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Eine tödliche Stille herrscht in den wenigen Straßen Vernons. Heiß brennt die Sonne herab. Im grellen Mittagslicht schimmert das geschälte Holz des Galgens weiß auf. Ein schwacher Wind lässt die Schlinge hin- und herpendeln.
Reglos steht der Gefangene am Gitterfenster der Zelle. Er starrt auf das Galgengerüst. Das bronzefarbene Gesicht des Mannes wirkt wie versteinert. Die Bürger von Vernon haben ihn zum Tode verurteilt. Und der Mestize weiß nicht einmal, warum sie ihm den Strick um den Hals legen wollen.
In wenigen Minuten ist es so weit. Jonny Deere wird hängen!
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Wenn der Galgen wartet
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Faba/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9339-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Wenn der Galgen wartet
von Dan Roberts
Eine tödliche Stille herrscht in den wenigen Straßen Vernons. Heiß brennt die Sonne herab. Im grellen Mittagslicht schimmert das geschälte Holz des Galgens weiß auf. Ein schwacher Wind lässt die Schlinge hin- und herpendeln. Reglos steht der Gefangene am Gitterfenster der Zelle. Er starrt auf das Galgengerüst. Das bronzefarbene Gesicht des Mannes wirkt wie versteinert. Die Bürger von Vernon haben ihn zum Tode verurteilt. Und der Mestize weiß nicht einmal, warum sie ihm den Strick um den Hals legen wollen. In wenigen Minuten ist es soweit. Jonny Deere wird hängen!
Schritte dröhnen hart auf dem Bretterboden vor dem Zellengang. Ein Schlüsselbund rasselt.
Jonny löst seinen Blick vom Galgengerüst und schaut zu den Hügeln hinüber. Dort hinter den Hügeln liegt seine Pferderanch. Und dort sitzt jetzt Paquita und wartet.
Die Mexikanerin lebt bei Jonny. Sie ist ihm eine gute Frau. Aber in den Augen der Weißen sind sie beide nur Mischlinge, die keinerlei Rechte haben.
Jonny hört das Knirschen der Gittertür hinter sich. Er dreht sich nicht um.
Er kneift die Lider zusammen, um besser sehen zu können.
Zwei Reiter galoppieren auf Vernon zu. Die beiden Männer kommen aus der Richtung, in der Jonny Deeres Pferderanch liegt.
Für ein paar Sekunden spürt der Halbindianer Unruhe und Angst in sich aufflammen.
Aber er wendet sich resigniert ab. In zehn Minuten ist er tot. Und er kann Paquita nicht mehr helfen.
»Los, Jonny, es ist soweit«, sagte Slim Lorner hinter dem Gefangenen.
Der Halbindianer dreht sich langsam um. Seine kohlschwarzen Augen finden Sheriff Lorners Blick.
Unbehaglich schaut der Sternträger zur Seite. Er wendet den Kopf hin und her, als sei ihm der Kragen zu eng; als läge ihm, dem Sheriff, die Schlinge um den Hals.
»Verdammt, Jonny, ich kann doch nichts dafür«, murmelt der mittelgroße Gesetzeshüter.
Er streicht sich über das sandfarbene Haar und wagt es, dem Halbblut in die Augen zu sehen.
»Doch, du bist schuld«, sagt Jonny hart und bitter. »Du hast nichts unternommen, mir zu helfen. Du ließest zu, dass eine Jury einberufen wurde, obwohl wir keinen Richter in Vernon haben. Du hast dich nicht um das Gesetz gekümmert, Sheriff. Um das Gesetz, das du vertreten sollst.«
Lorners Augen scheinen zu flimmern. Er hörte den unterdrückten Zorn in Jonnys Stimme, und der Sheriff ist gewarnt.
Seine Hand legt sich um den Revolverkolben.
»Mach keinen Ärger, Halbblut«, warnt der Sternträger den Verurteilten.
Jonny Deere verzieht sein Gesicht zu einer verächtlichen Grimasse. Er geht an Lorner vorbei aus der Zelle. In drei Schritten Abstand folgt der Sheriff seinem Gefangenen.
An der Officetür bleibt Jonny sekundenlang stehen. Er mustert die Menschenmenge, die sich auf dem freien Platz angesammelt hat. Es sieht so aus, als seien alle Bürger der kleinen Stadt zur Hinrichtung gekommen.
Unwillkürlich schaut der Mestize nach rechts. Dort mündet die Mainstreet in den Platz. Und von dort müssen die beiden Reiter kommen, die Jonny vor ein paar Minuten aus dem Zellenfenster sah.
Niemand ist zu sehen.
