Wie sie verschwindet (Ein Mia-North-FBI-Thriller – Buch Vier) - Rylie Dark - E-Book

Wie sie verschwindet (Ein Mia-North-FBI-Thriller – Buch Vier) E-Book

Rylie Dark

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Beschreibung

Quer durch den Südwesten werden Opfer eines umherziehenden "Jahrmarktmörders" gefunden. Das FBI steht vor einem Rätsel, und die flüchtige FBI-Agentin Mia North muss im Verborgenen helfen, den Fall zu lösen. Doch wird es ihr gelingen, diesen Mörder zu fassen und herauszufinden, wer ihr die Schuld in die Schuhe schieben will, während sie selbst auf der Flucht ist und von einem Elite-U.S.-Marshal gejagt wird? Oder landet sie am Ende selbst hinter Gittern? "Ein Meisterwerk. Ich konnte es nicht aus der Hand legen und habe bis zum Schluss nicht erraten, wer der Mörder war!"– Leserkommentar zu "Only Murder" Special Agent Mia North ist ein aufsteigender Stern am FBI-Himmel – bis sie durch eine raffinierte Intrige des Mordes beschuldigt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird. Als ihr durch einen glücklichen Zufall die Flucht gelingt, befindet sich Mia zum ersten Mal in ihrem Leben auf der falschen Seite des Gesetzes. Sie kann ihre kleine Tochter nicht sehen und hat keine Hoffnung, in ihr früheres Leben zurückzukehren. Ihr wird klar, dass der einzige Weg, ihr Leben zurückzugewinnen, darin besteht, denjenigen zu jagen, der ihr die Schuld in die Schuhe schieben will. Doch zuerst muss sie diesen Fall lösen, bevor der Mörder erneut zuschlägt. Die MIA NORTH-Reihe ist ein packender Krimi voller Action, Spannung und unvorhersehbarer Wendungen. Verlieben Sie sich in diese brillante neue Protagonistin, und Sie werden bis tief in die Nacht weiterlesen. Die Bände Nr. 5 und Nr. 6 der Reihe – "SEE HER GONE" und "SEE HER DEAD" – sind jetzt ebenfalls erhältlich. "Ich habe diesen Thriller verschlungen. Viele Wendungen und ich lag mit meinen Vermutungen völlig daneben ... Ich habe den zweiten Band bereits vorbestellt!"– Leserkritik zu "Only Murder" "Dieses Buch beginnt mit einem Paukenschlag ... Eine fesselnde Lektüre, und ich freue mich schon auf den nächsten Band!"– Leserkritik zu "SEE HER RUN" "Fantastisches Buch! Es war kaum aus der Hand zu legen. Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie es weitergeht!"– Leserkritik zu "SEE HER RUN" "Die Wendungen kamen Schlag auf Schlag. Ich kann es kaum erwarten, das nächste Buch zu lesen!"– Leserkritik zu "SEE HER RUN" "Ein Muss für alle Fans actiongeladener Geschichten mit packender Handlung!"– Leserkritik zu "SEE HER RUN" "Ich bin begeistert von dieser Autorin, und diese Reihe startet fulminant. Man liest atemlos bis zur letzten Seite und will mehr."– Leserkritik zu "SEE HER RUN" "Diese Autorin ist einfach der Wahnsinn! Sie wird es noch weit bringen!"– Leserkritik zu "ONLY MURDER" "Ich habe dieses Buch wirklich genossen ... Die Charaktere waren lebendig und die Wendungen großartig. Man liest bis zum Ende und will mehr."– Leserkritik zu NO WAY OUT "Diese Autorin kann ich nur wärmstens empfehlen. Ihre Bücher machen süchtig."– Leserkritik zu NO WAY OUT

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Seitenzahl: 304

Veröffentlichungsjahr: 2025

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WIE SIE VERSCHWINDET

EIN MIA-NORTH-FBI-THRILLER – BUCH VIER

Rylie Dark

Rylie Dark ist eine Bestsellerautorin, die für mehrere erfolgreiche Thriller-Reihen bekannt ist. Zu ihrem Werk gehören die sechsteilige SADIE PRICE FBI SUSPENSE THRILLER-Serie, die sechsteilige MIA NORTH FBI SUSPENSE THRILLER-Serie, die sechsteilige CARLY SEE FBI SUSPENSE THRILLER-Serie sowie die dreiteilige MORGAN STARK FBI SUSPENSE THRILLER-Serie.

Als leidenschaftliche Leserin und lebenslange Liebhaberin des Krimi- und Thriller-Genres freut sich Rylie über Nachrichten ihrer Leser. Besuchen Sie www.ryliedark.com, um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.

Copyright © 2022 von Rylie Dark. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung der Autorin in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln - elektronisch, mechanisch, als Fotokopie, durch Aufzeichnung oder auf andere Weise - reproduziert, verbreitet oder übertragen werden, es sei denn, dies ist im Rahmen des US-amerikanischen Urheberrechtsgesetzes von 1976 ausdrücklich gestattet. Dieses E-Book ist ausschließlich für den persönlichen Gebrauch lizenziert und darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Falls Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Sollten Sie dieses Buch lesen, ohne es gekauft zu haben oder ohne dass es ausschließlich für Ihren persönlichen Gebrauch erworben wurde, geben Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihr eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass Sie die Arbeit der Autorin respektieren.

Dies ist ein fiktionales Werk. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder Produkt der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv verwendet. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREIßIG

KAPITEL EINUNDDREIßIG

KAPITEL ZWEIUNDDREIßIG

KAPITEL EINS

Lookout Point, einer der wenigen Aussichtspunkte mit Blick über Dallas, war der perfekte Ort zum Knutschen.

Oder zumindest wäre er es gewesen, wenn Sadie McIntosh nicht völlig allein hier gewesen wäre.

Sie zog an ihrer E-Zigarette mit Erdbeergeschmack, in der Hoffnung, ihre Nerven zu beruhigen, und warf einen Blick auf das Display ihres Handys. Keine Nachrichten.

