwartet hatte. Siegfried war kein Kind mehr, das sich mit Lügen abspeisen ließ.
»Du bist mein Ziehsohn«, sagte Mime mit mühsam kontrollierter Stimme. »Ich habe dich aufgezogen, dich genährt, dich gelehrt –«
»Aber du bist nicht mein Vater.« Siegfrieds Stimme war ruhig, doch sie trug eine Gewissheit, die keinen Widerspruch duldete. »Ich habe im Wald die Tiere beobachtet, Mime. Ich habe gesehen, wie die Vögel ihre Jungen füttern, wie die Hirschkühe ihre Kälber säugen. Und ich verstand: So muss es auch bei den Menschen sein. Eine Mutter muss es geben, einen Vater. Wo sind meine Eltern, Mime?«
Der Zwerg wandte sich ab, schürte das Feuer mit hektischen Bewegungen. Die Funken stoben auf wie seine Gedanken. Was sollte er sagen? Die Wahrheit war gefährlich, doch die Lüge würde nicht mehr lange halten.
»Sie sind tot«, presste er schließlich hervor. »Beide tot. Das ist alles, was du wissen musst.«
»Tot.« Siegfried wiederholte das Wort, als koste er seinen Geschmack. »Wie starben sie? Wer waren sie? Wie hießen sie?«
»Fragen, immer Fragen!« Mime fuhr herum, seine Augen glitzerten im Feuerschein. »Genügt es nicht, dass ich dich aufzog? Dass ich dir ein Dach über dem Kopf gab, Essen, Kleidung? Undankbarer Bursche!«
»Undankbar?« Siegfrieds Lachen war hart. »Du nennst mich undankbar? Du, der du mich hier festhältst wie einen Bären an der Kette? Erzähle mir von meinen Eltern, oder ich verlasse diese Höhle und kehre nie wieder zurück!«
Die Drohung traf Mime wie ein Schlag. Ohne Siegfried war alles verloren. Ohne Siegfried konnte er niemals zu Fafner gelangen, niemals den Ring erobern, niemals die Macht erlangen, von der er träumte. Er brauchte den Jungen, brauchte dessen furchtlose Kraft, dessen Unwissenheit.
»Gut«, sagte er mit erstickter Stimme. »Gut, ich will dir erzählen, was ich weiß. Aber setze dich, und höre geduldig zu.«
Siegfried setzte sich wieder auf den Baumstumpf, die Arme auf die Knie gestützt, den Blick fest auf Mime gerichtet.
Der Zwerg holte tief Luft. Wie viel sollte er preisgeben? Wie viel durfte er verschweigen? Die Wahrheit war ein zweischneidiges Schwert – sie konnte befreien, aber auch binden.
»Es war eine Nacht voller Sturm und Regen«, begann er. Die Worte kamen schwer über seine Lippen, jedes einzelne wie ein Stein, den er aus seinem Inneren wälzen musste. »Ich fand eine Frau im Wald, nahe dieser Höhle. Sie war am Ende ihrer Kräfte, im Begriff, ein Kind zu gebären.«
Siegfried rührte sich nicht, doch seine Augen weiteten sich.
»Ich brachte sie hierher, half ihr, so gut ich konnte. Aber sie war zu schwach. Das Gebären nahm ihr die letzten Kräfte. Als du geboren warst, starb sie in meinen Armen.«
»Meine Mutter«, flüsterte Siegfried. »Wie hieß sie?«
»Sieglinde.« Der Name war Mime fremd auf der Zunge, nach all den Jahren des Verschweigens. »Sie hieß Sieglinde.«
»Sieglinde.« Siegfried wiederholte den Namen wie eine Beschwörung. Etwas in seiner Brust weitete sich, als hätte eine verschlossene Tür sich einen Spaltbreit geöffnet. »Und mein Vater?«
»Tot im Kampf, sagte sie mir. Siegmund hieß er. Er fiel in einer Schlacht, bevor du geboren wurdest.«
»Siegmund und Sieglinde.« Siegfried stand auf, ging zur Felsspalte, legte die Hand gegen den kühlen Stein. »Das also sind ihre Namen. Die Namen meiner Eltern.« Er schwieg einen Moment. »Wie war sie, Mime? Erzähle mir von ihr.«
Mime presste die Lippen zusammen. Er erinnerte sich an Sieglinde, freilich – an ihr aschgraues Gesicht, an die Verzweiflung in ihren Augen, an die Angst, die sie umgeben hatte wie ein Leichentuch. Aber das konnte er Siegfried nicht erzählen.