»Weiter, geh schon«, befiehlt Sheriff Lorner heiser.
Metallisch schnappt es, als der Gesetzeshüter den Revolverhahn spannt.
Langsam geht Jonny Deere zum Galgengerüst. Sekundenlang betrachtet er das leere Fass, das unter der Schlinge steht.
»Raufklettern«, sagt der Sheriff flach. Ein schlanker, hartgesichtiger Bursche schwingt sich in den Sattel eines Pferdes, das ein paar Yards entfernt steht.
Jonny steigt geschmeidig auf das leere Wasserfass. Er steht locker und gelassen und mustert scheinbar gleichgültig die Menschen vor sich.
Aber in Wirklichkeit wägt der Mestize seine Chancen ab. Doch er resigniert, denn der falkenäugige Bursche im Sattel wird ihm keine Möglichkeit lassen.
Langsam treibt dieser Mann sein Pferd an. Er zügelt das Tier hinter Jonny und greift nach der Schlinge.
Jonny weiß, wer dieser Mann ist. Sein Name ist Hank Willow, und er gilt als Anführer eines rauen Rudels. Er ist der Boss einer Revolvertruppe, der Patron von mehr als zwei Dutzend Pistoleros, die vom größten Rancher des Countys bezahlt werden.
Jonny spürt den rauen Strick an der Außenseite seines Halses reiben.
Es ist totenstill.
Und als Hank Willow die Schlinge über Jonnys Kopf streifen will, klingt Hufschlag auf.
Ein Reiter lässt sein Tier im Schritt inmitten der Mainstreet gehen.
Er hat einen mächtigen alten Lederhut zum Schutz gegen die Sonne tief in die Stirn gezogen.
Der Mann hockt zusammengesunken im Sattel. Ein ehemals blaues, jetzt ausgebleichtes Hemd schimmert matt im Schatten des großen Hutes.
Niemand kennt den Reiter. Er zügelt sein Tier hinter dem Kreis, den die Bürger Vernons um den Galgen gebildet haben, und schiebt sich den Hut in den Nacken.
Sekundenlang spürte Jonny Deere eine wilde Hoffnung in sich. Aber als er nun das alte, verwitterte Gesicht des Fremden sieht, schwindet diese Hoffnung.
Auch Jonny kennt den Fremden nicht.
Und sicherlich wird sich dieser alte Bursche nicht mit den Bürgern und dem Sheriff anlegen, nur weil ein Mann hängen soll.
»Na so was«, sagt der Alte mit überraschend kräftiger Stimme. »Wird hier ein Fest gefeiert? Das sieht mir nach einer Hängeparty aus, was?«
Unvermittelt kichert der Alte. Sein faltiges Gesicht verzieht sich, und es sieht wahrhaftig wie ausgetrocknetes, rissiges Leder aus.
»Und es sieht so aus, als wolltet ihr meinen alten Freund Jonny Deere aufknüpfen«, sagte der Bursche grinsend.
Hank Willow lässt die Schlinge los. Wachsam legt er die Rechte auf den Kolben des Revolvers.
Sheriff Lorner zieht seinen Colt, aber er hält den Lauf noch zu Boden gesenkt. Aber der Sternträger ist ein geschickter, schneller Mann mit dem Revolver. Er wird im Bruchteil einer Sekunde schießen, sollte der Alte dort etwas versuchen.
»Ich warte schon eine ganze Weile dort hinten«, erklärt der Fremde mit dem mächtigen Hut. »Und ich warte darauf, dass hier dem Gesetz Genüge getan wird. Aber ihr nehmt es wohl nicht so genau, wie? Ist ja auch nur ein dämliches Halbblut, das gehängt werden soll.«
Sheriff Lorners Augen verengen sich. Er beugt sich etwas vor und hebt den Colt an.
»Was soll das heißen, Fremder?«, fragt der Sternträger unruhig.
Genau wie alle anderen spürte der Sheriff den Spott, den Hohn in den Worten des Alten.
»Nun, das Gesetz schreibt vor, dass einem Verurteilten noch einmal das Urteil vorgelesen wird, bevor er hängt«, antwortet der Ledergesichtige.
Lorner zieht scharf die Luft in die Lungen.
»Das ist nicht nötig«, sagt er mit etwas schriller Stimme. »Jonny Deere ist verurteilt und wird hängen, Mister. Mischen Sie sich nicht ein. Oder wollen Sie selbst mit dem Strick Bekanntschaft machen?«
Und jetzt wird der Oldtimer giftig!
Er jagt seinem Pferd die Hacken in die Seiten. Das Tier springt mit einem mächtigen Satz nach vorne.
