Die UFO-Akten 24 - Kolja van Horn - E-Book

Die UFO-Akten 24 E-Book

Kolja van Horn

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Beschreibung

Die Ereignisse, die das mysteriöse Dossier schildert, welches Cliff und Judy von Senator Campbell zugespielt wird, reichen zurück bis ins Iowa der 1990er-Jahre. Damals soll ein anonymer Anruf bei der Polizei eingegangen sein, der einen kollektiven Suizid auf der Farm der naturverbundenen Sekte Corn-People ankündigte. Als die Einsatzkräfte vor Ort eintrafen, waren bis auf ein kleines Mädchen namens Green Genie sämtliche Bewohner des Anwesens bereits tot. Wie Obduktionen ergaben, hatten sie sie sich mit Schierling vergiftet. Merkwürdig jedoch, dass dieses tödliche Kraut nirgends auf dem Gelände gefunden werden konnte. Da es keinerlei Anzeichen von Fremdeinwirkung gab, wurde das Verfahren wenig später eingestellt.
Ein Fehler, wie sich heute zeigt, als ein Rockmusiker in Las Vegas zu Tode kommt, nachdem er Kontakt zu dem verschollenen, mittlerweile knapp dreißigjährigen Mädchen hatte ...


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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Green Genie

UFO-Archiv

Vorschau

Impressum

Kolja van Horn

Green Genie

Wüstenfort, unweit von Las Vegas

Nevada, 28. Juli 2022, 20:47 Uhr

Der Widerschein von Feuer war schon aus der Ferne zu erahnen, bevor die Bäume am Rand der Straße zurückwichen und den Blick auf das Anwesen freigaben. Doch erst der Anblick, der Sekunden später folgte, ließ die beiden US-Marshals den Atem anhalten und Cliff Conroy auf die Bremse treten.

Die Dachverglasung eines der Gewächshäuser zerbarst, und eine flirrende, bläulich weiße Wolke, die aus Myriaden winziger flatternder Lebewesen zu bestehen schien, strebte in den Abendhimmel hinauf.

»Was in Gottes Namen ist das?«, flüsterte Judy Davenport entgeistert.

»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Cliff, »aber wir wissen immerhin, von wem es stammt. Von dieser Green Genie geht eine un‍kontrollierbare Gefahr aus!«

Fünf Tage vorher:

LVPD, East Harmon AvenueLas Vegas, Nevada, 23. Juli 2022, 06:41 Uhr

Lisa Hernandez unterdrückte ein Gähnen, während sie ihren schwarzen Mazda auf den Parkplatz vor dem LVPD-Gebäude lenkte. Sie war hundemüde und hatte heute dienstfrei – zwei triftige Gründe, weshalb sie hier im Grunde genommen nichts verloren hatte. Doch seit Josh nicht mehr da war, hatte sich ihre gemeinsame Wohnung in einen Ort verwandelt, an dem sie sich merkwürdig fehl am Platze fühlte. Eigentlich hielt sie sich dort nur noch zum Essen, Duschen und Schlafen auf.

Letzteres mit großen Abstrichen, seit vor einer Woche die Klimaanlage den Geist aufgegeben hatte, und man sich im Schlafzimmer vorkam wie in einer indianischen Schwitzhütte.

Sabine Custer, eine Kollegin von der Sitte, verstand, was in ihr vorging und hatte umstandslos angeboten, für eine Weile bei ihr einzuziehen, bis Lisa eine neue Bleibe gefunden hatte. Fast wäre sie auf den Vorschlag eingegangen; Sabine war seit Jahren eine gute Freundin und sie unternahmen auch privat öfter etwas zusammen.

Aber dann hatte Lisa doch dankend abgelehnt. Sie war einfach noch nicht bereit, Josh und ihrer gemeinsamen Vergangenheit den Rücken zuzukehren. So quälend es auch manchmal sein mochte, im Apartment überall mit Erinnerungen an ihn konfrontiert zu werden, hielt sie es doch für notwendig, um den Verlust wirklich zu verarbeiten.

