Was dem Herzen gefällt - Ilse Gräfin von Bredow - E-Book

Was dem Herzen gefällt E-Book

Ilse Gräfin von Bredow

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Beschreibung

Es ist nicht alles Zucker in der Liebe. Sie ist ein ewiges Hin und Her, voller Irrungen und Wirrungen, aber missen möchte man sie nicht, egal ob sie glücklich oder unglücklich ist, egal, welches Geschöpf sie entfacht. Wo die Liebe hinfällt, da bleibt sie liegen ... So vergucken sich auch die Heldinnen der wunderbaren Geschichten in diesem Band gelegentlich in den Falschen. Ein junges Mädchen hält die Liebe für das Höchste im Leben. Ihre Großmutter, durch viel Lebenserfahrung weise geworden, ist da schon skeptischer. Die Mütter wiederum tun manchmal des Guten zu viel - die Liebe zu den Kindern ist dann eher eine Umklammerung. Und die Männer? Sie halten sich gern für unwiderstehlich. Ilse Gräfin von Bredow führt uns in ihren schönsten Geschichten zum Thema Liebe Menschen mit ihren Stärken und Schwächen vor.

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Seitenzahl: 228

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Ilse Gräfin von Bredow

Was dem Herzen gefällt

 

 

Über dieses Buch

 

 

Ob charmanter Taugenichts oder elegante Baroness, die später aufgeht wie ein Hefekuchen, verliebtes Dienstmädchen oder leichtfüßiger Witwer: Was dem Herzen gefällt, das suchen die Augen. Ilse Gräfin von Bredow porträtiert sie alle mit liebenswürdig-spitzer Feder und komponiert viele Variationen zum Thema Liebe.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

Vorwort

1 Die Augenweide

2 Denn die Freude, die wir geben

3 Stell auf den Tisch die duftenden Reseden …

4 Der Kuhlengräber

5 Das Geschenk

6 Das rote Licht

7 Die Schönste im Land

8 Ein ganz normales Kind

9 Geh aus, mein Herz

10 Das Fotomodell

11 Familienbande

12 Der schöne Willi

13 Fräulein Grässlich

14 Liebe kommt, Liebe geht

15 Tischlein deck dich

16 Der Bushwalker

Quellenverzeichnis

Vorwort

Es wäre übertrieben, zu behaupten, dass wir während der Tischgespräche bei uns zu Hause vor Esprit nur so gesprüht hätten. Eher glichen die Unterhaltungen unserem Speisezettel mit dem sich häufig wiederholenden Gericht Kartoffeln mit Stippe: Es wurden immer wieder dieselben Themen aufgetischt, wozu auch die neckische Frage an einen Onkel gehörte: »Na, alter Junge, noch immer nicht die Frau fürs Leben gefunden?«, worauf der Gast mit melancholischem Lächeln antwortete: »Das Leben ist ein Pfannekuchen, das Mus darin der Liebe Bild, doch ach, ich muss dem Schicksal fluchen, der meinige blieb ungefüllt.« Dabei wusste jeder, dass seine Lieben schneller wechselten als die Haare auf dem Wallach meiner Schwester, dem nun wieder ihre ganze Liebe gehörte. Diese Antwort des Onkels wurde wie immer mit viel Gelächter aufgenommen, und meine Mutter zitierte bedeutungsvoll: »Die Botschaft hör ich wohl …«, während sie meinem Dorffreund Bruno, der neben mir seine Suppe schlürfte, angewidert Vaters alte speckige Dragonermütze vom Kopf nahm. Diese Mütze war Brunos ein und alles, sodass er sich nicht einmal beim Schwimmen im See von ihr trennte, was die Haubentaucher sehr erschreckte. Als Ausgleich für sein liebesleeres Leben war der Onkel dagegen seinem unförmigen, stets missgelaunten Dackel Schätzchen völlig hörig und erlaubte ihm Sachen, von denen Möpschen, unser Bernhardiner, nur träumen konnte. So nahm Schätzchen bei einem Diner selbstverständlich neben dem Stuhl seines Herrn Platz, der ihm, liebevoll mit ihm flüsternd, leckere Bissen vom Rehrücken zusteckte.

Ja, wo die Liebe hinfällt, und so finden sich in diesem Sammelband viele Variationen zu diesem Thema. Mit der Liebe kann es einem so gehen wie mit einem Lieblingsgericht: Plötzlich, von einem Tag zum anderen, steht es einem bis zum Hals oder man bleibt ein Leben lang daran hängen. Sie ist ein ewiges Hin und Her, voller Irrungen und Wirrungen, aber missen möchte man sie nicht, egal, ob sie glücklich oder unglücklich ist, egal, welches Geschöpf sie entfacht.

