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Der Zug wird langsamer. Zischend entweicht der Dampf aus den Zylindern. Warnend gellt die Pfeife auf. Die Arbeiter im ersten Waggon horchen angestrengt auf die Geräusche. Der Lokführer drosselt die Geschwindigkeit noch mehr. Jetzt kriecht der Zug nur noch dahin.
"Gleich haben wir es geschafft", sagt einer der Bahnarbeiter. Aber der Mann irrt sich. Gewehre hämmern los. Klirrend zerspringen die Glasscheiben im Kugelhagel.
"Die Lohngelder!", ruft einer der Arbeiter. "Die Banditen werden uns alle umbringen!"
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Railway-Terror
Vorschau
Impressum
Railway-Terror
von Dan Roberts
Der Zug wird langsamer. Zischend entweicht der Dampf aus den Zylindern. Warnend gellt die Pfeife auf. Die Arbeiter im ersten Waggon horchen angestrengt auf die Geräusche. Der Lokführer drosselt die Geschwindigkeit noch mehr. Jetzt kriecht der Zug nur noch dahin.
»Gleich haben wir es geschafft«, sagt einer der Bahnarbeiter. Aber der Mann irrt sich. Gewehre hämmern los. Klirrend zerspringen die Glasscheiben im Kugelhagel.
»Die Lohngelder!«, ruft einer der Arbeiter. »Die Banditen werden uns alle umbringen!«
Die anderen sehen sich hilflos um. Sie haben nur ihr Werkzeug bei sich. Und damit ist gegen heiße Gewehrkugeln nichts auszurichten.
Jimmy Twodance blickt seinen Vormann an. Chet Quade lächelt grimmig und sagt: »Also gut, Jim, sieht so aus, als seien wir die einzigen, die sich wehren könnten.«
Der schlanke, indianerhafte Mann steht geschmeidig auf, prüft mit der Rechten den Sitz des Revolvers im Holster und nimmt mit der anderen Hand die Winchester auf, die am Sitz lehnt.
Jimmy packt sein Gewehr und folgt dem schlanken Quade zum Ausgang des Waggons. Chet öffnet die Tür ganz langsam und schlüpft hinaus. Vor ihm ragt der Tender der Lok auf, der mehr als mannshoch mit mächtigen Holzscheiten beladen ist.
»Rauf!«, sagt Quade laut. »Von oben haben wir freies Schussfeld. Es sind mehr als sieben oder acht Kerle, die den Zug überfallen wollen. Du hast es gehört: Die Lohngelder fahren mit. Und darauf sind die Hundesöhne scharf. Aber das wollen wir ihnen versalzen. Stell dir vor, Old Davy Crockett fällt diesen Hundesöhnen in die Finger. Sie werden ihn schlachten und in die Pfanne hauen! Der Boss wird mächtig sauer sein, wenn er das hört.«
Jimmy grinst. Die Sommersprossen auf seinem offenen Jungengesicht verziehen sich zu merkwürdigen Gebilden.
Davy Crockett ist ein reinrassiger Longhornbulle. Er fährt zwei Wagen weiter mit und weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Aber da der Stier immer frisches Wasser und gutes Futter bekommt, ist er friedlich. Irgendwie fanden die Männer der Skull-Ranch, die alle aus dem Süden stammen, es lustig, dem mächtigen Bullen diesen Namen zu geben. Aber er passt auch zu dem Koloss. Denn genau wie der alte Waldläufer, der in der Festung Alamo in Texas starb, gab auch der Stier sein Letztes, als es darum ging, sich nicht einfangen zu lassen. Doch dann waren die Männer von der Skull stärker.
»Du links, ich rechts?«, fragt Jimmy nur, und Chet nickt.
Zugleich schwingen sie sich über die Kante des Tenders. Ein paar Holzscheite rutschen herab, fallen zwischen Tender und erstem Waggon auf die lockeren Schwellen, und einer dieser Scheite prallt ab, legt sich quer und blockiert die Schiene.
Das hintere Antriebsrad der Lok rutscht von dem glattgesägten Block ab, schiebt ihn ein paar Inches vor sich her, und klemmt sich fest. Metall kreischt über Metall.
