Tom Prox 122 - Alex Robby - E-Book

Tom Prox 122 E-Book

Alex Robby

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Beschreibung

Kurz vor den Wahlen in Neu-Mexiko legt der amtierende Gouverneur noch einen Jagdurlaub in Nordkanada ein. Das macht es der Ghost Squad unter Trom Prox nicht leicht, ihn davor zu schützen, dass ihn die Folgen einer gefährlichen Gesetzesvorlage noch vor der Wahl einholen. Während der Ghostchef und sein Mitarbeiter Closter zum Bärensee paddeln, ermitteln die übrigen Mitarbeiter der Ghost Squad zu Hause gegen ein kriminelles Netzwerk, dessen Krakenarme bis in die Politik reichen ...


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Inhalt

Cover

Es begann am Bärensee

Aus dem Wilden Westen

Vorschau

Impressum

Es begann am Bärensee

Von Alex Robby

Kurz vor den Wahlen in Neu-Mexiko legt der amtierende Gouverneur noch einen Jagdurlaub in Nordkanada ein. Das macht es der Ghost Squad unter Tom Prox nicht leicht, ihn davor zu schützen, dass ihn die Folgen einer gefährlichen Gesetzesvorlage noch vor der Wahl einholen. Während der Ghostchef und sein Mitarbeiter Ben Closter zum Bärensee paddeln, ermitteln die übrigen Mitarbeiter der Ghost Squad zu Hause gegen ein kriminelles Netzwerk, dessen Krakenarme bis in die Politik reichen ...

1. Kapitel

Schweigend standen die dunklen, hohen Nadelwälder bis zum fernen Horizont. Zwischen den Bäumen blinkten hier und dort die schmalen, silbernen Flussläufe, die in bizarren Schleifen die Landschaft durchzogen, um irgendwo in einen der unzähligen Seen zu münden.

Eine Gegend von gewaltiger Schönheit und grenzenloser Einsamkeit.

Hoch in den Lüften glitten die Silhouetten kreisender Adler durch die Wolkenhaufen. Am Ufer stand aufrecht ein witternder Braunbär, der sich nach einem misstrauischen Grunzen wieder auf alle vier Läufe niederließ und schmatzend das saubere, kristallklare Wasser trank.

Ein Kanu kam den Fluss herauf. Silbern troff das abfließende Wasser von den Stechpaddeln. Das Plätschern war das einzige Geräusch, das die Stille unmerklich störte.

Drei Männer saßen im Innern des langen, zerbrechlichen Fahrzeugs, zwei Weiße und ein Indianer.

»Noch vier Stunden, Ben«, stellte Tom Prox fest, der hinter Sergeant Closter auf einem Fellbündel hockte und in gleichmäßigem Takt sein Paddel ins Wasser tauchte. »Wenn wir vorhin nicht die falsche Abzweigung genommen haben, müssen wir die Stelle noch vor Dunkelwerden erreichen.«

»Diese verdammte Ruhe hier geht einem langsam auf die Nerven«, nörgelte der Dicke. »Wie das ein normaler Mensch nur aushalten kann!«

Seit fünf Tagen fuhren sie nun den Mackenzie River hinauf, hatten sich zweimal verfahren und waren nach umständlichen Irrfahrten genau an der Stelle gelandet, an der sie Tage zuvor schon einmal ihr Lager aufgeschlagen hatten. Ihre Karten waren schon am ersten Tag beim Kentern ihres Bootes in einer reißenden Stromschnelle versunken.

Ihr Ziel war der Große Bärensee!

Niemals hätte Sergeant Closter es für möglich gehalten, dass es eine so verlassene Gegend geben könnte wie die endlosen Wälder um den Bärensee herum. Den letzten Menschen hatten sie vor zwei Tagen zu Gesicht bekommen, einen verwitterten, wortkargen Indianer, der sich mit kurzen, schnalzenden Lauten mit Tacanam, ihrem indianischen Führer, unterhalten hatte und plötzlich in das Dunkel der Tannenwälder eingetaucht war, als sei er bloß eine Erscheinung ihrer überreizten Nerven gewesen.