Warum dampfte sie überhaupt? Ihre Mutter behauptete, es würde Löcher in die Lunge brennen. Deshalb griff sie nur dazu, wenn sie wegen irgendetwas gestresst war. Bei dem Gedanken an ihre Mutter zwang sie sich, die Zigarette wegzulegen.

Stattdessen nahm sie einen weiteren Zug und schaute dann die Straße hinunter, in der Hoffnung, die Scheinwerfer seines alten Jeeps zu sehen, die die Dunkelheit durchschnitten. Aber da war nichts. Überall um sie herum standen Autos, die meisten stumm, einige wiegten sich leicht, die Scheiben beschlagen.

Niemanden kümmerte es, dass sie hier war.

Nicht einmal Mike. Vor allem nicht ihn.

Sadie seufzte. War das nicht das, wonach sich alle Siebzehnjährigen verzweifelt sehnten? Und hier hatte sie es ihm auf dem Silbertablett serviert. Die ganze letzte Woche hatte sie immer wieder erwähnt, dass sie hierher kommen wollte, um die Aussicht zu genießen. Alleine. Ein dezenter Wink mit dem Zaunpfahl. Alles, was er hätte tun müssen, war, die Hand auszustrecken und zuzugreifen.

Aber hatte er das jemals getan? Von wegen. Sie waren seit fast einem Monat zusammen, und sie hatte noch nie jemanden getroffen, der so kalt war.

Vielleicht ist er schwul, hatten ihre Freundinnen gesagt. Aber sie hatte ihnen versichert, nein, unmöglich. Er sei in sie verliebt. Er hatte es gesagt, mehrmals sogar. Und heute Abend sollte er es beweisen. Sie hatte ihm gesagt, wo sie sein würde, sich von Natalie auf dem Weg zur Arbeit hierher fahren lassen, und  ... nichts.

Vielleicht hatten ihre Freundinnen recht.

Seufzend ging sie eine Weile in der Dunkelheit umher, vorbei an den Autos, ihre Turnschuhe voller Steinchen. Dachte er, er könnte sie einfach so versetzen? Nein. Sie würde mit ihm Schluss machen. Das würde es ihm zeigen. Nicht, dass sie wirklich zusammen wären. Aber jetzt würde sie ihm unmissverständlich klar machen, dass es nie dazu kommen würde. Sie würde dafür sorgen, dass es am Montag in der Schule eine große Szene gab, und er würde um Vergebung betteln. Und sie würde sie ihm nicht gewähren.

Der Gedanke festigte sich in ihrem Kopf, während sie ging, bis ihr Handy piepste.

Sie zog es hervor und war erfreut, eine Nachricht von ihm zu sehen. Sorry, Babe. Will dich immer noch treffen. Bin ein bisschen spät dran.

Sie runzelte die Stirn, sprang dann auf einen alten Picknicktisch und tippte schnell: Ein bisschen zu spät? Ich warte schon seit einer halben Stunde!

Einen Moment später kam die Antwort: Ich geb mein Bestes.

Sie hämmerte in die Tasten: Gib dir mehr Mühe.

Seine nächste Nachricht kam viel zu schnell: Vergiss es. Ich brauch nicht, dass du mir auf der Pelle hockst. Ich häng lieber mit meinen Jungs ab.

Sie starrte auf die Worte, die sich in ihre Netzhaut einbrannten, ihre Finger zitterten. Dann tippte sie: SCHÖN!

Wütend schob sie ihr Handy in die Tasche ihrer Jeans und sprang vom Tisch. In der Ferne leuchteten die Lichter der Innenstadt von Dallas, hell und bunt wie ein Feuerwerk. Sie wandte sich ab und blickte zum Vollmond, der immer höher am Himmel aufstieg. Um sie herum glänzten die Autodächer im fahlen Mondlicht. In ihnen saßen Menschen zusammen, genossen einander, waren verliebt.

Und sie war allein.

„Michael Masterson, ich hasse dich, verdammt”, knurrte sie, steckte ihren Vape Pen in die Tasche und rannte los.

Als sie den Rand des Parkplatzes erreichte, sah sie die orangefarbenen Glühpunkte einiger Zigaretten. Eine Stimme rief: “Hey, Sadie, bist du das?”

Oh nein. Das waren diese Loser aus dem Sportunterricht, die sie immer in ihren kurzen Shorts anstarrten. Was machten die hier draußen?

Sie drehte auf dem Absatz um und lief geradewegs in den Wald, wobei Äste und Brombeeren ihr Gesicht und ihre nackten Beine streiften. Es war ihr egal. Sie wollte einfach nur weg von allen, die irgendetwas mit ihrer Highschool zu tun hatten. Ein Jahr. Noch ein Jahr, und sie könnte ihren Abschluss machen, aufs College gehen und nie wieder zurückblicken.

Hinter ihr knackte ein Ast.

Sie waren ihr gefolgt.

Hatte Natalie ihr nicht gesagt, dass dies eine hirnrissige Idee war? Sie hatte die Warnung ihrer besten Freundin in den Wind geschlagen, weil sie so versessen auf Mike gewesen war. Unzählige Male hatte sie diese Nacht in ihren Gedanken durchgespielt, sich ausgemalt, wie er sie küssen, berühren und begehren würde, inspiriert von den Liebesszenen ihrer Lieblingsfilme. Sie hatte sich alles so lebhaft vorgestellt, dass sie fest davon überzeugt war, es würde genauso ablaufen wie in ihren Träumen. Doch jetzt fühlte sie sich wie der letzte Trottel.

Ein kompletter Idiot, der nun in ernsthafter Gefahr schwebte.

Ein männliches Lachen ertönte hinter ihr, beängstigend nah. Sadie schluckte schwer, beschleunigte ihre Schritte und rannte auf eine Lichtung zu. Der Boden unter ihren Füßen war uneben, übersät mit schlammigen Furchen. Ihre Turnschuhe versanken darin.

„Danke, Mike, du hast meine Lieblings-Vans ruiniert”, murmelte sie verbittert und sprintete über das Feld, um allem und jedem zu entkommen.