Genau in diesem Moment zieht Chet Quade auf dem Tender durch. Die Winchester peitscht scharf und hell. Einer der sechs Angreifer wird im Sattel zurückgestoßen und fällt in der nächsten Sekunde schlaff nach vorn über den Pferdehals. Der Mann ist tot.
Die anderen fünf Banditen brüllen vor Wut auf. Sie pressen ihren Pferden die großen Radsporen in die Flanken, dass die Tiere schmerzvoll aufwiehern.
Und dann prasselt das heiße Blei dicht neben Quades Kopf in die Holzscheite des Tenders. Spitze Splitter fetzen aus den zersägten Balken und schwirren dicht vor der Nase des Vormannes vorbei. Chet zieht den Kopf etwas ein, denn er muss seine Augen schützen.
Auf der anderen Seite, bei Jimmy Twodance, bleibt alles still. Warum schießt der junge Cowboy seine Winchester nicht leer? Die Angreifer kommen von beiden Seiten.
Aber da hämmert das Gewehr des Weidereiters auch schon los. Schuss auf Schuss jagt er aus dem Lauf, aber er kann die Banditen nur auf Distanz halten. Denn die Lok springt wie ein Karnickelbock im Frühjahr. Noch immer schiebt die schwere Maschine den Hartholzblock vor sich her. In wenigen Sekunden ist er zerfetzt, und dann wird die Lok aus den Schienen springen.
Es geschieht mit einem gewaltigen Ruck.
Jimmy fühlt sich emporgehoben und fliegt ein paar Yards weit durch die Luft. Sein Unterkiefer kracht gegen die oberen Zähne, als er auf dem harten Boden aufschlägt. Aber Jim hält noch immer die Winchester umklammert.
Er zieht das Gewehr an die Schulter, zielt unter den jetzt still dastehenden Wagen durch und feuert auf die Beine der Angreifer, die sich aus den Sätteln geschwungen haben.
Die Kerle wissen genau Bescheid. Sie rennen zum ersten Waggon und decken ihren Vormarsch mit einem wahren Bleihagel. Einen der Kerle erwischt es. Das heiße Stück Blei gräbt sich in seinen Oberschenkel und sägt ihm das Bein weg. Schmerzhaft prallt der Halunke auf den Boden. Aber der Kerl ist zäh. Er wälzt sich herum, gelangt auf den Bauch und späht unter den Wagen hindurch.
Jimmy feuert wie auf dem Schießstand. Aber er übersieht den Mann, der auf der anderen Seite des Schienenstranges liegt und die Winchester vorschiebt.
Erst als dicht vor Jimmys Nase eine Kugel in den Dreck fährt, eine Fontäne aus Schmutz und kleinen Steinen aufwirbelt, wirft sich der junge Cowboy zurück.
Es ist keine Sekunde zu früh; denn das nächste Geschoss schlägt genau dort ein, wo Jim gerade noch lag.
Chet Quade hat die Ablenkung genutzt. Er warf sich vom Tender, kam geschmeidig wie eine Raubkatze auf die Beine und rannte sieben oder acht Mannslängen weit von der Trasse weg. Mit einem gewaltigen Satz schnellt sich der Vormann der Skull-Ranch ins Gebüsch und hält das Gewehr schussbereit.
Ein blauer Fetzen ist zu sehen. Es ist das Hemd eines Angreifers. Der Bursche hält eine Winchester schussbereit.
Er will das Gewehr hochreißen, will feuern, aber da wird er wie von einer unsichtbaren Faust zurückgestoßen. Als der Kerl zwischen den eisernen Schienen landet, ist er bereits tot.
Ein Stück hinter ihm, genau auf dem Bahnkörper, hat sich der zweite Hundesohn aufgebaut. Auch er hält ein Gewehr schussbereit. Das rosa Hemd leuchtet grell in der Mittagssonne auf.
Aber auch der Bursche hat keine Chance. Chets Kugel erwischt ihn, als er gerade die Waffe herumschwenken will.
Noch einmal bricht ein wahrer Kugelhagel über den Zug herein.
