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Mit der zwölfteiligen Saga um die Pferdelords entsteht die faszinierende Chronologie eines Reitervolkes. Im Verlauf der Abenteuer entwickeln sich Kultur und Technik der beteiligten Völker, vom einfachen Signalspiegel hin zum optischen Präzisionsinstrument, der Dampfmaschine und, im letzten Abenteuer, sogar dem Luftschiff. Die Pferdelords begegnen bestehenden und untergegangenen Königreichen, den Elfen des Waldes und denen der See, Zwergen, Sandbarbaren, fliegenden Lederschwingen und krebsartigen Irghil, immer wieder bedroht von den Orks des schwarzen Lords und seinen gestaltwandlerischen Magiern. Die Pferdelords lassen eine faszinierende Welt entstehen und unterhalten mit Action, Spannung und Humor. Hier liegt die Reihe nun erstmals in einer vom Autor überarbeiteten und ergänzten e-Book-Ausgabe vor. Jedes Abenteuer ist in sich abgeschlossen.
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Seitenzahl: 621
Michael Schenk
Die Pferdelords 07 - Das vergangene Reich von Jalanne
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63 Karte „Pferdelords – Die Völker“
Kapitel 64 Karte „Der Süden, Jalanne und Lemaria“
Kapitel 65 Personenregister
Kapitel 66 Einige Maßeinheiten und Definitionen
Kapitel 67 Vorschau auf "Pferdelords 8 – Das Volk der Lederschwingen"
Impressum neobooks
Michael H. Schenk
Die Pferdelords 7
- Das vergangene Reich von Jalanne -
Fantasy-Roman
© Überarbeitete Neuauflage Michael Schenk 2020
Vorwort
Die Leserschaft der Serie „Die Pferdelords“ wird im ersten Roman eine große Nähe zu den Verfilmungen von „Der-Herr-der-Ringe“ feststellen. Dies war eine Bedingung des damaligen Verlages, meine auf zwölf Bände festgelegte Reihe überhaupt zu veröffentlichen, da man sich dadurch einen größeren Umsatz versprach. Ich stand also vor der Wahl, nicht veröffentlicht zu werden oder mich dieser Forderung zu stellen. Ich entschied mich für meine „Pferdelords“ und nahm einen raschen Genozid an ihren ursprünglich gedachten Feinden, den Walven, vor, um diese durch die Orks zu ersetzen. Man möge mir diesen Eigennutz verzeihen, doch damals war dies der einzige Weg, meine Pferdelords in den Sattel zu heben.
Die Pferdelords bieten detailreiche und spannende Abenteuer, in der die Völker mit ihrer jeweils eigenen Geschichte und Kultur zum Leben erweckt werden. Wem die tatsächlichen oder scheinbaren Wiederholungen von Beschreibungen in den Bänden auffallen, der wird feststellen, dass sie die Entwicklung der Völker und ihrer Siedlungen aufgreifen, denn bei den insgesamt zwölf Bänden handelt es sich um eine Chronologie. Im Lauf der Zeit entsteht aus dem Tauschhandel eine Währung, aus dem schlichten Signalfeuer ein kompliziertes optisches Instrument, man entdeckt das Schießpulver und die Dampfmaschine sowie schließlich sogar das Luftschiff. Man begleitet den Knaben Nedeam, der schon bald als Schwertmann und Reiter und schließlich sogar als Pferdefürst an der Seite seiner Freunde steht. Man begleitet den ehrenhaften Orkkrieger Fangschlag und auch dessen hinterlistigen Gegenspieler Einohr.
Meine Leser begegnen alten und neuen Völkern, doch selbst jenen, die man zu kennen glaubt, gewinne ich manche neue Seite ab.
Es erwartet Sie also eine spannende Saga um mein Pferdevolk und ihre Freunde und Feinde.
Die Pferdelords-Reihe:
Pferdelords 01 – Der Sturm der Orks
Pferdelords 02 – Die Kristallstadt der Zwerge
Pferdelords 03 – Die Barbaren des Dünenlandes
Pferdelords 04 – Das verborgene Haus der Elfen
Pferdelords 05 – Die Korsaren von Um´briel
Pferdelords 06 – Die Paladine der toten Stadt
Pferdelords 07 – Das vergangene Reich von Jalanne
Pferdelords 08 – Das Volk der Lederschwingen
Pferdelords 09 – Die Nachtläufer des Todes
Pferdelords 10 – Die Bruderschaft des Kreuzes
Pferdelords 11 – Die Schmieden von Rumak
Pferdelords 12 – Der Ritt zu den goldenen Wolken
Mein Dank gilt dem Verlag WELTBILD, der es mir ermöglichte, die von ihm lektorierten Manuskripte für die weiteren Veröffentlichungen als e-Book zu verwenden und so dazu beitrug, dass diese Serie weiterhin im Handel erhältlich ist.
Die vorliegende Neuauflage der e-Books wurde von mir überarbeitet, ohne deren Inhalte zu verändern. Begriffe wurden vereinheitlicht und die Romane durch überarbeitete oder zusätzliche Karten ergänzt.
Viel Lesevergnügen wünscht Ihnen
Michael H. Schenk
Hinweis:
Kapitel 63: Karte der Völker, der Pferdelords-Reihe
Kapitel 64: Detailkarte "Der Süden, Jalanne und Lemaria"
Kapitel 65: Personenregister
Kapitel 66: Einige Maße und Definitionen
Kapitel 67: Vorschau auf "Die Pferdelords 8 – Das Volk der Lederschwingen"
»Das Land sieht aus, als sei es von Blut getränkt.«
Der Mann, der dies sagte, trug die blitzende Vollrüstung der
Gardekavallerie des Reiches Alnoa. An seinem Helm steckten zwei hoch
aufragende gelbe Federn. Ein grauer Umhang umhüllte seine Gestalt. Er
reckte sich im Sattel und blickte die Kolonne der hundert Männer entlang, die
er als Hauptmann führte.
Sie hatten auf der Kuppe eines Hügels gehalten und sahen von dort auf die
vor ihnen liegende Ebene. In ihrem Rücken befand sich ein schmaler
Gebirgsgrat, den man auch den Großen Wall nannte. Er grenzte im Süden an
das Hesparat-Gebirge und im Norden an die Schwarzen Berge von Uma’Roll.
Zusammen bildeten diese steinernen Formationen einen natürlichen Schutz
für die Südgrenze des Reiches Alnoa. In das Land hinter der Barriere drangen
die Reiter nun vor.
Es war ein fruchtbares Land voller Schönheit. Der rötliche Boden war
dicht mit Gräsern und Blumen bewachsen. Hügel wölbten sich sanft, und
zahlreiche kleine Bachläufe durchzogen die Ebene auf ihrem Weg zum
mächtigen Fluss Brel. Hier und da erhoben sich kleine Gehölze und weiter im
Süden und Osten standen riesige Wälder. Alles war erfüllt vom Leben der
zahlreichen Tiere, Pflanzen und Insekten. Und doch war dies ein Land des
Todes.
Jalanne.
Einst ein mächtiges Königreich und ein getreuer Verbündeter Alnoas, war
seine Größe nun vergangen und sein Volk zermalmt. Bedrückende
Hinterlassenschaften bezeugten den Niedergang. Kleine Siedlungen und
Gehöfte, die langsam verfielen, Äcker, die nicht mehr bestellt wurden.
Jahrtausendwenden waren seit dem großen Schlachten vergangen, und doch
wirkten viele der Gebäude noch immer seltsam unberührt und einladend.
Aber keiner der Reiter würde eine der Ruinen betreten. Als damals das
schreckliche Blutvergießen geendet hatte, waren die Leiber der Getöteten an
Ort und Stelle zerfallen. Niemand hatte sie bestattet, und überall stieß man auf
ausgebleichte Knochen, nur gelegentlich verhüllt von letzten Überresten der
Bekleidung.
»Ja, Bernot, einst war dieser Boden tatsächlich von Blut getränkt.« Der
Reiter neben dem Hauptmann war kleiner und zierlicher, und die drei Federn
sowie der weiße Saum des Umhangs zeigten seinen höheren Rang. Von
seinem Gesicht war unter dem Helm kaum etwas zu erkennen, doch die
Stimme klang ungewöhnlich weich und leicht spöttisch, als er fortfuhr. »Doch
nun ist es guter roter Boden, Bernot. Fruchtbarer Boden.« Die Stimme wurde
nachdenklich. »Das Einzige, was das vergangene Reich Jalanne hinterlassen
hat. Mögen die Finsteren Abgründe den Schwarzen Lord und seine Brut
verschlingen für das, was sie diesem Land angetan haben.«
Hauptmann Bernot ta Geos wandte sich halb im Sattel um und blickte
erneut zurück. Die Federn der Reiter und die Mähnen und Schweife der
Pferde bewegten sich schwach in der warmen Brise, während das Banner des
Königreiches Alnoa schlaff von seiner Lanze hing. »Wir werden zu spät
kommen.«
»Ja, das werden wir«, stimmte der kleinere Offizier zu. »Wie üblich wird
uns nicht mehr bleiben, als Rache an den Irghil zu nehmen. Kein Trost für die
armen Lemarier, doch vielleicht wird es die Bestien von weiteren Überfällen
auf sie abhalten.«
Bernot ta Geos zuckte zweifelnd die Schultern und gab dann das Zeichen
anzureiten. Unter dem leisen Klirren und Scheppern von Rüstungen und
Waffen zog der Beritt weiter. Die Hügel stiegen sanft an, sodass man eine
gute Sicht hatte, und da die Reiter kampfbereit waren, verzichteten sie auf die
übliche Vorhut und den Flankenschutz. Sie kannten den unbarmherzigen
Feind, der noch immer den Tod über dieses scheinbar friedvolle Land brachte.
Jeder Einzelne der Reiter wäre bereit gewesen zu schwören, dass die
schaurigen Kreaturen weit blutrünstiger und gefährlicher waren als die Orks
des Schwarzen Lords. Bestien, denen keine jener Waffen etwas anhaben
konnte, die sich schon so oft gegen die Rund- und Spitzohren der Finsternis
bewährt hatten.
Sie ritten durch fremdes Gebiet einem grausamen Feind entgegen, und sie
taten es nicht ohne Grund.
Tief im Süden Jalannes gab es einen riesigen See, umgeben von
ausgedehnten Wäldern. Inmitten dieses Sees befand sich die Insel Lemar. Ein
kleines, fruchtbares Eiland, auf dem die Letzten der Jalanne Zuflucht
gefunden hatten. Sie wurden nicht gerne an die einstige Größe ihres Reiches
erinnert und nannten sich schlicht Lemarier. Als kleines Volk von friedlichen
Fischern und Händlern fristeten sie ein karges Dasein. Auf Lemar waren sie
vor den Bestien sicher, die immer wieder durch das Land streiften. Nicht
jedoch auf dem Festland, das sie betreten mussten, um ihre Waren zur Grenze
des Reiches Alnoa zu bringen. Der König Alnoas hatte den Lemariern das
Wohnrecht in seinem Reich angeboten und auch den Schutz der Garde, aber
das Inselvolk war ebenso klein wie eigensinnig.
Meist hatten die Lemarier Glück und gelangten unbehelligt zur Pforte von
Alnoa und zurück auf ihre Insel, doch immer wieder kam es zu
Zwischenfällen. Einer dieser Zwischenfälle war der Grund, warum die
Gardekavallerie aus ihrer Festung ausgerückt war. Ein Händler hatte sich mit
letzter Kraft zu dem Stützpunkt geschleppt und vom Überfall der Bestien auf
seine Gruppe berichtet. Wehrlose Männer, Frauen und auch Kinder, die das
Wagnis der Reise auf sich genommen hatten, waren den Bestien zum Opfer
gefallen.
Die Garde konnte den Überfallenen nicht mehr beistehen, und diese
Gewissheit hatte die Reiter in grimmiges Schweigen gesenkt. Dennoch
mussten sie versuchen, die Täter zu stellen. Es war die einzige Hoffnung, die
Irghil für eine Weile abzuschrecken. Eine schwache Hoffnung, denn die
Bestien würden wiederkommen. So, wie sie es immer taten. Und jedes Mal
würde neues Blut fließen.
Die Gardeabteilung ritt parallel zu der alten südlichen Handelsroute. Diese
führte von der alnoischen Stadt Eolaneris zunächst zur Pforte von Alnoa,
einem Einschnitt zwischen Hesparat-Gebirge und großem Wall, der von der
Festung Maratran geschützt wurde, und von dort weiter ins Land Jalanne. Die
Straße war breit und mit steinernen Platten ausgelegt, von denen viele im
Laufe der Jahre zersprungen waren. Gras und Moos wucherten nun zwischen
den Fugen. Dennoch war der Weg gut zu erkennen. Der Beritt war erfahren
genug, um zu wissen, dass der Feind die Straße im Auge behielt. Daher
wechselte er in unregelmäßigen Abständen die Seite. Das erschwerte es den
Irghil, die Soldaten in einen Hinterhalt zu locken, denn die Kampfverbände
der Bestien waren zu klein, um das Gelände weiträumig abzuriegeln. Aber
auch wenn ihnen ein Hinterhalt gelänge, würden sie sich an den
hartgesottenen Reitern der Gardekavallerie die Klauen ausreißen.