»Sie war schön«, sagte er ausweichend. »Sehr schön. Und verzweifelt. Sie hatte nichts als die Kleider am Leib und –« Er stockte.
»Und?«
»Und die Bruchstücke eines Schwertes.«
Siegfried wirbelte herum. »Ein Schwert?«
Mime fluchte innerlich. Warum hatte er das gesagt? Aber nun war es zu spät. Mit schlurfenden Schritten ging er zu einer Truhe in der Ecke, öffnete sie, wühlte zwischen altem Werkzeug und Lumpen. Seine Finger fanden, was sie suchten.
Er zog die Bruchstücke hervor, in ein altes Tuch gewickelt. Das Metall schimmerte selbst im trüben Licht der Höhle mit einem eigenen, seltsamen Glanz. Die Klinge war in der Mitte zerbrochen, doch selbst im gebrochenen Zustand strahlte sie eine Kraft aus, die Mime erschauern ließ.
»Das ist alles, was von deinem Vater blieb«, sagte er und legte die Bruchstücke auf den Amboss. »Sieglinde sagte mir, Siegmund sei damit in den Kampf gezogen. Aber das Schwert zerbrach, und er fiel.«
Siegfried trat näher, berührte das Metall mit ehrfürchtigen Fingern. Es war kalt und doch seltsam lebendig unter seiner Berührung. Runen waren in die Klinge eingraviert, uralte Zeichen, deren Bedeutung sich seinem Verständnis entzog.
»Nothung«, las Siegfried stockend. »So hieß das Schwert meines Vaters.«
»Nothung«, bestätigte Mime. Der Name des Schwertes war ihm vertraut – zu vertraut. Er wusste, was dieses Schwert einst gewesen war, wusste von seiner Macht. Und er wusste, dass nur einer es neu schmieden konnte: der, der keine Furcht kannte.
»Kannst du es schmieden?« Siegfrieds Stimme bebte vor Aufregung. »Kannst du Nothung wieder ganz machen?«
Mime sah in das hoffnungsvolle Gesicht des Jungen und fühlte, wie sich seine Eingeweide zusammenzogen. Hundertmal hatte er es versucht, heimlich, in schlaflosen Nächten. Hundertmal war er gescheitert. Das Metall war zu hart, zu widerspenstig. Es weigerte sich, unter seinen Händen seine ursprüngliche Form wiederzufinden.
»Ich – ich könnte es versuchen«, log er. »Aber es würde Zeit brauchen.«
»Dann beginne!« Siegfried legte die Bruchstücke behutsam zurück auf den Amboss, als seien sie heilig. »Schmiede mir das Schwert meines Vaters, Mime! Mit Nothung werde ich hinausziehen in die Welt. Mit Nothung werde ich Taten vollbringen, die meines Vaters würdig sind!«
»Ja, ja.« Mime winkte ab. »Aber nicht heute. Morgen. Ich bin müde, die Arbeit an dem anderen Schwert hat mich erschöpft.«
Siegfried runzelte die Stirn, doch dann nickte er. »Gut. Morgen also. Aber täusche mich nicht, Mime. Ich will dieses Schwert haben.«
Er wandte sich zur Tür, blieb aber noch einmal stehen. »Sag mir noch etwas. Hast du meiner Mutter etwas versprochen, als sie starb? Hat sie dir aufgetragen, für mich zu sorgen?«
Mime zögerte. Das war gefährliches Terrain. »Sie bat mich, dich zu beschützen. Dich aufzuziehen, bis du stark genug seist, deinen eigenen Weg zu gehen.«
»Dann hast du dein Versprechen erfüllt.« Siegfrieds Stimme wurde fest. »Ich bin stark genug, Mime. Stärker als jeder Bär, jeder Wolf. Stärker als du es je warst. Wenn du mir Nothung schmiedest, dann sind wir quitt. Dann gehe ich, und du bist frei von deiner Pflicht.«
Mit diesen Worten verließ er die Höhle. Mime hörte, wie seine Schritte sich entfernten, wie er ein Lied anstimmte, wild und frei, das im Wald widerhallte.
