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Donnernd schießt der Mountain River zu Tal. Wie ein Spielzeug wirbelt das Floß mit den beiden Männern den Fluss hinunter. Aus dem Geräusch der tosenden Wassermassen kann Leroy Spade kaum die brüllenden Schussdetonationen heraushören. Doch er weiß, dass die Verfolger längs des Ufers gnadenlos Kugel um Kugel abfeuern.
Jim, der verwundete Trapper, ist noch immer bewusstlos. Für einen Augenblick verflucht Leroy den Tag, an dem er Jim begegnete. Ihn und die Höllenfahrt auf dem Mountain River ...
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Höllenfahrt auf dem Mountain River
Vorschau
Impressum
Höllenfahrt auf dem Mountain River
von Dan Roberts
Donnernd schießt der Mountain River zu Tal. Wie ein Spielzeug wirbelt das Floß mit den beiden Männern den Fluss hinunter. Aus dem Geräusch der tosenden Wassermassen kann Leroy Spade kaum die brüllenden Schussdetonationen heraushören. Doch er weiß, dass die Verfolger längs des Ufers gnadenlos Kugel um Kugel abfeuern.
Jim, der verwundete Trapper, ist noch immer bewusstlos. Für einen Augenblick verflucht Leroy den Tag, an dem er Jim begegnete. Ihn und die Höllenfahrt auf dem Mountain River...
Der junge Mexikaner sitzt auf dem Boden und lehnt sich mit dem Rücken an einen Baum. Die Schafe blöken erregt, und der Hirte öffnet die Lider und schaut schläfrig zu den Tieren.
Sie hatten eine Stelle mit saftigen Kräutern entdeckt, und jedes Schaf versucht, sich einen Anteil an der Köstlichkeit zu sichern.
Die beiden Hunde umkreisen die kleine Herde. Träge holt der Mexikaner einen Apfel aus der Hosentasche und isst ihn bis auf den Stiel auf. Und dann schließt er die Lider wieder. Unsicher tastet er mit der Hand nach der Hemdentasche. Er spürt die Maultrommel und zieht sie hervor.
Und Sekunden später übertönt der durchdringende schnarrende Ton das Blöken der Schafe.
Einer der Hunde gibt Laut.
Als der Hirte hinüberschaut, wittert das Tier zu den Ausläufern der Rockies hinüber. Und das Verhalten des Hundes macht den Mexikaner wach!
Er steht auf, kneift die Lider zusammen und späht gegen die Nachmittagssonne, die im Westen goldrot über die Kämme der Berge schimmert.
Und dann sieht der junge Mann ein Reittier.
Es ist ein Muli. Immer wieder bleibt es stehen, tastet mit den Hufen vor und sucht einen sicheren Weg. Angestrengt späht der junge Hirte gegen das Licht, aber einen Reiter kann er nicht erkennen.
Der Bursche wird unruhig. Er hat schon einiges in diesem Tal erlebt. Und die Patrona war schon oft in Gefahr.
Der Hirte wartet noch ein paar Sekunden. Und dann spürt er so etwas wie Furcht und fasst einen Entschluss. Er lässt die Schafe in der Obhut der beiden Hunde zurück und rennt mit langen Schritten über einen kleinen Hügel nach Osten. Dort liegt das Ranchhaus, und dort ist auch die Herrin dieses Tales, das die Gringos Shepherd Valley nennen. Und dort ist Paco, der alte, erfahrene, mexikanische Vormann der Hirten.
Er wird sich um dieses Muli kümmern.
Der junge Bursche ist noch eine Viertelmeile von dem Blockhaus entfernt, als er schon ruft.
»Paco, Paco, ein Muli kommt aus den Bergen. Es geht ganz vorsichtig und langsam.«
Der Hirte steht unter einem Stalldach, als er den Ruf hört. Paco geht sofort zu seinem Pferd, schwingt sich in den Sattel und lässt das Tier angehen.