Sie rannte so schnell, dass sie nicht bemerkte, was direkt vor ihr lag, bis ihr Fuß daran hängen blieb. Sie stürzte kopfüber zu Boden. Der Schlamm, vor dem sie sich so geekelt hatte, erwies sich als ihre Rettung, da er ihren Fall abfederte. Ihre Knie und Handflächen berührten ihn zuerst und sanken ein.

Einen Moment lang verharrte sie einfach auf allen Vieren, starrte auf das verfilzte Gras und atmete seinen erdigen Geruch ein. Der Gedanke, dass man sie auslachen würde, wenn jemand aus der Schule sie so sehen würde, beschäftigte sie so sehr, dass es ihr zunächst egal war, worüber sie gestolpert war.

Doch dann bemerkte sie, dass sich dem Erdgeruch etwas anderes beimischte. Etwas widerlich Süßes und Verdorbenes. Es roch, als wäre ein Tier verendet.

Und ihre Füße hatten sich in etwas Strähnigem und Nassem verfangen, das sie an die Mähne ihres Pferdes Blue erinnerte, wenn sie es im Regen ritt. Aber dies hier war kalt und klebrig, ein höchst unangenehmes Gefühl, das sich um ihre nackten Knöchel wickelte.

Mit angewiderter Miene richtete sie sich langsam auf und drehte sich widerwillig um. Sie hatte zerfetztes, blutiges Fell erwartet. Ein armes, totes Tier, das auf der Seite im Schlamm lag.

Doch was sie sah, übertraf ihre schlimmsten Vorstellungen.

Blondes Haar, blasse, grünlich verfärbte Haut mit der Blässe des Todes. Ein silbernes Armband an einem Arm. Nicht nur ein Körper, sondern zwei, verschlungen in einer Art krankem Liebesknoten, bei dem es unmöglich war zu sagen, wessen Arme und Beine zu wem gehörten.

Sie wandte sich ab und stolperte weiter, um Abstand zwischen sich und den grauenhaften Anblick zu bringen. Einige Augenblicke später, als ihr Verstand das Gesehene vollständig erfasst hatte, blieb sie schließlich stehen, ihr Herz raste wie wild.

KAPITEL ZWEI

Und wenn es das Letzte ist, was ich tue, ich werde Wilson Andrews zu Fall bringen.

Mia North saß auf dem Fahrersitz ihrer alten Limousine, umgeben von fast völliger Dunkelheit. Nur das schwache blaue Licht der Digitaluhr am Armaturenbrett durchbrach die Finsternis. Während sie auf die Ankunft ihres Partners wartete, wiederholte sie dieses Mantra immer wieder. Seit Monaten, seit der aufstrebende Senator ihr den Mord in die Schuhe geschoben hatte, ging ihr dieser Satz nicht mehr aus dem Kopf.

Und trotzdem war sie immer noch hier, schlich herum wie eine Verbrecherin. Immer noch auf der Flucht. Immer noch getrennt von ihrer Familie und ihrem Leben.

Und das alles ist seine verdammte Schuld.

Sie schloss die Augen und ließ sich von einer sanften Patsy-Cline-Melodie im Radio beruhigen. Wut half niemandem. Sie würde nur zu unüberlegten Entscheidungen und unnötigen Risiken führen. Jetzt, wo nicht nur der US-Marshal hinter ihr her war, sondern auch alle Menschen in Gefahr brachte, die sie kannte und liebte, musste sie vorsichtig sein.

Sie schnaubte. Ich bin die Königin der Kurzschlussreaktionen. Das hat mich wahrscheinlich überhaupt erst in diese Misere gebracht.

Sie setzte sich aufrecht hin, als ein Paar Scheinwerfer die Dunkelheit durchschnitt und auf den Hof der verlassenen Autowerkstatt einbog.

Das war er. David Hunter. Ihr Partner.

Sie seufzte. Ehemaliger Partner. Es war lange her, seit sie als FBI-Agentin mit Dienstmarke gearbeitet hatte, aber es war immer noch ein Teil von ihr. Sie sah sich selbst immer noch als FBI-Agentin, auch wenn man ihr das Abzeichen abgenommen hatte. Ihr ganzes Leben war an dem Tag zusammengebrochen, als man sie wegen des Mordes an dem Kinderschänder Ellis Horvath verhaftet hatte. Als sie zusah, wie Davids Wagen auf den Parkplatz fuhr, kamen die Erinnerungen an jene Nacht wieder hoch.

Sie hatte vorschnell gehandelt und war ohne auf David zu warten in das leere Lagerhaus gestürmt. Aber sie hatte einen triftigen Grund gehabt. Ellis hatte ihre Tochter Kelsey verfolgt, und sie hatte einen Anruf von ihm erhalten, der sie zu diesem Ort lockte. Sie wollte ihn zur Rede stellen, ein für alle Mal.

Und dann hatte sie ihn dort gefunden, erschossen.

Von wem, das wusste sie nicht. Sie hatte den wahren Täter nicht gesehen.

Aber Mia war der perfekte Sündenbock gewesen. Sie hatte ein Motiv, die Gelegenheit, die Mittel ...

Und dieser Mistkerl Wilson Andrews wusste es. Er hatte es getan, um die Spuren seines serienmordenden Bruders zu verwischen und zu vertuschen, was er wusste, damit er in den Senat aufsteigen und dabei ihr Leben ruinieren konnte.

Aber es war nicht leicht, einen Mann mit so viel Macht und Einfluss in die Knie zu zwingen. Sie stieß immer wieder auf Hindernisse, egal wohin sie sich wandte. Das Andrews-Imperium beherrschte einen Großteil der Stadt und hatte viele Leute in der Tasche. Dass sie so lange überlebt hatte, ohne erwischt zu werden, grenzte fast an ein Wunder. Jedes Mal, wenn sie ein neues Puzzleteil entdeckte, wurde ihr nur bewusst, wie groß und kompliziert das Puzzle wirklich war.

Dieses Mal hatte sie jedoch eine vielversprechende Spur.