»Wir werden die Opfer wieder mitten auf dem Weg finden«, meinte
Hauptmann Bernot ta Geos leise. »Die Lemarier sind stur und unbelehrbar.
Immer laufen sie direkt auf der Straße. Kein Wunder, dass die Irghil stets so
leichtes Spiel mit ihnen haben.«
Der Kommandeur nickte. »Vergesst aber nicht, dass sie fast ihr ganzes
Leben auf der Insel verbringen. Diese armen Fischer können sich auf dem
Land kaum orientieren. Sie würden sich bestimmt verirren, wenn sie abseits
der Straße liefen.«
Bernot gab ein obszönes Geräusch von sich, das seine Meinung über die
Lemarier deutlicher zum Ausdruck brachte als jedes Wort.
»Dort vorne ist etwas«, rief der Bannerträger halblaut.
Die Handelsstraße verlief in einem leichten Bogen zwischen Hügeln
hindurch. An einer übersichtlichen Stelle der Kurve waren die Umrisse
menschlicher Körper zu erkennen.
Hauptmann Bernot ta Geos ließ seinen Blick über die Landschaft
schweifen. »Gute Stelle für einen Hinterhalt. Die Hügel stehen dicht
beieinander.« Er strich sich kurz über den schmalen Bart, der bei den
Offizieren der Garde so beliebt war. »Flankenschutz raus«, befahl er. »Ich
will nicht überrascht werden, wenn wir uns da unten umsehen.«
Der Offizier mit den drei Federn am Helm schwieg. Er wusste, dass auf
Bernot Verlass war. Der Hauptmann mochte nicht besonders fantasievoll sein,
doch er verstand sein Handwerk. Während einige der Reiter ausschwärmten
und Vorposten bildeten, hielt sich die Hauptmacht des Beritts auf ihrer
Hügelkuppe bereit. Nur eine Handvoll Männer ritt mit dem Kommandeur zur
Straße. Hauptmann ta Geos blieb bei der Truppe und knirschte vernehmlich
mit den Zähnen. Es gefiel ihm nicht, den Vorgesetzten außerhalb seines
Schutzes zu wissen. Aber wenn die Bestien nun erschienen, musste ein
erfahrener Offizier die übrigen Gardisten führen.
Kurz darauf trabte der Kommandeur zurück, und Bernot ta Geos atmete
erleichtert auf, als sein Vorgesetzter das Pferd neben ihm zügelte. »Und?«
»Wie Ihr es befürchtet habt, mein Freund.« Der Kommandeur deutete
bedauernd über die Schulter zurück. »Drei Männer. Keine Frauen oder
Kinder.«
»Der Lemarier sprach aber auch von Kindern und Frauen.«
»Ich weiß, Bernot. Hoffen wir, dass die Irghil sie nicht verschleppt haben.«
»Lebendfutter.« Der Hauptmann erschauerte bei der Vorstellung.
»Verfluchte Bestien. Mögen die Finsteren Abgründe sie alle verschlingen.«
»Die Spuren sind deutlich und weisen nach Osten«, murmelte der
Kommandeur.
Sie kannten sich schon lange, und Bernot wusste die Nuancen in der
Stimme seines Befehlshabers zu deuten. »Die Spuren sind also zu auffällig?
Eine Falle?«
»Ein Köder.«
Bernot nickte. »Dennoch werden wir ihnen folgen?«
»Dennoch werden wir ihnen folgen.«
Der Hauptmann seufzte leise. »Sollen wir erst die Toten bestatten?«
»Nein.«
»Nein?« Bernot schürzte die Lippen. »Das ist nicht … ehrenhaft. Sie
einfach dort liegen zu lassen.«
»Nein, das ist es nicht, mein Freund.« Die Stimme des Kommandeurs
klang wehmütig. »Doch dies ist Jalanne. Das vergangene Reich. Die Toten
würden es nicht anders wollen.«
Der Hauptmann zögerte einen kurzen Moment. Schließlich nickte er und
gab das Zeichen zum Abritt. Die Spur der Bestien war nicht zu übersehen. Je
weiter die Männer nach Osten trabten, desto weniger gefiel dem Offizier
dieser Umstand. Es war zu einfach. Und immer wenn es einfach begann,
endete es beschwerlich.
Der Mann wirkte trotz seiner vierunddreißig Jahre jugendlich, solange man
nicht in seine Augen sah. In ihnen lag der Blick eines Menschen, der in
seinem Leben zu viel Leid und Tod erlebt hatte. In den sanften Ausdruck
mischten sich Trauer und Müdigkeit. Fast die ganze Nacht hatte er über
Büchern verbracht und seine Zeichen auf Schriftrollen gesetzt. Nur eine
Brennsteinlampe hatte etwas Licht und Wärme gespendet, und nun, da der
Mann seine Arbeit getan hatte, seufzte er leise und blickte von seinem
Schreibtisch auf. Er wirkte fast ein wenig überrascht, als er in den Fenstern
den ersten Schimmer des Morgenrots sah. Mechanisch drehte er an der
Stellschraube, die die Abdeckung der Lampe über das Brennbecken senkte,
und der sanfte gelbe Schein erlosch.
Gegenüber dem Schreibtisch war ein leises Knarren zu hören, als sich eine
Gestalt in einem der gepolsterten Lehnstühle bewegte. Ein goldener Stirnreif
mit dem Symbol des Pferdevolkes blitzte auf im Licht des heraufbrechenden
Morgens, und ein ebenmäßiges Antlitz, umrahmt von langen blonden Locken,
wandte sich dem Mann zu. Die Hohe Dame Larwyn, Witwe des Pferdefürsten
Garodem und Mitregentin der Hochmark, war noch immer eine
bemerkenswert schöne Frau. Ihre Augen waren im Schatten verborgen, als sie
Nedeam ansah, und ihre Stimme klang sanft. »Fertig, Hoher Herr?«
Nedeam, Erster Schwertmann der Hochmark und Befehlshaber ihrer
Pferdelords, lächelte müde. »Nennt mich nicht so, Hohe Dame. Es ist mir
lieber, wenn Ihr mich weiterhin mit meinem Namen anredet.«
»Ich nenne Euch weit mehr, Nedeam.« Larwyn beugte sich leicht vor, und
ihr lächelndes Gesicht tauchte nun ganz in das Licht des Morgens. »In den
letzten drei Jahreswenden habt Ihr Euch als guter Freund erwiesen. Ihr steht
mir und der Mark getreu zur Seite. Garodem wäre stolz auf Euch.«
In den letzten Worten schwang Trauer mit. Sie vermisste ihren Gemahl
Garodem und sorgte sich um Garwin, ihren Sohn, der so wenig nach dem
Vater geraten war. Nedeam hatte sich lange gefragt, warum die Hohe Dame
so oft in der Nacht in den Amtsraum des Pferdefürsten kam, obwohl sie nur
selten das Gespräch mit ihm suchte. Inzwischen wusste er es. Der Erste
Schwertmann richtete sich auf und erhob sich hinter dem Schreibtisch.
Nachdenklich strich seine Hand über das alte Holz. Garodems Schreibtisch in
Garodems altem Amtsraum. Alles hier atmete noch immer seine Gegenwart,
obwohl nun offiziell Garwin an diesem Ort regierte. Der junge Pferdefürst
war keineswegs erfreut gewesen, als Larwyn dem Ersten Schwertmann die
Erlaubnis gegeben hatte, den Raum uneingeschränkt zu nutzen.
Zähneknirschend hatte Garwin sich dem Argument seiner Mutter gebeugt,
dass sie sich gelegentlich mit Nedeam besprechen müsse und man ihr
schwerlich zumuten könne, dafür dessen kleine Kammer aufzusuchen.
»Ich vermisse den Hohen Lord«, gestand der Erste Schwertmann ein. Es
war klar, dass er damit nicht Garwin meinte. »Es war ein weiter Weg vom
Wolltierzüchter zum Ersten Schwertmann der Mark. Ein beschwerlicher Weg,
und manchmal weiß ich nicht, ob ich nicht besser auf dem Gehöft meines
Vaters geblieben wäre.« Er deutete auf den Schreibtisch. »Das Arbeiten mit
Büchern und das Setzen und Deuten der Zeichen liegen mir nicht besonders.«
»Ihr hattet gute Fürsprecher, Nedeam, und Ihr habt sie immer noch.« Auch
Larwyn erhob sich nun und seufzte leise, als sie sich nach dem langen Sitzen
streckte. »Tasmund, den braven Mann Eurer Mutter Meowyn, Euren
Vorgänger als Ersten Schwertmann. Kormund, den bewährten Scharführer.
Und vergesst nicht Euren Freund Dorkemunt, den kleinen Pferdelord. Sie alle
schlugen Euch vor, und mein Gemahl hat ihnen von Herzen zugestimmt.«
Garodem hatte die Hochmark einst gegründet. Nun war er seit drei Jahren
tot. Nicht ruhmreich in der Schlacht gefallen, sondern auf einer Treppe zu
Tode gestürzt. Ein sinnloses Ende, aber die Menschen des Pferdevolkes
hatten Garodems Tapferkeit immer geachtet und wussten, dass er nun in allen
Ehren zwischen den Goldenen Wolken ritt.
»Ich bin dankbar für dieses Vertrauen, Hohe Dame, und ich weiß, dass die
Versammlung der Schwertmänner meiner Wahl bereitwillig zugestimmt hat.
Doch manchmal glaube ich, dass ich für Euch und die Mark zu einer Last
werde.«
»Ich verstehe.« Larwyn legte ihre Hand sanft an seinen Oberarm. »Ihr
meint den Zwist zwischen Euch und Garwin, nicht wahr?«
Die Mark war an Garodems Sohn übergegangen. Der
Zweiundzwanzigjährige bereitete auch Nedeam große Sorgen. Er war
eigensinnig, arrogant und zudem rechthaberisch. Es war ein weiser Entschluss
des Königs Reyodem gewesen, Larwyn ihrem Sohn an die Seite zu stellen.
Obwohl Garwin Pferdefürst und damit eigentlich der uneingeschränkte
Herrscher der Hochmark war, verfügte seine Mutter über ein Einspruchsrecht.
Und zu Garwins Verdruss machte sie durchaus Gebrauch davon. Nedeam
musste sich eingestehen, dass er seinem neuen Vorgesetzten gegenüber eine
tiefe Abneigung empfand. Jeder Kämpfer des Pferdevolkes mochte seine
Eigenheiten haben, aber ihnen allen war es eine Ehre, den grünen Umhang
der Pferdelords zu tragen. Er war das Symbol ihrer Treue zur Mark und zu
ihrem Fürsten. An Garwin hingegen war nur wenig Ehrenhaftes. Schon als
Siebzehnjähriger hatte er sich geweigert, der bedrängten Hafenstadt
Gendaneris und den zur gleichen Zeit bedrohten Elfen beizustehen. Damals
hätte man es vielleicht noch seiner Unerfahrenheit zuschreiben können, doch
nur zwei Jahre später war Nedeam mit seinen Pferdelords in der Festung
Niyashaar von den Truppen der Mark abgeschnitten worden. Garwin hatte
gezögert einzugreifen, obwohl ein überwältigender Angriff der Orks
bevorstand. Für einen wahren Pferdelord gab es nichts Schändlicheres, als
einen Kameraden oder einen Verbündeten im Stich zu lassen. Doch eben
dieser Makel haftete nun Garwin an. Immerhin konnte man ihm keine
Feigheit vorwerfen. Vielleicht hatte König Reyodem recht darin getan, ihn als
Pferdefürsten zu bestätigen. Garwin mochte sich noch entwickeln und
bewähren.
Doch Nedeam zweifelte daran.
Und auch wenn ihm die Arbeit mit den Schwertmännern Spaß machte, so
vermisste er doch hin und wieder das einfache Leben auf dem Gehöft, die
Gesellschaft Dorkemunts und den Umgang mit Wolltieren und Hornvieh. Aber
er konnte nicht so einfach zurück. Er trug Verantwortung gegenüber der Mark
und der Hohen Dame Larwyn. Er durfte sie nicht Garwins Willkür ausliefern.
Denn was Nedeam niemals für möglich gehalten hätte, war eingetreten.
Garwin hatte Anhänger im Pferdevolk und sogar unter den Schwertmännern
gefunden. Es waren nicht viele, doch Nedeam wusste, dass ein einziger fauler
Apfel einen ganzen Korb verderben konnte.
