Lassiter 2612 - Marthy J. Cannary - E-Book

Lassiter 2612 E-Book

Marthy J. Cannary

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Beschreibung

Die Viper stand auf der Ehrenloge der Montana State Fair und lauschte den patriotischen Klängen des "Star-Spangled Banner", das eine Kapelle auf einem Podest inmitten der Menge darbot. Der Dirigent schwang den Taktstock zum Lobgesang auf jenes Land, das die Viper so verabscheute.
"Ma'am?", fragte der Gouverneur und lächelte Eve McCoubery an. "Sind Sie gelangweilt? Ich lasse Ihnen die Kutsche rufen, falls Sie es wünschen."
Die Züge der Viper blieben starr und ausdruckslos. Sie verbargen die Geringschätzung, die McCoubery dieser Landwirtschaftsmesse entgegenbrachte, mehr schlecht als recht. "Sie können in meinen Gedanken lesen, Gouverneur Ross. Ich mache mir wahrhaftig nichts aus diesem Spektakel."
Die Entourage der Viper betrat die Ehrentribüne und eskortierte Eve in Begleitung des Gouverneurs zur Kutsche, während auf dem Festplatz die letzte Strophe ertönte...


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Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Das Gift der Viper

Vorschau

Impressum

Das Gift der Viper

von Marthy J. Cannary

Die Viper stand auf der Ehrenloge der Montana State Fair und lauschte den patriotischen Klängen des »Star-Spangled Banner«, das eine Kapelle auf einem Podest inmitten der Menge darbot. Der Dirigent schwang den Taktstock zum Lobgesang auf jenes Land, das die Viper so verabscheute.

»Ma'am?«, fragte der Gouverneur und lächelte Eve McCoubery an. »Sind Sie gelangweilt? Ich lasse Ihnen die Kutsche rufen, falls Sie es wünschen.«

Die Züge der Viper blieben starr und ausdruckslos. Sie verbargen die Geringschätzung, die McCoubery dieser Landwirtschaftsmesse entgegenbrachte, mehr schlecht als recht. »Sie können in meinen Gedanken lesen, Gouverneur Ross. Ich mache mir wahrhaftig nichts aus diesem Spektakel.«

Die Entourage der Viper betrat die Ehrentribüne und eskortierte Eve in Begleitung des Gouverneurs zur Kutsche, während auf dem Festplatz die letzte Strophe ertönte ...

Unter dem Zeltpavillon am östlichen Rand des Festgeländes hatte die Nachmittagssonne für angenehme Wärme gesorgt. Sie hatte die orientalischen Kissen und Decken aufgeheizt, die beim Publikum die Anmutung eines Beduinenzeltes erzeugen sollten und auf geschmackvolle Weise arrangiert waren. Die Wasserpfeife dagegen schmeckte nach billigem Tabak, weshalb Lassiter sie eher widerwillig seiner Gefährtin reichte.

»Sie taugt nichts?«, fragte Clara Sellers und riss dem Mann der Brigade Sieben das hölzerne Mundstück aus der Hand. Sie sog daran und blies den Rauch in die Zeltkuppel. »Meinetwegen könnte trockenes Büffelgras in der Pfanne liegen... Ich würde rauchen, was sich anbietet, Lassiter.«

Die dunkelhaarige Rancherstochter trug lediglich einen roten Seidensari, den sie aus dem Lager der Landwirtschaftsmesse geholt hatte, und rekelte sich vor Lassiter auf den Kissen. Sie war berauscht und griff nach der Hand des großen Mannes.

»Du wirst deinen Vater enttäuschen«, sagte Lassiter und streifte Clara den Sari von den schmalen Schultern. Er konnte sich nicht sattsehen an dieser Frau, die ihn um den Verstand gebracht hatte. »Er ist ein Ehrengast des Gouverneurs. Er ist der bekannteste Rinderzüchter von Montana und wird -«

»Ssh-ssh-ssh!«, machte Clara und legte Lassiter einen Finger auf den Mund. Sie zog vergnügt am Mundstück der Wasserpfeife. »Ich kapere kein Zelt, um über meinen Vater zu reden. Ich will dich... Ich will eine Nacht mit dir, bevor die Messe öffnet.« Sie ließ den Rauch durch die Nase entweichen. »Oder störst du dich an rauchenden Frauen?«

Die zarten Wangenknochen, das betörende Wippen von Claras Kopf, die zierlichen Hände, das alles hatte Lassiters Begehren geweckt. Er hatte Claras Bekanntschaft im Jordan-House gemacht, einer vornehmen Herberge, die sich mit ihren First-Class-Zimmern brüstete und im Süden von Helena lag. Die betörende Rancherstochter hatte mit ihrem Vater, dem prominenten Rinderzüchter Charles J. Sellers, das Zimmer gegenüber bezogen.