Patty, der Wächter des LVPD-Parkplatzes, lehnte an dem kleinen Häuschen neben der hochgestellten Schranke, rauchte eine Zigarette und winkte ihr lässig zu, als sie ihn passierte. Sie nickte zurück, fuhr an den ersten beiden Reihen vorbei und schwenkte dann in die letzte Gasse ein, weil um diese Uhrzeit im Allgemeinen auch direkt vor dem Nebeneingang noch genügend freie Plätze zu finden waren.

Wesley Cooper, ihr Vorgesetzter, mochte seine balkenähnlichen, tiefschwarzen Augenbrauen heben und vielleicht noch fragend die Hände heben, wenn er sie im Großraumbüro der Abteilung Mord auftauchen sah, aber er würde sie gewähren lassen. Selbst wenn ihr irgendwann die Augen zufielen und sie am Schreibtisch einnickte.

Nach dem, was mit Josh geschehen war, genoss sie für eine gewisse Zeit Narrenfreiheit im Department – zumal sich ihr Kummer bisher in keiner Weise auf ihre Zuverlässigkeit als Detective ausgewirkt hatte. Ganz im Gegenteil, wenn man es genau nahm. Sie arbeitete seitdem härter und engagierter denn je.

Der Keilriemen des Mazdas wimmerte verhalten, als sie abbremste, den Rückwärtsgang einlegte und mit dem Heck in eine Parklücke zurücksetzte. Im Geiste rief sie sich in Erinnerung, was noch an offenen Fällen auf ihrem Schreibtisch lag – es war überschaubar. Die Uhrzeit war günstig für ein paar telefonische Überprüfungen von Alibis im Fall eines Raubmordes in Spring Valley. Mit etwas Glück erwischte sie die meisten der Zeugen beim Frühstück und konnte danach einen Haken hinter diese lästige Pflichtübung machen.

Lisa nahm ihr Handy aus dem Fach in der Mittelkonsole und steckte es in die Innentasche ihrer Lederjacke, bevor sie die Tür öffnete und aus dem Mazda stieg. Drüben hinter den kahlen Hängen stieg die Sonne auf, und die frühmorgendliche Luft begann schon, den Rest an Frische zu verlieren.

Es würde wieder ein heißer Tag werden.

»Lisa...«, krächzte jemand dicht hinter ihr, und im selben Moment gruben sich Finger in ihre Schulter, merklich kräftiger, als es die Stimme vermuten ließ.

Sie wirbelte herum, schlug die Hand fort und trat einen halben Schritt zurück, beide Fäuste erhoben – alles geschah innerhalb einer Sekunde, und sie war bereit, zuzuschlagen, bis sie ihr Gegenüber erkannte.

»Brad?« Scharf stieß Lisa die Luft aus und entspannte sich. »Bist du bescheuert, dich so anzuschleichen?«

Brad Fisk presste die schmalen Lippen zusammen, und sein stoppelbärtiges Kinn hob sich. Er sah noch schlimmer aus als bei ihrem letzten Zusammentreffen vor ein paar Wochen.

»Tut mir leid, Detective«, brummte er mit einem schiefen Grinsen. »Aber es ist wichtig.«

Lisa unterdrückte ein Seufzen. »Ist es das nicht immer, Brad?«

Der Mann, der sie auf dem Parkplatz abgepasst hatte, bot ein Bild des Elends: Eine von der Sonne verbrannte kahle Schädelplatte, umrahmt von einem Kranz schmutzig verfilzter rötlich brauner Haarsträhnen. Das Gesicht eingefallen, tiefliegende, irrlichternde Augen, der Rücken gebeugt, lange Gliedmaßen und ein hagerer Körper, der in vor Schmutz starrenden Klamotten steckte. Das Holzfällerhemd, der schlammfarbene Parka und die zerrissene Jeans waren in einer Zeit modisch, als Brad Fisk noch ein junger, aufstrebender Detective gewesen war – und Lisas Ausbilder. Doch diese Ära lag Jahrzehnte zurück.