Myriam Sunbeam tritt aus dem Blockhaus und legt die Hand über die Augen. Die junge Frau blickt zu den Bergen hinüber, aber sie kann nichts erkennen.
»Bleiben Sie hier, Señora«, sagt Paco, »ich kümmere mich darum.«
Er klopft mit der flachen Rechten gegen den Kolben des Gewehres, das im Scabbard steckt.
»Sei vorsichtig, Paco«, sagt Myriam leise, »ohne dich geht es nicht.«
Und so ist es auch. Denn Paco zog mit dieser jungen Frau vor langer Zeit hierher. Unterwegs verloren die Schafzüchter einen Kampf mit Rinderzüchtern, und die meisten Tiere starben. Myriams Mann wurde getötet. Die anderen überlebenden Frauen der Schafzüchter gaben auf. Myriam und Paco kämpften sich mit rund tausend Tieren weiter. Major John Morgan, der Boss des Bluegrass Valleys hatte nichts gegen Schafe. Und die Männer der Skull-Ranch führten die junge Frau in dieses weite Tal, das sie in Besitz nahm.
Mehr als einmal mussten die Männer aus dem Bluegrass Valley helfen, und Leroy Spade, der Raubwildjäger, der einst John Morgan in das Tal im Herzen Colorados führte, fand Gefallen an Myriam Sunbeam. Er weilt oft im Blockhaus, aber oft ist er unterwegs, denn noch immer hilft er Morgan, wenn Not am Mann ist.
Und Paco ist der Mann, der alles über Schafe weiß. Er ist schon alt, aber er steht noch immer auf seinem Posten.
Besorgt blickt Myriam dem Oberhirten nach, der sein Pferd neben dem jungen Mexikaner zügelt und ein paar Worte mit ihm spricht. Der Bursche dreht wieder um und geht zu seiner Herde zurück.
Paco reitet in schnellem Trab. Deutlich sieht Myriam, wie er das Gewehr aus dem Scabbard zieht. Die Sonne reflektiert auf dem Lauf.
»Wer kann schon aus den Bergen kommen?«, murmelt Myriam und streicht sich mit den Fingern durch das schwarze Haar, das ihr bis auf die Schultern fällt.
Und da fällt ihr der Trapper ein, der alle drei bis vier Wochen herkommt. Der Bergläufer kam bereits viermal, und nur beim ersten Mal fragte er, ob sie ihm Vorräte verkaufen würde.
Myriam überlegte sich das genau. Denn sie muss alle Dinge selbst aus Golden City heranschaffen, und alles ist dreimal so teuer wie in Kansas. Der weite Weg, die Fracht, machte die Dinge so wertvoll. Aber auch die Händler und Storehalter verdienen mächtig.
Schließlich erklärte sich Myriam einverstanden. Die Männer von der Skull-Ranch und Leroy Spade brachten ihr immer genügend mit.
Und als der Trapper zahlte, staunte die junge Frau nicht schlecht. Denn der dunkelhaarige Bursche zog einen Lederbeutel und eine kleine Pendelwaage aus seinem Hemd. Und Myriam ahnte, dass er mit Gold zahlen wollte.
Ihr war das gleichgültig, wenn sie nur den Gegenwert des Tabaks, des Fleisches, der Gewürze und der Munition bekam.
Der Mann aus den Bergen war nicht kleinlich! Er kannte die Preise in den Diggercamps, die ringsum zwischen den Rockies liegen, genau. Und er bestand darauf, etwas mehr zu bezahlen, weil Myriam die Waren ja herbeischaffen musste.
Er war fair, verdammt fair, dieser Trapper, der immer auf seinem Muli kam und einen ausgebleichten Hirschlederanzug trug. Doch obwohl er noch jung war, jünger als Leroy, schien ihn die Frau gar nicht zu interessieren. Manchmal ertappte sich Myriam dabei, dass ihr das missfiel. Denn sie wusste, dass sie schön war. Aber andererseits war sie auch froh, dass sie sich nicht gegen diesen Fremden zur Wehr setzen musste. Denn die Männer der Berge, die oft monatelang in der Wildnis ohne Frauen hausten, waren manchmal ganz schön wild, wenn sie das erste weibliche Wesen nach langer Enthaltsamkeit sahen.