Allein gelassen, sank der Zwerg auf seinen Schemel. Seine Gedanken rasten. Siegfried würde gehen. Sobald er das Schwert hatte, würde er gehen. Und was dann? Dann war alles verloren. Jahrelange Mühe, jahrelange Hoffnung – umsonst.
Nein. Es durfte nicht umsonst sein.
Mime erhob sich, trat zum Amboss, starrte auf die Bruchstücke von Nothung. Das Schwert verspottete ihn mit seinem stummen Glanz. Er hatte alles versucht, jede Technik, die er kannte. Das Metall war zu stark, zu rein. Es ließ sich nicht fügen, nicht unter seinen Händen.
Aber es gab einen anderen Weg. Einen gefährlichen Weg.
Fafner. Der Drache im Neidhöhl. Einst war er Fafners Bruder gewesen, Fasolt hieß der andere, und beide waren Riesen gewesen. Sie hatten Walhall erbaut für die Götter, und als Lohn hatten sie den Nibelungenhort gefordert. Mime erinnerte sich noch an jenen Tag, als sein Bruder Alberich den Ring verloren hatte, als Wotan ihm den Schatz abgepresst und den Riesen übergeben hatte. Fasolt war gefallen durch Fafners Hand, erschlagen aus Gier um den Ring. Und Fafner hatte sich verwandelt, hatte die Gestalt eines Drachen angenommen, um den Hort besser bewachen zu können.
Dort lag der Ring. Dort lag die Macht, nach der sich Mime sehnte. Aber allein konnte er nicht zu Fafner gehen. Allein war er zu schwach.
Er brauchte einen Helden. Einen, der keine Furcht kannte. Einen wie Siegfried.
Ein bitteres Lächeln umspielte Mimes Lippen. Ja, das war der Plan. Siegfried sollte Fafner erschlagen. Und dann, wenn der Drache tot war, wenn Siegfried erschöpft von dem Kampf war, dann würde Mime zuschlagen. Ein Gift, schnell wirkend, heimtückisch. Siegfried würde fallen, und Mime würde den Ring an sich nehmen.
Aber zuerst musste Nothung geschmiedet werden. Und das, das konnte Mime nicht.
Er ballte die Fäuste, hämmerte sie auf den Amboss. Das Metall klang dumpf unter seinen Schlägen. Hoffnungslos. Alles war hoffnungslos.
»Was nützt mir alle Schmiedekunst«, murmelte er vor sich hin, »wenn sie nicht ausreicht für dieses eine Werk? Alberich verfluchte den Ring, verfluchte jeden, der ihn begehrt. Aber ich bin sein Bruder. Mir steht der Ring zu! Mir, der ich all die Jahre darauf gewartet habe!«
Draußen war die Nacht hereingebrochen. Der Wald lag still, nur das gelegentliche Heulen eines Wolfes durchbrach die Stille. Mime schürte das Feuer, setzte sich davor, starrte in die Flammen.
Er dachte an die Jahre zurück, die vergangen waren. Neunzehn Jahre. Er hatte Siegfried aufgezogen, Tag für Tag, hatte ihn genährt mit Essen, das er selbst oft genug entbehrt hatte. Er hatte ihm die einfachen Künste beigebracht – Lesen und Schreiben, die Pflanzen des Waldes, die Lieder der alten Zeit. Aber Dankbarkeit? Liebe? Das hatte er nie erhalten.
Siegfried verachtete ihn. Das sah Mime in seinen Augen, hörte es in seiner Stimme. Für Siegfried war er nur der alte Zwerg, der missgestaltete Mime, nützlich zum Schmieden und für sonst nichts.
»Undankbarer Balg«, zischte Mime. »Was ich für dich getan habe! Und du willst gehen, willst mich verlassen, sobald du dein Schwert hast. Aber so leicht sollst du mir nicht entkommen. Nein, mein junger Held. Du wirst mir noch dienen, ob du willst oder nicht.«
Er lachte, ein dünnes, bitteres Lachen, das in der leeren Höhle widerhallte. Dann verstummte er. Lauschte.
Schritte. Jemand näherte sich der Höhle. Schwere, bedächtige Schritte, nicht die stürmischen Siegfrieds.