Würde ein Drehbuchautor auf die Idee kommen, einen untoten ehemaligen Grungerocker sich selbst aus dem Grab buddeln zu lassen, hätte Fisk beim Casting nicht die schlechtesten Chancen.

»Diesmal ist es wirklich wichtig, Lisa!«, zischte Fisk und stach dabei mit dem Finger Löcher vor ihr in die Luft. »Sie hat den Teufel im Leib!«

Lisa hob die Achseln. »Von wem redest du, Brad?«

»Die Grüne Jeanie!« Er hob die Hände und fuhr sich in einer eigentümlichen Geste mit den Fingern über die Glatze, als wolle er unsichtbare Haare kämmen. »Grüner Schopf, unten schwarz. Punky, punky Pixielady...«

Er kicherte, und Lisa verdrehte die Augen. »Sorry, Brad, aber mir ist heute nicht nach Psychedelic, okay?«

Sie drückte Fisk mit einer entschlossenen Bewegung rücklings gegen ihren Mazda und wollte an ihm vorbei, doch er packte ihr Handgelenk und bellte: »Nein, nein, nein! Warte, bitte, Lisa, bitte!«

Sie musste an sich halten, nicht die Nase zu rümpfen, als sie ihm jetzt so nahe kam – ihr ehemaliger Ausbilder, mit dem sie drei Jahre im Team gearbeitet hatte, roch wie ein Müll-Container, der bei der Leerung ein paar Mal vergessen worden war.

»Loslassen. Sofort.«

Er gehorchte, und sie wandte sich dem Eingang des Departments zu. Nach zwei Schritten rief er ihr nach: »Wildeyed Boy! Ungeklärt, immer noch. Hab ich recht?«

Lisa blieb stehen, runzelte die Stirn und drehte sich langsam zu Fisk um. »Was willst du damit sagen?«

Fisk richtete sich ein wenig auf, und seine Mundwinkel hoben sich. Dennoch war keine Heiterkeit in seinen furchenartigen Gesichtszügen zu entdecken, allenfalls ein Hauch von Triumph.

»Die Kleine, Jeanie«, knurrte er, »sie war bei ihm, als er starb.« Er zwinkerte Lisa zu. »Und ich möchte wetten, dass sie ihn getötet hat.«

Dixies Campsite

Barstow, Nevada, 24. Juli 2022, 21:21 Uhr

Judy Davenport rieb sich die müden Augen mit Daumen und Zeigefinger, lehnte sich zurück und warf einen kurzen Blick hinaus durch das Seitenfenster des Winnebagos.

Die Sonne war bereits untergegangen, tauchte aber die schroffen Berggipfel zum Abschied noch in ein majestätisches Licht, das zwischen Kupfer und patiniertem Eisen changierte.

Cliff Conroy stand ein paar Schritte entfernt am Grill und wendete die Steaks. Als hätte er ihren Blick gespürt, wandte er sich zu ihr um und rief: »Feierabend, Judy! Das Abendessen wartet.«

Sie winkte ihm durchs Fenster zu und antwortete: »Fünf Minuten, okay?« durch den offenen Spalt des Schiebefensters. Cliff nickte hierauf nur ergeben.

Die Buchstaben und Zeilen auf dem Monitor flimmerten bereits vor ihren erschöpften Augen, doch das Dossier, das Judy drei Stunden zuvor auf Geheiß von Senator Victor Campbell vom UFO-AKTEN-Server geladen und geöffnet hatte, war derart faszinierend, dass sie es bis zum Ende lesen wollte, bevor sie Cliff beim Essen davon erzählte.