Im gleichen Moment packt der Fremde zu und auf einmal hält er ein mächtiges Büffelgewehr in den Fäusten.
Hank Willow zieht seinen Colt. Er zieht so schnell, dass die Waffe wie durch Zauberei auf einmal auf den Alten weist.
Und dann donnert das Gewehr!
Es klingt, als sei ein kleines Geschütz abgefeuert worden. Das schwere Geschoss fegt Hank Willow aus dem Sattel. Die Kugel riss ein mächtiges Loch in die Schulter des Revolverhelden, und er liegt hinter seinem nervös tänzelnden Pferd bewusstlos im Staub des Platzes.
Sheriff Lorner hebt die Rechte. Er zielt auf Jonny Deere. Der Halbindianer soll keine Chance haben!
Aber der Alte packt die Sharps mit beulen Händen am Lauf und schwingt das schwere Büffelgewehr wie eine Keule.
Der Sheriff schreit vor Schmerz schrill auf, als der Kolben seinen Oberarm trifft. Er hat nicht mehr die Kraft, den Revolver zu halten. Willenlos öffnen sich seine Finger, und die Waffe fällt zu Boden.
»Das wäre es ja wohl«, sagt der Alte grimmig. »Wer ist hier Richter?«
Ein untersetzter, muskulöser Mann tritt einen Schritt vor.
»Wir haben keinen Richter«, sagt der schwere Mann mit grollender Stimme. »Alle zwei Monate kommt der Bezirksrichter hier durch.«
Der Alte kneift die Lider etwas zusammen und fragt: »Und wann war der zuletzt hier?«
»Das ist schon vier Wochen her«, antwortet der massige Städter.
»Und seit vier Wochen wartet Jonny in seiner Zelle auf den Strick?«, fragt der Alte spöttisch.
Der Muskelmann schaut zu Boden und scharrt unruhig mit den Füßen. Kleine Staubwolken steigen auf und hängen wie Schleier in der Luft.
»Ihr habt Jonny Deere einfach verurteilt und wolltet ihn hängen«, sagt der Fremde mit dem ledrig wirkenden Gesicht. »Warum? Los, sprecht, ich will es wissen!«
Niemand antwortet. Fünf, sechs Bürger Vernons, die ganz außen stehen, gehen langsam davon.
Als sie ein paar Yards entfernt sind, beschleunigen sie ihre Schritte. Und nach kaum einer Minute sind die Zuschauer verschwunden.
Nur der Muskelmann steht noch vor dem Alten. Der Sheriff hockt im Staub und versucht, seinen rechten Arm zu bewegen.
»Hau ab, Mister«, sagt der Alte zornig, »hau ab, bevor ich dich mit meiner Sharps verprügele. Ihr seid verdammte Feiglinge, elende Bastarde. Verschwinde, bevor ich die Geduld verliere.«
Und der massige Mann vor dem Pferd des Fremden ist sicher, dass der Alte seine Drohung wahrmachen wird.
Der Städter dreht sich um und läuft davon. Der Fremde lädt die Sharps auf und lacht grimmig, als er dem Mann hinterher sieht.
»Smoky!«, gellt eine Stimme auf. Sofort reagiert der Alte. Er rutscht seitlich aus dem Sattel. Und die Kugel, die ihm zugedacht war, saust harmlos in den Himmel.
Auf einmal wummert ein Revolver.
Sheriff Lorner stößt einen gellenden Schrei aus. Der Colt fällt aus seiner Linken. Mit unsicherem, flackerndem Blick starrt der Gesetzesbeamte an Doc Smokys Pferd vorbei.
Ein zweiter Mann kommt mit langen Schritten auf den Galgen zu. Und dieser schlanke Mann strahlt etwas aus, das Lorner warnt.
Eine unsichtbare Gefahr scheint den zweiten Fremden zu umwehen. Seine dunklen Augen scheinen ohne Ausdruck zu sein. Der Mund ist zum Teil durch einen schwarzen Schnurrbart verdeckt. Schwarz sind auch die halblangen Haare des schlanken Kämpfers, der sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtieres bewegt.
»Da ist ja Chet Quade«, wundert sich Jonny Deere, der noch immer auf dem Fass steht.
Der dunkelhaarige Chet bleibt vor Sheriff Lorner stehen. Der Sternträger schafft es einfach nicht, diesem gefährlich wirkenden Mann in die Augen zu schauen. Immer wieder irrt Lorners Blick ab.
»Du hast nur diese eine Chance, Sheriff«, sagt Chet unbetont. »Wenn wir dich noch mal bei einer ungesetzlichen Handlung erwischen, reiße ich dir den Stern vom Hemd und jage dich davon. Wann kommt die Postkutsche nach Vernon?«
»Übermorgen«, antwortet Lorner widerwillig.