Denn, um noch einmal den ewigen Junggesellen zu Worte kommen zu lassen, der es sehr mit Sprüchen hatte: »Was ist das Leben ohne Liebesglanz? Ne alte Geige ohne Resonanz!«

1Die Augenweide

In der Verwandtschaft hieß sie die »wilde Emma«. Mutter nannte sie ein »enfant terrible« und Vater eine »Augenweide« oder, wenn er Mutter ärgern wollte, »den Lichtblick deiner Familie«. Über ihr Aussehen ging die Familienmeinung sehr auseinander. Eine Schönheit im landläufigen Sinne war sie nicht. Sie war ziemlich klein, hatte eine schlanke Taille, aber recht breite Hüften, und die winzige Nase über dem breiten Mund mit den kräftigen Zähnen gab ihr etwas von einem erstaunt blickenden Mops. Sie schmückte ihre kleinen, pummeligen Hände mit den nadelspitz gefeilten, auf Glanz polierten Fingernägeln gern mit vielen Ringen, was für ein junges Mädchen als ordinär galt.

Aimée, wie sie sich nennen ließ, war unsere jüngste Tante, und die Geschichten, die man sich bei den Familienzusammenkünften über sie erzählte, fanden auch wir Kinder hochinteressant, während wir bei den üblichen Gesprächen, wie: »Legen deine Hühner noch«, und: »Was zahlst denn du deiner Köchin« bei Tisch das große Zappeln bekamen.

Da gab es die von dem stoffeligen Baron aus Hinterpommern, der mit seiner Mutter, einer verwitweten Exzellenz, in einer Landschaft, die platt war wie ein Eierkuchen, und in einem Landhaus lebte, in dem aus Sparsamkeit kein Ofen vor November geheizt wurde. Seine Leidenschaft für Aimée fand bei ihr kein Echo. Für sie war er ein tölpelhafter langweiliger Mensch, der wie ein Kartoffelsack in den Sesseln herumhing, weder Walzer noch Tango tanzen konnte und sich selbst im Theater nicht von seinem grünen Lodenanzug trennte. Sie taufte ihn deshalb die »Grüne Joppe« und versetzte ihn gefühllos, wenn sie sich mit ihm verabredet hatte. Schadenfroh beobachtete sie, hinter der Gardine versteckt, wie er vergeblich an der Haustür klingelte, obwohl ihre Vermieterin, eine Witwe mit besseren Tagen, sagte, sie trete ihr Glück mit Füßen, und warnte: »Ach wie bald, ach wie bald …« Doch Tante wollte nicht an die Zukunft denken, die war ihr schnurz, und so kehrte denn die Grüne Joppe schließlich entmutigt wieder in sein Dorf zurück. Unrasiert und verzweifelt betrat er das Zimmer seiner Mutter, die gerade über einer Patience brütete. Die Exzellenz musterte ihn besorgt und fragte: »Was ist, hat die Bank die Hypothek gekündigt?«

»Ach, wenn es das nur wäre«, sagte gleichgültig ihr sonst so gewissenhafter Junge, ließ sich in einen Stuhl fallen und stöhnte: »Sie will mich nicht, sie will mich nicht.«

»An der hast du nun wirklich nichts verloren«, sagte Exzellenz aufgebracht und schmiss die Karten zusammen. »Mädchen solcher Sorte heiratet man doch nicht.«

»Dabei ist der alte Drache nicht mal eine ›geborene‹, sondern nur eine ›gewisse‹.« Mutter war jedesmal wieder aufs Neue in ihrer Familienehre gekränkt, wenn die Rede darauf kam.

Aimées Vater war im Ersten Weltkrieg gefallen. Mutter und Tochter lebten von einer bescheidenen Offizierspension. Lange Zeit hatte sich Aimées Mutter über ihre extravagante Tochter gegrämt, bis sie es satt bekam, von der Verwandtschaft abwechselnd bedauert oder belehrt zu werden.

»Meine Emma ist eben nicht so wie eure Töchter mit Perlenketten und Siegelringen und Schuhen à la Potsdam. Meine Emma, die hat Pfiff«, verteidigte sie ihr Kind. Tatsächlich wurde über Aimée so viel geredet und sich entrüstet, dass man sich auf den Familientagen um sie riss.