Die mysteriöse Geschichte hatte ihren Ursprung in Iowa, Mitte der 1990er-Jahre – zweitausend Meilen nordöstlich von ihrem jetzigen Aufenthaltsort – und begann mit einer Tragödie. Judy war damals noch ein Teenager gewesen, konnte sich aber dennoch an die verstörenden Bilder erinnern, die tagelang die Nachrichtensendungen dominiert hatten.

Sie hatten sich als Corn-People bezeichnet, das Mais-Volk. Augenscheinlich friedliebende Menschen, deren Glauben eine krude Mischung aus heidnischen Naturkulten, Esoterik-Brimborium der Marke Carlos Castaneda und Versatzstücken fernöstlicher Religionen war. Die Corn-People kauften ein heruntergekommenes Anwesen, dessen brachliegenden Äcker in der Gegend als so hoffnungslos unfruchtbar galten, dass man darauf höchstens noch eine Mall und Parkplätze hätte errichten können, wenn es denn in der dünn besiedelten Gegend dafür Bedarf gegeben hätte.

Doch die anderen Farmer der Umgebung waren schnell eines Besseren belehrt worden, als nach zehn Monaten die erste Ernte anstand, und die Corn-People ihre Waren auf den örtlichen Bauernmärkten verkauften.

Es war schier unglaublich – manche äußerten sich respektvoll bis bewundernd, neidvollere Konkurrenten hingegen waren schnell bereit, von »Teufelszeug« oder dessen moderner Variante »Gen-Manipulation« zu raunen. Doch wie auch immer es den Neuankömmlingen gelungen sein mochte, boten sie jedenfalls Feldfrüchte in einer Qualität an, wie sie die Region noch nicht hervorgebracht hatte.

Der Argwohn der benachbarten Farmer legte sich zögerlich, nachdem die Corn-People glaubhaft versicherten, die Früchte ihrer Äcker nicht in großem Stil vermarkten, sondern sie vor allem für den eigenen Bedarf und ihre Nachbarschaft anbauen zu wollen. Außerdem waren die Männer und Frauen genügsam, höflich und kauften alles, was sie nicht selbst produzierten, in den Geschäften vor Ort ein; dabei wurde stets bar bezahlt und man achtete nicht auf jeden Cent. Deshalb galten die Corners, wie man sie halb spöttisch, halb fasziniert nannte, zwar als schräge Vögel, wurden aber trotzdem Teil der kleinen Welt von Barber Hills.

Dennoch wurde in alle Richtungen ermittelt, als sich an Halloween 1998 das rätselhafte Sterben ereignete.

Ruben Pendergast, Polizeichef des Countys, hatte eine Pressekonferenz gegeben, vierundzwanzig Stunden, nachdem ein anonymer Anruf vom Telefonanschluss der Farm bei der Nachtschicht eingegangen war. Der genaue Inhalt des Anrufs war unbekannt, aber er hatte offenbar sämtliche Polizeikräfte in Alarm versetzt. Zu spät, wie sich kurz darauf herausstellte.

Ein Video-File, körnig und mit verrauschtem Ton, war Bestandteil des Ordners gewesen, den Judy sich heruntergeladen hatte. Es stammte offenbar aus dem Archiv eines örtlichen TV-Senders, links oben waren die Buchstaben BH-TV zu sehen.

Pendergast, ein Baum von einem Mann, rang sichtbar um Fassung. Das war selbst bei der miserablen Bildqualität zu erkennen, als er den Tod sämtlicher Mitglieder der Corn-People verkünden musste – mit Ausnahme eines fünfjährigen Kindes.

»Die Todesursache ist noch nicht geklärt – allerdings deutet alles auf eine Vergiftung hin. Und darauf, dass die Corn-People aus freien Stücken beschlossen haben, sich gemeinschaftlich das Leben zu nehmen.«

»Keinerlei Anzeichen von Fremdeinwirkung?«, gab sich einer der Reporter im Raum kaltschnäuzig professionell.