Für eine Weile herrschte Schweigen im Amtsraum des Pferdefürsten, und
beide Anwesenden ahnten, dass ähnliche Sorgen sie bedrückten. Erneut war
es Larwyn, welche die Stille brach und Nedeam mit einem Seufzen zu einem
der Fenster führte. Es wies nach Süden und bot einen Ausblick über das Tal,
in dem die Burg und die Stadt von Eternas lagen. Die Kuppen der
umliegenden Berge und die Spitzen der Dächer waren in morgendliches Licht
getaucht, und sehr bald würde die Sonne das gesamte Land mit ihrem Glanz
erhellen.
»In den vergangenen drei Jahreswenden hat sich viel getan, Hoher Herr
Nedeam. Das ist auch Euer Verdienst.«
Ja, die Hochmark wandelte sich, vor allem die Stadt Eternas. Aber dies
nicht ausschließlich zu ihrem Vorteil, wie Nedeam meinte. Die Enge der Stadt
empfand er als bedrückend. Und Eternas war wirklich beengt. Vor einem Jahr
hatte Larwyn angeordnet, die Zuwanderung aus den anderen Marken zu
stoppen. Denn das Wachstum des eigenen Volkes war schon groß genug. Dies
bereitete Larwyn Sorgen, und auch Nedeam sah das Problem. Noch war die
Hochmark in der Lage, ihre Bewohner selbst zu ernähren und sogar einen
Überschuss zu erwirtschaften. Aber wenn die Zahl der Menschen weiter
wuchs, würde sie auf Güter aus den anderen Marken angewiesen sein. Diese
grenzten unmittelbar aneinander und waren nicht so leicht zu isolieren. Doch
die Hochmark lag eingebettet in das Gebirge von Noren-Brak. Der Südpass
verband sie mit den unteren Marken, der Nordpass führte zu den Städten der
Zwerge und weiter hinauf in die nördliche Öde und das daran anschließende
Kaltland. Wenn es einem Feind gelang, den Südpass zu blockieren, war die
Mark von der Versorgung von außen abgeschnitten. Eine erschreckende
Vorstellung, und so unterstützte Nedeam das Streben Larwyns nach
Selbstversorgung mit aller Kraft.
Der Handel mit den anderen Marken und mit den beiden Städten der
Zwerge florierte. Getreide, Fleisch, Lederwaren und Schmiedearbeiten
verließen die Hochmark im Tausch gegen Klarstein, feine Stoffe und andere
Dinge, die das Leben angenehm machten.
Am Ostrand der Stadt Eternas, entlang des Flusses Eten, befanden sich
Schmieden, Färbereien, Gerbereien und sonstige Handwerksbetriebe. Aus
dem Reich Alnoa waren drei Dampfmaschinen gebracht worden, deren
Stöhnen und Stampfen am Tag zu hören war und deren Kolben und Riemen
inzwischen viele Werkzeuge antrieben. Nedeam mochte diese Maschinen
nicht. Denn wenn sie die Produktion auch erhöhten, so nahm doch die
Qualität der Waren ab. Wenn es um ein treffliches Schwert und eine gute
Rüstung ging, war die Hand des Meisters noch immer unübertroffen.
Nedeam trat dicht an das Fenster heran und legte eine Hand an den
Rahmen. Noch zu Garodems Zeiten war dies eine schlichte Maueröffnung
gewesen, die man zum Schutz gegen Kälte und schlechtes Wetter mit dicken
Stoffvorhängen verschlossen hatte. Nun schimmerte hier Klarstein aus dem
Reich Alnoa im hölzernen Rahmen und bot ungehinderte Sicht. Nedeam hatte
sich erst an die Neuerung gewöhnen müssen, die sich nun überall ausbreitete,
und sich direkt nach dem Einbau sogar die Nase an dem unsichtbaren
Vorhang gestoßen. Noch immer perlte Llaranas Lachen über das
Missgeschick in seinen Ohren, doch aus dem Spott war ein langer Kuss
geworden, und so dachte er mit einem wohligen Schauer daran zurück.
Die Hohe Dame Larwyn sah den Ersten Schwertmann von der Seite an.
Zum ersten Mal war er ihr als zwölfjähriger Knabe begegnet. Damals hatte er
seine Mutter, die von Orks verletzt worden war, nach Eternas gebracht.
Seitdem hatte Nedeams Gesicht an Kontur gewonnen. Wind und Wetter
hatten ihre Spuren darauf hinterlassen. Aus dem Jungen von einst war ein
Mann geworden, der viel Verantwortung auf den Schultern trug. Nedeam war
daran gereift. Eine solche Entwicklung hätten sich Larwyn und ihr Gemahl
auch für Garwin erhofft. Hatten sie und der Pferdefürst den Launen ihres
Sohnes zu oft nachgegeben? Warum hielt Garwin so wenig von den alten
Traditionen? Warum machte er dem grünen Umhang so wenig Ehre? Larwyn
seufzte leise und blickte zur Stadt hinüber.
»Garwin ist mit einer kleinen Schar draußen«, sagte Nedeam in die Stille.
»Er durchstreift die Mark.«
»Ja, er reitet oft hinaus«, stimmte Larwyn zu.
Der junge Pferdefürst war häufig in der Hochmark unterwegs und schien
sich nur wenig um die Angelegenheiten der Festung Eternas und ihrer
Schwertmänner zu kümmern. Nedeam war dies nur recht, auch wenn er ihn
manchmal gerne besser im Auge behalten hätte. Was die Führung der
Schwertmänner anging, so brauchte Nedeam inzwischen kaum noch den Rat
des alten Tasmund. Als er den schlichten grünen Umhang der Pferdelords
gegen den blau gesäumten eines Schwertmannes tauschte, da hatte er sich an
manche Besonderheit gewöhnen müssen. Die einfachen Pferdelords waren
Männer, die ihren Berufen nachgingen und einmal im Jahr zur Wehrübung
nach Eternas kamen. Sie rüsteten sich selber aus und nahmen als Waffen oft,
was ihnen auch im täglichen Leben von Nutzen war. Der Bogen des Jägers
oder die Axt, mit der sich Holz ebenso gut wie ein Orkschädel spalten ließ.
Die typische Stoßlanze des Reitervolkes hatte jedoch außerhalb des Kampfes
keinen praktischen Nutzen und wurde daher aus der Waffenkammer des
Pferdefürsten gestellt. Die Wehrübungen dienten dazu, den Umgang mit der
Lanze zu trainieren und den einfachen Pferdelords die Manöver in einem
geordneten Beritt zu vermitteln. Im Gegensatz zu diesen Kämpfern waren die
Schwertmänner Berufssoldaten, die das ganze Jahr unter Waffen standen und
dem Herrn der Mark als ständige Wache dienten. Die Ansprüche an sie waren
weitaus höher. Sie lernten, wie man Knie an Knie die engen Formationen ritt
und mit dem Schwert umging. Sie waren es, die in der Schlacht als Erste auf
den Feind prallten und unter denen es auch die ersten Opfer gab. Die
Schwertmänner waren stolz auf ihren blauen Saum und die blauen
Rosshaarschweife an ihren Helmen. Nedeam war nun einer von ihnen und
zugleich weit mehr als das. Als Erster Schwertmann zeichnete er für ihre
Ausbildung und Versorgung verantwortlich und führte sie in der Schlacht,
wenn der Pferdefürst diese Ehre nicht selbst beanspruchte.
Nedeam trug ebenfalls Harnisch und Handschuhe der Schwertmänner, und
doch gab es ein Detail, in dem er sich deutlich von ihnen allen unterschied.
Statt dem geraden Schwert des Pferdevolkes führte er eine leicht gekrümmte
elfische Klinge. Ein Geschenk von Jalan-olud-Deshay, dem Ersten des
Hauses Deshay. Vor Jahren hatten die Pferdelords den Elfen gegen die Orks
und Grauen Zauberer beigestanden, und Nedeam hatte sich dabei besonders
hervorgetan. Nach der Schlacht um Merdonan hatte Jalan ihm sein eigenes
Schwert zum Geschenk gemacht.
Bei diesem Abenteuer hatte Nedeam noch ein weitaus wertvolleres
Geschenk erhalten. Seine Liebe zu Llarana, der Tochter Jalans. Es hatte lange
gedauert, bis die Elfin seine Gefühle erwiderte, doch als sie es endlich tat,
geschah es mit der Bedingungslosigkeit der elfischen Seele.
»Darf ich meinen Ersten Schwertmann etwas fragen?«
Nedeam runzelte überrascht die Stirn. »Herrin, ich …«
»Ich will offen sein, Nedeam, mein Freund.« Sie legte ihm erneut in
vertraulicher Geste die Hand auf den Arm. »Ihr dürft niemals vergessen, wer
Ihr seid. Ich meine damit nicht den Ersten Schwertmann der Mark, sondern
den Menschen und Pferdelord dahinter. Ihr vergrabt Euch zu sehr in die
Arbeit, Nedeam. Nehmt Euch mehr Zeit für Euch selbst und für die
Menschen, die Euch nahestehen.« Larwyn deutete auf den Schreibtisch. »Die
ganze Nacht hindurch habt Ihr über Listen gebrütet und an Eure Pflichten
gedacht.«
»Der Hohe Herr Tasmund hat mir eingeschärft, nichts zu übersehen.«
Larwyn lachte leise. »Und doch ist Euch etwas entgangen, mein Freund.«
Nedeam ging im Geiste fieberhaft die Dokumente durch, die er bearbeitet
hatte. Die Vorräte der Festung mussten aufgestockt werden, drei Sättel waren
zu ersetzen und zwanzig Pferde einzureiten. Zwei neue Scharführer mussten
benannt werden, aber das würde die Versammlung der Schwertmänner selbst
übernehmen, und deren Urteil konnte er vertrauen.
Die Herrin der Hochmark lachte erneut. »Denkt an die Bedeutung des
heutigen Tages für Euer Leben, Nedeam.«
Der Erste Schwertmann errötete. »Ich habe es nicht vergessen. Ich wollte
nur …«
Abermals unterbrach sie ihn, und ihre Stimme war gleichermaßen sanft
und bestimmt. »An einem Tag wie diesem sollten Eure Gedanken nur der
Verbindung mit Eurem künftigen Weibe gelten. Heute wird Llarana zu
Llaranya werden. Ein Moment von großer Bedeutung für unser Volk und für
das der Elfen. Würdigt ihn, Nedeam, denn mit diesem Tag beginnt ein neuer
Abschnitt in Eurem Leben. Also, geht nun. Heute werdet Ihr Eure Elfin
wiedersehen. Vergesst die Arbeit und widmet Euch ganz dem freudigen
Ereignis.«
Nedeam nickte zögernd. Der angebrochene Tag war tatsächlich etwas
Besonderes. Heute würde die Verbindung zwischen Llarana und Nedeam
offiziell besiegelt werden. Das Datum war mit Bedacht gewählt worden, denn
an den Weißen Sänden des elfischen Volkes lagen die Schiffe bereit, um auch
die letzten Elfen endgültig zu den Neuen Ufern zu bringen. Er freute sich
darauf, Llarana genau an diesem Tag zu ehelichen, auch wenn ihm die
Zeremonie selbst ein wenig Unbehagen bereitete. Sie würde nicht dem Ritus
des Pferdevolkes, sondern dem der elfischen Häuser folgen. Sein
Einverständnis dazu war das Mindeste, was er seiner Llarana und den Elfen
schuldete. Sie war eine Unsterbliche und dazu bereit, ihr Volk aufzugeben,
um an seiner Seite zu bleiben. Ein beachtliches Opfer. Nedeam würde altern,
und irgendwann musste Llarana allein zurückbleiben. Sie empfanden beide
Furcht davor, und doch war ihre Liebe groß genug, das Schicksal
anzunehmen. »Kurzen Jahren des Glücks mögen lange Jahre der Trauer und
Einsamkeit folgen«, hatte Llarana schlicht gesagt, »doch werde ich immerhin
zu jenen gehören, denen für eine Weile das größte Glück beschieden war. Das
wird mir immer ein Trost sein.«
Wie so oft im Leben, schienen auch hier Freude und Leid miteinander
verknüpft zu sein.
Aber die Hohe Dame Larwyn hatte recht. Dieser Tag gehörte nur dem
freudigen Ereignis.
Der Beritt der Garde hielt oberhalb der Straße. Bald würden die Ruinen der
alten Stadt Breonaris vor den Reitern auftauchen. Vor einem Zehnteltag
hatten sie in der Ferne ein Rudel Geweihtiere entdeckt, das die gepanzerte
Truppe neugierig beobachtete. Von den grausamen Irghil war hingegen nichts
zu sehen, bis auf eine undeutliche Spur. Nur noch ab und zu waren einzelne
Abdrücke zu finden.