Sein Name war Ernie Modesto, ein Auftragskiller, den Wilson Andrews angeheuert hatte, um Kevin Reynolds zu beseitigen. Kevin war der Polizist, von dem sie glaubte, dass er Ellis Horvath tatsächlich getötet haben könnte. Sie war über Kevins Leiche gestolpert. Sie hatte gesehen, wie Geld zwischen Andrews und Modesto den Besitzer wechselte. Sie wusste, dass Andrews hinter Gitter gehörte, nicht sie. Sie brauchte nur einen handfesten Beweis.

Leichter gesagt als getan.

Mia beobachtete, wie David Hunter seinen Wagen parkte und ausstieg. Er sah sich nach allen Seiten um, ging zum kaputten Nachtbriefkasten und steckte etwas hinein.

Dann stieg er genauso leise, wie er gekommen war, wieder in sein Auto und fuhr davon.

Als sein Wagen in Richtung Highway verschwand und seine Rücklichter im Verkehr untergingen, sah sie ihm nach und wünschte, sie könnte ihm etwas zurufen. Dieses einsame Leben bedeutete, dass sie seit Tagen mit niemandem mehr gesprochen hatte, nicht seit sie das Motel an der Grenze verlassen hatte, wo ihr Mann Aiden sie mit einer kurzen Umarmung und einem Kuss überrascht hatte. Aber mehr als das war unmöglich. Sie war fast völlig abgeschnitten von allen, die ihr etwas bedeuteten.

Sie wartete ein, zwei Minuten und ließ ihre Gedanken zu dem Fall an der Grenze schweifen. Es war eine frauenfeindliche Sekte gewesen, die sie mit Hilfe ihrer Schwester Francine infiltriert und aufgedeckt hatte. Es war eine gute Tat, eine Erinnerung daran, dass sie selbst im Verborgenen etwas Positives in der Welt bewirken konnte.

Doch das reichte nicht. Sie vermisste Francine. Sie vermisste Aiden. Und sie vermisste ihre Tochter Kelsey. Ihr Herz zog sich bei dem Gedanken an sie schmerzhaft zusammen.

In der Dunkelheit sitzend, fuhr sie sich mit den Händen übers Gesicht und sprach ein stilles Gebet, dass Davids Informationen sie der Wahrheit und ihrer Unschuld näherbringen würden.

Dann stieg sie aus dem Wagen.

Sie sah sich vorsichtig um, öffnete den Briefkasten und zog einen dünnen Umschlag heraus. Sehr dünn. Das enttäuschte sie. Sie hatte auf eine Fülle von Informationen gehofft, so viele, dass die Antworten offensichtlich wären.

Eilig kehrte sie zum Auto zurück, stieg ein und fuhr zu einem anderen Ort, dem Hinterhof eines Whataburger-Restaurants. Sie hatte gelernt, dass der Trick auf der Flucht darin bestand, nie zu lange an einem Ort zu verweilen, und in diesem Lokal war sie noch nie gewesen.

Als sie bei den Müllcontainern parkte, sah sie sich erneut um, um sicherzugehen, dass niemand in der Nähe war. Dann riss sie den Umschlag auf.

Es lagen ein paar frische Zwanziger bei, was sie dankbar zur Kenntnis nahm. Sie konnte ihre Kreditkarte nicht benutzen und war schon mehrmals fast pleite gewesen. Schnell steckte sie das Geld ein und entfaltete dann das einzelne Blatt Papier. Sie starrte auf die Nachricht:

Keine Spur von Ernie Modesto. Wir können keine Beweise finden, die ihn mit dem Mord an Kevin Reynolds in Verbindung bringen. Modesto hat Vorstrafen wegen Einbruchs und Körperverletzung, aber sonst nichts. Ich suche auch nach einem Hinweis auf ein “Mädchen” in Reynolds' Vergangenheit. Ich versuche, eine Liste von Reynolds' früheren Fällen aus diesem Jahr zu bekommen und werde weiter graben, aber es ist schwierig, da alle Augen auf mich gerichtet sind. Es sieht ziemlich düster aus.

Sie stöhnte frustriert auf. Da musste doch mehr sein. Ernie hatte ihr erzählt, dass der Beamte, bevor er Kevin Reynolds tötete, etwas von einem Mädchen erwähnt hatte. „Er bettelte um sein Leben wie ein Feigling. Dann sagte er etwas über ein Mädchen. Wie er sich damals hätte melden sollen, als er davon erfuhr. Er wiederholte immer wieder, wie sehr er es bereue.”

Was hatte er herausgefunden? Was bereute er? Ihre einzige Hoffnung war, dass es, was auch immer es war, mit Wilson Andrews zu tun hatte, und weil Kevin Zeuge davon gewesen war, hatte er mit seinem Leben dafür bezahlt. Wilson Andrews war das Letzte, obwohl seine Beliebtheit durch die Decke ging und die Medien behaupteten, er könne nichts falsch machen. Sie traute ihm durchaus zu, eine Beziehung mit einem minderjährigen Mädchen zu haben und dann sie und alle, die davon wussten, zum Schweigen zu bringen.

Wenn sie nur den entscheidenden Hinweis finden könnte. Diesen einen Faden, an dem sie ziehen könnte, um die ganze Sache aufzudecken. Sie hatte gehofft, dass eine Überprüfung von Ernies und Kevin Reynolds' Hintergrund eine Verbindung zu dem Horvath-Fall herstellen würde, der ihr angehängt worden war. Aber das hier  ... das fühlte sich wie eine Sackgasse an. David würde weiter nachforschen  ... aber was konnte er schon tun, wenn alle Augen auf ihn gerichtet waren?

Sie drehte das Papier um und entdeckte eine weitere Nachricht, die er in seiner grauenhaften Handschrift dorthin gekritzelt hatte.

Wenn Sie mir weitere Informationen zukommen lassen wollen, können Sie sie dort hinterlegen. Ich werde alle paar Tage vorbeischauen.

Das war immerhin etwas. Ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Aber es reichte nicht. Wenn sie herausfinden wollte, was in der Nacht, als Ellis Horvath ermordet und ihr der Mord angehängt wurde, wirklich geschehen war, musste sie sich mehr anstrengen. Sie musste auf eigene Faust mehr über Reynolds' Vergangenheit und die Identität dieses Mädchens herausfinden.