Jetzt feuert auch Jimmy wieder, und er setzt seine Kugeln einfach in jede nur mögliche Deckung und zwingt die Angreifer so, sich zurückzuziehen.
Quade feuert auf der anderen Seite des Zuges das Röhrenmagazin seiner Winchester leer und treibt die verdammten Hundesöhne durch den Kugelhagel zurück.
Pferdehufe hämmern plötzlich auf. In jagendem Galopp rasen die überlebenden Banditen davon. Sie geben auf. Sie wissen, dass sie keine Chance mehr haben.
Chet steht auf. Er kneift die Lider zu schmalen Schlitzen zusammen und beobachtet die Halunken. Es ist kein Trick der Banditen. Sie haben genug. Quade fingert Patronen aus dem Gurt und lädt das Gewehr auf, bevor er zum Zug zurückgeht.
Auf der anderen Seite klettert Jimmy Twodance gerade auf den Tender.
»Hooo, Chet«, ruft der junge Cowboy, »da haben wir aber mächtig Glück gehabt, was?«
Quade nickt und meint: »Hauptsache, Old Davy Crockett ist nichts geschehen. Wir hätten ziemlich dumm ausgesehen, wenn wir den Ranchern der Gesellschaft einen toten Longhornbullen zeigen müssten.«
Der Lokführer springt von der Maschine und betrachtet die Räder, die aus den notdürftig befestigten Schienen gesprungen sind.
»Verdammte Hurensöhne«, flucht der Mann, »jetzt hängen wir hier fest. Hoffentlich kommen die Kerle nicht zurück. Verflucht, bisher wurden wir noch nie überfallen.«
Neugierig geht Jim näher heran, während er sein Gewehr auflädt.
»Pass mal auf, du Dampfkesselfahrer«, sagt der junge Cowboy großspurig, »du hebst deinen Ofen jetzt hoch und ich stopfe dieses Stück Eisen wieder dahin, wo es gehört. Anschließend rauschen wir einfach weiter.«
Fassungslos starrt der Maschinist den jungen Burschen an.
»Oh Mann, du hast keine Ahnung!«, brüllt der Lokführer auf einmal los. »Du kannst vielleicht ein paar Kühe durch die Gegend schieben, aber nicht so eine riesige Maschine. Wir brauchen eine zweite Lok, verstanden?«
»Dann besorg dir eine«, rät Jimmy grinsend, »sonst stehen wir Weihnachten noch hier.«
Der Lokführer läuft knallrot im Gesicht an. Er schnappt nach Luft, atmet tief ein und will den jungen Kerl vor sich so richtig fertig machen, als sein Blick auf den zweiten Cowboy fällt. Und da hält der Maschinist ganz schnell den Mund. Denn dieser indianerhafte Mann wirkt trotz seines freundlichen Lächelns irgendwie gefährlich. Und der Lokführer kennt solche Kerle zur Genüge. Instinktiv zählt er Chet Quade zu den Revolvermännern. Aber die Zeit, in der sich der indianerhafte Kämpfer seinen Lohn mit dem Colt verdiente, ist vorbei. Jetzt ist er Vormann auf der Skull-Ranch im Herzen Colorados.
»Wir müssen irgendwie weiter«, sagt Chet. »Jimmy hat recht, Mister.«
Der Heizer klettert aus dem Führerstand und schiebt sich die speckige Mütze in den Nacken.
»Wenn genügend Leute zupacken, können wir es schaffen«, meint der zweite Mann.
Er bückt sich und mustert die Räder und Schienen genau. Nur die Lok ist auf dieser Seite von dem eisernen Gleis gesprungen. Die Waggons stehen noch in der Spur.
»Also los, schmeiß die faulen Kerle raus!«, ruft der Maschinist, als ihm sein Heizer zunickt. »Sie sollen die gute alte Betty wieder richtig auf die Räder stellen.«
»Hoooo, ihr harten Burschen, alles aussteigen!«, brüllt der Heizer, »wenn ihr nicht zu Fuß weiterlaufen wollt, hebt ihr die Lok wieder in die Spur.«
Jimmy wächst sichtlich. Immerhin hatte er den richtigen Einfall gehabt.