Wo sie auftauchte, war etwas los, auch wenn sie nichts Besonderes anstellte. Sie ging mit Onkel Karl in Berlin in den »Wintergarten«, und schon platzte während der Wasserpantomime das Becken. Die Ballettmädchen wurden ins Orchester geschwemmt, und Onkel und Aimée saßen bis zu den Knien im Wasser. Das Glanzstück war ihr Auftritt bei einer Oberin im Krankenhaus, wo sie sich als Kinderschwester vorgestellt hatte. Die wilde Emma missfiel der Oberin gründlich. Schon die Art, wie sie ihr die Zeugnisse präsentierte, regte sie auf. Mit einer verächtlichen Handbewegung fegte sie die Mappe auf den Fußboden und sagte: »Lernen Sie erst mal, wie man sich bewirbt.«

Aimée sammelte die herausgefallenen Papiere wieder ein, erhob sich und sagte: »Wissen Sie was, Sie können mich mal.«

Noch nie in ihrem ganzen Diakonissenleben hatte die Oberin solche Worte aus dem Munde einer Schwester gehört, aber sie zeigte sich Aimée gewachsen. Ihr schmallippiger Mund kräuselte sich zu einem kalten Lächeln, als sie ohne jede Regung antwortete: »Liebes Kind, das möchte ich gar nicht, und nun gehen Sie mit Gott, und lassen Sie sich nie wieder blicken.«

Wir erfuhren, dass Aimée sich von einem Schock erholen musste, nachdem es in ihrem Mietshaus eine schwere Explosion gegeben hatte, und freuten uns mächtig, als es hieß: »Morgen kommt eure Tante.«

Während sie schlief, war die halbe Stuckdecke heruntergekommen und hatte Tantchen mit Gips und Mörtel zugedeckt. Außer ihrem geliebten Grammophon und dem Glas mit einem einsamen Goldfisch hatte sie nur ihr nacktes Leben retten können. Das mit dem nackten Leben war wohl nicht so wörtlich zu nehmen, denn sie stand in einem eleganten, mit Affenfell verbrämten Tuchkleid vor uns und hielt uns hoheitsvoll die Hand zum Kuss unter die Nase.

»Du siehst mitgenommen aus«, sagte Mutter mitfühlend, »wir werden dich ein wenig aufpäppeln müssen.« Den ersten Tag frühstückte Aimée deshalb im Bett. Mutter und ich leisteten ihr Gesellschaft.

»Wenn ihr wüsstet, was ich alles erlebt habe, ihr würdet Augen machen.« Aimée streckte sich wohlig.

»Los, vorwärts, erzähl«, feuerte Mutter sie wie ein Gespann an.

»Wo fang ich an, wo hör ich auf …« Tantchen biss gierig in eins von Mamsells köstlichen Brötchen, Pummelchen genannt, sodass das Johannisbeergelee heruntertropfte.

»Da gibt es jetzt in Berlin einen Diplomaten, einen Ungarn. Man nennt ihn ›Servus Kaktus‹, weil er ganz versessen auf Kakteen ist. Ich hab ihn auf einem Hausball bei Freunden kennengelernt. Ein himmlischer Tänzer! Danach hat mich dieser ›Küss-die-Hand-gnädiges-Fräulein-Typ‹ zum Katerfrühstück eingeladen …«

»Und bist du hingegangen?«

»Glaubst du, ich lass mir ein gutes Frühstück entgehen, wo ich so knapp bei Kasse bin? Außerdem war ich auf die Wohnung neugierig.«

Unsere Aimée hatte sich also fröhlich auf den Weg gemacht. Zu ihrem Erstaunen öffnete ihr der Hausherr selbst. Er war noch im Morgenrock, und Aimée dachte: »Verdammt, du bist mal wieder viel zu früh.« Denn sie konnte keine weiteren Gäste entdecken. Das Wohnzimmer, in das er sie führte, war äußerst luxuriös eingerichtet. Allein die großen Vorhänge mussten ein Vermögen gekostet haben.

»Seide?«, fragte Mutter kennerisch. Tante nickte. »Und erst die Teppiche hättest du sehen sollen. Pyramidal!« Sie hatten ein wenig über den vergangenen Abend geplaudert und ein Gläschen Sekt getrunken, was bei ihr auf nüchternen Magen schnell zu einem Schwips führte. Dann, ziemlich abrupt, war ihr Gastgeber aufgestanden und hatte gesagt: »Wenn gnädiges Fräulein mich einen Augenblick entschuldigen wollen.« Bei diesem Punkt ihrer Erzählung fing die wilde Emma an zu kichern, und Mutter sagte: »Mach’s doch nicht so spannend.«

»Du wirst dich wundern«, prophezeite Aimée, ehe sie fortfuhr: »Er lässt mich also allein, und ich wandere in der Wohnung herum und betrachte mir den teuren Krimskrams auf den Tischchen, da ist er auch schon wieder zurück und sagt hinter mir: ›Ich bin soweit.‹ – ›Für was?‹, frage ich dumm, während ich mich umdrehe, und was sehe ich?« Sie streute sich Salz aufs Ei. »Was sehe ich? Der Mensch ist nackt!«

»Nackt«, echote Mutter voller begeistertem Entsetzen, und ich gab keinen Muckser von mir, um nicht aus dem Zimmer geschickt zu werden.