KAPITEL DREI

An jenem Morgen, nach einer ziellosen Nachtfahrt mit wirren Gedanken, lenkte Mia ihren Wagen auf den Parkplatz eines Diners in Ferris, einer Kleinstadt südlich von Dallas.

Eigentlich war es ihre einzige Aufgabe, sich zurückzuhalten und David die Nachforschungen über Kevin Reynolds' Vergangenheit und das Mädchen, von dem er vor seinem Tod gesprochen hatte, fortführen zu lassen. Doch es lag ihr nicht, anderen die Zügel zu überlassen und tatenlos zuzusehen.

Das Problem war, dass ihr auch nach der nächtlichen Fahrt nichts eingefallen war, was ihre Lage verbessern könnte. Ohne Zugang konnte sie nicht in den Akten stöbern und Reynolds' frühere Fälle durchforsten. In seine Wohnung zurückzukehren war auch keine Option, da diese inzwischen wohl ausgeräumt worden war. Dieses Mal war sie ganz auf Davids Gnade angewiesen.

So viel zum Thema, die Initiative zu ergreifen. Sie fühlte sich, als säße sie noch immer im Pferch fest.

Auf dem Parkplatz des heruntergekommenen Diners zählte sie ihr Geld. Zum Glück hatte Francine ihr ein paar Hundert Dollar zugesteckt, und mit Davids Bargeld war ihre Börse gut gefüllt. Da sie jedoch nicht wusste, wann sie das nächste Mal auf ein freundliches Gesicht treffen würde, musste sie damit haushalten.

Als sie zum Eingang ging, kam ihr ein Mann mit Cowboyhut entgegen. Er hielt ihr die Tür auf, und der Duft von Speck und Kaffee schlug ihr entgegen. Ihr Magen knurrte – seit über vierundzwanzig Stunden hatte sie nichts mehr gegessen.

„Howdy, Ma'am”, grüßte der Cowboy. Trotz seiner Freundlichkeit konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass er sie musterte.

„Hallo”, erwiderte sie mit gesenktem Blick.

Ein weiterer Mann kam heraus. Starrte auch er sie an?

Ich bin einfach nur paranoid, redete sie sich ein. Ein vertrautes Gefühl, besonders jetzt, da sie wusste, dass die Jagd auf sie intensiviert worden war. Sie erinnerte sich daran, dass sie vorsichtig war, nie zweimal denselben Ort aufsuchte, sich tarnte und ihre Spuren verwischte. Doch als sie durch die Tür trat, blieb das ungute Gefühl.

Zuerst überlegte sie, ob sie nicht besser verschwinden und woanders hingehen sollte. Aber ihr knurrender Magen gewann die Oberhand. Sie kramte einen Vierteldollar aus ihrer Tasche und schnappte sich eine Ausgabe der Dallas Metro News. Darin konnte sie wenigstens ihre Nase vergraben.

Sie steuerte auf den abgelegensten Platz in der hintersten Ecke des Restaurants zu. Als die Kellnerin kam, bestellte sie einen großen Kaffee und das Speck-Eier-Frühstück. Dann hob sie die Zeitung als Schutzschild zwischen sich und der Außenwelt.

Beim Durchblättern fiel ihr Blick auf eine Schlagzeile: “Senatskandidat Wilson Andrews trifft sich mit der Menschenrechtskoalition”.

Beim Anblick des Fotos, das ihn mit einer Gruppe gut gekleideter Personen zeigte, stöhnte sie auf. Sie hielten ihre verschränkten Hände in einer Siegespose hoch.

Am liebsten hätte sie ihm den Stinkefinger gezeigt. Sein Gesicht war so starr, so künstlich, dass es kaum zu glauben war, dass er in den Umfragen zehn Prozentpunkte vor dem nächsten Mitbewerber lag. Konnten die Leute nicht erkennen, was für ein Schwindler er war?

Offenbar nicht. Und seine Beliebtheit stieg weiter. Vor ein paar Wochen war sie kurz gesunken, als Jerry Andrews, sein Bruder, wegen mehrfachen Mordes verhaftet worden war. Aber danach? Der Himmel schien die Grenze zu sein.

Ich hasse dich, dachte sie, zwang sich aber weiterzublättern. Sein Foto mit starrem Blick anzustarren, würde ihr nicht das ersehnte Ergebnis bringen – nämlich Wilson Andrews endlich für all seine Missetaten zu entlarven. Sie musste handeln.

Aber solange David Hunter ihr nichts lieferte, waren ihr die Hände gebunden.

Mit einem tiefen Seufzer blätterte sie um, als die Kellnerin ihren Kaffee brachte. „Alles in Ordnung, Schätzchen?”, fragte die großmütterlich wirkende Dame lächelnd.

Mia bemerkte, dass sie die Zähne zusammenbiss. „Äh, ja. Danke.”

„Gut. Dein Frühstück kommt gleich. Sag Bescheid, wenn du noch was brauchst, ja, Schätzchen?”

Mia nickte und führte die Kaffeetasse an ihre Lippen. Der Inhalt war noch zu heiß zum Trinken, also atmete sie nur den Duft ein und ließ ihn ihre Nerven beruhigen.

Sie stellte die Tasse zurück auf die Untertasse und ihr Blick fiel auf einen Artikel in den oberen Lokalnachrichten.

JUNGES PAAR TOT AUFGEFUNDEN - VERMUTLICH DOPPELMORD

Die Polizei von North Dallas ermittelt weiterhin in einem Fall von tödlichen Schüssen, bei dem vergangene Woche ein Mann und eine Frau auf einem Feld in North Dallas ums Leben kamen.

Am vergangenen Samstagabend wurden Jason Delaney-Sawyer und Kiki Redbone, beide 18 Jahre alt und aus University Park, mit Schusswunden auf dem North Dallas Fairgrounds tot aufgefunden.

Obwohl bisher keine Festnahmen erfolgten und keine Verdächtigen öffentlich benannt wurden, erklärte der Polizeichef von North Dallas, Scott Tomkins, dass die Ermittler davon ausgehen, dass sich die beiden Opfer kannten und möglicherweise mehrere Schützen an ihrer Ermordung beteiligt waren.