»Da siehst du es, Chet«, sagt der junge Cowboy zu seinem Vormann, »diese Kerle sind ohne richtige, erfahrene Männer hilflos. Da muss erst ein Cowboy kommen und ihnen sagen, wie sie ihre Arbeit zu machen haben.«
Der Lokführer murmelt etwas, das niemand versteht. Sicher ist das gut so, denn er blickt Jimmy ziemlich unfreundlich an. Was der Maschinist sagte, war bestimmt nichts Salonfähiges.
Die Arbeiter steigen aus. Sie musterten die Schiene und verziehen die Gesichter.
»Reinheben geht nicht«, sagt ein vierschrötiger, mittelgroßer Kerl. »Aber wir machen es anders. Los, holt die Werkzeuge. Zwei Mann werfen Holzscheite vom Tender. Wir müssen die Maschine auf dieser Seite hochbocken. Die anderen richten das Gleis. Los, macht schon, jede Minute kostet uns Geld. Wir müssen an die Baustelle, Männer.«
Staunend sehen Chet und Jimmy den Männern zu. Sie scheinen wirr durcheinanderzulaufen, aber kurze Zeit später stemmen die Worker die Lok mit langen Eisenstangen hoch. Ihre Kollegen schieben Hartholzblöcke unter, und es dauert nicht lange, bis die linke Seite der schweren Maschine einen Inch hoch in der Luft schwebt.
Hämmer klingen auf. Mit jedem Schlag ruckt die Schiene ein Stück zurück. Als sie in der richtigen Position ist, schlagen die Arbeiter die großen Nägel in die Halteschuhe und verankern dieses Stück Gleis fest.
»Ich möchte wissen, wo die harten Kerle bleiben«, sagt der Heizer und kratzt sich mit seinem rußigen Finger an der Stirn.
»Welche harten Kerle?«, will Jimmy wissen.
Der Heizer spuckt aus, deutet kurz auf Chet und meint: »Wir haben ein paar Burschen von seiner Art bei uns. Sie spielen Bahnmarshals. Die Sternträger wissen, dass die Lohngelder heute mitkommen. Verdammt, wo treiben sie sich rum?«
Chet grinst herausfordernd, als er die Abneigung im Blick des Heizers erkennt. Der Feuerteufel hat nichts für harte Männer mit schnellen Colts übrig. Er denkt sicher, dass diese Burschen keine ehrliche Arbeit verrichten. Aber Quade sagt nichts dazu. Er bleibt gelassen. Die Zeiten, in denen er auf solche Beleidigungen hart und böse reagierte, sind lange vorbei.
»Laaangsaaam, ihr verfluchten Böcke!«, brüllt der bullige Vorarbeiter, »ihr sollt den Schrotthaufen langsam ablassen, verdammt!«
Mit einem Krachen und Knirschen setzen die Räder der Lok auf.
Schnaufend, aber mit stolzem Ausdruck im Gesicht, wendet sich der Ire dem Lokführer zu.
»Wenn du dir 'ne Zigarette ansteckst und Dampf in die Zylinder pustest, Mann«, sagt der Vorarbeiter, »dann können wir weiterfahren.«
Der Maschinist steigt auf und brüllt nach seinem Heizer, der erst die Holzscheite wieder auf den Tender wirft. Gespannt beobachten die Arbeiter, wie sich die schweren Räder in Bewegung setzen und langsam über die reparierte Stelle rollen. Es dauert nicht lange, und der ganze Zug hat passiert. Die Arbeiter springen auf, werfen ihre Werkzeuge in das Innere des ersten Wagens und starren auf Chet und Jimmy.
»He, wollt ihr zu Fuß gehen?«, fragt einer der Burschen. »Da habt ihr noch vier Meilen vor euch.«
Quade hört den Mann, aber er nimmt die Worte nicht auf. Aus zusammengekniffenen Lidern späht er nach Nordwesten. Fünf dunkle Punkte bewegen sich in schnellem Tempo auf den Schienenstrang zu.
Fünf Reiter galoppieren heran.
»Verdammt«, stößt Jimmy hervor, »die Hundesöhne kommen zurück.«
Metallisch rasselt der Verschluss seiner Winchester.