Vor dem Beritt erstreckte sich eine grasbewachsene Ebene. Die Truppe
hatte auf dem Kamm eines Hügels gehalten, an dessen einer Flanke
Regenstürme etwas Boden fortgeschwemmt hatten, sodass die rötliche Erde
zutage trat. Eine günstige Stelle, um Spuren der Irghil zu finden, wenn es sie
denn gab.
Zwei der Männer waren gute Fährtenleser und saßen ab, um den Hang
Stück für Stück abzusuchen. Schließlich hob einer von ihnen die Hand. »Hier
sind Abdrücke.«
Kommandeur und Hauptmann schritten nebeneinander zu der angezeigten
Stelle hinüber. Einer der Fährtenleser war in die Hocke gegangen und deutete
auf einige Vertiefungen, die Hauptmann ta Geos nur wenig sagten. »Seid Ihr
sicher, dass es die Fährte der Bestien ist?«, wandte er sich zweifelnd an die
Männer. »Ich kann da kaum etwas erkennen. Falls es wirklich Spuren sind,
scheinen sie mir doch schon sehr alt zu sein.«
Bevor einer der Fährtensucher etwas erwidern konnte, ging auch der
kleinere Kommandeur in die Hocke. Er zog den gepanzerten Handschuh aus,
und seine schlanken Finger glitten an den Konturen am Boden entlang. »Nein,
sie sind nicht alt, Hauptmann. Die Erde ist nur trocken. Seht, wie leicht sie
zwischen den Fingern zerbröckelt. Dies hier und auch das dort scheinen mir
Abdrücke ihrer Klauen zu sein. Sie sind uns zwei oder drei Zehnteltage
voraus, nicht wahr?«
Einer der Spurenleser nickte respektvoll. »Wir können sie einholen.
Beachtet die geringen Abstände zwischen den Abdrücken. Sie haben sich
nicht sonderlich beeilt.«
Bernot ta Geos rieb sich erfreut die Hände. »Dann rechnen sie auch nicht
damit, dass wir sie verfolgen.«
»Dennoch dürfen wir nicht leichtsinnig werden«, mahnte der Kommandeur
mit weicher Stimme. »Sie sind Bestien, aber wir sollten nie vergessen, dass
sie schlau sind.« Der Offizier mit den drei Federn am Helm richtete sich auf.
»Wir folgen den Spuren, Bernot, aber ich will, dass wir ab sofort in
Kampfformation reiten.«
Üblicherweise bewegte sich die Gardekavallerie in Viererkolonnen. Aber
in Jalanne war man gezwungen, die Kolonnenstärke zu erhöhen. Denn die
bestialischen Irghil in diesem Land waren grundverschieden von den
herkömmlichen Gegnern der Alnoer, den Sandbarbaren und Orks. Diese
lauerten weiter im Osten in der Wüste von Cemen’Irghil. Man konnte nie
ausschließen, dass sie einen Vorstoß nach Jalanne wagten und die Grenzen
Alnoas bedrohten. Barbaren und Orks begegnete man mit Schwert und Lanze
und mit spitzen Kriegspfeilen. Die Panzer der Irghil hingegen ließen sich
damit nicht durchdringen. Die Gardeabteilung aus der Festung Maratran
musste sich also notgedrungen gegen beide Bedrohungen wappnen. Ein
Drittel der Kavalleristen führte daher die klassischen Waffen, der Rest jene,
die man speziell gegen die Bestien entwickelt hatte: Tellerlanzen und
Quetschpfeile.
Die Abteilung ritt nun in Sechserkolonne. An den Außenseiten die Männer
mit den Tellerlanzen, dann folgten die Bogenschützen mit den Quetsch- und
Kriegspfeilen, und die Gardisten mit den gewöhnlichen Lanzen befanden sich
in der Mitte.
Hauptmann Bernot ta Geos war nach einem Gespräch zumute. Er glaubte
nicht mehr daran, dass sie die Irghil noch stellen würden. Missmutig sah er
seinen Kommandeur von der Seite an. »Die Lemarier sind Narren. Sie
benutzen nicht einmal die Signalspiegel, die wir ihnen gegeben haben. Sie
bräuchten uns nur nach Maratran zu signalisieren, dass sie Handelsware
haben oder Hilfe benötigen, und wir würden sofort aufbrechen und ihnen
beistehen.« Er spuckte verächtlich aus. »Stattdessen versuchen sie immer
wieder, sich an den Bestien vorbeizuschleichen und lassen sich abschlachten.
Narren. Verdammte Narren.«
»Sie mögen Narren sein«, seufzte der kleinere Reiter, »aber vor allem sind
sie stolz, und das ist etwas, was ich gut verstehen kann. An ihrer Stelle
würden wir vielleicht genauso handeln.«
Bernot lachte trocken. »An ihrer Stelle …« Der Hauptmann verstummte,
als der Kommandeur sich leicht im Sattel aufrichtete. »Was ist?«, fragte er
angespannt. »Könnt Ihr etwas sehen? Irghil?«
Die kleine Gestalt schüttelte zögernd den Kopf. »Nein, nicht sehen, mein
guter Bernot. Aber ich fühle, dass etwas nicht stimmt. Ich spüre ihre Nähe.«
Keiner der Gardereiter hätte über das Gespür des Kommandeurs gespottet.
Zu oft schon hatte es die Truppe rechtzeitig vor einer Bedrohung gewarnt.
Abermals wandte sich Bernot im Sattel um. »Haltet mir nur ja die Augen
offen, Gardisten. Rechnet mit der Hinterlist der verfluchten Irghil und seid auf
der Hut.«
Viele der Männer hatten bereits gegen die Bestien gekämpft und wussten,
wie trickreich und mörderisch sie waren. Doch selbst die Erfahrensten unter
ihnen wurden überrascht, als die Irghil dann tatsächlich erschienen. Es war,
als würden sie plötzlich vor ihnen aus dem Boden wachsen.
Vor dem Beritt hatte sich die grasbedeckte Ebene ausgebreitet, und jeder
der Reiter hatte genau darauf geachtet, ob nicht eines der zahlreichen
Gebüsche oder eine der Baumgruppen als Versteck für einen Irghil geeignet
war. Den scheinbar unberührten Boden hatten sie vernachlässigt. Doch dann
brach unmittelbar vor ihnen die Grasnarbe auf, und die runden Panzerleiber
der Irghil schoben sich aus der Erde hervor. Kampfeslustig reckten sie ihre
mächtigen Scheren vor, während sie auf ihren acht Beinen auf die Alnoer
zuhasteten. Sie hatten die Größe eines ausgewachsenen Pferdes und waren
schnell. Sehr schnell.
Den alnoischen Gardisten blieb nur wenig Zeit, doch die wussten sie zu
nutzen.
Der kleine Kommandeur reckte sich im Sattel, und seine Stimme klang
nun gar nicht mehr sanft. »Erster Halbberitt, absitzen und Front bilden!
Zweiter Halbberitt, lasst die Bestien nicht in unseren Rücken gelangen!«
Der Signalbläser gab ein schmetterndes Hornsignal und bemühte sich
gemeinsam mit dem Bannerträger, dicht an dem Offizier mit den drei Federn
zu bleiben.
Die Irghil, es waren rund zwanzig der riesigen krebsartigen Kreaturen,
stürmten von halblinks heran. Der ihnen zugewandte erste Halbberitt sprang
von den Pferden und hastete ein paar Schritte nach vorne. Die Bewegungen
waren oft geübt worden, und die Disziplin der Garde siegte über die Angst
der Männer beim Anblick des gepanzerten Schreckens.
»Den richtigen Winkel«, schrie Hauptmann ta Geos. »Achtet darauf, die
Lanzen korrekt zu setzen! Den richtigen Winkel!«
Gardisten mit Tellerlanzen bildeten die vorderste Front. Die Waffen waren
ein wenig länger als normale Stoßlanzen. Zwei Handbreit oberhalb des
stählernen Bodendorns führte der Schaft durch einen breiten Metallteller.
Dieser war an einer Seite angeschnitten, sodass ein Gardist die Lanze bequem
im Steigbügelschuh führen konnte. Eine Länge unterhalb der scharfen Spitze
befand sich ein zweiter Teller. Die Lanzen waren unhandlich und schwer,
doch ihr Sinn wurde sofort verständlich, wenn man sah, wie die Gardisten sie
handhabten. Sie rammten sie mit den Bodendornen in den Grund und neigten
die Schäfte im schrägen Winkel. Einen Fuß stellten sie auf den unteren Teller
und stabilisierten so die Lanze. Die Irghil konnten schnell laufen, aber sie
konnten nicht springen. Wurden die Lanzen korrekt ausgerichtet, befanden
sich deren Spitzen genau in der richtigen Höhe, um sich in die Leiber der
anrennenden Bestien zu bohren.
Zwei Schritte hinter den Lanzenträgern gingen die Bogenschützen in
Stellung. Sie hatten die normalen Kriegspfeile am Sattel gelassen und führten
nur die Köcher mit den Quetschpfeilen mit sich. Sobald sie bereit waren,
begannen sie zu schießen.
Der Leib eines Irghil war durch eine dicke Schicht Chitin gepanzert und
zudem stark gerundet. Man brauchte unglaubliches Glück, um diesen
natürlichen Schutz mit der scharfen Spitze eines Kriegspfeils zu
durchdringen. Die Quetschpfeile, die nun auf die Bestien zuschwirrten, waren
nicht so elegant wie ein normaler Pfeil. Ihre Spitzen glichen einer geballten
Faust und hatten auch deren Größe. Die Geschosse flogen daher nicht weit
und ließen sich schlecht zielen. Und während man Kriegspfeile
wiederverwenden konnte, wurden Quetschpfeile beim Aufschlag zerstört.
Aber ihre Wirkung war verheerend.
Die Spitzen bestanden außen aus einem weichen Metall, das sich beim
Aufprall auf den Chitinpanzer verformte und für einen kurzen Augenblick
daran haften blieb. Zeit genug für die im Innern verborgene stählerne Spitze,
um den Panzer zu durchdringen. Geführt von ihrer Ummantelung,
durchschlug sie das Chitin und traf in die weichen Innereien. Hier konnte die
in dem Stahlkopf enthaltene Feder genug Kraft entfalten, um dessen
Einzelteile auseinanderzudrücken. Ein Irghil war groß und hatte eine Menge
Innereien. Dem trugen die aufspringenden Spitzen Rechnung.
Nicht jeder Quetschpfeil traf, und nicht jede der Wunden war tödlich.
Doch vier Bestien, dann eine fünfte gingen sofort zu Boden. Sie knickten
einfach ein und rutschten durch den Schwung des Angriffslaufes noch ein
paar Längen auf dem abgerundeten Bauchpanzer weiter, bis sie leblos liegen
blieben. Die anderen Irghil nahmen es hin und stürmten durch den
anhaltenden Pfeilhagel voran. Erneut stürzten Bestien, doch dann hatten sie
die Front des ersten Halbberitts fast erreicht.
Die Träger der Tellerlanzen korrigierten ein letztes Mal den Winkel und
stemmten sich dem erwarteten Anprall entgegen. Hartholz ächzte, als die
Chitinleiber auftrafen. Die Bestien rammten sich die Spitzen durch die Wucht
ihres Ansturms selbst in die Leiber. Die Lanzen drangen ein, bis die Panzer
gegen die oberen Teller prallten und von ihnen aufgehalten wurden. Einige
der Bestien versuchten noch im Sterben zu töten und schnappten mit ihren
Scheren nach den Männern, doch die Länge der Schäfte war gut berechnet,
und sie grapschten ins Leere.
Einige der Lanzenspitzen trafen nicht richtig und rutschten ab.
Sofort stürzten sich die kräftigen Bestien auf die unglücklichen Gardisten
und durchschnitten ihnen mit ihren Zangen problemlos Gliedmaßen und
Hälse. Gegen diese Waffen boten selbst die Rüstungen der Reiter keinen
ausreichenden Schutz.
Der Kommandeur stieß einen wilden Fluch aus, zückte das lange Schwert
und spornte sein Pferd an. Mit wenigen Sätzen war er an jener Stelle, wo zwei
Irghil soeben die Front der Gardisten durchbrochen hatten. Eine der Bestien
legte gerade eine Zange um den Oberkörper eines Lanzenträgers und
zerquetschte Mann und Rüstung mit einer mühelosen Bewegung. Mit der
anderen Zange umschloss er den Hals eines Bogenschützen und tötete auch
diesen.
»Verfluchte Brut der Finsternis!«, schrie der kleine Kommandeur.