Mime erhob sich, griff nach einem Hammer. Wer kam da? In dieser Einsamkeit, zu dieser Stunde?
Die Tür öffnete sich. Eine Gestalt trat ein, gehüllt in einen weiten Mantel, das Gesicht halb verborgen unter einem breitkrempigen Hut. In der Hand hielt sie einen Speer, der alt und zerschrammt aussah, aber eine merkwürdige Würde ausstrahlte.
Mime wich zurück. »Wer bist du? Was willst du hier?«
Der Fremde lächelte, ein wissendes Lächeln. »Wanderer nennen mich manche. Ich ziehe durch die Welt, suche Rast und Wissen. Gewähre mir beides, Wirt, wie es der alten Sitte gebührt.«
»Ich bin kein Wirt«, knurrte Mime. »Und ich habe keine Rast für Fremde. Geh deines Weges.«
Der Wanderer trat dennoch näher, setzte sich ungefragt auf den Baumstumpf, auf dem zuvor Siegfried gesessen hatte. »So unfreundlich, Mime? Dabei könnten wir uns doch unterhalten. Du hast Sorgen, das sehe ich. Vielleicht kann ich dir helfen.«
»Helfen?« Mime lachte schrill. »Was könntest du mir helfen? Was weißt du von meinen Sorgen?«
»Mehr, als du denkst.« Der Wanderer lehnte sich zurück, das eine Auge, das unter dem Hut hervorblickte, fixierte Mime mit durchdringendem Blick. »Du hast einen jungen Helden aufgezogen. Einen, der dir nicht dankbar ist. Einen, für den du ein Schwert schmieden sollst, das deine Kunst übersteigt.«
Mime erstarrte. »Woher weißt du –«
»Ich weiß vieles.« Der Wanderer klopfte mit dem Speer auf den Boden. »Lass uns ein Spiel spielen, Mime. Ein altes Spiel. Ich setze meinen Kopf zum Pfand und stelle dir drei Fragen. Kannst du sie beantworten, darfst du mir dasselbe antun. Können wir es nicht, gehört unser Haupt dem anderen. Was sagst du?«
»Ich will nicht spielen!« Mime wich zur Esse zurück. Etwas an diesem Fremden jagte ihm Angst ein. Das Auge, dieser durchdringende Blick – als sähe er bis auf den Grund seiner Seele.
»Fürchtest du dich?« Der Wanderer lächelte. »Dabei habe ich doch nur Fragen. Drei Fragen über die Welt, die jeder Kundige beantworten kann. Oder bist du nicht kundig, Mime?«
Der Zwerg biss die Zähne zusammen. Er war kundig. Er kannte die alten Geschichten, die Lieder der Vorzeit. Drei Fragen – was sollten die ihm anhaben?
»Gut«, presste er hervor. »Stelle deine Fragen.«
Der Wanderer nickte zufrieden. »Die erste Frage: Welches Geschlecht wohnt in der Erde Tiefe?«
Mime atmete auf. Das war leicht. »Die Nibelungen wohnen in Nibelheim. Alberich war einst ihr Herrscher, zwang sie mit des Ringes Kraft. Sie schmieden und schaffen, häufen Schätze.«
»Richtig.« Der Wanderer nickte. »Zweite Frage: Welches Geschlecht wohnt auf der Erde Rücken?«
»Die Riesen«, antwortete Mime hastig. »Fasolt und Fafner, die Walhall erbauten. Fafner lebt noch als Wurm und hütet den Nibelungenhort.«
»Auch das ist richtig.« Der Wanderer beugte sich vor. »Nun die dritte Frage, die schwerste: Welches Geschlecht wohnt auf wolkigen Höhen?«
»Die Götter!« Mime triumphierte. »Wotan herrscht über sie. Aus der Weltesche Stamm schnitzt er seinen Speer, und mit diesem Speer gebietet er der Welt. Die Verträge, die in den Speer geritzt sind, zwingen alles, was lebt.«
»Du bist weise, Mime.« Der Wanderer erhob sich. »Drei Fragen stellte ich, drei Antworten erhielt ich. Mein Haupt ist gelöst. Nun stelle du mir drei Fragen.«
Mime überlegte fieberhaft. Was sollte er fragen? Was konnte ihm nützen? Seine Gedanken kreisten um Nothung, um Siegfried, um den Ring.