Jetzt sehen auch die Arbeiter die Reiter und fluchen böse.
Der Lokführer bremst die Maschine behutsam ab und steckt seinen Kopf aus dem Seitenfenster des Führerstandes.
»Chet, was tun wir?«, fragt Jimmy leise.
»Abwarten«, antwortet der Vormann nur und späht zu den fünf Reitern hinüber, die in voller Karriere auf den Zug zuhalten.
»Wir müssen uns gute Deckungen suchen«, sagt Jimmy drängend und wendet den Kopf.
»Abwarten«, erwidert Chet nur, denn er spürt keine Warnung seines Instinktes.
Und er kann sich auf seine Ahnungen verlassen. Diese fünf Fremden gehören sicher nicht zu den Halunken, die den Zug überfielen.
Allmählich klingt das Getrommel der Pferdehufe auf. Zwei der Reiter zügeln ihre Tiere und lassen sie im Schritt dorthin gehen, wo einer der toten Angreifer liegt. Es dauert eine Weile, bis die beiden hinter ihren drei Gefährten herkommen.
Und dann sind die Reiter nur noch ein paar Längen vom Zug entfernt. Auf ihren Hemden und Westen blinken Messingsterne in der Sonne. Diese Männer sind die Bahnmarshals.
Sie strahlen etwas aus, das sie sofort von den rauen Schwellenlegern unterscheidet. Es ist der heiße Hauch von Gefahr, der diese hartgesichtigen Revolverkämpfer umschwebt. Aber sie spüren ihrerseits, dass Chet Quade zu den ganz besonderen Männern dieser Gattung gehört. Die Marshals mustern den indianerhaften Fremden eindringlich. Sie wissen sofort, dass dieser Mann für das Scheitern des Angriffes verantwortlich ist.
Aber bevor irgendjemand etwas sagen kann, brüllt der irische Vorarbeiter aus dem ersten Wagen los.
Er belegt die fünf harten Burschen mit Schimpfworten, die einem Maultiertreiber die Schamröte ins Gesicht getrieben hätten.
Endlich holt der Ire Luft. Er hat keinen Atem mehr, um weiterzubrüllen.
»Es reicht jetzt«, sagt ein mittelgroßer, untersetzter Mann, der wie der Anführer der Bahnmarshals wirkt. »Halt den Mund, du irischer Feuerkopf, oder ich lass dich deine roten Haare fressen.«
Die Waggontür fliegt auf, knallt gegen die Wand, und mit einem einzigen Satz springt der massige Ire ins Freie. Er stampft mit schweren Schritten auf den Bahnmarshal zu. Die Arme pendeln zu beiden Seiten des Körpers, und irgendwie sieht der Ire aus, als wolle er in den nächsten Sekunden die Sicherheitsmänner in kleine Stücke reißen.
»Wenn diese beiden Fremden nicht gewesen wären«, röhrt der Vorarbeiter, »könntest du unsere Lohngelder irgendwo in den Bergen suchen, du Narr. Wir haben keine Waffen bei uns, nicht mal Schrotspritzen. Was soll eigentlich dieser Quatsch? Der Boss versicherte uns, dass keine Gefahr bestünde, und jetzt werden wir angegriffen. Wo habt ihr euch ausgeschlafen, als uns die Halunken überfielen, he?«
»Wir folgten den Kerlen«, erklärt einer der Ordensträger, »aber sie hatten einen zu großen Vorsprung. Wir beobachteten die Halunken schon gestern und wussten, dass sie 'ne krumme Sache vorhatten. Aber sie waren uns entwischt. Wir konnten nur raten, wo sie zuschlagen wollten.«
Der Anführer der Bahnmarshals grinst hart und verwegen und meint: »Wir hätten die Dollars schon zurückbekommen, Feuerkopf O'Grady. Und sicher hätten wir auch ein paar deiner großmäuligen Schwellenleger gerettet. Warum hüpfst du wie ein verrückter Truthahn herum und beschimpfst uns feine Kerle so böse, he?«
»Feine Kerle, ha!«, brüllt der Ire. »Ihr liegt den ganzen Tag auf der faulen Haut. Wenn es mal was für euch zu tun gibt, lasst ihr andere die raue Arbeit machen. Diese zwei Rindviehschieber hier haben die Banditen zurückgeschlagen. Ihr solltet ihnen euren Monatslohn überlassen, das wäre gerecht.«
O'Grady dreht sich um und blinzelt den beiden Männern aus Colorado zu.