Statt eines Kopfschüttelns küsste Lassiter Clara und drückte sie sacht in die Kissen hinunter. Er kämpfte sich aus seiner Jeans, riss seiner Geliebten den Sari herunter und betrachtete den makellosen Körper, der sich darunter verbarg. Er griff nach Claras Brüsten, die sich ihm prall entgegenreckten.

»Fester!«, stöhnte Clara und presste Lassiters Hände auf ihren Busen. Sie schloss die Augen und schlang die Beine um ihn. »Halte mich nicht hin! Ich bin kein feines Töchterlein, weißt du?«

Sie fachte die Lust mit Dutzenden anderen Sprüchlein an, schrie und kreischte vor Erregung und warf sich auf den Bauch, um sich a tergo nehmen zu lassen. Eine halbe Stunde verstrich in hitziger Leidenschaft; die Zeltplane über ihren Köpfen bebte und zitterte im gleichen Takt wie ihre Körper.

Kaum hatte Clara die Nägel in seinen Rücken gegraben, vermochte Lassiter sich nicht länger zu bezwingen. Er keuchte und ließ der Natur ihren Lauf. Seine Befriedigung wuchs mit den langsamer werdenden Stößen, ging auf Clara über, die mit einem lauten Schrei ihrerseits zum Höhepunkt kam.

Erschöpft sank das Paar in die Kissen.

Ausgelassen alberte Clara über das Gewirr an Falten herum, das an der Zeltdecke seltsame Figuren zu entwerfen schien, und als sie mit der Hand durch ihr pechschwarzes Haar fuhr und dabei hinreißend aussah, war Lassiter, als hätte er sich in Windeseile verliebt. Er fasste nach Claras Hand, hielt sie fest und führte sie an seinen Brustkorb.

Plötzlich indes erstarrte Clara.

Sie hob aufmerksam lauschen den Kopf, spähte zu dem halb geöffneten Spalt in der Plane, durch den sie und Lassiter in den Pavillon geschlüpft waren. Clara warf sich ihr Kleid über, erhob sich, ging ein paar Schritte und zuckte wie vom Schlag gerührt zusammen, als eine andere Frau in das Zelt trat.

Die Fremde war gutgekleidet und etliche Jahre älter.

Sie ließ den Blick abfällig an Clara heraufwandern, marschierte an ihr vorbei und blieb vor dem unbekleideten Lassiter stehen. Mit spöttischer Miene warf sie mit dem Stiefel ein Kissen in seinen Schoß. »Du bist eifriger, als ich dachte, Lassiter. Meine Leute haben sich nicht in dir getäuscht.« Sie wandte sich halb zu Clara um. »Wenigstens hast du Geschmack.«

»Eve McCoubery«, sagte Lassiter und stand auf. Er trat der ungebetenen Besucherin nackt entgegen. »Was bringt dich hierher? Du wolltest mich nie wiedersehen.«

»Nie?«, flüsterte die Fremde kühl. »Du solltest dieses Wort achtsam verwenden. Es ist das Gegenstück zu ›immer‹. Du hattest mir die Ehe versprochen.«

Ängstlich drängte sich Clara an die Zeltwand und äugte zu den bewaffneten Männern, von denen die Fremde begleitet wurde. Sie standen in der Zeltöffnung und taxierten Clara unablässig.

»Sie ist Sellers' Tochter«, richtet sich die Fremde an Lassiter. »Ich lasse sie außer Landes bringen und irgendwo auf dem Pazifik über Bord werfen. Ich werde dir zeigen, was ich Frauen antue, mit denen du vögelst, Lassiter.«

Der Mann der Brigade Sieben trat einen energischen Schritt nach vorn. »Du wirst Clara aus dem Spiel lassen. Ich habe dir keinen Antrag gemacht.« Er knirschte mit dem Kiefer. »Ich habe dich enttarnt, Eve.«

Über die geschminkten Lippen der Fremden huschte der Anflug eines Lächelns. »Du hast mich verraten und an deine Leute verkauft, Lassiter. Es ist recht und billig, dass ich die Kleine mitnehme.« Sie kniff die Augen zusammen. »Ich werde jede Freude nehmen, solange ich in Amerika eingesperrt bin.«

Die Bewaffneten ergriffen Clara, fesselten ihr die Arme hinter dem Rücken und schleiften sie aus dem Zelt. Das Geklirr eines Pferdegeschirrs war zu vernehmen.