»Erste Frage«, begann er langsam. »Welches Geschlecht züchtigte Wotan hart, das er doch am meisten liebte?«
Der Wanderer lächelte wehmütig. »Die Wälsungen. Siegmund und Sieglinde, Zwillinge, geboren aus meiner – aus Wotans Liebe zu den Sterblichen. Wotan liebte sie, doch sein eigenes Gesetz zwang ihn, sie zu opfern. Siegmund fiel durch Hunding, und Sieglinde starb, als sie Siegfried gebar.«
Mime nickte langsam. Die Antwort klang wahr. »Zweite Frage: Welche weise Frau zog Wotan auf, die er dann zur Strafe in Schlaf versenkte?«
»Brünnhilde.« Der Name kam leise über die Lippen des Wanderers. »Meine – Wotans liebste Tochter. Eine Walküre, die seinem Willen nicht gehorchte. Sie schützte Siegmund gegen Wotans Befehl. Zur Strafe liegt sie in tiefem Schlaf auf einem Felsen, umgeben von Flammen. Nur einer, der keine Furcht kennt, kann sie wecken.«
»Einer, der keine Furcht kennt.« Mime wiederholte die Worte nachdenklich. Dann hellte sich sein Gesicht auf. Die dritte Frage. Die entscheidende Frage.
»Nothung, das Schwert, liegt hier in Bruchstücken. Sag mir, Wanderer: Wer kann das Schwert neu schmieden?«
Stille. Der Wanderer erhob sich, den Speer in der Hand. Sein Gesicht war ernst, fast traurig.
»Das«, sagte er langsam, »ist eine gute Frage. Und ich will sie beantworten, Mime, obwohl die Antwort dir nicht gefallen wird.« Er trat zum Amboss, berührte die Bruchstücke mit der Speersspitze. »Nothung kann nur der schmieden, der das Fürchten nicht kennt. Der nie gezagt, nie gezaudert hat. Nur aus seiner Hand wird das Schwert neu erstehen, schärfer und stärker als je zuvor.«
»Einer, der das Fürchten nicht kennt?« Mime lachte schrill. »Was soll das bedeuten? Jeder kennt die Furcht!«
»Nicht jeder.« Der Wanderer wandte sich zur Tür. »Dein Haupt, Mime, hüte es gut. Ich lasse es dir, obwohl es verwirkt ist. Denn eines weiß ich: Es wird fallen durch die Hand dessen, der das Fürchten nicht kennt. Leb wohl.«
Mit diesen Worten verschwand er in der Nacht. Mime stand wie erstarrt. Die Worte des Wanderers hallten in seinem Kopf wider. Einer, der das Fürchten nicht kennt. Siegfried. Es musste Siegfried sein. Niemand sonst war so furchtlos, so unbekümmert.
Aber wie sollte Siegfried das Schwert schmieden, wenn er, Mime, mit all seiner Erfahrung daran gescheitert war?
Der Zwerg sank auf seinen Schemel, vergrub das Gesicht in den Händen. Die Hoffnung, die er kurz gespürt hatte, wich neuer Verzweiflung. Alles umsonst. All die Jahre, all die Mühe – umsonst.
Draußen heulten die Wölfe. Mime hörte sie nicht. Er saß vor dem erlöschenden Feuer, ein gebrochener Zwerg, gefangen in seinen eigenen Intrigen und Hoffnungen, und wusste nicht, dass das Schicksal seinen Lauf längst genommen hatte.
Das Kapitel der Verzweiflung war geschrieben. Bald würde das Kapitel der Tat beginnen.
Der Morgen brach bleich über dem Neidhöhl an. Nebelschwaden krochen zwischen den Bäumen hindurch, verschluckten die Konturen des Waldes, ließen die Welt unwirklich erscheinen. In der Höhle war das Feuer zu Asche herabgebrannt. Mime hatte die Nacht nicht geschlafen. Er saß noch immer auf seinem Schemel, den Blick starr auf die Bruchstücke von Nothung gerichtet, die auf dem Amboss lagen.
Einer, der das Fürchten nicht kennt.
Die Worte des Wanderers kreisten unaufhörlich in seinem Kopf. Was bedeuteten sie? War es eine Prophezeiung? Eine Warnung? Oder beides zugleich?