Hatte Tantchen empört die Flucht ergriffen? Hatte sie ihm zur Verteidigung ihrer Tugend ihre Handtasche ins Gesicht geschleudert?

Nichts davon. Sie meisterte die Situation, wie es sich für ein Mädchen von Stand gehört: weder ängstlich noch tutig. Sie tat, als sei es das Alltäglichste von der Welt, neben einem nackten Mann zu sitzen und sich mit ihm zu unterhalten. Sie hatte eine distanzierte Konversation geführt. Über das herrliche Wetter. Über das letzte Pferderennen. Über eine Ausstellung. Dann stand sie wie von ungefähr auf, richtete ihr Haar ein wenig vor einem Barockspiegel und ging, weiterplaudernd, von ihm begleitet zur Haustür, wo sie sich höflich voneinander verabschiedeten. »Ein n-a-k-t-e-r Mann, der dir einen Handkuss gibt, hast du so was schon mal erlebt?« sagte Aimée und sah kein bisschen schockiert aus.

»Nackt schreibt sich mit ck«, sagte ich unbedacht.

Mutter fuhr herum. »Wieso bist du nicht längst im Esszimmer? Der Unterricht fängt gleich an, und du hast noch nicht gefrühstückt.

Ich trollte mich maulend, erzählte jedoch gleich jedem im Haus diese phantastische Geschichte.

»Hast du schon mal einen nackten Mann gesehen?«, fragte ich meine Schwester Vera.

»Hunderte«, sagte sie. Sie war wütend, dass ich mit dieser Geschichte hausieren gehen konnte und nicht sie.

Mit Tantchen kam Leben in die Bude, wie mein Bruder Billi es ausdrückte. Ihre ungestüme Fröhlichkeit ließ das Haus erzittern. Sie sang Lieder wie »Der Neger hat sein Kind gebissen« oder »Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist«, ritt Wintermärchen zum Schmied und begleitete Vater in Billis Schmierstiefeln in den Wald. Gemeinsam mit unserer Hauslehrerin probierte sie neue Schönheitsmittel aus, klatschte sich Eigelb mit Quark vermischt ins Gesicht und benutzte fleißig zur Hüftmassage Fräulein Webers Punktroller, der wie ein Nudelholz aussah.

Nur wenn die Zeit unserer Postfrau gekommen war, wurde sie unruhig. Sie strich in der Küche herum, wo die Postbotin ihren Kaffee zu trinken und mit Mamsell zu klatschen pflegte, oder hielt auf der Dorfstraße nach ihr Ausschau.

»Der Ungar scheint ihr noch ganz schön im Kopf herumzuspuken«, meinte Vater.

»Ich bitte dich, Alfred«, sagte Mutter, »das war doch nur eine Episode.«

Zwar brachte die Postfrau nichts für Aimée. Dafür kam der Bäcker mit dem Brotwagen auf den Hof gefahren und übergab uns einen mittelgroßen Kranz aus Douglaszweigen und Moosröschen.

»Was soll’n wir denn damit«, wunderte sich Mutter. »Ich wüsste nicht, dass jemand im Dorf gestorben ist, und außerdem binden wir unsere Kränze selbst.«

»Zurücknehmen tu ich ihn aber nicht«, verwahrte sich der Bäcker. »Brettschneider hat ihn mir mitgegeben, und da wird es schon seine Richtigkeit haben.«

Es herrschte im Haus einige Verwirrung, bis sich herausgestellt hatte, wie der Irrtum zustande gekommen war. Der geheimnisvolle Ungar hatte anscheinend bei Brettschneider ein Blumengebinde für Aimée bestellt. Und ein Gebinde war für den Gärtner nun mal ein Kranz, ein Kranz mit Schleife und Inschrift »Ruhe sanft«. Tantchen lachte, dass die Tauben vom Dach hochflogen und erschreckt zu kreisen begannen, zupfte sich einen Strauß Röschen aus dem Kranz und verschwand singend im Haus. Weil niemand für den Grabschmuck Verwendung hatte, wurde er auf das Grab von Argos Vorgänger im Garten gelegt. Der Pastor bemerkte es bei seinem Besuch am Nachmittag mit leichter Missbilligung.

»Treiben Sie den Kult mit den Tieren nicht ein wenig weit, lieber Graf?«

»Wie recht Sie haben«, sagte Vater und warf Aimée einen spöttischen Blick zu.