»Darauf sind bisher keine Hinweise gefunden worden, aber natürlich läuft noch eine genaue Untersuchung ab, auch mit Unterstützung von Seiten der State Patrol.«

»Wie geht es dem Kind?«, ließ sich eine Journalistin aus der dritten Reihe vernehmen.

»Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.«

»Waren noch andere Kinder auf der Farm?«

Pendergast nickte nur, die Frage, die sich dahinter verbarg, ignorierend. Sie wurde dennoch gestellt.

»Warum hat dieses Kind als einziges überlebt?«

Darauf konnte der Chief nur mit versteinerter Miene die Achseln heben. Wenig später wurde die Pressekonferenz für beendet erklärt.

Zeitungsberichte dokumentierten die weiteren Ermittlungen, die schließlich darauf hinausliefen, dass die Corn-People gemeinsam und freiwillig das Diesseits verlassen hatten. Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass jemand von außen seine Finger im Spiel gehabt hätte. Die Forensiker ermittelten letztendlich auch die Todesursache. Schierling – klassischer konnte ein Gift kaum sein, schließlich war bereits Sokrates dadurch zu Tode gekommen.

Merkwürdig war nur, dass man das Gift zwar in den Leichen nachweisen konnte, auf dem Farmgelände jedoch keinerlei Spuren des tödlichen Krauts gefunden wurden. Hieran störte man sich aber nicht weiter, da der Fall ansonsten klar schien und man eine Fremdeinwirkung aufgrund der allgemeinen Indizienlage ausschloss. Das Verfahren wurde daher wenig später eingestellt.

»Was ist denn jetzt?«

Judy schaute auf, selbst überrascht, wie tief sie schon wieder in den Fall vertieft gewesen war. Jetzt stieg ihr der Duft von herzhaft gewürztem Grillfleisch in die Nase, und sie streckte sich, bevor sie aufsprang. »Ich komme!«

Cliff Conroy füllte gerade die beiden Gläser auf dem Tisch mit Rotwein, als Judy durch die Tür des Winnebagos herauskam und die Strickjacke über dem Busen zusammenzog, weil der Wind von den Bergen her merklich kühl über den Campingplatz wehte.

»Muss ja eine spannende Geschichte sein, wegen der uns Campbell hierher beordert hat«, brummte er. »Du hast über drei Stunden vor dem Computer zugebracht.«

»Im Ernst?« Judy ließ sich auf den Klappstuhl fallen und griff nach dem Besteck, während sie hungrig auf den Teller vor sich schaute. »Hmm, das duftet köstlich.«

Mit Hingabe widmete sie sich ihrem Teller, während Cliff einen Schluck Wein trank und ihr schmunzelnd beim Essen zusah. Judy hatte die Angewohnheit, alles um sich herum zu vergessen, wenn ein Thema sie fesselte. Wobei es sich in den vergangenen Monaten dabei stets um jene Akten handelte, die ihnen von Senator Victor Campbell zur näheren Untersuchung anvertraut wurden. Solche Hingabe war teilweise schon ein wenig besorgniserregend; allerdings schien sich an diesem Abend wenigstens ihr Appetit zurückgemeldet zu haben.

Sie schaute kurz auf, während ein großes Stück Steak zwischen ihren Lippen verschwand. »Was ist?«, fragte sie kauend, »willst du gar nichts essen?«

Er setzte eine zerknirschte Miene auf, die nicht sonderlich aufrichtig wirkte. »Sei mir nicht böse, aber ich habe schon. Ich wollte dich zwar nicht stören, aber mein Magen befahl mir, dann eben allein...«

Judy grinste zum Zeichen, dass sie ihm diese kleine Unhöflichkeit gerne verzieh.

»Schmeckt's?«, fragte er daraufhin, und sie nickte eifrig. Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Nacken und schaute zu den Sternen hinauf.