Mime erhob sich steif, seine Glieder schmerzten von der durchwachten Nacht. Er trat ans Höhlentor, spähte hinaus in den nebeligen Wald. Irgendwo dort draußen war Siegfried. Der Junge hatte die Nacht im Freien verbracht, wie so oft, wenn ihm die Enge der Höhle unerträglich wurde. Er schlief unter den Sternen, gehüllt in seine Tierfelle, furchtlos wie ein junges Raubtier.
Furchtlos. Das Wort brannte sich in Mimes Bewusstsein. Siegfried kannte keine Furcht. Er hatte Bären gerungen, Wölfe mit bloßen Händen bezwungen, war in reißende Fluten gesprungen, um einen Hirsch zu jagen. Nichts schreckte ihn, nichts jagte ihm Angst ein.
Ein bitteres Lächeln umspielte Mimes Lippen. Vielleicht lag darin die Lösung. Vielleicht konnte Siegfried tatsächlich das Schwert schmieden – nicht durch Können, sondern durch seine bloße Furchtlosigkeit. Das Metall würde sich fügen, nicht weil er die Kunst beherrschte, sondern weil er nicht zögerte, nicht zweifelte.
Aber das würde bedeuten, dass Siegfried noch mächtiger wurde. Noch gefährlicher. Mit Nothung in der Hand wäre er unbesiegbar.
Mime schauderte. Seine Pläne, seine heimtückischen Hoffnungen – würden sie aufgehen? Oder würde er am Ende der Betrogene sein?
Ein Rascheln im Unterholz riss ihn aus seinen Gedanken. Siegfried trat aus dem Nebel, eine erlegte Rehkitz über der Schulter. Sein Haar war feucht vom Morgentau, seine Wangen gerötet von der kühlen Luft. Er wirkte erfrischt, lebendig, während Mime sich ausgelaugt und alt fühlte.
»Guten Morgen, Mime!« Siegfrieds Stimme hallte durch den Wald. »Ich habe uns ein Frühstück mitgebracht. Oder hast du in der Nacht etwa schon gegessen?«
Der Spott in seiner Stimme war unüberhörbar. Mime presste die Lippen zusammen, trat zurück in die Höhle. Siegfried folgte ihm, warf das Reh in eine Ecke.
»Nun?« Siegfried verschränkte die Arme. »Hast du Nothung geschmiedet?«
»In einer Nacht?« Mime fuhr herum. »Glaubst du, ein solches Werk geschieht in wenigen Stunden? Das Metall muss vorbereitet werden, die Glut muss die richtige Temperatur haben, die Runen müssen beachtet werden –«
»Ausreden.« Siegfried unterbrach ihn mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Du kannst es nicht. Gib es zu. Du kannst Nothung nicht schmieden, wie du all die anderen Schwerter nicht schmieden konntest. Zumindest nicht so, dass sie halten.«
»Schweig!« Mimes Stimme überschlug sich. »Was verstehst du von der Schmiedekunst? Du, der du nur zerstören kannst, nur zerbrechen! Hast du je versucht, etwas zu erschaffen? Hast du je die Geduld aufgebracht, die ein solches Werk verlangt?«
Siegfried betrachtete ihn einen langen Moment. Dann, zu Mimes Überraschung, nickte er. »Du hast recht. Ich habe nie geschmiedet. Ich habe es nie gelernt, weil du es mir nie beibringen wolltest.«
»Dir beibringen?« Mime lachte ungläubig. »Wozu? Du hast keine Geduld, keine Fingerfertigkeit –«
»Dann wird es Zeit, dass ich es lerne.« Siegfried trat zum Amboss, nahm die Bruchstücke von Nothung in die Hand. Das Metall schien in seiner Berührung zu erwachen, zu glimmen. »Zeige mir, wie man schmiedet, Mime. Zeige mir, und ich werde das Schwert meines Vaters neu erschaffen.«
Mime starrte ihn an. War das möglich? Konnte es tatsächlich so einfach sein? Die Worte des Wanderers klangen wieder in seinem Ohr: Nur der kann es schmieden, der das Fürchten nicht kennt.