In derselben Woche bekamen wir unverhofften Besuch. Ein Jüngling mit Lodenmantel platschte durch die Pfützen auf das Haus zu.

»Ein Vertreter«, sagte Mutter.

»Oder jemand, der Holz will.« Vater wollte sich verdrücken. »Ich bin nicht da.«

»Die Grüne Joppe«, rief Emma. »Wie hat’s denn den hierher verschlagen?«

»Ich dachte, die Sache wäre längst ausgestanden«, sagte Mutter.

»Hoffentlich bleibt er nicht über Nacht.« Vater fühlte sich in seiner Gemütlichkeit gestört.

»Als wenn du die Arbeit davon hättest.« Mutter spähte durch die Gardine nach dem Fremden. Der hatte sich unterdessen der Veranda genähert. Ein drohendes Knurren aus Argos Kehle, der dort ein Verdauungsschläfchen hielt, ließ ihn unschlüssig verharren.

»Nun bring einer von euch schon den Hund weg, und lasst ihn herein.« Mutter öffnete einladend die Tür.

Der Baron trampelte in schweren Gamaschenstiefeln in den Flur und hängte seinen altmodischen Hut auf den Haken. Ein redseliger Typ war er gerade nicht. Schweigend schaufelte er eine große Portion Kartoffelbrei mit Sauerkraut in sich hinein, wobei er gleichzeitig die wilde Emma mit seinen Blicken verschlang.

Eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem Bernhardiner, wenn der das Butterfass anstierte, aus dem irgendwann für ihn die herrliche Buttermilch fließen würde, war ihm nicht abzusprechen. Mutter fragte ihn nach der alten Exzellenz und Vater nach der Ernte vom letzten Jahr, nach Schweine- und Zurückerrübenpreisen. Allmählich begann er aufzutauen. Bald sprach er ebenso ausführlich wie bewundernd von seinem Zuchtbullen, sodass man fast den Eindruck hatte, es handle sich um einen Zwillingsbruder von ihm. Nach jedem Satz machte er eine Pause, pickte Brotkrumen vom Tisch, rollte sie zu Kügelchen zusammen und schob sie sich in den Mund. Wahrscheinlich brauchte sein Gehirn viel Heizstoff, um weitere langweilige Gedanken produzieren zu können.

Seine Leidenschaft für Aimée machte ihn dickfällig. Er fragte Mutter rund heraus, ob er ein paar Tage bleiben dürfe, und ihr blieb nichts anderes übrig, als »Aber gern, lieber Baron« zu sagen. Es wurde eine Woche, an die wir mit Schaudern zurückdachten, denn er gab uns das Gefühl, dass wir unfreundlich und ungastlich waren und ihn ebenso ablehnten, wie Aimée es tat. Mutter, die sonst mit Begeisterung die Vermittlerin zu spielen pflegte, blickte lustlos in ihre Kaffeetasse, wenn der junge Mann ihr sein Herz ausschütten wollte.

»Warum muss er sich ausgerechnet unser Haus für sein Unglück aussuchen«, stöhnte Vater.

»Dabei macht sie aus ihrem Herzen wahrlich keine Mördergrube«, seufzte Mutter.

»La belle et la bête«, sagte Vater.

»Du und deine Augenweide«, sagte Mutter spitz. »So eine Schönheit ist sie weiß Gott nicht, die wird später mal aufgehn wie ein Hefekuchen.«

»Andererseits«, sagte Vater, »weiß man bei einer Frau nie so recht, woran man ist. Du zum Beispiel hast mich auch ganz schön zappeln lassen.«

Mutter lachte geschmeichelt. »Bitten und betteln musste ich«, fuhr Vater galant fort.

Endlich sah unser Gast ein, dass er keinen Grund hatte, unsere Gastfreundschaft noch länger in Anspruch zu nehmen. »Du hättest ruhig ein bisschen liebenswürdiger sein können.« Jetzt, wo der Baron abreiste, tat er Mutter leid.

»Soll er doch bei seinem Bullen bleiben«, sagte Emma herzlos.

Wenig später verließ auch sie uns. Es zog sie in die Großstadt zu ihren Freunden zurück.