Myriam wusste noch nicht einmal den Namen des Trappers. Aber sie wusste, dass er ein gutes Essen schätzte. Und so ließ er sich jedes Mal einladen. Nach dem Essen trank er einen Kaffee, einen mächtigen, mindestens fünfstöckigen Whisky und schwang sich auf sein Muli, das er einfach Miststück nannte.
Und dann sagte der Bergläufer: »Bis zum nächsten Mal, Madam.«
Das Muli ging von selbst an und trug den Trapper wieder in die Einsamkeit der Rockies.
Myriam geht ins Haus zurück und setzt einen Topf mit Wasser auf den gemauerten Herd. Sie ahnt irgendwie, dass sie in ganz kurzer Zeit heißes, ja kochendes Wasser brauchen wird.
Und dann setzt sie sich an den blankgescheuerten Küchentisch und blickt zum Fenster hinaus.
Paco erreicht die kleine Herde. Er kann nicht vorbeireiten, ohne die Tiere genau zu mustern. Aber der alte Hirte ist zufrieden. Manolo, der junge Bursche, versteht sein Geschäft. Alle Schafe sind gesund.
Die beiden Hirtenhunde geben kurz Laut, als sie den Mann erkennen, der sie einst als Welpen ausbildete.
»Ihr seid meine Freunde!«, ruft Paco und lächelt über sein verwittertes Gesicht.
Und dann hält Paco auf das Muli zu. Das Tier hat gerade die letzten Gesteinsbrocken umgangen, die im letzten Winter durch Schneestürme ins Tal getrieben wurden, und schwenkt den Kopf hin und her.
Der alte Mexikaner schnalzt mit der Zunge und presst seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Willig fällt es in Trab. Witternd hebt das Muli den Kopf und zieht mit weit geblähten Nüstern den Geruch ein.
Und dann trottet es langsam auf den fremden Reiter zu.
So störrisch Mulis auch manchmal sind, so genau erinnern sie sich doch an Dinge, die sie bereits einmal gesehen, gewittert oder erlebt haben. Und dieser Schafsgeruch leitet das Tier des Trappers.
»Na, Miststück«, sagt Paco und klopft dem Muli den Hals.
Aber der alte Hirte achtet nicht weiter auf das Tier. Er schaut auf den Mann, der auf dem Rücken des Mulis liegt. Und dieser Mann ist der Trapper.
Er war wohl noch einige Zeit bei Bewusstsein. Denn es gelang ihm, sich festzubinden. Der Sattel fehlt, nur die Schondecke liegt auf dem Rücken des Tieres. Und ein Rohlederriemen läuft zweimal um den Leib des Mulis.
Der Trapper hängt in diesen zwei Schlingen. Und er hat den Riemen so geschickt angelegt, dass er sich von selbst zuzieht, wenn er belastet wird.
Der Kopf des Bewusstlosen liegt am Hals des Maultieres an. Das Gesicht wird halb von der Mähne verdeckt. Und die Arme pendeln zu beiden Seiten des Halses.
Paco kann keine Verletzung entdecken. Er packt das andere Tier am Zaum und treibt sein Pferd an. Aber als es in Trab fallen will, stemmt das Muli störrisch alle Viere in den Boden und macht sich steif.
»Schon gut, Miststück«, sagt Paco, »schon gut, wir reiten im Schritt. Deinem Herrn wird nichts passieren. Komm schon, komm, du Tochter eines verrückten Eselhengstes!«
Miststück zieht die hornigen Lippen zurück und sieht aus, als grinse es. Aber es geht willig mit, jedoch nur im Schritt. Es scheint, als wüsste das Tier, was seinem Herrn zugestoßen ist.