In Fort Simpson hatten sie im Hauptquartier der Canadian Police einen stämmigen Major angetroffen, der sich die Legitimation des Ghostchefs mit gerunzelter Stirn angesehen hatte. Die kanadischen Polizeitruppen trugen knallrote Uniformen, und keiner der Männer maß unter sechs Fuß Körpergröße. Ben Closter reichte den Riesen kaum bis an die Schultern.

»Sie können sich vorstellen, dass wir nicht gerade begeistert sind, zwei Beamte der amerikanischen Special Police in unserem Land zu wissen«, knurrte der Major unwirsch. »Ihre Vorsorge in Ehren, aber in Kanada kommen Verbrechen, wie sie bei Ihnen an der Tagesordnung sein mögen, nicht vor. Ein Mord an Gouverneur Harding? Einfach absurd!«

»Davon spricht auch niemand, Major«, wehrte Tom Prox ab. »Aber es stehen Wahlen bevor, und die Regierung hat sich entschlossen, einen wirksamen Schutz für den Gouverneur bereitzustellen. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme und hat nichts mit Misstrauen zu tun.«

»Hat der Herr darum etwa ersucht?«

»Harding weiß gar nicht, dass wir auf dem Wege zu ihm sind. Er wird wenig erfreut sein, uns zu sehen.«

»Kann ich ihm auch nicht verübeln, Captain. Er sah so aus, als wollte er seine Ruhe haben. Ist wohl zwei Wochen her, dass er bei mir war. Erkundigte sich nach dem besten Weg zum Bärensee und ob man da jagen und fischen kann. Na, ich habe ihm einen zuverlässigen Mann mitgegeben, und damit war für mich der Fall erledigt.«

»Können Sie uns sagen, wo sich der Gouverneur augenblicklich aufhält?«

»Ich denke, dass er am Potomac Peak sein Lager aufgeschlagen hat.«

»Weit?«

»Ein paar Tagesreisen. Eine ziemlich unwirtliche Gegend.«

»Wie ist Harding zum Bärensee gekommen? Zu Pferd etwa?«

»Sie sind gut, Captain«, grinste der Major. »Waren Sie schon mal im Norden Kanadas?«

»Nee, das erste Mal.«

»Na, kein Wunder dann! Mit Pferden kommen Sie hier nicht weiter. Sie brauchen ein Boot. Haben Sie eins zur Hand?«

Tom Prox' Kopfschütteln entlockte dem Major ein beifälliges Grinsen. Er wusste, dass der andere verärgert war, weil seine amerikanischen Kollegen ihm nicht trauten, weil sie seine Fähigkeiten anzweifelten und Kanada für ein wildes Land hielten, in dem ein Mensch spurlos verschwinden oder sogar umgebracht werden konnte.

»Aber ich muss zum Bärensee, Major. Unter allen Umständen! Ich habe den Befehl, Gouverneur Harding aufzusuchen. Zunächst wollte ich Sie gar nicht erst von unserer Anwesenheit in Kenntnis setzen, damit Sie sich keine unnötigen Gedanken machen müssen.« Tom hielt einen Moment inne. Jetzt muss ich ihm Honig um den Bart schmieren, dachte er, dann wird er vielleicht etwas zugänglicher. »Wir alle wissen, dass die Canadian Mounted Police die beste Polizeitruppe der Welt ist. Und es könnte immerhin der Fall eintreten, dass wir auf Ihre Kenntnisse und Erfahrungen angewiesen sind. Ich will damit nicht sagen, dass ich befürchte, Gouverneur Harding sei ernsthaft gefährdet. Aber als vorsichtiger Mensch muss man mit allem rechnen, und deshalb ...«

»Nun, ja, ich sehe ein, dass ich etwas zu grob war, Captain. Sie sollen nicht sagen können, dass die Canadian Police Sie nicht in allem unterstützte.«

Der Major stand auf und füllte die Whiskeygläser seiner beiden Gäste wieder. Ben Closter schwieg. Erstens war er von der Qualität des kanadischen Whiskeys tief beeindruckt, und zum andern hatte er einfach nichts zu sagen.