»Du?« Mimes Stimme war ein Krächzen. »Du willst Nothung schmieden?«
»Warum nicht?« Siegfried legte die Bruchstücke zurück auf den Amboss, mit einer Sorgfalt, die Mime nie an ihm gesehen hatte. »Es ist das Schwert meines Vaters. Wer sollte es schmieden, wenn nicht ich?«
Mime rang mit sich. Wenn Siegfried das Schwert schmiedete, wenn er tatsächlich dazu fähig war, dann wäre der erste Teil seines Plans erfüllt. Dann könnte Siegfried zu Fafner gehen, den Drachen erschlagen. Dann wäre der Ring in Reichweite.
Aber es gab ein Problem. Ein gewaltiges Problem.
»Du weißt nicht, was Furcht ist«, sagte Mime langsam. Die Worte des Wanderers formten sich in seinem Kopf zu einem neuen, heimtückischen Gedanken. »Das ist dein Vorteil, Siegfried, aber auch deine Schwäche. Ein Held, der keine Furcht kennt, ist unvollständig. Er kennt nicht die Vorsicht, nicht die Weisheit, die aus der Furcht erwächst.«
Siegfried runzelte die Stirn. »Furcht? Was soll das sein?«
»Ein Zittern im Herzen.« Mime trat näher, seine Stimme wurde eindringlich. »Ein Beben in den Gliedern. Ein Gefühl, das dich erfasst, wenn Gefahr naht. Hast du nie gespürt, wie dein Herz schneller schlägt, wenn du einem Bären gegenüberstehst? Wie deine Hände zittern, wenn du am Abgrund stehst?«
Siegfried schüttelte den Kopf. »Nein. Warum sollte ich zittern? Der Bär ist stark, gewiss, aber ich bin stärker. Der Abgrund ist tief, aber ich falle nicht, wenn ich aufpasse.«
»Siehst du!« Mime gestikulierte wild. »Du kennst die Furcht nicht! Und das, mein Junge, ist ein Mangel. Du musst die Furcht lernen, bevor du ein wahrer Held werden kannst.«
Siegfried lachte. »Die Furcht lernen? Wie lernt man ein Gefühl?«
»Ich kenne einen, der dich lehren kann.« Mime senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Im Neidhöhl, nicht weit von hier, haust ein gewaltiger Wurm. Fafner nennt man ihn. Er ist riesig, furchtbar, mit giftigen Zähnen und einem Schwanz, der Bäume zerschmettert. Sein Atem ist Gift, sein Blick lähmt. Jeder, der ihn sieht, erstarrt vor Furcht.«
»Ein Wurm?« Siegfrieds Augen leuchteten auf. »Ein Drache? Das klingt spannend!«
»Spannend?« Mime stöhnte. Der Junge verstand es nicht. Er verstand nichts. »Es ist tödlich gefährlich! Niemand, der Fafner je begegnete, überlebte!«
»Umso besser.« Siegfried klopfte auf den Amboss. »Dann führe mich zu diesem Fafner, nachdem ich Nothung geschmiedet habe. Ich werde von ihm lernen, was Furcht ist. Und wenn nicht, nun, dann habe ich wenigstens einen Drachen gesehen.«
Mime sah seine Felle davonschwimmen. Das lief nicht nach Plan. Siegfried sollte Angst bekommen, sollte zögern, sollte vorsichtig werden. Stattdessen war er noch begeisterter als zuvor.
»Du verstehst nicht«, versuchte Mime es noch einmal. »Fafner ist –«
»Genug geredet.« Siegfried schnitt ihm das Wort ab. »Zeige mir, wie man schmiedet, oder tritt beiseite und lass mich selbst probieren.«
Mime presste die Lippen zusammen. Es blieb ihm keine Wahl. »Gut«, sagte er schließlich. »Gut, ich zeige es dir. Aber höre genau zu, und tue genau, was ich sage.«
Er trat zur Esse, begann das Feuer zu schüren. Die Flammen leckten empor, warfen tanzende Schatten an die Höhlenwände. »Zuerst muss das Feuer heiß genug sein. Sehr heiß. Die Glut muss weiß werden, nicht nur rot.«
Siegfried trat neben ihn, beobachtete, wie Mime den Blasebalg betätigte. Die Luft fauchte ins Feuer, trieb die Hitze höher.
»Dann«, fuhr Mime fort, »muss das Metall zerkleinert werden. Zu Spänen, zu Pulver fast. Nur so kann es neu verschmelzen.«