Nach kurzer Zeit zügelt Paco sein Pferd vor dem Ranchhaus und steigt ab. Vorsichtig zerschneidet er die Leine und hebt den Trapper vom Rücken des Mulis.
»Was ist, ist er verletzt?«, fragt Myriam, die bereits die Tür geöffnet hat.
»Ich habe ihn noch nicht untersucht«, antwortet Paco und trägt den besinnungslosen Trapper an Myriam vorbei in die Küche.
Und erst, als er den Mann aus den Bergen behutsam auf den Tisch legt, sieht Paco die Wunde.
Der Trapper schleppt ein Stück Blei mit sich herum. Die Kugel steckt hoch in der linken Schulter. Eigentlich ist diese Wunde wohl nicht sehr gefährlich. Aber dem Bergläufer gelang es nicht, das Geschoss selbst zu entfernen.
»Señora, ziehen Sie ihm die Jacke aus, wenn ich ihn anhebe«, sagte der alte Hirte und schiebt geschickt seine Hände unter den Rücken, unter die mit Fransen besetzte Hirschlederjacke.
Myriam Sunbeam handelt schnell und sicher. Sie weiß, dass der Mann auf ihrem Küchentisch schnelle Hilfe braucht. Und so wirft sie die Jacke einfach in eine Ecke.
Aber als die Frau die Schulterwunde sieht, hält sie doch die Luft an und wird blass. Myriam Sunbeam hat schon eine Menge erlebt und mitgemacht, aber bisher sah sie noch nie eine solche Wunde.
Drei, vier Messerschnitte kreuzen sich im Einschusskanal.
Paco beugt sich nieder und schüttelt den Kopf. Aufmerksam betrachtet er die Schnitte, das Kugelloch und fingert sein Messer aus der Scheide.
»Gib her«, sagt Myriam scharf und nimmt dem Alten den Dolch ab, und wirft ihn in den Kessel mit dem kochenden Wasser.
»Doc Smoky hat gesagt, man müsse alles auskochen, bevor man es an einem Menschen verwendet«, sagt die Schäferin, »und Smoky weiß es von einem richtigen Arzt, der mal im Bluegrass Valley war.«
Paco deutet mit seinem schmutzigen Zeigefinger auf die rot entzündeten Schnitte und meint: »Der Trapper hat sich darum wohl nicht gekümmert. Ich muss weg, Señora, Kräuter suchen und einen Brei zubereiten, sonst stirbt der Señor.«
Prüfend blickt Myriam den alten Hirten an. Schäfer wissen mehr über die Natur als gewöhnliche Menschen. Und Pacos indianische Vorfahren heilten mit Kräutern alle möglichen Krankheiten.
»Geh nur«, sagt Myriam, »komm aber bald zurück. Alleine schaffe ich es nicht, das Geschoss herauszuholen.«
Der Alte verlässt das Haus, und kurz darauf klingt Hufschlag auf. Es dauert nicht lange. Paco braucht nur zwanzig Minuten, bis er das hat, was er braucht. Und er wirft alles, was er in seinem verschwitzten Halstuch transportierte, einfach in den Topf und angelt nach dem Messer. Mit einem Fluch zieht er die Finger wieder zurück.
Myriam hebt den Dolch mit einem großen Schöpflöffel heraus und lässt die Klinge abkühlen. Inzwischen betastet der Hirte den Körper des Schweigsamen.
»Er ist tief bewusstlos«, sagt Paco nach einer Weile. »Wir können direkt richtig schneiden.«
Und dann nimmt er sein Messer und setzt die scharfe Schneide an. Ohne noch eine Sekunde zu zögern, zieht der Mexikaner den Dolch durch die Haut und Muskelfleisch. Es blutet nur schwach, und das gefällt dem Alten gar nicht. Denn er weiß, dass die Entzündung meistens ausbleibt oder nachlässt, wenn eine Wunde ordentlich ausblutet.