Ungeachtet der Gefahr ließ er sein Schwert hinabsausen. Mit einem
seltsam splitternden Geräusch durchtrennte die Schneide das Gelenk eines
Scherenarmes. Der verletzte Irghil fuhr mit einem lauten Zischen herum und
schlug mit der anderen Zange nach dem Angreifer. Der Offizier duckte sich
und spürte einen leichten Schlag oben am Helm. Er ließ sich aus dem Sattel
fallen und rollte sich trotz der schweren Rüstung erstaunlich behände auf den
Feind zu. Noch nicht mal unterhalb der Kreatur, rammte er schon die Klinge
senkrecht nach oben und traf in den aufgerissenen Rachenschlitz des Irghil.
Grünes Blut stürzte daraus hervor und bespritzte den Offizier, während der
gepanzerte Leib erzitterte. Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen,
dann brach die Kreatur tot zusammen.
Der Offizier hatte sich rechtzeitig herumgerollt und befreite nun sein
Schwert mit einer gleitenden Bewegung. Schon war er wieder auf den Beinen
und hielt Ausschau nach der nächsten Bedrohung. Zwei Gardisten eilten
besorgt herbei und brachten das Pferd des Kommandeurs.
Hauptmann ta Geos hatte der zweiten Hälfte des Beritts den Angriff
befohlen. Obwohl nur vier der Irghil in die Front der Garde eingebrochen
waren, hatten sie Tod und Verderben über sie gebracht. Die Bestien konnten
nicht siegen, und das wussten sie auch. Dennoch kämpften sie, als sei dies ihr
einziger Lebenszweck. Aber nach wenigen blutigen Momenten war das
Gemetzel dann vorbei.
»Vorposten raus«, kommandierte ta Geos erschöpft. So kurz der Kampf
auch gewesen war, er hatte an den Kräften gezehrt. »Versorgt die
Verwundeten und kümmert Euch um die Pferde.«
Der Hauptmann zog sein Pferd herum und ritt zu seinem Kommandeur,
über dem das Banner Alnoas schwach auswehte. »Die Gefahr scheint vorüber
zu sein. Ich finde, wir haben uns gut geschlagen. Wenn mich nicht alles
täuscht, haben wir dreiundzwanzig der Bestien erledigt.«
»Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir zwölf Tote und wenigstens die
gleiche Anzahl an Verwundeten«, kam die leise Erwiderung. »Dennoch
stimme ich zu. Wir haben uns gut geschlagen.«
Mit einem leisen Seufzen löste der Kommandant den Riemen seines Helms
und nahm diesen ab. Er schüttelte leicht den Kopf, und sein langes Haar fiel
ihm in schimmernden Wellen über die Schultern. Nun, da der Schädel nicht
mehr vom schützenden Metall bedeckt war, erkannte man ein ebenmäßiges
Gesicht. Unzweifelhaft das Antlitz einer schönen Frau.
Dennoch nannte man sie nach einem Beschluss des Kronrates in Alneris
Kommandant. In dem Gremium gab es Widersacher, die befürchteten, dass,
wenn man erst den Begriff der Kommandantin einführte, andere Frauen ihrem
Beispiel folgen könnten. Für den konservativ besetzten Rat eine
ungeheuerliche Vorstellung.
Die Hochgeborene Livianya, Befehlshaberin der Festung von Maratran,
beugte sich zur Seite und zog einen Lappen aus der Satteltasche. Während sie
die Klinge ihres Schwertes säuberte, überblickte sie den Kampfplatz.
Hauptmann ta Geos räusperte sich. »Die verdammten Biester haben sich
etwas Neues einfallen lassen. Sie hätten uns beinahe überrumpelt. Fast wären
wir an ihrem Hinterhalt vorbeigeritten. Das war unser Glück, denn es zwang
sie, vorzeitig aus der Deckung zu kommen.«
Livianya nickte. »Ich denke, die Kreaturen haben sich von ihren
Kameraden eingraben lassen. Geschickt gemacht. Wahrhaftig, Bernot, diese
Irghil sind nicht dumm. Man muss bei ihnen immer auf eine Überraschung
gefasst sein.«
Der Hauptmann grinste schwach. »Immerhin haben ihnen unsere neuen
Waffen übel zugesetzt.«
»Das haben sie.« Livianya schürzte die Lippen, und es sah einen
Augenblick so aus, als schmolle sie mit ihrem Hauptmann. »Wir sollten auch
die Lanzen mit dem Quetschkopf versehen. Ihre Spitzen rutschen ab, wenn
der Winkel nicht stimmt.«
»Der Gedanke kam mir auch schon.« Ta Geos zuckte die Schultern. »Ich
habe mit unserem Waffenmeister darüber gesprochen, Hochgeborene. Er
meint, die Lanzen seien bereits unhandlich genug. Würden wir die Spitzen
noch mit Weichmetall verkleiden, würden sie zu schwer werden und vornüber
kippen.«
»Meint er das, unser Waffenmeister?« Livianya lächelte kühl. »Ich möchte
annehmen, unsere Lanzenträger tragen lieber ein wenig mehr Gewicht und
bleiben dafür länger am Leben. Bei den Finsteren Abgründen, Bernot, wir
haben zwölf gute Männer verloren! Und weitere könnten ihnen folgen.
Gardist Elgort hat ein Bein verloren. Selbst wenn die Wunde ausgebrannt und
verbunden ist, hat er kaum Chancen, zu überleben. Er ist ein guter Mann,
unser Elgort. Das konnte nur geschehen, weil die Bestien in unsere Reihen
einbrachen. Weil ein paar lausige Lanzenspitzen abrutschten.«
Hauptmann ta Geos spürte die Wut, die sie erfüllte. »Ich werde dafür
sorgen, dass der Waffenmeister die Lanzen ändert, Hochgeborene.«
»Nichts anderes erwarte ich von meinem Hauptmann.« Die Stimme
Livianyas wurde wieder weicher. »Ich will nun mit den Männern sprechen,
Bernot. Sie sollen wissen, dass ich stolz auf sie bin. Und dass wir bald
aufbrechen müssen.«
»Kehren wir denn nach Maratran zurück?«
»Wir müssen unsere Verwundeten in Sicherheit bringen. Und unsere Toten
mitnehmen. Sie sollen in der Heimat verbrannt werden, nicht in diesem
verfluchten Land Jalanne, das noch immer den Tod verheißt.«
»Ich werde es veranlassen, Hochgeborene. Ich schlage vor, das Lager auf
einem benachbarten Hügel zu errichten. Die Kadaver der Bestien werden
rasch zu stinken beginnen.«
»Wir werden hier nicht lagern, mein Freund.«
»Nicht?« Ta Geos sah die Befehlshaberin überrascht an. »Die Männer
könnten eine Rast vertragen, und wir brauchen Zeit, um die Verwundeten für
den Transport herzurichten. Für einige von ihnen werden wir Tragen
anfertigen müssen.«
»Nun, mein Hauptmann, habt Ihr Euch schon gefragt, wer wohl die
Angreifer im Boden vergrub?«
Ta Geos Augen verengten sich, und mit plötzlicher Wachsamkeit spähte er
über das Land. »Ich verstehe, Hochgeborene. Es wird geschehen, wie Ihr es
wünscht.«
Wenn ein Mann und eine Frau des Pferdevolkes sich miteinander verbanden,
so teilten sie Zügel und Wasserflasche. Es war eine jahrtausendealte
Tradition, an deren Ursprung sich niemand mehr erinnerte. Besiegelt wurde
die Verbindung mit einer feierlichen Zeremonie, die stets Anlass war für Tanz
und fröhliches Gelage in den Gehöften und Weilern der Brautleute. In der
großen Stadt Eternas hingegen war man dazu übergegangen, die Verbindung
offiziell vor dem Stadtältesten zu besiegeln und sich dann in eine der
Schänken, vornehmlich den berühmt-berüchtigten »Donnerhuf«,
zurückzuziehen. Denn in der Stadt wurden Verbindungen zu häufig
geschlossen, um sie noch, wie sonst üblich, auf dem Hauptplatz vornehmen
zu können. Nedeam hätte seine Llarana am liebsten auf dem Gehöft seines
verstorbenen Vaters Balwin geehelicht, doch die Hohe Dame Larwyn hatte
ihn freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen, dass er als Erster
Schwertmann die Mark repräsentiere und zudem hohe Gäste erwartet würden.
Kein Ort sei für diese Feier angemessener als die große Halle der Burg von
Eternas.
Nedeam hatte eingelenkt, und im Grunde war er froh darüber.
Larwyn konnte ausgesprochen energisch sein, und als Ausdruck dessen
schickte sie ihren Ersten Schwertmann in seine Räume, damit er sich
gebührend auf die Feier vorbereitete. Er würde seine geliebte Llarana an
diesem Tag nach langer Zeit zum ersten Mal wiedersehen, da sie die letzten
Monde bei ihrem Vater verbracht hatte, um sich von ihm und den Elfen des
Hauses Deshay zu verabschieden. An diesem Abend würden er und seine
Gemahlin neue Räume im Haupthaus beziehen. Larwyn hatte diese bereits
herrichten lassen. Nedeams Vorgänger Tasmund und seine Mutter Meowyn
bewohnten die angrenzenden Räume. Larwyn legte Wert darauf, vertraute
Personen um sich zu haben. Vielleicht, weil sie in ihrer Gegenwart für einen
Moment vergaß, wie sehr sie ihren Garodem vermisste.
Schon früh an diesem Morgen setzte in der Burg von Eternas eine
Betriebsamkeit ein, die weit über das normale Maß hinausging.
Ununterbrochen kamen und gingen Bedienstete und Schwertmänner, aus den
Schloten der Küche stieg Dampf empor, und die Räder von Karren und
Wagen rollten in einem fort über die beiden gepflasterten Innenhöfe. Aus der
Halle drangen Rufe und Scharren, während man sie für die Zeremonie
umräumte und schmückte. Nedeam war versucht, hinüberzugehen und
mitzuhelfen, aber er wusste, dass Larwyn dies nicht geduldet hätte. Selbst
seine Mutter Meowyn sah er nur kurz. Schon nach wenigen Worten ließ sie
ihn stehen und eilte weiter. In all der Hektik fühlte sich Nedeam seltsam
isoliert. So setzte er sich leicht verstimmt in seine Kammer und begann zum
wiederholten Male Rüstung und Waffen zu polieren und den Sitz seiner
Kleidung zu überprüfen.
»Es ist der Tag der Frauen. Sieh es ihnen nach, wenn sie da das
Kommando an sich reißen. Für sie ist es ein besonderer Moment, und da
wollen sie alles perfekt haben.« Tasmund, der Berater Larwyns und Gemahl
von Nedeams Mutter, trat durch die offene Tür herein. Nedeam schätzte den
älteren Mann und betrachtete ihn als Freund, doch als seinen Stiefvater hatte
er ihn nie ansehen können. Wenn es einen Mann gab, den der junge
Pferdelord wie einen Vater verehrte, so war dies sein alter Freund Dorkemunt.
Tasmund lächelte ihn an. »Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Tritt ein, du bist mir willkommen.«
Tasmund nickte und setzte sich auf Nedeams Bettstatt. »An einem solchen
Tag hat ein Mann rasch das Gefühl, überall nur zu stören und allen im Weg
zu stehen«, brummte er. »Als ich mich mit deiner Mutter verband, war es
nicht anders. Wahrhaftig, die Aussicht auf eine Schlacht beunruhigt mich weit
weniger als die Vorbereitungen zu einer solchen Zeremonie.«
Das konnte Nedeam durchaus nachvollziehen. Er spürte jedoch, dass
Tasmund mehr auf dem Herzen hatte, und sah ihn auffordernd an.
Sein Gegenüber kratzte sich verlegen im Nacken und verzog das Gesicht,
als dabei die Narben der alten Wunden schmerzten. »Nun, Nedeam, mein
Freund, es gibt da ein paar Dinge, die ich gerne mit dir besprechen würde.
Dinge, die wichtig sind für das Zusammenleben von Mann und Frau, du
verstehst?«
Nedeam musste sich ein Lachen verkneifen. »Ich bin nicht ganz unerfahren
in diesen Dingen, verehrter Tasmund.«
»Ja, das mag sein«, räumte dieser ein. »Allerdings ist Llarana etwas
Besonderes.«
»Das ist sie.«
»Nicht nur, weil sie Elfin ist. Nein, Nedeam, Llarana ist auch eine
Kriegerin. Doch zuallererst ist sie eine Frau, und ich denke, ich sollte dir …«
Der Erste Schwertmann verkniff sich ein Lächeln, denn Tasmund meinte
es nur gut. Also nickte er von Zeit zu Zeit höflich und ließ die Ratschläge an
seinen Ohren vorübergleiten. Wie die meisten Männer in seiner Lage glaubte
er, schon alles zu wissen. Doch er würde früh genug erfahren, wie sehr er
darin irrte. Tasmund spürte, dass Nedeam nicht wirklich bei der Sache war,
nahm dies aber hin. Es war das Vorrecht eines Mannes, seine eigenen
Erfahrungen zu sammeln. Ihm selbst wäre es nicht anders ergangen.