„Wir kommen der Sache immer näher”, sagte Tomkins.

„Er war noch so jung”, äußerte sich Delaneys Tante Marsha Delaney. „Unsere Familie ist für immer zerrissen.”

Das Messegelände in North Dallas liegt etwa einen Kilometer von der Charson Loop Road entfernt, hinter einem großen Feld und einer Schotterstraße, gegenüber von Lookout Point, einem beliebten Treffpunkt für Jugendliche.

Tomkins berichtete, dass die Beamten reagierten, nachdem das Paar von einem Teenager gefunden wurde, der die Polizei um 22:42 Uhr alarmierte. Beide Opfer waren bereits tot, als die Polizei am Tatort eintraf, fügte er hinzu.

Mia starrte auf den Namen des Opfers. Delaney-Sawyer.

Warum kam ihr dieser Name so bekannt vor?

Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

Linda Delaney-Sawyer. Carolanns Mutter.

Carolann war in der dritten Klasse Kelseys beste Freundin gewesen - und war es vielleicht immer noch. Mia hatte sich in letzter Zeit nicht viel mit der High Point Elementary School beschäftigt, aber sie erinnerte sich gut an Linda Delaney-Sawyer. Von allen Müttern, die am ersten Schultag der ersten Klasse beim Elternabend dabei gewesen waren, war Linda die aufgeschlossenste und freundlichste gewesen. Mindestens einmal im Monat lud sie Kelsey zum Übernachten ein.

Mia und Linda hatten sich auf Anhieb gut verstanden und trafen sich gelegentlich auf einen Drink. Als Mutter eines Teenagers war Linda eine erfahrene Ratgeberin. Mia schätzte ihre sachliche, bodenständige Art in allen Belangen. Sie gab nicht an, um mit der neuesten Mode oder dem schönsten Auto auf dem Parkplatz zu protzen. Sie war nicht aufgesetzt. Sie war echt und man kam gut mit ihr aus.

Außerdem liebte sie ihre Kinder über alles. Ihre blauen Augen leuchteten, wenn sie von ihnen und all ihren Aktivitäten erzählte. Sie liebte Carolann, aber Linda sprach auch oft über Jason und darüber, dass er in ein paar Jahren aufs College gehen wollte, vielleicht an die SCAD, um Kunst zu studieren, da er ein begabter Maler war.

Doch jetzt war der arme Jason tot. Was war nur geschehen?

Mia musste an Kelsey denken und daran, wie es wäre, sie zu verlieren. Wie furchtbar. Die arme Linda musste am Boden zerstört sein.

Lange Zeit hatte Mia geglaubt, dass ihre eigene Situation - weit weg von der Familie und ständig auf der Flucht - das Schlimmste sei. Aber jetzt gab es da eine Frau, die mit einem noch größeren Albtraum zu kämpfen hatte.

Mias Herz schlug für sie. Sie las den Artikel wieder und wieder, und mit jedem Mal loderte das Feuer in ihr stärker. Lookout Point. Ich kenne diesen Ort. Es ist ein beliebter Treffpunkt für Teenager.

Und offenbar auch für Ärger.

Sie dachte kurz darüber nach, was aus der Welt geworden war. Diese Welt, in der die vermeintlich sichersten, harmlosesten Orte nicht mehr sicher waren. Wo das Böse ungehindert sein Unwesen treiben konnte und die Guten angegriffen wurden. Irgendetwas an all dem war so grundfalsch.

Sie las den Artikel erneut.

Keine Verdächtigen.

Es war schon schlimm genug zu erfahren, dass der eigene Sohn ermordet und auf einem Feld abgelegt worden war. Aber zu wissen, dass der Mörder noch auf freiem Fuß war? Nie Gewissheit zu haben, ob der Täter jemals gefasst oder vor Gericht gestellt werden würde, oder ob er wieder zuschlagen könnte? Das war noch unerträglicher.

Und sie waren so jung gewesen. Kaum mehr als Kinder, wahrscheinlich noch in der Oberstufe. Es wurde nicht erwähnt, aber vielleicht waren sie ein Paar gewesen und zu diesem Lookout Point gefahren. Doch was war passiert? Wie waren sie beide zu Tode gekommen? Waren sie in diesem zwielichtigen Gebiet an die falschen Leute geraten und hatten sich mit ihnen angelegt?

Mia dachte unwillkürlich an die üblichen Verdächtigen - Drogen, Gangs. Doch Linda hatte ihre Kinder stets an der kurzen Leine gehalten. An den Abenden, an denen sie gemeinsam ausgegangen waren, erinnerte sich Mia, wie Linda ihrem Ältesten ständig Nachrichten schrieb, um ihn im Auge zu behalten.

In ihrem Kopf häuften sich die Fragen.

Nein, Mia war definitiv nicht in der Lage, das zu untersuchen. Es könnte zu riskant sein.

Andererseits war es ihr auch früher schon gelungen, unter dem Radar zu bleiben und einige Fälle zu lösen. Vielleicht könnte sie das auch hier tun, um sich die Zeit zu vertreiben, während sie auf ein Lebenszeichen von David wartete?

Sie senkte die Zeitung und bemerkte, dass die Kellnerin ihr Essen gebracht hatte. Sie griff nach einer Gabel und biss in die Rösti. Sie waren kalt. Wie lange stand das Essen schon da? War sie so in die Geschichte vertieft gewesen, dass sie es nicht bemerkt hatte?

Ein Warnsignal. Sie durfte nicht unachtsam werden. Es würde reichen, wenn eine einzige Person sie erkennen würde, und das Spiel wäre aus. Sie musste ständig auf der Hut sein.

Misstrauisch sah sie sich um, aber niemand beachtete sie.

Mit einem erleichterten Seufzer machte sie sich über ihren kalten Teller her und beendete ihr Frühstück, während sie über den Fall Jason Delaney-Sawyer grübelte.