»Das ist das Geschoss«, sagt er und hebelt die Spitze seines Messers unter die mattgrau schimmernde Kugel.
Behutsam drückt er den Griff herab und das Blei wird aus der Wunde geschleudert. Es fällt auf den Küchenboden und hinterlässt einen hässlichen roten Fleck.
Kopfschüttelnd mustert Paco die Haut um die Schnitte und den Einschuss. Und endlich entschließt er sich und erweitert die Wunden so, dass sie bluten.
»Hör auf, du bringst ihn ja um!«, ruft Myriam.
Sofort nimmt die schöne Frau Leintücher und presst sie auf die Wunde.
»Das reicht, Señora«, sagt der Mexikaner, »wenn ich den Kräuterbrei draufgestrichen habe, können Sie verbinden. Schütten Sie das Wasser vorsichtig ab. Ich brauche alles, was im Topf ist. Es muss wie Pfannkuchenteig sein, so dick.«
Myriam weiß, dass Paco seiner Sache sicher ist, und folgt seinen Anweisungen. Wenig später bringt sie den noch heißen Brei auf einem Blechteller.
Paco streicht ihn in die Wunde und verbindet den Fremden dann behutsam.
»Jetzt können wir nur noch warten und zur Heiligen Jungfrau beten«, sagt der Mexikaner und tritt vom Tisch zurück.
»Bring ihn in Leroys Zimmer«, sagt Myriam und geht voraus.
Vorsichtig trägt der alte Hirte den Bewusstlosen in den Raum und bettet ihn auf das Lager.
Einen Moment schaut der Mexikaner nachdenklich auf den Fremden hinab und murmelt: »Vielleicht hast du Glück, Mann aus den Bergen, vielleicht auch nicht. Du hast zu lange gezögert. Warum bist du nicht sofort gekommen? Oder konntest du nicht? Belauerten dich deine Gegner?«
Aber der Besinnungslose kann nicht antworten. Sein Atem geht flach, aber gleichmäßig, und das hält der Mexikaner für ein gutes Zeichen.
»Wann wacht er auf?«, will Myriam wissen, als Paco in die Küche zurückkommt.
»Niemand weiß es«, antwortet der Mexikaner, »ich glaube, sein Fieber wird noch steigen.«
Myriam seufzt und bindet sich eine Schürze um. Zuerst will die schöne Schafzüchterin die Küche säubern, das Blut wegwischen, und dann eine kräftige Fleischbrühe bereiten. Denn wenn der Trapper erwacht, muss er essen und viel Flüssigkeit zu sich nehmen.
»Ich versorge das Muli«, sagt Paco und verlässt das Blockhaus.
Am Abend, als die Sonne rot die Bergspitzen beleuchtet, als die mächtigen Douglasfichten wie in Feuer getaucht aussehen, steigt das Fieber wahrhaftig.
Besorgt legt der alte Hirte seine abgearbeitete, rissige Hand auf die Stirn des Trappers und murmelt: »Er braucht schon sehr viel Glück, Señora, wenn er diese Nacht überstehen will.«
Myriam weiß, was zu tun ist. Sie geht zum Brunnen, holt einen Eimer Wasser und taucht Tücher in das kühle Nass.
»Geh nur zu deinen Hirten«, sagt sie zu Paco. »Das hier ist meine Sache. Wenn ich nicht weiterkomme, wenn es schlimmer wird, rufe ich dich.«
Paco nickt nur. Er hat wahrhaftig eine Menge zu tun. Denn einige der anderen Hirten sind faule Kerle. Wenn sie nicht ständig spüren, dass ihr Vormann hinter ihnen her ist, legen sie sich in den Schatten und schlafen.
Und die Schafe wandern, wohin sie wollen.