»Du wirst bereuen, was du tust.« Lassiter kümmerte seine Blöße nicht. »Du wirst es bitter bereuen, Eve.«

Ratternd rollte die Pferdebahn am Zigarrenladen von Fitch, Fox & Brown vorüber, der sich an der Ecke zur Pennsylvania Avenue befand. Der zweispännige Wagen mit den ausgeklappten Sonnenmarkisen war mit einer Gruppe lärmender Hafenarbeiter besetzt, die eine Flasche Bourbon herumgehen ließen. Sie grölten und brüllten unflätige Bemerkungen, die Charles W. Sellers amüsierten und verstörten.

Der Rinderzüchter aus Montana hatte die Nacht im Solaris-Hotel verbracht.

Er war früh zu Bett gegangen, hatte das turbulente Stadtleben hinter sich gelassen, um den Männern aus dem Justizministerium ausgeruht und gelassen gegenüberzutreten. Sie hatten ihm telegraphisch mitgeteilt, dass sie neun Uhr morgens in der Pennsylvania Avenue sein würden.

Noch hatte sich keine Menschenseele an Sellers gewandt.

Die meisten Passanten hasteten an Sellers vorüber, getrieben von Verpflichtungen, die es in den Weiten Montanas nicht gab. Die herausgeputzten Frauen schwangen ihre Sonnenschirme, sprachen über Abendgesellschaften oder – wenn sie etwas auf sich hielten – von Soirees und winkten nach ihren Kutschfahrern. Die Männer rauchten auf offener Straße, stolzierten zwischen den Alleebäumen umher oder lehnten an Laternenpfählen und lasen die Tagesblätter.

»Mr. Sellers?«

Ein unscheinbarer Herr von vierzig oder fünfzig Jahren trat an den Rinderzüchter heran und blickte betont gelassen auf die Straße. Er trug einen Gehrock, dazu eine grau gestreifte Hose, die Sellers eine Spur zu extravagant vorkam. Neben dem Fremden standen zwei weitere Männer, die sich allenthalben umsahen.

»Victor Dooner?«, vergewisserte sich Sellers seines Gegenübers. »Aus dem Ministerium?«

»Kommissionsbeauftragter Dooner«, erwiderte der unscheinbare Mann neben Sellers. Er war von kleinem Wuchs und stellte sich auf die Zehenspitzen. »Es freut uns ausgesprochen, dass Sie erschienen sind. Der Justizminister ist besorgt über Ihre Tochter.«

Fast zwanzig Telegramme hatte Sellers nach Washington gesandt, bevor ihm ein Freund aus dem Kongress mitgeteilt hatte, dass der Justizminister von den Vorgängen in Montana Kenntnis erlangt habe. Das Ministerium hatte sich daraufhin eingeschaltet und Sellers um einen Besuch in Washington, D.C., gebeten.

»Sie ist einer gefährlichen Frau in die Hände geraten«, fuhr Dooner fort. Er lief los und forderte Sellers mit einer Handbewegung auf, sich ihm anzuschließen. »Sie müssen wissen, dass wir Mrs. Eve McCoubery schon seit langer Zeit enttarnt haben.«

»Enttarnt?«, fragte Sellers verwundert. Er schaute sich nach Dooners Begleitern um, die ihnen in angemessenem Abstand folgten. »Sie ist Ihnen bereits bekannt?«

Dass seine Tochter Clara entführt worden war, hatte Sellers auf der Landwirtschaftsmesse in Helena erfahren, als er gerade eine Rede über die Haltung von Coltswold-Schafen gehalten hatte. Der zuständige Deputy hatte ihm geraten, sich wegen der Sache an Gouverneur Ross zu wenden. Der Gouverneur wiederum hatte darauf gedrungen, dass sich Sellers an Freunde in Washington richtete.

Dooner nickte emphatisch. »Mrs. McCoubery ist eine Diplomatin und Spionin im Auftrag einiger europäischer Königshäuser. Sie ist nach Amerika gereist, um einige Handelsbeziehungen zu stören, die man in Europa nicht gutheißt.« Er lächelte schmal. »Sie hatte keinen Erfolg damit.«

Die Begriffe erschlugen Sellers förmlich. »Eine... Eine Diplomatin, Sir? Sie wollen sagen, dass eine europäische Spionin meine Tochter in ihre Gewalt gebracht hat? Zu welchem Zweck? Ich verkaufe meine Rinder an Schlachthäuser in Chicago und New York.« Er zuckte mit den Schultern. »Kein einziges Tier wird verschifft, nicht einmal gepökeltes Fleisch davon.«

»Wir kennen Ihre Handelsbücher, Sir«, versicherte Dooner rasch und kühl. »Noch steht für uns nicht fest, ob Mrs. McCoubery an Ihnen und Ihrem Geschäft interessiert ist. Sie gilt auch durchtrieben und listig.« Er blieb stehen und hob die Brauen. »Einer unserer Männer hat ihr den Spitznamen Viper verpasst.«

Aus dem benachbarten Solaris-Hotel trat der Portier und grüßte Sellers mit einer höflichen Verbeugung. Er ließ das Gepäck eines anderen Reisenden in die Vorhalle bringen und bot dessen Frau den Arm.