»Warten Sie, mir kommt da eine Idee«, fuhr der Major nach einer Weile fort. »Gestern kam ein Indianer den Mackenzie herab, ein ausgezeichneter Kundschafter übrigens, der äußerst zuverlässig ist und den wir häufig als Kurier für unsere vorgeschobenen Polizeiposten einsetzen. Sie wissen vielleicht, dass im Norden der Sommer einschließlich des Frühlings kaum vier Monate dauert. Wir haben in fast unwegsamen Gegenden Blockhütten, die auch während der acht Wintermonate mit je zwei Polizisten besetzt sind. Natürlich haben wir Funkverbindung mit ihnen, aber manchmal fallen doch wichtige Transporte an, die Tacanam besorgt.«

»Das ist der Indianer, nicht wahr?«

»Richtig! Ich denke, er wird mit Ihnen zum Bärensee fahren.«

»Und wie ist Harding hingekommen?«

»Er nahm ein starkes Motorboot. Erstens hatte er viel Gepäck und zweitens einige Begleiter, die wir nicht mit einem Kanu den Fluss hinaufbekommen hätten.«

»Begleiter?« Tom Prox horchte auf. »Wer war das?«

»Ich habe die Namen nicht behalten. Aber der Gouverneur schien sie gut zu kennen. Zwei oder drei nannte er beim Vornamen.«

»Wie viele waren es insgesamt?«

»Moment mal! Sechs, ja, sechs Mann und eine Frau.«

»Noch eine Frage, Major: Gibt es am Bärensee feste Unterkünfte? Blockhäuser oder etwas Ähnliches?«

»Ja! Eine ganze Menge, denn die Fallensteller errichten ihre Hauptlager am Großen Bärensee, bevor sie weiter nach Norden zur Jagd ziehen. Wo sich Ihr Schützling niedergelassen hat, das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht verraten. Das müssen Sie schon selbst herausbekommen.«

»Na, das wird sich einrichten lassen. Noch etwas anderes: Haben Sie am Bärensee einen Polizeiposten?«

»Nein, dort nicht. Etwa achtzig Meilen nördlich liegt die Station sechs. Hier, sehen Sie!«

Der Major ging zur Wand, an der eine gewaltige Landkarte hing mit zahlreichen großköpfigen Stecknadeln. Er piekte mit dem Finger auf die angegebene Stelle.

»Und von hier bis zum See?«

»Das ist die Station siebzehn, an der Einmündung des Slave River in den Mackenzie. An der müssen Sie vorbeifahren, wenn Sie zum Bärensee wollen.«

»Könnten Sie uns der Station siebzehn per Funk ankündigen? Ich möchte gern mit dem Beamten sprechen. Auch Harding muss ja dort vorbeigekommen sein. Vielleicht hat er Ihren Beamten erzählt, wohin er will.«

»Das lässt sich machen. Ich will sehen, dass ich den Indianer noch erwische; dann steht Ihrem Aufbruch nichts mehr im Weg.«

Tacanam hielt sich tatsächlich noch in Fort Simpson auf, und Tom verhandelte einige Minuten mit dem schlanken Indianer, der die beiden Ranger mit einem durchdringenden Blick musterte.

»Ich habe ein Kanu«, sagte er. »Ein Rindenboot. Es wird für uns drei ausreichen. Nicht viel Gepäck! Gepäck ist zu schwer ...«

»Nur die Gewehre, ein kleines Zelt, die Decken und ein paar andere Dinge«, beruhigte Tom Prox ihn. »Alles zusammen keine zweihundert Pfund.«

»Okay. Morgen, wenn die Sonne aufgeht. Unten am Fluss.«

Tacanam wandte sich um, hob noch grüßend die Hand und verschwand zwischen den Häusern.

Der Major benachrichtigte unterdessen seinen Posten am Mackenzie und gab dem Ghost noch eine Reihe guter Ratschläge mit auf den Weg. Am nächsten Morgen, noch bevor sich die Sonne über dem schwarzen Waldsaum schob, standen Tom Prox und Sergeant Closter am Flussufer.

Tacanam hielt sich mit dem Rindenkanu schon bereit. Es war ein schlankes, leichtes Fahrzeug, das keinen guten Eindruck auf Ben machte. Er betrachtete es misstrauisch von allen Seiten. Konnte man mit einem so primitiven Boot die Stromschnellen passieren? Beim ersten Versuch schon musste es in Stücke brechen.