Am Eingang ertönte ein leiser Fluch, der die beiden herumfahren ließ. Sie
sahen eine kleine, stämmige Gestalt in der Tür stehen. Der mächtige rote
Vollbart erbebte, als ein tiefes Lachen ertönte und der Zwergenmann amüsiert
seine beiden Bartzöpfe mit den Fingern zwirbelte. »Ah, bei allen feurigen
Abgründen, Ihr guten Pferdelords solltet ein wenig mehr Rücksicht auf meine
kurzen Beine nehmen. Die Stufen hier sind beklagenswert hoch für einen
tapferen Axtschläger.«
Nedeam sprang auf und eilte freudig zu dem kleinen Mann hinüber.
»Olruk! Wie schön, Euch zu sehen!« Er zupfte den Zwerg zur Begrüßung an
den Bartzöpfen, wie es die Sitte dieses Volkes war.
Der kleine Mann musste sich behelfen und legte seine Hände an die Arme
des Freundes. »Ihr solltet Euch endlich einen ordentlichen Bart wachsen
lassen, Nedeam. Eine Schande ist das. Ein so ehrbarer und tapferer Krieger,
und kein anständiges Haar im Gesicht.«
Sie hatten so manches gemeinsam erlebt und freuten sich nun über das
Wiedersehen. Olruk schnäuzte sich gerührt. »Ich komme im Gefolge Balruks,
unseres guten Königs. Er wird Euch die besten Wünsche der grünen
Kristallstadt Nal’t’rund überbringen.« Der Axtschläger senkte die Stimme
und zwinkerte vergnügt mit den Augen. »Und ich überbringe ein paar Fässer
mit dem allerbesten Blor. Schließlich gibt es Grund zum Feiern.«
»Fässer?« Tasmunds Stimme klang besorgt. Er kannte die mörderische
Wirkung des aus Pilzen gegorenen Alkohols und sah die gesamte Besatzung
der Burg bereits im Vollrausch auf dem Boden liegen, hilflos jedem Feind
ausgeliefert.
»Wir Zwerge haben uns Mühe gegeben«, bekräftigte Olruk, »und die
Fässer so groß gebaut, wie es bei euch Menschen üblich ist.«
Tasmund stöhnte leise. »Ich werde wohl dafür sorgen müssen, dass einige
der Schwertmänner das Blor nicht anrühren.«
Olruk nahm es pragmatisch. »Umso mehr bleibt für die anderen. Doch
keine Sorge, der Vorrat ist reichlich bemessen.«
Daran zweifelte keiner der anwesenden Pferdelords. Sie kannten die
Großzügigkeit des kleinwüchsigen Volkes. Nedeam lächelte. »Ihr werdet
heute einem weiteren Freund begegnen, Olruk.«
Der Zwerg zupfte abermals an seinen Zöpfen. »Nun, ich denke, wenn sich
der Pferdereiter Nedeam bindet, dann ist sein Freund Dorkemunt nicht weit.
Es wird mir ein großes Vergnügen sein, ihn wiederzusehen. Wir sind uns sehr
ähnlich. Nun, er ist ein wenig größer als ich, aber er schlägt die Axt wie ein
wahrer Zwerg.«
Tasmund rieb sich die Hände. »Ich denke, ich werde einmal nachsehen,
wie es um die Vorbereitungen steht und welche Gäste schon eingetroffen
sind.«
»Ja, eine gute Idee«, fand Nedeam.
»Die Elfen sind bereits da«, sagte der Zwerg. »Wir trafen sie direkt am
Zugang zur Burg.«
»Llarana ist schon da?«, rief Nedeam erfreut und machte Anstalten, sich
Tasmund anzuschließen.
»Nichts da!« In überraschender Eintracht versperrten der alte Schwertmann
und Olruk ihrem Freund den Weg. »Die Hohe Dame Larwyn hat jedem
Einzelnen in dieser Burg eingeschärft, dass Ihr erst zur Zeremonie in die
Halle dürft.« Olruk nickte bedächtig. »Ich an Eurer Stelle würde mich nicht
mit der Hohen Dame anlegen, mein Freund. Sie ist mächtig am Meißeln,
wenn Ihr versteht?«
Zumindest begriff Nedeam, das Larwyn äußerst rührig war und wohl sehr
eindeutige Anweisungen gegeben hatte. Wenn er nicht gewusst hätte, dass sie
damit nur den Traditionen des Pferdevolkes nachkam, wäre er sich
bevormundet vorgekommen.
»Ihr habt euch alle gegen mich verschworen«, sagte er mit halbherzigem
Lächeln. »Und wann darf ich meinen Kerker verlassen?«
»Die Herrin Larwyn und deine Mutter Meowyn besprechen sich gerade
mit den Elfen, um den Ablauf der Zeremonie festzulegen.« Tasmund leckte
sich über die Lippen. »Bedenke, dass dies auch für die Elfen ein besonderer
Tag ist. Sie verlassen nun endgültig das Land, und ihre letzte Begegnung mit
uns Menschen wird die Vermählung einer Elfin mit einem Pferdelord sein. Da
geht es auch um Symbolik, Nedeam.«
Olruk nickte ernsthaft. »Du hättest dir wirklich einen ordentlichen Bart
zulegen sollen. Wenigstens für diesen Anlass.«
»Unsinn, Olruk, alter Freund, was erzählt Ihr da? Einem zarten elfischen
Antlitz kann man nicht zumuten, sich in ein Gestrüpp wie das Eure zu
schmiegen.«
Es war unzweifelhaft Dorkemunts Stimme, und in Nedeams Kammer
wurde es etwas eng, als nun auch der kleinwüchsige Pferdelord zu ihnen
hereintrat. Noch während Nedeam und Olruk ihren Freund herzlich
begrüßten, zwängte sich eine weitere Gestalt herein. Sie war riesig, und ein
langer brauner Umhang verhüllte ihren Körper, während eine weit
geschnittene Kapuze das Gesicht verbarg.
Olruk schnappte instinktiv nach Luft, und automatisch fuhren seine Hände
hoch zu seinen Schultern. Normalerweise befanden sich dort die Griffe seiner
Kampfäxte, die er, wie jeder Zwergenkrieger, in Futteralen auf dem Rücken
trug. Doch an diesem Tag hatte er sein Festgewand angetan und keine Äxte
dabei. Als ihm dies bewusst wurde, verkrampften sich seine Hände für einen
Augenblick.
Dorkemunt trat hastig zwischen den Zwerg und die zuletzt eingetretene
Person.
»Ich kenne diesen Gestank«, ächzte Olruk. »Sagt mir, dass es nicht wahr
ist, Dorkemunt, mein Freund.«
»Es ist wahr«, erwiderte dieser schlicht. »Es herrscht eine Art, äh, Frieden
zwischen uns.«
»Also stimmen die Gerüchte«, murmelte der Zwerg benommen. »Eine
Bestie lebt unter dem Schutz des Pferdevolkes.«
Die Gestalt in dem Kapuzenmantel versteifte sich, aber sie schwieg, wenn
man einmal von einem leisen Knurren absah. Dorkemunt blickte den kleinen
Freund beschwörend an. »Es gibt eine Übereinkunft zwischen ihm und mir,
Olruk. Er heißt Fangschlag und ist ein orkisches Rundohr. Einst führte er
mehrere ihrer Legionen. Er ist ein ehrenhafter Kämpfer.«
»Kein Ork hat Ehre«, zischte der Zwerg.
Das Rundohr machte eine Bewegung, als wolle es den kleinen Mann
packen. Nun trat auch Nedeam hastig dazwischen. »Haltet Frieden«, mahnte
er. »Dieses Rundohr hat Ehre. Darauf gebe ich Euch mein Wort, Olruk.
Fangschlag ist nun schon seit drei Jahreswenden bei uns. Er lebt mit
Dorkemunt draußen auf unserem alten Gehöft.«
Dorkemunt nickte bestätigend. »Auch die brave Witwe Henelyn und ihre
Söhne Anderim und Lenim leben dort. Sie haben sich an ihn gewöhnt.«
Dorkemunt verschwieg die Schwierigkeiten, die es am Anfang gegeben
hatte. Die Orks des Schwarzen Lords waren die Feinde aller Menschen. Wo
man aufeinandertraf, floss das rote Blut der einen oder das dunkle der anderen
Seite. Henelyn hatte ihren Mann Kelmos im Kampf gegen die Bestien
verloren, und der kleine Pferdelord wusste noch immer nicht genau, wie er es
vollbracht hatte, dass der Boden des eigenen Gehöfts nicht ebenfalls von Blut
getränkt wurde, als er mit dem Rundohr dort auftauchte. Es hatte vieler
Gespräche bedurft, und manche Tränen waren geflossen, bis Henelyn
zustimmte, Fangschlag eine kleine Hütte auf dem Gehöft beziehen zu lassen.
Sie betrachtete den Ork mit Misstrauen, und seit seiner Ankunft trugen ihre
Söhne immer eine Waffe bei sich. Dorkemunt wusste, dass das riesige
Rundohr die drei mühelos hätte töten können. Doch der Krieger hielt sich an
das Versprechen, das er Dorkemunt und den Pferdelords gegeben hatte. Er
würde keinem Angehörigen des Pferdevolkes etwas zu Leide tun, bis er
seinen Schwur erfüllt und den Ork Einohr getötet hatte. Der inbrünstige Hass
auf dieses hinterlistige Spitzohr hielt Fangschlag auch jetzt davon ab, gegen
Olruk vorzugehen.
Dorkemunt sah seinen Freund Nedeam bittend an. »Ich wollte ihn nicht
allein auf dem Gehöft lassen, Nedeam. Nicht wegen Henelyn und ihren
Söhnen. Aber du weißt, dass viele Bewohner der Mark nicht damit
einverstanden sind, dass sich ein Rundohr unter uns befindet. Es ist besser,
wenn ich in seiner Nähe bin und jeden Übergriff verhindern kann. Ich habe
ihn in die Burg geschmuggelt, was bei dem Trubel nicht besonders schwer
war. Natürlich kann er nicht an der Zeremonie teilnehmen«, schränkte
Dorkemunt hastig ein. »Doch du könntest ihm deine Kammer zur Verfügung
stellen. Hier kann er sich verbergen, bis die Gäste wieder abgereist sind.«
Nedeam nickte zögernd. Auch wenn er die Ehrenhaftigkeit Fangschlags
anerkannte, so war es doch ein unangenehmes Gefühl, eine ungezähmte
Bestie, die nur durch ihr Wort gebunden war, in der Nähe zu wissen. »Schön,
er kann meine Kammer benutzen, bis alles vorüber ist.«
Sie beschworen Olruk, über die Anwesenheit des Orks zu schweigen. Ihre
ganze Überredungskunst mussten sie aufwenden, bis der Zwerg endlich
einwilligte. Schließlich seufzte Dorkemunt erleichtert. »Schön, dann sollten
wir nun gehen. Du wirst hier bleiben und nichts anstellen, nicht wahr,
Fangschlag?«
»Fangschlag wird nichts anstellen«, brummte der Ork. »Fangschlag hat
Ehre.«
Dorkemunt nickte und zog einen Beutel mit getrockneten Fleischstreifen
vom Gürtel, wie ihn die Pferdelords bei längeren Ritten als Proviant
mitführten. »Ich werde dir noch etwas Würzfleisch hierlassen. Nicht dass du
die Leute verschreckst, weil du draußen nach Essbarem suchst.«
»Ich bin nicht dumm«, knurrte der Ork mit seiner tiefen Stimme. »Ich bin
ein Krieger, und ich bin nicht dumm.«
»Ich weiß, Fangschlag.« Dorkemunt zuckte die Schultern. »Ich wollte dich
nicht beleidigen. Ich bin nur sehr nervös, verstehst du?«
»Fangschlag versteht.« Die Gestalt wandte sich Nedeam zu. »Es ist, weil
dein Junges heute ein Weibchen bekommt.«
Tasmund runzelte verblüfft die Stirn, und Dorkemunt lächelte
entschuldigend. »Nun ja, in den vergangenen Jahreswenden habe ich ihm so
einiges beigebracht, ihr versteht? Wolltiere hüten und sie nicht gleich
schlachten, Zäune flicken und Dächer reparieren. Nützliches Zeug halt. Er
kann sich inzwischen sogar dem einen oder anderen Pferd nähern, ohne dass
sie sich gegenseitig zu beißen versuchen. Nun, bekanntlich haben ja die Orks
keine zwei Geschlechter. Sie wissen natürlich, dass es sich damit bei uns
anders verhält. Also, ich meine, dass es bei uns Männer und Frauen gibt. Ich
habe ihm nur die gröbsten Zusammenhänge erklärt … so gut es halt ging. Er
versteht nichts von Frauen. Aber, nun, wer tut das schon?« Dorkemunt kratzte
sich im Nacken. »Bei der Gelegenheit … Wir sollten jetzt wirklich gehen.