 

Sie geriet bei uns ein wenig in Vergessenheit, weil andere aufregende Dinge im Dorf passierten. Erst brach sich Opa Klose ein Bein, weil er in blinder Habgier auf eine Eiche geklettert und bei dem Versuch, sein Leseholz durch einen ordentlichen Ast zu vermehren, heruntergefallen war. Eine Woche später brannten in der Gegend hintereinander drei Scheunen bis auf die Grundmauern ab, sodass Vater, aus Angst, ihm könne dasselbe passieren, halbe Nächte mit der Büchse draußen herumrannte. Die Jungfer Zech erzählte überall im Dorf, in unserem Backofen hinter der Scheune wären Geister; sie hätte gräuliches Gefauche und Gefiepe gehört. So öffnete Billi die Backofentür nur mit äußerster Vorsicht, und ein verängstigtes, ganz mit Mehl bestäubtes Käuzchen, das irgendwie durch den Schornstein gerutscht war, blickte uns entgegen.

Mutter, die mit der gesamten Verwandtschaft ausgiebig korrespondierte, bekam gelegentlich Hinweise über Tantchens Lebenswandel. Sie war mit dem Ungarn in Monte Carlo gesehen worden, und man konnte froh sein, dass ihr armer Vater das nicht mehr miterlebte.

Ein halbes Jahr verging, als uns die Postfrau mit wissender Miene eine Heiratsanzeige auf den Billardtisch legte. Mutter warf einen Blick auf die Handschrift. »Hat sie ihn nun endlich geheiratet.« Sie klappte den Umschlag auf. Doch Mutter hatte sich geirrt. Der Name des Ehemannes war den Eltern nur vage bekannt.

»Was sagst du dazu, Alfred?«

»Wahrscheinlich hat er ’ne Menge Kies«, vermutete Vater. »Mit Diplomaten ist das so eine windige Sache, und Aimée braucht nach ihrem unruhigen Leben Sicherheiten.«

Bei ihrer jährlichen Verwandtenreise richtete es Mutter ein, auch bei dem jungen Paar hereinzuschauen.

Als sie nach vier Wochen wieder zurückkam, waren wir sehr gespannt, was es über die wilde Emma zu berichten gab.

»Also, du kamst an«, sagte Vater, um die Geschichte in Gang zu bringen.

»Dreimal musste ich umsteigen«, erzählte Mutter, »und dann habe ich erst eine Weile auf dem Bahnhof herumgestanden, bis ich begriff, dass dieser schäbige Einspänner mit dem schlafenden Kutscher für mich bestimmt war. Ich sage euch, so bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht durchgeschuckelt worden! Der Kerl fuhr wie ein Rasender! Und dann, stellt euch vor, hielt er an und zog sich unterwegs Jacke und Hemd aus.«

»Wie unpassend.« Vater grinste uns an.

»Alfred, ich bitte dich, mit einem halbnackten Kutscher durchs Land zu fahren, wie kommt man sich da vor. Übrigens eine trostlose Gegend. Kein Baum, kein Strauch, nur Rüben, Rüben, Rüben!«

»Dann ist er reich«, sagte Vater andachtsvoll.

»Mag sein, aber gemerkt hat man davon wenig. Ich meine, wir essen ja auch einfach. Aber zu Ehren eines Gastes Steckrüben, da kannst du dir das viele Silber sparen.«

»Und wie war’s sonst?«

»Wenn du die Augenweide meinst, du hättest sie nicht wiedererkannt. Sie trägt jetzt einen Knoten und läuft mit einer weißen Zierschürze herum. Zur Hochzeit hat er ihr eine Bernsteinkette geschenkt.«

»Ist doch was Hübsches.«

»Zwölftausend Morgen Rübenboden und dann Bernstein! Aber was mich am meisten irritiert hat – Kinder, ich glaube, ihr geht jetzt mal ein bisschen raus.«

»Wozu denn? Noch unanständiger als der nackte Kutscher kann es ja bei dir nicht werden.«

»Meinetwegen«, sagte Mutter. »Jeden Morgen früh um sieben eine Andacht mit dem gesamten Personal. Er liest aus der Bibel, und dann wird gemeinsam ein Choral gesungen.«

»Das arme Kind.«

»Das arme Kind? Was heiratet sie in so eine bigotte Familie.«

»Mich jagst du auch jeden Sonntag in die Kirche. Außerdem, Geld regiert die Welt.«

»Geld! Der ist so geizig, dass er jeden Briefumschlag noch einmal verwendet. Mein Bettlaken im Gastzimmer hättest du sehen sollen. Es war so geflickt, dass mein Rücken ganz wundgescheuert ist.«

»Und wie ist er so? Ich meine als Mann. Irgend etwas muss ja an ihm dran sein. Aimée war da immer sehr wählerisch.«

»Wenn du’s genau wissen willst, der Abklatsch von der Grünen Joppe«, sagte Mutter.

2Denn die Freude, die wir geben

So gut hast du es wirklich lange nicht gehabt, dachte Nora und stellte die Dusche heißer. Und dafür wirst du auch noch bezahlt!