Es könnte doch nicht schaden, in Lindas Nachbarschaft vorbeizuschauen und sich ein wenig umzusehen, oder?

KAPITEL VIER

Linda Delaney-Sawyers Haus lag etwa anderthalb Kilometer von Mias Wohnviertel entfernt, auf der anderen Seite der Schnellstraße im University Park. Als Mia durch die vertrauten Straßen fuhr, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die Sonnenbrille auf der Nase, hielt sie Ausschau nach Polizeiwagen und kämpfte gegen den überwältigenden Drang an, in ihre alte Siedlung abzubiegen und vor ihrem ehemaligen Zuhause anzuhalten.

Aiden und Kelsey wären ohnehin nicht da. Es war Mittag, und sie waren vermutlich bei der Arbeit oder in der Schule.

Schule. Mias Herz machte einen Satz, als sie an dem einstöckigen Backsteingebäude der Park Elementary School vorbeifuhr. Sie stellte sich ihre neunjährige Tochter vor, wie sie in der vierten Klasse an einem Pult saß. Ihr Haar würde sie wahrscheinlich nicht zu Zöpfen geflochten tragen - das wäre für Aiden viel zu kompliziert. Und Zöpfe waren selbst zu der Zeit, als Mia noch Teil ihres Lebens war, ihrer Tochter viel zu kindisch gewesen. Also stellte sie sich vor, wie Kelsey einen Pferdeschwanz trug, in einem Buch las und vielleicht die Hand hob, um die Frage der Lehrerin zu beantworten.

Oder war gerade Pause? Sie wurde langsamer, als sie an dem Gebäude vorbeifuhr, und versuchte zu erkennen, ob Kinder auf dem Schulhof waren. Aber es war noch zu früh.

Seufzend wandte sie ihren Blick gerade noch rechtzeitig wieder nach vorne, als das Auto vor ihr zum Stehen kam. Sie trat auf die Bremse, der Wagen schlingerte nach vorn und kam nur wenige Zentimeter vor der Stoßstange zum Stehen. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war ein Auffahrunfall.

Schließlich hielt sie vor dem kleinen weißen Bungalow mit den schwarzen Fensterläden. Während sie im Leerlauf davor stand und überlegte, ob sie das wirklich durchziehen sollte, kamen ihr Erinnerungen an glücklichere Zeiten in den Sinn - wie sie Kelsey mit einem rosa Schlafsack und einem Kissen, das größer war als sie selbst, zur Haustür brachte und den Mädchen beim Spielen mit Wasserpistolen im Vorgarten zusah.

Sie schluckte schwer. Kelsey hatte zwar ihre Mutter nicht mehr, aber sie lebte immer noch ihr Leben, so gut sie konnte. Der arme Jason war für immer fort.

Mia fasste einen Entschluss, stellte den Motor ab, trat auf den Gehweg und eilte über den Rasen, wobei sie sich vergewisserte, dass keine Nachbarn zusahen. Dann hob sie den Türklopfer an und ließ ihn fallen, einmal, zweimal.

Sofort öffnete sich die Tür und eine Frau lugte heraus. Zuerst wirkten ihre dunklen, blutunterlaufenen Augen wie die einer Fremden, aber allmählich erkannte Mia Züge der Frau wieder, an die sie sich erinnerte - das blonde Haar, das jetzt zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden war, die schlanke, statuenhafte Figur. „Linda?”, fragte Mia.

„Oh, Mia”, sagte sie und öffnete die Tür weiter. Sie hielt sich eine Hand vors Gesicht und begann sofort zu weinen.

Mia trat ein und umarmte die Frau. „Ich habe davon gehört. Es tut mir so unendlich leid”, sagte sie. „Kann ich irgendetwas für dich tun?”

Linda schluchzte noch einen Moment lang an Mias Schulter, schniefte dann aber kräftig, wischte sich die Tränen ab und richtete sich auf. „Entschuldige. Ich versuche, stark zu sein. Für Carolann, weißt du”, sagte sie und blickte zurück, wahrscheinlich um zu sehen, ob ihr jüngeres Kind ihren Zusammenbruch mitbekommen hatte.

Mia lächelte in der Erwartung, dass Linda nach ihrer Flucht fragen würde, denn es war ja überall in den Nachrichten. Als Linda das nächste Mal sprach, klang ihre Stimme gefasster. „Bitte, komm rein. Ich habe gerade zu Mittag gegessen. Möchtest du auch etwas? Thunfischsalat. Nichts Besonderes.”

„Danke, das wäre toll”, sagte Mia und folgte ihr durch das Haus, vorbei an vielen gerahmten Bildern, auf denen der honigblonde Junge zu sehen war. Bei einem Abschlussfoto, das einen Jungen mit Haaren in den Augen, Mütze und Talar und einem schiefen Lächeln zeigte, hielt sie kurz inne.

Armes Kind, dachte sie und beeilte sich, Linda einzuholen. Sie fand sie in einer kleinen, L-förmigen Küche mit dunklen Schränken, wo sie Thunfisch auf Toastbrot strich. „Carolann! Das Mittagessen ist fertig!”, rief sie und legte ein Sandwich auf einen Teller.

Das kleine Mädchen tapste barfuß und in geblümten Shorts die Treppe hinunter, wobei ihr hüftlanges, glänzendes blondes Haar hinter ihr herwippte. Sie beäugte Mia vorsichtig, als sie ihr Sandwich und eine Limonade nahm. „Danke, Mama”, sagte sie leise.

Linda strich sich das Haar glatt. „Du erinnerst dich an Mrs. North, oder? Kelseys Mutter? Sag hallo.”

Sie nickte. „Hallo.”

„In Ordnung”, sagte Linda und scheuchte sie weg. „Du kannst im Wohnzimmer essen, vor dem Fernseher, wenn du möchtest.”

Das kleine Mädchen huschte davon, so schnell ihre Füße sie trugen. Linda stellte einen Snapple vor Mia hin, brachte zwei Teller herüber und schüttelte den Kopf. „Schade, dass wir uns aus den Augen verloren haben, nachdem ich Carolann zur Kunstschule gebracht habe. Was gibt's Neues bei dir?”