»Wir werden dem US-Marshal einen Bericht schreiben«, sagt Chet kalt. »Wie lange du anschließend noch Sheriff bist, weiß ich nicht.«
Chet Quade schaut Jonny Deere an, der noch immer auf dem Fass steht, und fragt kopfschüttelnd: »Sag mal, gefällt es dir eigentlich dort oben?«
Jonny grinst. Es ist ein scharfes, wildes Grinsen, in dem eine Zuversicht liegt, die der Mestize noch vor wenigen Minuten nicht besaß.
»Mein Pferd steht im Mietstall. Und meine Waffen liegen im Office. In drei Minuten bin ich so weit.«
Chet Quade deutet auf den ledergesichtigen Alten und sagt: »Das ist Doc Smoky, Jonny. Du solltest dich beeilen. Er wartet nicht lange. Er ist nämlich ganz verrückt nach Mexikanerinnen. Er machte deiner Paquita schöne Augen. Wenn du dir zu viel Zeit lässt, verlierst du die Wildkatze an einen erfahrenen Mann.«
Jonny sieht den Alten an. Und auf einmal sieht der Halbindianer das Funkeln in den Augen des Mannes, der Doc Smoky heißt.
»Ich sause sofort los«, antwortet Jonny und rennt davon.
Doc Smoky schüttelt den Kopf und sagt zu Chet: »Jetzt hast du meine Chancen mächtig verringert. Du bist kein wirklicher Freund!«
Chet grinst und antwortet: »Du schaffst es, Doc Smoky. Du schaffst es ganz gewiss. Du musst dich nur anstrengen.«
Der Koch der Skull-Ranch grinst ebenfalls und verstaut die Sharps.
Und als Jonny Deere nach kaum zwei Minuten im Sattel eines prachtvollen Schimmelhengstes geritten kommt, nickt der Alte dem schwarzhaarigen Chet zu.
»Er hat wirklich gute Pferde«, sagt Smoky. »Wir werden wohl ins Geschäft kommen.«
»Was ist mit diesen beiden?«, fragt Jonny und deutet mit der Hand auf Sheriff Lorner und den noch immer besinnungslosen Hank Willow.
»Ich habe den Sheriff gewarnt«, sagt Chet kalt. »Er muss sich entscheiden.«
Lorner spürt die Furcht, die ihm den Atem nimmt. Dieser fremde Revolverkämpfer wird ihn gnadenlos vernichten, dessen ist der Sheriff gewiss. Und er beschließt, in der nächsten Zeit mächtig vorsichtig zu sein.
»Reiten wir«, sagt Jonny Deere, »ich habe wahrhaftig nicht damit gerechnet, dass ich jetzt noch lebe.«
Nebeneinander gehen die drei Pferde im Schritt durch die Mainstreet. Dichte Staubschwaden wirbeln unter den Hufen auf.
Und die Schlinge pendelt noch immer im schwachen Wind.
Nachdem die letzten Häuser hinter den drei so ungleichen Männern liegen, blickt Jonny Deere fragend zu Chet.
»Was führt euch hierher?«, will der Halbindianer wissen.
Und nun erklärt Chet Quade, warum er mit Doc Smoky nach Arizona kam.
Mit wenigen Sätzen schildert der indianerhaft wirkende Quade, wie der ehemalige Südstaatenmajor John Morgan zu Rindern und ein paar Dollars kam. Und Doc Smoky erzählt, wie sie mit zwei Cowboys, dem Raubwildjäger Leroy Spade und dem früheren Baumwollpflanzer Morgan nach Colorado zogen. Mitten im Herzen des noch unerschlossenen Territoriums nahmen die wenigen Männer ein riesiges Tal in Besitz. Das Bluegrass Valley.
»Und in diesem weiten Tal«, sagt Doc Smoky, »wächst das wunderbarste Gras, das es überhaupt auf der Welt gibt. Es ist Blaugras, verstehst du, Jonny. Und dieses Blaugras enthält Mineralien, die Rinder und Pferde zu wahren Prachtexemplaren heranwachsen lassen. Und darauf setzt der Boss, und darauf setzen auch wir. Denn wir alle, Chet vielleicht ausgenommen, gehören zu den Verlierern des verdammten Bürgerkrieges. Wir hatten alle keine Heimat mehr. Aber jetzt haben wir unsere Chance. Wir bauen ein neues Land auf. Und es wird uns gelingen, so wahr ich Doc Smoky heiße und der beste Koch am langen Trail nach Kansas war.«
Jonny Deere spürt irgendwie, dass dieser alte Mann nicht so ist wie die anderen Weißen, die der Mestize bisher kennen lernte.