»Unser Senator war nicht besonders gesprächig, als er uns nach Nevada beordert hat. In der verbindlichen Version gefiel er mir besser, wenn ich ehrlich bin. Und warum wir zunächst nach Los Angeles fahren sollten und erst jetzt einen umfangreicheren Blick in die Unterlagen für diesen Fall hier in Nevada werfen dürfen, ist mir auch noch ein Rätsel.«

»Er wird seine Gründe haben«, erwiderte Judy, wegen des halb vollen Munds ein wenig undeutlich. »Mit Absicht hat er daher auch den Zugangscode für den vollständigen Zugriff auf die Dokumente zu diesem Fall bis heute zurückgehalten, aber die Dateien beantworten schon recht gut die Frage, warum wir hier sind.«

Cliff schwenkte sein Weinglas in Richtung des Campingplatzes. Sie waren hier oben auf dem einsamen Hügel die einzigen Gäste. Unten an der Einfahrt hatte sie ein mürrischer Rentner begrüßt, der offenbar ganz allein auf dem Platz die Stellung hielt, und sie waren auf dem Weg zum oberen Ende des Geländes keiner Menschenseele begegnet. »Hier? Da bin ich gespannt. Wonach suchen wir? Maulwürfe mit glühendroten Augen, die tief unter der Erde eine unentdeckte Zivilisation gegründet haben?« Er tat, als würde er darüber nachdenken. »Das wäre etwas, das mir gefallen könnte.«

Judy legte ihr Besteck auf dem Teller ab und tupfte sich mit der bereitliegenden Serviette – wenn Cliff den Gentleman hervorkehrte, dann legte er Wert auf Details – den Mund ab, bevor sie antwortete: »Santa Lucia. Ein Kloster oben in den Bergen, etwa dreißig Meilen von hier. Das ist unser eigentliches Ziel.«

Mit einem Nicken, das bereits leichte Ungeduld verriet, griff Cliff nach seinem Weinglas und leerte es, bevor er fragte: »Wann möchtest du endlich damit herausrücken, um was es geht, Judy?«

Sie lehnte sich zurück und strich sich eine Strähne ihres dunklen Haars aus der Stirn. »Um ein Mädchen... heute eine junge Frau, vermute ich. Einige Aspekte erinnern mich an Marisa Truman*.«

»Die Pyrokinetikerin?«

Sie nickte. »Aber ganz ehrlich, Cliff: Je mehr ich darüber gelesen habe, desto mehr Fragezeichen kreisen mir im Kopf herum.«

Sie berichtete ihm von den Corn-People und deren bestürzendem Ende und nahm die Frage vorweg, die sich aus ihren Ausführungen automatisch ergab.

»Das Mädchen kam in die Obhut des Jugendamtes, dann begann eine Odyssee von einer Pflegefamilie zur nächsten. Offenbar kam niemand mit der Kleinen zurecht, und so landete sie schließlich bei den Nonnen von Santa Lucia. Da muss sie ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein.«

»Das ist jetzt wie lange her?«, fragte Cliff.

»Zwanzig Jahre. Heute dürfte das Mädchen also um die Dreißig sein.«

»Glaubst du, sie ist noch immer dort – im Kloster?«

Judy schüttelte den Kopf. »Eher nicht. Ich habe nach Santa Lucia gegoogelt: Es existiert nicht mehr. Warum, lässt sich nicht genau herausfinden. Irgendeine rätselhafte Naturkatastrophe hat das Kloster zerstört. Auch das Dossier bietet darüber keine Informationen.«

»Dann werden wir es wohl selbst herausfinden müssen«, erklärte Cliff, langte nach der Weinflasche und schenkte sich noch etwas nach. »Aber sicher nicht mehr heute.«

Starbucks-Coffeeshop, University DistrictLas Vegas, Nevada, 25. Juli 2022, 11:23 Uhr