Aber das Kanu hielt. Ben, immer bereit zu meckern und seinem Unmut über diese Reise Luft zu machen, stellte bald sein Fluchen ein und paddelte schweigend mit. Die Paddel stachen im Gleichtakt in den Fluss und trieben das Boot stromaufwärts.

Sie erreichten die Polizeistation am dritten Tag. Tom sah den Mann in der roten Uniform schon von weitem am Ufer stehen und winken. Sie legten an und hielten sich zwei Stunden in dem Blockhaus auf, und als sie dann weiter den Mackenzie hinaufglitten, wussten sie, dass Harding vorgehabt hatte, am Südrand des Bärensees sein Lager aufzuschlagen. Dort sollte es einige solide, gut erhaltene Blockhütten geben, die augenblicklich leer standen und dem Gouverneur vom Polizeiposten empfohlen worden waren.

Tacanam kannte die Stelle. Er wollte sie dorthin führen und dann den Bärensee nach Norden überqueren, um seinen Weg fortzusetzen. Sie selbst konnten später mit dem Motorboot in die Zivilisation zurückkehren.

Jetzt fuhren sie den Slave River hinauf, der die Verbindung zwischen dem Bärensee und dem Mackenzie herstellte. Zu beiden Seiten des Ufers stieg der dunkle Nadelwald hoch in den Himmel. Über der Landschaft lag eine fast lähmende Stille. Hin und wieder sprang im Fluss ein schwerer Lachs. Ben gelang es, an seiner Angel einen zu fangen. Er zog dieses Gerät auf der ganzen Reise hinter dem Kanu her.

Tacanam sah sich nach allen Seiten um und nickte beifällig.

»Keine Rauchsäulen zu sehen?«

»Nichts! Kein Lager, keine Menschen«, antwortete der Indianer.

»Aber wir müssen doch bald da sein, nicht?«

»Ja«, sagte Tacanam nachdenklich.

»Ich hab schon einen Hintern wie aus Elefantenhaut«, knurre der Dicke, während er auf der harten Sitzunterlage hin und her rutschte. »Und platt muss er auch geworden sein. Platt wie 'n Bügelbrett, Tom. Glaube nicht, dass ich jemals wieder auf einem Pferderücken sitzen kann! Werde zur Wasserpolizei gehen müssen.«

Der Freund wollte etwas erwidern, aber im gleichen Augenblick deutete der Indianer mit dem rechten Arm voraus.

»Dort ... ein Lager!«

Dünn ringelte sich in einiger Entfernung eine Rauchsäule in die Höhe. Sie war nur zu erkennen, weil der Rauch dunkel gefärbt war. Tom griff nach dem Fernglas und hob es an die Augen.

Der Fluss weitete sich zu einer gewaltigen Mündung, mit der er unbemerkt in den Bärensee überging. Die Ufer traten weit zurück. Die Farbe des Wassers wechselte in ein tiefes Grün. Man konnte zwei bis drei Meter tief hinabblicken. Fische zuckten durch die Fluten. Ein paar dunkle Krebse krochen seitwärts über den Schlamm, wobei sie kleine, kräuselnde Schmutzwolken aufwirbelten.

»Nach rechts«, befahl Tacanam. »Hinter der nächsten Landzunge ist das Lager.«

Sie wendeten und verdoppelten ihre Anstrengungen. Pfeilschnell glitt das Kanu durch das stille Wasser. Die Sonne stand hoch am Horizont. Die Luft war kühl und klar und roch nach frischem Harz und Seewasser.

Nach einer halben Stunde wich die Landzunge zurück und gab den Blick auf eine kleine Bucht frei. Hell leuchtete der saubere Sandstrand. Tom nahm wieder das Glas an die Augen und erkannte vier Hütten aus roh behauenen Stämmen, die keine zehn Meter vom Wasser entfernt unter riesigen Tannen errichtet waren.

Sie hatten das Lager Hardings erreicht.