Schon zwei Wochen lang leistete sie Frau Freytag Gesellschaft. Anders konnte man ihre Tätigkeit kaum bezeichnen. Frau Freytag kochte und backte selbst, und jeden zweiten Tag kam eine Putzfrau.

Lilo hatte Nora erst überreden müssen, das Angebot anzunehmen. »Die alte Dame wohnt zwar mit ihrer Tochter Inge zusammen«, beruhigte sie Nora, »aber es gibt zwischen ihnen keine Schwierigkeiten. Sie geht ganz ihre eigenen Wege und ist ebenso patent wie Inge. Außerdem, du hast doch Inge bei mir kennengelernt. Hattest du da den Eindruck, dass sie sich so leicht unterbuttern lässt?«

»Eigentlich nicht«, gab Nora zu. »Hat sie wohl einen Freund?«

»Man munkelt etwas von einem verheirateten Mann«, sagte Lilo. »Sie ist ja nun auch schon um die Vierzig.«

Die Achtzigjährige wohnte mit ihrer Tochter Inge in einem Vorort der Stadt, in der Nora lebte. Da die Tochter während ihres Urlaubs die Mutter nicht allein lassen wollte, sprang Nora für sie ein.

Gegenüber alten Damen, die mit ihren längst erwachsenen Töchtern noch so innig verhakt waren, fühlte Nora eine gewisse Skepsis. Sie hörte über diese Art der »Verfilzung« genügend Unerfreuliches. Selbst Frauen in verantwortungsvollen Positionen, die es an Durchsetzungsvermögen durchaus mit ihren männlichen Kollegen aufnehmen konnten, gelang es nicht, sich bei ihren Müttern zu behaupten. Abendeinladungen nahmen sie deshalb auch nur mit gewissen Bedenken an und sahen ab elf nervös auf die Uhr: »Mutter wartet!« Hatte die Tochter Gäste zu Hause, ließ die Mutter sich bei der Begrüßung zwar nicht blicken. Dafür kam sie dann mitten im Gespräch dauernd ins Zimmer gewuselt: »Lassen Sie sich bitte nicht stören, ich hab nur kurz eine Frage …« Schließlich verlor man den Faden, die Unterhaltung versandete, und die Gäste brachen etwas verlegen auf. Während sie sich den Mantel anzogen, war die Mutter irgendwo im Hintergrund und ermahnte die Tochter: »Kind, vergiss nicht, die Tür abzuschließen …«

Inge arbeitete als Fürsorgerin in einem Stadtteil mit hoher Jugendkriminalität, und ihre gelassene Autorität wurde auch von Rockern und Punkern respektiert. Sie besuchten sie sogar hin und wieder in ihrem Amtszimmer, flegelten sich auf den Stühlen herum und scherzten, wenn sie ihnen die Leviten las, voll ruppiger Zuneigung: »Mal wieder flexibel wie ’n Kriegerdenkmal, was?«, ehe sie mit knallenden Stiefelabsätzen davonmarschierten.

Inges kleine, abgeschlossene Wohnung, in der Nora Quartier bezogen hatte, war ein ausgebauter Dachboden und lag über den Räumen der alten Dame. Über eine Treppe vom Flur aus konnte man sie erreichen. Die verwinkelten beiden Zimmer waren mit ein paar hübschen alten Stücken ausgestattet. Das Haus selbst lag in einem verwilderten Garten hinter Rotdornhecken und Schneeballbüschen versteckt, die allerdings jetzt im Dezember mit Papier und Bierdosen verunziert waren und den Blick auf eine Einbahnstraße freigaben. Unten wartete gewiss wie immer ein liebevoll zubereitetes Frühstück auf Nora, mit Aufschnitt, Marmelade, Honig, einem Ei und vorzüglichem Kaffee.

In den ersten Tagen hatte es um das Frühstück einen höflichen Streit gegeben. Frau Freytag war der Ansicht: »Am besten frühstücken wir, wenn Sie ausgeschlafen haben. Wenn ich Sie oben herumlaufen höre, setze ich das Kaffeewasser auf.«

»Aber dafür bin schließlich ich da«, sagte Nora.

»Lassen Sie mir doch die Freude«, erklärte Frau Freytag.

Nora hörte den Wasserkessel pfeifen. Ehe sie das Zimmer verließ, hakte sie die Fensterflügel ein, hängte die Waschlappen an die Haken über dem Waschbecken, statt sie über den Rand der Badewanne zu legen, wie sie es am ersten Tag getan hatte. Frau Freytag, die gerade mit Obst und Mineralwasser nach oben gekommen war, hatte das moniert und gebeten, auch die Blumenvase nicht auf den Schreibtisch zu stellen. »Das gibt so leicht einen Rand!« Nora fügte sich gutmütig. Alte Menschen waren nun mal besonders hartnäckige Gewohnheitstiere.