Als Paco den Raum verlässt, windet die schwarzhaarige Frau die ersten kühlen Lappen um die Unterschenkel des Kranken. Sie wartet ab, bis die Tücher warm sind, und taucht sie wieder ins kalte Brunnenwasser.
Immer wieder wechselt sie die Wickel, aber das Fieber sinkt nicht. Doch die Temperatur steigt auch nicht höher, und so ist Myriam schon zufrieden.
Es ist schon dunkel, und ein schwacher Wind fächelt um das Blockhaus, spielt in den tief herabhängenden Ästen der Fichten und zieht mit leisem Pfeifen durch das Zimmer.
Der Besinnungslose spannt sich auf einmal an. Myriam schreckt hoch, sie war eingeschlafen. Im Schein der Öllampe sieht sie, wie sich der Körper vor ihr aufbäumt.
»Nein, verdammte Bande«, stammelt der Bewusstlose und fährt in wirren Bewegungen mit den Händen durch die Luft, »nein, ihr bekommt nichts. Ich führe euch in die Irre. Ihr findet mich nie.«
Myriam packt die Handgelenke und presst die Arme herab. Verzweifelt wehrt sich der Mann, will sich losreißen, ist aber zu schwach.
»Nicht ein Fell, keinen Nugget, nichts«, murmelt er undeutlich.
Immer wieder phantasiert der Trapper, und es muss so gewesen sein, dass er verfolgt wurde, irgendwo in den Rockies lauerten ihm ein paar Halunken auf. Vielleicht beobachteten sie ihn schon geraume Zeit. Und vor kurzem wollten sie ihn endlich schnappen! Denn sicher hatten die Kerle herausgefunden, dass der Bergläufer Gold gefunden hatte.
Aber er konnte entkommen. Die Kugel in seiner Schulter hatte ihn von vorne getroffen. War er in eine Falle gelaufen? Hatte er bereits alles verloren, als er sich auf sein Maultier band und zu Tal ritt, um Hilfe zu suchen?
Myriam wechselt erneut die Wickel. Sie sinkt müde gegen die Lehne des Stuhles. Die junge Frau starrt in die gelblichen Flammen der Öllampe, und als sie einschläft, sieht sie als letztes die Flammen. Aber sie schlagen hoch aus einer niedrigen Hütte. Und vor dem Blockhaus liegt ein Mann in einer Blutlache. Rohes Gelächter dröhnt in der Ferne auf, und dann hämmern Hufe über den Felsboden. Endlich stupst das Muli seinen Herrn mit dem Maul an. Schwer wälzt sich der Mann herum. Er kommt auf die Beine und taumelt zum Stall. Mit dem Zaumzeug und dem Lederriemen kommt er zurück. Nach vielen Versuchen gelingt es ihm endlich, sich auf das Maultier zu bringen und festzubinden. Und dann wird er bewusstlos.
Irgendetwas stößt Myriam an. Sie erschreckt sich, reißt die Lider weit auf und stößt einen leichten Schrei aus. Entsetzt starrt sie auf den Schatten eines Mannes, der über dem Bett liegt.
»Ruhig, ganz ruhig, Myriam«, sagt Leroy Spade und hält sie an den Schultern fest. »Du hast geträumt, schlecht geträumt, schätze ich. Ich kam nur, um Lobo zurückzubringen. Aber ich komme wohl gerade richtig. Paco hat mir von dem Mann erzählt.«
»O Leroy«, stöhnt Myriam und schlingt dem Mountainman die Arme um den Hals, »ich habe wirklich schlecht geträumt. Mir fielen die Augen zu.«
»Leg dich hin, ich bleibe hier«, sagt Spade ruhig.
Sie blickt in seine rauchgrauen Augen und lächelt. Für ein paar Sekunden schmiegt sich Myriam an den Raubwildjäger, bevor sie in das angrenzende Zimmer geht.
Sie legt sich angezogen auf ihr Bett. Sekunden später schläft sie schon. Und diesmal wird sie nicht von bösen Träumen heimgesucht.
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