»Kein Wort von dem, was wir hier wollen, Ben«, mahnte Tom Prox. »Der Mann würde uns zum Teufel jagen, wenn er erfahren würde, dass Webster ihm zwei Ghosts an die Fersen gesetzt hat. Harding ist ein gemütlicher Mann, aber er geht bestimmt hoch, wenn er hört, dass er noch nicht mal im Urlaub vor Überwachung sicher ist.«

»Geht in Ordnung, Tom«, versetzte Ben. »Ich habe verstanden. Wir sind zur Jagd hergekommen, klar. Wollen Lachse schießen und Bären angeln. Vielleicht kann man auch mit dem Girl was anstellen, das er sich in die Wildnis mitgenommen hat. Menschenskind, Gouverneur sollte man werden!«

»Möchte den Wähler sehen, der einen Ben Closter dazu wählen würde«, lachte Tom herzlich.

Der Dicke warf seinem Chef einen bösen Blick zu, war aber vorsichtig genug, um eine bissige Erwiderung noch rechtzeitig zu verschlucken.

So knurrte er bloß vor sich hin und tunkte das Paddel so heftig ein, dass Wasser nach allen Seiten spritzte.

Immer näher kamen sie der Bucht. Drei Menschen liefen über den Platz vor den Hütten.

»Ho!«, rief Tom Prox mit gewölbten Händen vor dem Mund. »Hallo!«

»Hoffentlich haben sie gerade ein ordentliches Steak in der Pfanne«, sagte Ben. »Ich hab gewaltigen Kohldampf. Und die Fischfresserei hängt mir nachgerade zum Hals heraus.«

Jetzt kam ein Mann ans Wasser, hielt die Hand über die Augen und starrte dann zu dem Kanu hinüber, das keine zweihundert Meter mehr von der Anlegestelle entfernt war.

»Wo ist das Motorboot?«, fragte Ben verwundert. »Siehst du es?«

»Vielleicht sind ein paar Leute damit unterwegs. Na, das werden wir ja gleich erfahren. Mehr nach links, Tacanam! Halt auf die Sandstelle zu! Dort, wo der Pfahl im Wasser steht!«

Das Kanu fuhr herum und glitt lautlos über das Wasser. Kurz darauf waren sie fast am Ufer angelangt. Ben Closter vernahm schon das leise Schleifen des Sandes unterm Kiel. Sie fuhren hart auf, bis der Bug sich auf den Strand schob. Tacanam sprang ins seichte Wasser und half aus Leibeskräften nach.

Dann stieg Tom Prox als Erster an Land. Er streckte sich, stemmte beide Hände in die Hüften und bog die Wirbelsäule kräftig durch. Er fühlte sich, als wären ihm während der Reise sämtliche Glieder eingerostet. Stelzend ging er ein paar Schritte weit.

»Hallo!«, rief der Mann am Ufer. »Wo kommen Sie denn her?«

»Geradewegs vom Fort Simpson. Sie haben sich einen schönen Flecken Erde ausgesucht! Wir hatten schon gehört, dass am Großen Bärensee ein paar Amerikaner Weekend machten, na, und da dachten wir, dass wir mal nachschauen sollten, um einen Drink zu ergattern. Wie steht's damit?«

Der Mann, der Tom gegenüberstand, mochte vierzig Jahre alt sein. Gouverneur Harding war es nicht; den kannte er von Bildern her. Zwei- oder dreimal hatte er ihn auch schon gesprochen, aber das war nun schon eine ganze Weile her. Vielleicht erinnerte sich Harding gar nicht mehr an ihn.

»Einen Drink können Sie haben«, versetzte der Mann. »Ist das dort Ihr Freund?«

»Sicher. Wollen ein bisschen jagen. Natürlich auch fischen ... was man im Urlaub eben so macht. Kanada kommt als Reiseland neuerdings ja mächtig in Mode. Gouverneur Harding soll ebenfalls hier irgendwo unterwegs sein, hörten wir im Fort. Oder ist er am Ende bei Ihnen im Camp?«

»Ja«, nickte der Mann zu. »Harding ist hier. Das ist sein Lager, Mister ...?« Der Mann sah Tom fragend an.