Alte Menschen! Frau Freytag war zwanzig Jahre älter als sie. Der Altersunterschied war genauso groß zwischen ihr und Inge, aber der war ihr kaum bewusst. Auch war die Achtzigjährige beweglicher als Nora und ging mit der Zeit. Sie machte stundenlange Spaziergänge und verstand nicht, dass Nora so schnell müde wurde. Im Fernsehen hörte sie sich gern politische Diskussionen an, während Nora viel lieber einen Krimi sah, bei dem sie nicht denken musste. Die alte Dame hatte sich sogar ehrenamtlich für die Telefonseelsorge zur Verfügung gestellt. Sie lud Nora zweimal in moderne Theaterstücke ein, die diese nicht verstand, und schwärmte von Beuys.

Es war Nora sehr unangenehm gewesen, dass sie gleich in der ersten Woche eine fiebrige Erkältung bekommen hatte und ins Bett musste. Aber Frau Freytag zeigte sich besorgt und pflegte sie rührend, wenn auch auf etwas altmodische Art mit Wadenwickel, Schwitzkur und einem selbstgebrauten Kräutertee, den sie ihr, frisch aufgebrüht, stündlich hinaufbrachte.

»Vielen Dank!« Nora schüttelte sich, der Tee schmeckte wirklich grauenhaft. »Hoffentlich stecke ich Sie nicht an.«

Frau Freytag strahlte sie mit ihren immer noch erstaunlich blauen Augen an. »Mich? Ich hab ’ne Rossnatur. Inge ist da viel empfindlicher. Vorsicht!« Sie nahm Nora die Tasse ab. »Dass kein Fleck auf die Steppdecke kommt. Sie ist so umständlich zu reinigen.«

Nora setzte sich an den Frühstückstisch. Gerührt betrachtete sie den Weihnachtsmann aus Schokolade, der vor ihrem Teller stand. Auf dem Adventskranz brannten zwei Kerzen, denn es war der zweite Advent. Der Duft von Bohnenkaffee und Tannennadeln erfüllte sie mit Behagen. Inge wusste gar nicht, wie gut sie es mit ihrer Mutter getroffen hatte.

Nora dachte an ihre eigene Mutter, die auf der Flucht umgekommen war. Von einer Minute zur anderen hatte sie, die von den Eltern Verwöhnte, Verantwortung übernehmen und für sich selber sorgen müssen. Sie erinnerte sich an das Krankenhaus, in dem sie nach dem Krieg mit Typhus gelegen hatte. Fünfundzwanzig war sie damals gewesen und in einem Saal mit dreißig anderen Frauen untergebracht. Als sie eines Tages merkte, dass sie plötzlich fast taub war, schrie der Arzt ihr tröstend ins Ohr: »Manche werden auch blind davon! Vielleicht haben Sie ja Glück, und es gibt sich wieder.« Noch schwach und zittrig wurde sie sehr schnell wieder entlassen, denn Betten waren knapp, und auf dem Bauernhof wartete bereits der Vater darauf, von ihr versorgt zu werden.

Für die nächste Tasse Tee bedankte sie sich besonders herzlich. Frau Freytag wehrte ab. »Es macht mir doch Spaß. Und Sie kennen sicher den Spruch:

Willst du glücklich sein im Leben

trage bei zu andrer Glück;

denn die Freude, die wir geben,

kehrt ins eigene Herz zurück!«

Sie lachte. »Den Vers hat mir meine Mutter ins Poesiealbum geschrieben.«

»Ihre Tochter ist wirklich zu beneiden«, sagte Nora aus ehrlichem Herzen. »Und dann diese gemütliche Wohnung mit den schönen alten Möbeln. Der Sekretär ist ja ein Kunstwerk und sicher sehr wertvoll.«

»Das meiste stammt aus meiner Familie«, erklärte Frau Freytag. »Ich hab die Sachen Inge raufgestellt. Sie hat so viel Freude dran. Der Sekretär ist ihr Lieblingsstück, und ein alter Mensch wie ich kann gern darauf verzichten.«

 

Wenn sie hier schon das Leben einer bezahlten Drohne führte, wollte Nora wenigstens eine gute Zuhörerin sein, als sie wieder gesund war. Aber die alte Dame war viel erpichter auf das, was Nora zu erzählen hatte. Sie fragte nach ihren Eltern, nach der Flucht, nach ihrem Beruf. Nora redete und redete, bemerkte es und sagte beschämt: »Da bin ich ja ordentlich ins Schwatzen gekommen.«