»Eh, Leute, wenn diese großspurigen Coltschwinger euch nichts mitgeben, sagt mir Bescheid«, röhrt der Ire. »Ich bringe sie schon dazu, mein Wort drauf.«
O'Grady steigt wieder ein und schreit, als er auf dem Trittbrett steht: »Lass sie endlich laufen, wir wollen Dollars machen! Hier bekommen wir keinen Cent!«
»Moment!«, ruft der Anführer der Bahnmarshals scharf. »Ladet die Pferde der beiden aus. Ich möchte mit ihnen zum Bahnhof reiten.«
Er blickt zu Chet und Jimmy und fragt: »Einverstanden?«
Die beiden nicken nur. Sie wissen, dass der Zuchtbulle sicher im Waggon steht. Und bei dem Tempo der Bahn sind sie mit den Pferden genauso schnell am Endpunkt der Railway angelangt wie der Zug selbst.
Es dauert nicht lange, bis Chets Rappe und Jimmys Fuchs schnaubend neben den Geleisen stehen. Die beiden Cowboys satteln und sitzen auf.
Gellend lässt der Heizer die Pfeife aufschrillen. Der Zug setzt sich langsam in Bewegung. Aus einem Wagen dröhnt das dumpfe, wilde Brummen des Stieres, als ihn der schrille Ton stört.
»Oha, Old Davy Crockett wird ungehalten«, sagt Jimmy und grinst, dass die Sommersprossen auf seinem Gesicht zu tanzen scheinen.
»Häh?«, macht einer der Sternträger verblüfft.
»Ja, Old Davy Crockett«, wiederholt Jim, »er ist ein feiner Longhornbulle. Er wollte immer schon mal mit der Railway fahren. Und da haben wir ihm eben den Gefallen getan. Er ist ein abenteuerlustiger Bursche, wisst ihr. Darum wollte er auch nach Wyoming.«
Der erstaunte Ordensträger holt empört Luft und will sicher gerade eine Menge böser Worte vom Stapel lassen, aber sein Boss hebt nur die Hand.
Das genügt, um den Mann von seinem Vorhaben abzubringen.
»Jeff, Lou und Bill, ihr sammelt die Toten ein und schafft sie unter die Erde«, befiehlt der Anführer der Sicherheitsmänner. »Hank reitet mit uns hinter dem Zug her.«
»Und die verfluchten Kerle, die entkamen?«, fragt einer der anderen.
»Lasst sie laufen«, antwortet der Boss der Posse. »Wir holen sie nicht mehr ein. Eine Verfolgung ist sinnlos. Wir wissen ja, wer hinter dem Überfall steckt.«
Der untersetzte Bahnmarshal zupft am Zügel und lässt seinen Grauen dicht an Chets Rappen herangehen.
»Ich heiße Frank Turner«, sagt der Anführer der Sternträger und reicht Chet die Hand. »Ich bin der Boss der Bahnmarshals. Bisher haben wir nur wenig Ärger gehabt. Vielen Dank, dass ihr geholfen habt. Es wäre böse ausgegangen. Ab sofort müssen die Arbeiter bewaffnet werden, wenn sie unterwegs sind.«
»Quade, Chet Quade aus Colorado«, stellt sich der Vormann der Skull-Ranch vor und nennt auch Jimmys Namen.
Turner verzieht keine Miene, als er Jims Nachnamen hört. Aber die anderen Männer der Sicherheitstruppe können sich ein Grinsen kaum verbeißen, als sie hören, dass der sommersprossige Cowboy Twodance heißt. Doch die Sternträger hüten sich, ihn wegen des Namens aufzuziehen, denn auf einmal wirkt das Gesicht des jungen Reiters gar nicht mehr lustig, sondern hart und kantig.
Die Männer lassen die Pferde angehen und reiten neben dem Schienenstrang her.