Und mit dir, Nedeam, mein Sohn, hätte ich noch ein paar Worte zu wechseln.
Draußen vor der Tür, wenn es recht ist.«
Tasmund nahm Olruk in Beschlag, der noch immer leicht benommen
wirkte. Und Dorkemunt zog seinen Freund und Ziehsohn Nedeam in den
Schatten des Aufgangs, der zu den Kammern führte.
»Nedeam, mein Sohn, es ist vielleicht nicht der rechte Ort und die rechte
Zeit, aber es gibt da ein paar Dinge, die du unbedingt wissen solltest. Ich hätte
wohl früher mit dir darüber sprechen sollen, doch irgendwie hat sich nie die
Gelegenheit ergeben. Es gibt da ein paar Dinge im Zusammenleben von
Mann und Frau …«
Nedeam dachte an Tasmunds Worte und lachte leise auf.
Dorkemunt errötete ein wenig. »Ich meine nicht jene Dinge, die ein Mann
und sein Weib so tun. Es geht um Llarana, mein Junge. Zum einen ist sie eine
Elfin. Aber sie ist vor allem eine Frau. Und eine Kriegerin, Nedeam, vergiss
das nicht. Sie ist kein gewöhnliches Weib, du verstehst? Ich sollte dir …«
Nedeam nahm die Ratschläge hin und begann sich zu fragen, ob ihm bei
all den gut gemeinten Worten überhaupt noch Zeit für die Zeremonie bleiben
würde. Er ahnte, dass seine Mutter Meowyn wohl auch noch ihren Beitrag
leisten würde, und unterdrückte ein Seufzen. Er wollte es endlich hinter sich
bringen und seine geliebte Llarana in die Arme schließen. Viel zu lange hatte
er ihre Liebe schon vermisst. In dieser Nacht würden sie auch erstmals die
Bettstatt miteinander teilen. Das bereitete ihm eigentlich die größten Sorgen.
Die Elfen waren in allen Künsten bewandert, aber Nedeam war diesbezüglich
noch ohne Erfahrung. Als er und Llarana sich einander versprochen hatten, da
hatte er ihr durchaus näher kommen wollen, doch die Elfin hatte ihn sanft
zurückgewiesen und es mit den Traditionen ihres Volkes begründet. Bei den
Finsteren Abgründen, drei Jahre mochten für eine unsterbliche Elfin nur ein
Atemzug sein, aber ahnte sie denn, wie viele Atemzüge er in dieser Zeit getan
hatte? Doch zuerst kamen die Zeremonie und die Feier. Nedeam nahm sich
sicherheitshalber vor, das Blor seiner Zwergenfreunde an diesem Tag zu
meiden.
Dann, endlich, hatten sich Larwyn, Meowyn und die Elfen über den
Ablauf der Zeremonie verständigt, und das Ergebnis wurde den beteiligten
Pferdelords verkündet.
»Unbedeckt?!« Tasmunds Gesicht verriet Fassungslosigkeit. Auch
Nedeam und Dorkemunt staunten ungläubig. »Ihr meint, vollkommen nackt?
Ohne jegliche Bekleidung?«
Jalan-olud-Deshay, Erster des Hauses Deshay und Llaranas Vater, nickte
gleichmütig. »So ist es elfischer Brauch.«
»Das ist … das ist aber … ungebührlich«, brummte Tasmund. »Nur Mann
und Weib zeigen sich einander nackt.«
»Wenn Ihr Pferdemenschen nach einem langen Ritt auf einen Weiher
stoßt, so badet Ihr auch unbedeckt und zeigt Euch einander, nicht wahr?«
Elodarion-olud-Elodarion, dessen Kinder Lotaras und Leoryn gute Freunde
der Pferdelords und vor allem Nedeams waren, machte eine versöhnliche
Geste.
»Das ist etwas anderes.« Dorkemunt strich sich über das Kinn. »Da
schauen schließlich keine Weiber zu.«
»Wenn wir das Licht des Lebens erblicken«, sagte Elodarion leise, »so tun
wir dies ebenfalls unbekleidet. Es hat rein symbolischen Charakter, Ihr
Pferdelords. Man tritt schutzlos zwischen die seinen und vertraut sich ihnen
an. Eben dies soll die Nacktheit während der Zeremonie zum Ausdruck
bringen.«
Nedeam räusperte sich. »Immerhin, sie findet in der großen Halle statt und
nicht auf dem öffentlichen Platz der Stadt. Die Zahl der Zuschauer ist
begrenzt.«
»Es geht nicht um Zahlen«, knurrte Tasmund. »Es entspricht nicht unserer
Tradition.«
»Die Bräuche der elfischen Häuser sind älter«, entgegnete Jalan lakonisch.
Elodarion nickte. »Bedenkt den Anlass, meine menschlichen Freunde. Es
ist sehr lange her, dass sich ein elfisches Wesen und ein Mensch miteinander
verbanden.«
»Die Zeremonie wird nicht lange dauern«, sagte Nedeam entschlossen,
»und danach können wir uns rasch wieder ankleiden.«
Tasmund machte ein unbestimmbares Geräusch und zuckte dann die
Schultern. »Es ist dein Ehrentag, Nedeam, und der Llaranas. Wenn die Hohe
Dame Larwyn keine Einwände hat, will ich mich dem elfischen Brauch
fügen.«
Es dauerte noch zwei Zehnteltage, bis es endlich so weit war. Nedeam war
aufgeregt wie ein junges Fohlen. Larwyn schien sich mit allen anderen gegen
ihn verschworen zu haben, und so hielt man ihn vom Betreten des
Haupthauses und der Halle ab. Er war dazu verurteilt, von den Treppen vor
der Unterkunft aus zuzusehen, wie die Gäste eintrafen. Der Pferdelord hatte
das Gefühl, dass alle bestens informiert waren, während man ihn im
Ungewissen ließ. Einmal, ein einziges Mal, konnte er seine Llarana aus
einiger Entfernung sehen, und ihr Lächeln war ihm der einzige Lichtblick.
Unter dem Tor der Burg von Eternas erklang das Poltern von Hufen. Der
alte Scharführer Kormund, ein treuer Kampfgefährte und Freund von Nedeam
und Dorkemunt, trabte mit einem Ehrenberitt der Schwertmänner herein.
Lederzeug, Rüstungen und Waffen blitzten im Sonnenlicht, und die Männer
bemühten sich, keine Miene zu verziehen. Dennoch konnten einige von ihnen
ein Grinsen nicht unterdrücken, als sie den nervösen Bräutigam bemerkten, zu
dessen Ehren sie einrückten.
Dann, Nedeam mochte es kaum mehr glauben, begann die Zeremonie.
Dorkemunt trat an seine Seite. Der kleinwüchsige Pferdelord hatte Nedeam
kennengelernt, als dieser zwölf Jahre alt war und gerade seinen Vater Balwin
verloren hatte. Als Nedeam kurz darauf den Eid des Pferdelords ablegte, war
es Dorkemunt gewesen, der für ihn sprach, und so würde es auch an diesem
Tage sein.
Die Schwertmänner auf den Stufen zum Hauptgebäude nahmen
Ehrenhaltung an, und die beiden Pferdelords traten in den Eingang der großen
Halle, die von Stimmengewirr erfüllt war. Ein wenig verlegen entkleideten sie
sich. Schwertmänner nahmen die zusammengefalteten Bündel auf und legten
sie zu einem Stapel mit den Kleidungsstücken der anderen Gäste. Dorkemunt
schaffte es, eine unbeteiligte Miene zu machen, während Nedeam Nervosität
und Vorfreude im Gesicht standen. Nur noch das Klatschen ihrer nackten
Füße auf dem steinernen Hallenboden war zu hören, als der Lärm der
anwesenden Personen verstummte und andächtiger Stille wich.
Jenseits der beiden schwarzen Säulenreihen, welche die Halle an den
Längsseiten säumten, hatte man Tische und Bänke für die anschließende Feier
gestapelt. Wimpel der Beritte, das Banner der Hochmark und bunte Bänder
schmückten den Raum. Sonst hingen hier auch einige erbeutete Orkbanner,
doch für diesen Tag hatte man sie entfernt. Gemessenen Schrittes gingen
Nedeam und Dorkemunt zwischen den Anwesenden hindurch, die für sie eine
Gasse bildeten. Menschen, Elfen und eine kleine Gruppe Zwerge folgten den
beiden auf ihrem Weg zur Stirnseite der Halle mit den Blicken.
Dort, wo normalerweise die Stühle des Pferdefürsten der Hochmark und
ihrer Herrin standen, erhob sich nun eine hüfthohe Säule mit einem
Wasserbecken darauf. Das große Banner der Mark war durch Blüten und
grüne Zweige ersetzt. Unter diesem Schmuck standen Jalan-olud-Deshay und
Llarana.
Dorkemunt schien, im Gegensatz zu Nedeam, ein paar Anweisungen
erhalten zu haben, denn einige Schritte vor den beiden Elfen hielt er den
Bräutigam sanft zurück. Die nackte Haut von Vater und Tochter schimmerte
im Licht, das durch die hoch gelegenen Fenster der Halle fiel. Ihre Körper
waren makellos und wiesen keine Spuren des Alters auf. Nur wenn man
genau hinsah, konnte man am Leib Jalans die Narben der Wunden erkennen,
die er im Kampf erlitten hatte.
»Zu einer Zeit, da der Fuß des Menschen den Boden noch nicht berührte,
erblickten die Häuser der Elfen das Licht der Welt.« Jalans Stimme war leise
und erfüllte doch die Halle. »Wir Elfen haben die Geburt der
Menschengeschlechter verfolgt und ihren Weg begleitet. Wir sind von
unterschiedlicher Art, wir Elfen und ihr Menschen. Und doch sind wir eins,
denn unser Blut ist von gleichem Ursprung.«
Der Älteste des Hauses Deshay trat an die Schale heran und griff in das
bläulich glitzernde Wasser. Als er die Hand wieder herauszog, blitzte in ihr
die Klinge eines kleinen Dolches auf. »An diesem Tag wird sich das Blut
unserer Völker vermischen. Ein Sohn des Menschenvolkes und eine Tochter
der Elfen werden sich vereinen. Ihr Blut und ihr Leben werden eins sein.«
Llarana trat an die Seite ihres Vaters, und Dorkemunt gab Nedeam einen
unmerklichen Stoß. Jalan sah den Pferdelord eindringlich an. In seinem Blick
schien eine Mahnung zu liegen. Der Elf stand den Menschen eigentlich
kritisch gegenüber und war ursprünglich gegen die Verbindung der beiden
gewesen. Doch Nedeams Kampf für das Haus Deshay, gegen Graue Zauberer
und Orks, hatten dem Pferdelord den Respekt Jalans eingebracht. Und sein
Einsatz zur Befreiung der Ältesten aus den Händen der Schwärme der See
hatte dann zu wirklicher Freundschaft zwischen ihnen geführt. So war Jalans
Blick in diesem Moment nicht Ausdruck einer Skepsis gegenüber der
Verbindung zwischen Mensch und Elf, sondern zeigte die Besorgnis eines
Vaters, der allein das Glück seiner Tochter im Sinn hatte.
Jalan ritzte mit dem Dolch die Daumenkuppen des Paares an und ließ ihn
zurück ins Wasser gleiten, als einige Tropfen Blut in die Schale fielen. Dann
presste er die Wunden sanft aneinander. »So, wie sich nun euer Blut
vermischt, soll auch euer Atem sich vermischen und darin zum Symbol eures
gemeinsamen Lebens werden.«
Llarana erwiderte Nedeams Blick und hauchte ihm ins Gesicht. »Mein
Atem sei deine Wärme und dein Leben«, sagte sie mit weicher Stimme.
Nedeam spürte einen Kloß in seinem Hals und schluckte nervös. Seine
Stimme klang nicht ganz so selbstsicher, wie er es sich gewünscht hätte.
»Mein Atem sei deine Wärme und dein Leben«, erwiderte er.
Jalan löste ihre Hände. »So ist der Name Llarana-olud-Deshay nun
vergangen. Möge das Leben Llaranyas und Nedeams von Glück begleitet
sein.«
Der Älteste trat zurück, und der Bräutigam sah seine Braut ein wenig
verwirrt an, als ringsum Hochrufe erschallten. Die anwesenden
Schwertmänner, die üblicherweise ihre Zustimmung zeigten, indem sie mit
den Klingen rhythmisch auf den Boden stießen, stampften in Ermangelung
der Waffen mit bloßen Füßen auf. Dann strömten die ersten Gratulanten auf
die Vermählten zu.