Doc Smoky lässt einen Mann gelten, wenn er ein Mann ist. So ist das nun einmal bei den Texas-Mannschaften, die über Tausende von Meilen halbwilde Longhorns zur Bahnlinie treiben.
Auf dem schier endlos scheinenden Trail nach Norden, nach Kansas, gilt ein Mann nur das, was er auch wirklich ist. Und es ist seinen Sattelkameraden vollkommen egal, ob ihr Partner auf dem höllischen Weg nun eine schwarze, rote, gelbe oder weiße Haut besitzt.
Und genau diese Einstellung spürt der Halbindianer mit seinem Blut, seinem Instinkt, der wohl ein Erbteil seiner Mutter ist.
Und so lächelt Jonny Deere dem alten Koch, der ein wahrer Künstler mit dem schweren Büffelgewehr ist, zu.
»Ich schulde dir mein Leben, Doc Smoky«, sagt Jonny. »Ich schulde es dir und Chet. Ich bin für euch da.«
Und damit ist alles gesagt.
Doc Smoky und auch Chet wissen, was Jonny Deere ausdrücken will. Aber sie wissen auch, dass der Halbindianer noch nicht außer Gefahr ist. Denn eine solche ungesetzliche Hängeparty, bei der sogar der Sheriff mithalf, muss ihren besonderen Grund haben.
»Ihr seid also gekommen, um bei mir einen oder zwei gute Zuchthengste zu kaufen«, fragt Jonny.
Chet schüttelt lächelnd den Kopf. »Nein, einen Hengst haben wir. Er ist ein wertvolles Tier und hat eine ganze Reihe berühmter Vorfahren. Wir suchen ein halbes Dutzend Stuten, Jonny. Wir wollen unsere zähen Rinderpferde mit anderen Tieren kreuzen, verstehst du?«
Der Halbindianer nickt.
»Ihr wollt frisches Blut in eurer Zucht haben«, sagt er. »Nun, das ist kein Problem. Ich zeige euch meine Stuten. Wählt aus, Freunde. Ich gebe euch sechs Tiere mit. Wenn ihr mehr wollt, müsst ihr sie bezahlen.«
Chet blickt blitzschnell zu Doc Smoky hinüber.
Das Ledergesicht des Alten verzieht sich zu einer Grimasse. Er schüttelt leicht den Kopf. Aber Chet weiß nicht, wie er ablehnen soll.
Er zieht die Schultern hoch und schiebt sich den Hut in den Nacken.
»Weißt du, Jonny«, beginnt der alte Koch der Skull-Ranch, »so war das eigentlich nicht gedacht. Chet erinnerte sich daran, dass du in Arizona eine Pferdezucht gründen wolltest. Ihr kennt euch doch von früher. Wir forschten nach und fanden auch heraus, dass du gute Pferde verkaufst. Wir kamen, um ein paar Tiere zu kaufen, Jonny.«
Das bronzefarbene Gesicht des Halbindianers wird zu einer undurchschaubaren Maske.
»Reg dich nicht gleich auf, Junge«, sagte Doc Smoky ganz ruhig. »Wenn wir einen Tag später gekommen wären, hätten wir Pech gehabt. Und du auch. Nur wäre dein Pech etwas schlimmer gewesen als unseres. Die Geschichte von vorhin hat nichts mit unserem Geschäft zu tun. Wir kamen heute Morgen auf deine Ranch, Jonny. Eine vor Wut und Angst halb verrückte Mexikanerin wollte uns zwei Schrotladungen in die Bäuche jagen. Es war eine verdammte Arbeit, das Mädchen von unseren ehrenhaften Absichten zu überzeugen.«
Doc Smoky schielt zu Jonny hinüber. Der Halbindianer grinst. Sicher stellt er sich gerade vor, wie Paquita die beiden Fremden mit der Parkerflinte bedrohte.
»Sie wollte mich aus dem Jail holen«, sagte Jonny. »Aber ich konnte es doch nicht zulassen, Freunde. Die Mexikaner hätten darunter gelitten. Sie sind noch schlechter angesehen als die Indianer oder ein Halbblut.«
Chet nickt nur.
Er, dessen Großmutter eine Comanche-Squaw war, hat am eigenen Leibe erfahren, wie schlecht die weißen Männer Mischlinge behandeln.
Und die Mexikaner gelten einfach so viel wie Chinesen: Sie sind in keinem der einschlägigen Gesetzesbücher erwähnt. Also gilt für sie das geschriebene Recht auch nicht.