Mia starrte sie verblüfft an. War es möglich, dass sie es nicht wusste? Oder war sie so von Kummer überwältigt, dass sie es vergessen hatte? “Na ja ... du weißt schon ... du hast bestimmt die Berichte gesehen ... den Prozess ...”

Linda schüttelte den Kopf. „Ach Liebes, ich verfolge die Nachrichten nicht. Das habe ich dir doch schon gesagt. Und besonders jetzt nicht, wo Jasons Gesicht überall zu sehen ist.”

Sie wusste es also wirklich nicht. Bei der Gerüchteküche und Lindas freundlicher Art war es erstaunlich, dass sie nichts davon mitbekommen hatte. Oder vielleicht hatte sie es einfach verdrängt. „Ich war überrascht, dass draußen keine Medienvertreter waren.”

„Oh, die waren schon da.” Sie starrte auf ihr Sandwich und legte es dann beiseite. „Ich habe ihnen angedroht, sie umzubringen, wenn sie nicht verschwinden.”

„Und das hat funktioniert?” fragte Mia zweifelnd.

„Allerdings. Ich hatte eine Schrotflinte in der Hand, als ich es ihnen sagte.” Sie deutete auf das Sandwich. „Greif zu. Macht Kelsey die Schule Spaß? Vielleicht sollten wir versuchen, die Kinder mal für eine ��bernachtung zusammenzubringen. Ich bin sicher, Carolann würde sich freuen.”

Mia nickte. „Kelsey bestimmt auch.” Sie biss in ihr Sandwich. „Du hast sicher viel um die Ohren. War die Polizei schon hier?”

„Ja”, sie starrte wieder auf ihr Sandwich. „Ich war am Tag nach der Katastrophe dort und habe sie mit Fragen gelöchert. Ich verstehe einfach nicht, wie so eine Tragödie passieren konnte. Nicht bei Jason. Er war so ein guter Junge.”

„War er mit dem Mädchen zusammen?”

Sie nickte. „Kyrie. Aber sie nannte sich Kiki. Beliebt, typisch amerikanisch, hübsch. Aus einer guten Familie, die ganz in der Nähe deiner Wohnung wohnte. Die Redbones?” Sie hob eine Augenbraue, als wollte sie Mia fragen, ob sie die Familie kannte, aber Mia schüttelte den Kopf. „Sie waren schon ein paar Monate zusammen. Sie wollten im Herbst gemeinsam an die University of Texas in Dallas gehen. Sie haben sich so darauf gefreut.”

„Ich verstehe”, sagte Mia. „Das ist wirklich eine furchtbare Sache. Wei��t du, wohin sie unterwegs waren, als es passierte?”

„Sie sind einfach nur ausgegangen”, sagte sie leise. „Sie unternahmen gerne Ausflüge, gingen ins Diner, schauten einen Film und so weiter. Also habe ich mir nichts dabei gedacht. Er ist ein Muttersöhnchen, schreibt mir ständig, wo er ist, oder einfach nur, dass er mich liebt. Als er sich nach ein paar Stunden nicht meldete, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ich war außer mir, als er am nächsten Morgen nicht auftauchte. Ich traf mich mit Elle Redbone, Kikis Mutter, und erfuhr, dass auch sie vermisst wurde. Wir dachten nicht, dass sie weggelaufen wären; das würden sie nicht tun. Also haben wir alle angerufen, die sie kannten. Keiner hatte sie gesehen. Überhaupt niemand. Erst in der darauffolgenden Nacht, als ich mich gerade bettfertig machte, kam der Anruf. Und ich wusste sofort, dass er tot war.”

Mia schauderte bei dem Gedanken, einen solchen Anruf zu erhalten. Wie grauenvoll. Sie glaubte nicht, dass sie auch nur halb so gefasst wäre wie ihre Freundin. Linda versuchte, für ihre jüngere Tochter stark zu sein, und soweit Mia es beurteilen konnte, gelang ihr das auch. Das musste Mia ihr lassen. „Es tut mir so leid.”

Linda griff nach ihrem Handy auf dem Tisch. Sie entsperrte es und rief ein Foto auf. „Hier. Das ist es. Das letzte Foto, das er auf Instagram gepostet hat. Es war in der Nacht, in der er starb.”

Mia betrachtete das Bild. Das Paar wirkte so glücklich, die Gesichter aneinandergepresst, mit Blicken, die fast unbesiegbar schienen. Sie zeigte das Peace-Zeichen. Im Hintergrund war nichts als Dunkelheit zu sehen, nur die schwache schwarze Linie der Baumkronen vor einem mitternachtsblauen Himmel. Die Bildunterschrift lautete: #rockinandrollin. „Wo sind sie? Bei einem Konzert?”

Linda schüttelte den Kopf. „Das kann ich dir nicht sagen. Er hat mir nie genau gesagt, wo sie hinwollten. Aber sie waren zusammen. Und glücklich.”

„Haben sie gesagt, ob sie irgendwelche Verdächtigen haben?”

Einen Augenblick lang sah Linda aus, als würde sie erneut in Tränen ausbrechen, doch dann wandte sie sich dem Wohnbereich zu, in den Carolann verschwunden war, und blickte Mia mit klaren Augen an. „Nein. Überhaupt nicht. Du weißt doch, dass ich ständig nachfrage. Ich bohre immer wieder nach, ob es etwas Neues gibt. Aber die haben nichts. Rein gar nichts. Das sind alles Stümper. Einfach schrecklich. Wie Hamster im Laufrad, die immer die gleichen Fragen stellen und nie vorankommen.”

Mia schwieg nachdenklich, als Linda plötzlich nach Luft schnappte.

Sie griff nach vorne und legte ihre Hand auf Mias Unterarm. „Ach du meine Güte, das tut mir so leid. Ich hab's völlig vergessen. Du arbeitest doch irgendwie bei der Strafverfolgung, oder? Es ist mir entfallen ...”

Mia nickte. „Schon gut. Ich wollte nicht ...”

Sie legte den Kopf schräg. „Moment mal, warst du nicht beim FBI?”

„Das war ich, aber ...”