Tasmund sah den kleinen Herrn Olruk irritiert an. »Das war alles?«
»Braucht es mehr?«, raunte ihm Elodarion zu. »Unser langes Leben hat
uns nicht dazu verführt, Zeit zu verschwenden. Was ist natürlicher als eine
Verbindung zwischen Mann und Frau? Sie lieben einander, und Jalan hat die
Zustimmung gegeben. Nun bricht die Zeit der Freude an.«
Tasmund nickte erleichtert. »Schön, dann kann ich mich ja wieder
anziehen.«
Olruk grinste verschmitzt. »Ihr Pferdelords solltet Euch wirklich die Zierde
eines Zwergenmannes wachsen lassen. Unser Bart ist dicht und lang, ich
brauchte nicht einmal ein Lendentuch, denn jeder Blick verfing sich in der
Pracht meiner Bartzöpfe.«
Während Nedeam und Llaranya die Glückwünsche der Anwesenden
entgegennahmen und diese sich beeilten, sich wieder würdig zu bekleiden,
hasteten Bedienstete durch die Halle und begannen alles für die Feier
herzurichten. In all dem Geschiebe und Gedränge waren die beiden
Vermählten bald die Einzigen, die noch nicht dazu gekommen waren, sich
anzuziehen. Tasmund, den dies verlegen machte, eilte zu ihnen hinüber und
hüllte sie in die Umhänge zweier Schwertmänner.
Jalan-olud-Deshay beobachtete dies und sprach den ergrauten Berater
Larwyns an. »Ein gutes Symbol habt Ihr da gewählt, Hoher Herr Tasmund.
Obwohl ihnen die elfischen Umhänge ebenso gut stünden.« Er trat zu den
Brautleuten. »Ich weiß um eure aufrechten Gefühle und darum, dass ihr
füreinander da sein werdet. Das macht es mir leichter, zu den Neuen Ufern
aufzubrechen und euch zurückzulassen. Doch wir werden immer miteinander
verbunden sein. Solange unser Blut fließt und unser Atem wärmt.«
Schließlich gelang es Nedeam und Llaranya, sich aus der Menge zu
befreien und ihre Festgewänder anzulegen. Abseits des Trubels fanden sie
endlich die Gelegenheit zu jenem Kuss, nach dem sie sich so lange gesehnt
hatten. Es war der verheißungsvolle Auftakt zu dem, was im Verlauf der
Nacht folgen würde. Doch bevor die beiden sich ihrer Zweisamkeit hingeben
konnten, galt es, den Abend mit den Gästen zu verbringen.
Gesang und Tanz und das Gewirr zahlreicher Stimmen füllten die Halle bis
in die Nacht hinein. Das üppige Mahl wurde mit Wasser, Gerstensaft und
Wein hinuntergespült, und auch das Blor der Zwerge kreiste, wie Tasmund es
befürchtet hatte, reichlich. Immerhin hatte der Vorgänger Nedeams ein paar
hartgesottene Schwertmänner gefunden, die unverzagt ihren Dienst versahen.
Im Gegensatz zu den Menschen blieben die Zwerge halbwegs nüchtern, da sie
das Blor gewohnt waren. Zumindest konnten sie sich noch auf den Beinen
halten, auch wenn die steinernen Bodenplatten ein Eigenleben zu entwickeln
schienen. Nur den Elfen konnte offenbar kein alkoholisches Getränk etwas
anhaben. Ihre Gruppe hatte sich ein wenig zurückgezogen und betrachtete das
bunte Treiben aus der Distanz.
Als Nedeam und Llaranya zur Treppe hinübergingen, die ins Obergeschoss
führte, grinste Dorkemunt ihnen trunken zu. Er hatte einen Arm um seinen
Freund Olruk gelegt und nagte genüsslich an einer Bratenkeule. Nedeam sah
das verständige Lächeln seiner Mutter Meowyn, die neben ihrem Gemahl
Tasmund saß, und spürte dann den sanften Zug von Llaranyas Hand. So
folgte er ihr die Stufen hinauf. Die Stufen jener Treppe, auf der Garodem vor
rund drei Jahren zu Tode gestürzt war. Doch in Gegenwart seiner Gemahlin
verdrängte er die wehmütigen Gedanken, die er hier sonst oft empfand.
Oben, auf dem Podest vor der massiven Tür, die ins Amtszimmer des
Pferdefürsten führte, stand ein Ehrenposten auf Wache. Nedeam blinzelte
überrascht, als er den Mann erkannte. »Kormund?«
Der alte Scharführer nahm Haltung an, obwohl ihn dabei sicherlich die
Narbe der alten Brustwunde schmerzte. »Scharführer Kormund auf
Ehrenwache«, meldete er förmlich. Dann zwinkerte er Nedeam und Llaranya
zu. »Dies ist ein besonderer Tag, Erster Schwertmann, und es ist eine
besondere Nacht.« Sein Lächeln galt der Elfin, die es sanft erwiderte. »Nichts
wird Euch heute stören. Nur die Besten sind auf Wache. Die Allerbesten.
Tasmund, Dorkemunt und ich haben sie handverlesen.« Er grinste. »Und der
Bursche auf dem Signalturm trägt Polster unter den Stiefeln. So werdet Ihr
ihn nicht hören, wenn er auf der Plattform herumpoltert. Möge Euch beiden
für Euer Leben alles Glück beschieden sein.«
Kormund pochte kurz an die Tür, bevor er sie öffnete.
Das junge Paar trat an ihm vorbei in den Amtsraum, wo die Hohe Dame
Larwyn an einem der Fenster stand und versonnen in die Nacht hinausblickte.
Sie wandte sich den beiden zu und legte ihnen die Hände auf die Schultern,
wobei sie die Elfin ansah. »Ihr seid nun eine Frau des Pferdevolkes, Llaranya,
auch wenn Ihr immer Eurem elfischen Hause verbunden bleibt. Seid gewiss,
dass Ihr mir und allen Menschen der Mark willkommen seid.«
Die Herrin der Hochmark zog die junge Elfin kurz an sich und trat dann
zurück. »Alles ist bereitet. Niemand wird Eure Ruhe stören. Genießt diese
unvergänglichen Momente.«
Larwyn wandte sich ab, und Nedeam spürte, dass die Gedanken seiner
Herrin nun bei Garodem weilten. Doch das Lächeln in ihrem Gesicht zeigte
ihm, dass dies zum ersten Mal seit Langem ohne Schmerz geschah. Das
offensichtliche Glück des Paares schien selbst der Hohen Dame Trost zu
spenden.
Hinter dem Amtsraum lag der Gang, von dem die Räume abzweigten, die
von Larwyn sowie von Tasmund mit seiner Gemahlin Meowyn genutzt
wurden. Am Ende des Ganges, knapp vor der Treppe, die auf den hohen
Signalturm der Burg hinaufführte, lagen die Gemächer, in denen von nun an
Nedeam und seine Llaranya wohnen würden.
Larwyn hatte recht. Alles war bereit und wie es sein sollte. Wie es ein
junges Brautpaar des Pferdevolkes sich nur wünschen konnte. Die Räume
waren von sanftem Lampenschein erhellt, auf dem Tisch standen ein Schale
Obst, kalter Braten und zwei Karaffen mit kühlem Wasser und mit Wein. Die
Tür zum Schlafgemach war offen und das Bett mit frischen Blüten bestreut,
deren Duft den Raum erfüllte.
Als die beiden darauf niedersanken, fügte sich alles. So, wie es sich immer
fügt, wenn zwei Menschen füreinander bestimmt sind. Nichts störte ihre
Liebe und nichts die Ruhe der Nacht, als sie schließlich erschöpft und
glücklich in den Schlaf glitten.
Bis Nedeam den Schrei hörte.
Er wusste nicht, wie spät es war. Durch das kleine Fenster fiel Sternenlicht
herein und erleuchtete schwach den Raum. Gerade genug, um sich orientieren
zu können.
Da war es wieder.
Der Pferdelord richtete sich ruckartig auf. War es überhaupt ein Schrei
gewesen?
Neben ihm schlug Llaranya die Augen auf. Sie bemerkte sofort die
angespannte Haltung ihres Gemahls und war augenblicklich hellwach. Die
Sinne eines Elfen waren ohnehin schärfer als die der Menschen, und die
Jahre, in denen ihr Heim unter der Herrschaft der Feinde gestanden hatte,
hatten ein Übriges getan. »Gefahr?«
Nedeam lauschte. »Ich weiß nicht. Ich meinte, einen Schrei gehört zu
haben. Nein, es war eher eine Empfindung als ein wirklicher Laut. Ein …
Gefühl, verstehst du?«
Llaranya schwang sich entschlossen von der Bettstatt. Sie zögerte keinen
Moment. »Lass uns nachsehen.«
In den Gewohnheiten des Pferdevolkes war es tief verwurzelt, während der
Nacht an der Schlafstelle eine Waffe griffbereit zu haben. Jahrtausendealte
Erfahrungen mit Raubtieren und Feinden hatten es die Menschen gelehrt.
Doch in dieser Nacht fand das Paar keine Waffen vor. So traten sie leise und
unbewehrt auf den Gang hinaus, der die Räume des Obergeschosses
miteinander verband.
Llaranya lauschte. »Ich höre leisen Gesang aus der Halle. Wenn man das
Gejaule so bezeichnen mag.«
»Es müssen die Zwerge und die Männer deines Volkes sein«, murmelte
Nedeam geistesabwesend. »Andere werden sich kaum noch auf den Beinen
halten können.«
»Töne aus elfischen Kehlen bezaubern die Sinne«, erwiderte Llaranya
selbstbewusst. »Das dort müssen also Zwerge sein.«
»Wie auch immer. Diese Laute haben mich nicht aufgeschreckt. Es war
etwas anderes.«
»Sonst ist nichts zu hören. Halt, da bewegt sich jemand über uns.«
»Die Wache auf dem Signalturm.« Sie musste wirklich erstaunlich scharfe
Sinne haben, denn er selbst konnte die Schritte des Schwertmanns nicht
hören. Nedeam blickte nach rechts und links. Sein Unbehagen wuchs, als er
zu der Tür blickte, die zum Amtsraum des Pferdefürsten führte. Er gab sich
einen Ruck und schritt darauf zu.
Nedeam wusste nicht, ob die Hohe Dame Larwyn inzwischen den Raum
verlassen und ihre eigenen Gemächer aufgesucht hatte. So klopfte er an die
Tür, wie es sich gebührte, und öffnete sie, als keine Antwort kam.
»Larwyn!«
Er sah sie sofort.
Die Herrin der Hochmark lag zwischen Stuhl und Schreibtisch mit dem
Rücken auf dem Boden. Ihre Augen waren weit aufgerissen, Speichel sickerte
aus den Mundwinkeln, und ihre Glieder zuckten.
»Kormund!«, schrie Nedeam. »Schwertmänner der Wache! Die Herrin ist
erkrankt!«
Llaranya schob ihn einfach zur Seite und kniete sich neben die Hohe
Dame. »Rasch, Nedeam, hole meine Elfenschwester Leoryn. Sie ist Heilerin
und wird helfen können.«
»Und Meowyn, meine Mutter. Auch sie beherrscht die Heilkunst.«
Nedeam wandte sich den Gemächern Tasmunds und seiner Mutter zu.
Hinter ihm war ein Poltern zu hören, als Scharführer Kormund, durch den
Schrei alarmiert, mit gezückter Klinge hereinstürzte. Betroffen blieb der alte
Kämpfer beim Anblick Larwyns stehen. »Ist die Herrin gestürzt?«
»Sie ist erkrankt«, wiederholte Nedeam und hastete in den Gang. Auf
seinen Ruf hin kamen Bewegung und Unruhe in die Burg. Schritte und
Stimmen waren zu vernehmen.
Kormund kniete sich neben Larwyn und Llaranya nieder. »Sie schlägt um
sich. Wir müssen sie festhalten, damit sie sich nicht verletzt.«
»Sie krampft.« Die Elfin schüttelte den Kopf. »Wenn wir sie dabei
festhalten, kann es sein, dass sie sich die Knochen bricht. Es ist besser, wir
schieben Stuhl und Tisch zur Seite, sodass sie sich nicht an ihnen stoßen
kann.« Llaranya wandte den Blick zur Tür. »Wo bleibt die Heilerin?«, rief
sie.
Als sie den Blick zu Kormund wandte, erkannte dieser die tiefe Sorge, von
der Llaranya erfüllt war. »Ist es so ernst?«
Die Elfin nickte. »Wenn die Heilerinnen nicht rasch kommen, wird sie
sterben. Doch ich fürchte, dass selbst Leoryn und Meowyn der Herrin kaum
mehr werden helfen können.«