Tom überlegte kurz, ob er seinen richtigen Namen nennen sollte. Vielleicht kannte ihn jemand hier? Na, wenn schon! Lassen wir den Dienstrang einfach fort. Dann ist nichts weiter dabei. Wenn ich einen andern Namen angebe, falle ich nur auf, falls mich tatsächlich jemand erkennt.

»Prox ist mein Name, und das dort ist mein Freund Closter. Ein dicker, fauler Geselle, damit Sie es gleich wissen. Aber lassen Sie sich nur ja nicht auf ein Pokerspiel mit ihm ein! Sonst können Sie gleich Ihr Testament machen.«

»Jim Harlow heiße ich«, stellte sich der andere vor. »Ein Freund des Gouverneurs. Kommen Sie, da drüben im Schuppen ist die Bar.«

»So was hör' ich gern«, lachte Tom Prox. »Sie haben sich ja fein herausgemacht hier. So lässt sich's gut leben. Schon lange am Bärensee?«

»Eine Weile!«

Ben Closter stampfte schweigend hinter den beiden her. Er hatte beide Hände so tief in den Hosentaschen, dass die Arme fast bis zum Ellenbogen darin verschwanden. Er befingerte in der rechten Tasche ein Loch, steckte seinen Daumen hindurch und brummte vor sich hin.

»Würde mich mächtig freuen, den Gouverneur kennenzulernen«, sagte Tom eben zu Harlow.

»Sorry, der ist gerade über den See gefahren, wollte einen Braunbären schießen. Seit zwei Tagen sind wir hinter einem mächtigen Burschen her, aber erst gestern Abend haben wir ihn ausgemacht. Ein Riesentier, größer als alle Bären, die ich bisher gesehen habe.«

Tom warf seinem Begleiter einen schnellen Seitenblick zu und überlegte, wie oft Harlow schon Gelegenheit gehabt hatte, einem Braunbären in freier Wildbahn zu begegnen. Er machte nicht den Eindruck eines besonders naturverbundenen Mannes, sondern schien eher zu den Menschen zu zählen, die ihr Leben hinter Schreibtischen und in muffigen Konferenzzimmern verbrachten. Auch sonst machte er keinen günstigen Eindruck auf ihn. Er hätte im Augenblick nicht sagen können, worauf seine Abneigung beruhte, aber der Mann gefiel ihm einfach nicht.

Sie hatten die Blockhäuser erreicht. Harlow deutete einladend auf die angelehnte Bohlentür. Tom öffnete sie mit dem Fuß und trat ein. Seine Augen brauchten eine Weile, um sich ans Zwielicht zu gewöhnen. Dann erst konnte er seine neue Umgebung schnell aufnehmen und ihre wesentlichsten Merkmale registrieren.

Das eine stand ohne jeden Zweifel fest: Harding hatte etwas aus diesem Lager gemacht. Das Innere der Hütte war sauber und bequem. Wolldecken lagen auf den rohbehauenen Tischen. Auch eine Petroleumlampe war vorhanden, ein paar Töpfe standen an der Feuerstelle. Tom konnte sich vorstellen, dass es sich in einem solchen Lager gut leben ließ.

Trotzdem wurde er das beklemmende Gefühl nicht los, dass dieses merkwürdige Camp nicht das war, was er erwartete.

Harlow nahm ihm gegenüber an der Wandbank Platz und angelte nach einer Brandyflasche, die unter dem Tisch stand. Jetzt kam auch Ben herein, gefolgt von Tacanam, der sich mit einem raschen Blick umsah und sich dann in der anderen Ecke neben das verglimmende Feuer setzte. Er hüllte sich in seine bunte Decke, als wollte er schlafen.

»Wollen Sie weiter nach Norden, Mr. Prox?«, fragte Jim Harlow gespannt.

»Vielleicht! Es könnte auch sein, dass ich einige Zeit bleibe. Wie sieht es mit Wild aus?«

»Hier gibt's keins ringsum«, versicherte Harlow schnell.

»So? Und der Gouverneur? Ich dachte, er wollte einen Bären schießen?«

»Das ist weiter oben. In der Umgebung unseres Lagers hat sich das Wild verdrückt. Wohl zu viel Lärm!«