Besorgt sah Dooner Sellers an. »Die Viper wird Ihrer Tochter nichts antun. Ich habe einen unserer härtesten Leute auf die Sache angesetzt. Er befand sich gerade wegen eines anderen Auftrags in Montana.« Er trat auf Sellers zu. »Sie werden Ihre Tochter wiedersehen, Mr. Sellers.«

Obgleich alles in Sellers danach rief, sich an diese Hoffnung zu klammern, schenkte er Dooner keinen Glauben. Er hatte zu oft erlebt, dass aus Washington Versprechungen kamen, die in Montana niemanden kümmerten. »Sie setzen einen Agenten auf meine Tochter an? Ich kann mich selbst um diese McCoubery kümmern.« Er ballte die rechte Hand zur Faust. »Sie soll zu spüren bekommen, wozu ein Mann von meiner Macht fähig ist.«

»Von Ihrer Macht?«, meinte Dooner und lächelte mitleidig. »Sie unterschätzen Mrs. McCoubery und ihre Verbindungen gewaltig. Sie verfügt über beträchtliche Geldmengen und war als Sondergast des Gouverneurs auf der Montana State Fair. Sie können und dürfen nichts gegen diese Frau unternehmen.«

»Soll ich die Hände in den Schoß legen?«, versetzte Sellers ungehalten. Er konnte sich in seiner Empörung kaum zügeln. »Sie sitzen auf einem warmen Stuhl im Justizministerium. Ich muss jeden Tag um meine Tochter bangen und dennoch ein Geschäft unterhalten. Ich lasse mir von Ihnen -«

Er war so laut geworden, dass sich einige Flaneure auf dem Bürgersteig nach der kleinen Gruppe Männer umdrehte, die vor dem Solaris-Hotel stand. Dooner beschwichtigte Sellers mit einer sanften Geste. »Sie dürfen nicht die Nerven verlieren, Sir. Unser Mann vor Ort ist Lassiter. Er ist klug und lässt sich nicht hinters Licht führen.« Er seufzte leise. »Sie müssen Vertrauen in unsere Arbeit haben.«

»Hoffentlich verdienen Sie mein Vertrauen«, erwiderte Sellers bissig. »Ich gebe Ihnen eine Woche, bevor ich selbst jemanden anheuere und dieser Viper meine Tochter entreiße.«

»Seien Sie geduldig«, sagte Dooner. »Unser Mann wird zu dieser Stunde instruiert.«

Über das umzäunte Gelände der Saint-Vincent-Academy hatte sich glühend rotes Dämmerlicht gebreitet, als Lassiter das Tor aufdrückte und auf den imposanten Backsteinbau der katholischen Mädchenschule zuschritt. Er war mit Direktor John B. Boutwell verabredet, der ihn auf den Stufen vor dem Eingangsportal erwartete.

Boutwell war ein schüchterner Mann mit dürrem Haarkranz und krummen Beinen. Er begrüßte den Mann der Brigade Sieben freundlich lächelnd und schlug vor, mit ihm einen Spaziergang durch den Park zu unternehmen. »Sie müssen in keinem muffigen Büro mit mir sitzen, Sir. Ich würde mich freuen... Ich würde mich freuen.«

Höflich tat Lassiter dem Mittelsmann den Gefallen. Er ließ Boutwell den Vortritt, als dieser die Pforte zum Garten aufschloss. »Sie müssen wissen, dass die Saint-Vincent von außerordentlicher Bedeutung für Montana ist. Eine gebildete Frau ist meist eine gute Ehefrau. Die Schule hat eine eigene Kapelle, ein Kunststudio, einen Lesesaal, ein Orchester und große Lesesäle.«

»Sie müssen stolz darauf sein«, erwiderte Lassiter und sah sich im Park um. Die mageren Bäumchen um sie herum waren erst vor einigen Jahren gepflanzt worden, als man die Saint-Vincent eröffnet hatte. »Die Stadt muss stolz auf diese Schule sein.«

»Sie ist es in der Tat«, bestätigte Boutwell und blieb stehen. Er stützte sich auf seinen Stock und nahm einen tiefen Atemzug. »Umso bedauerlicher ist es, dass ich Ihnen einen Auftrag geben muss, in dem es um die Entführung einer jungen Frau geht.«

Im Stillen hatte Lassiter bereits geahnt, dass es um Clara Sellers gehen würde. Er hatte ein halbes Dutzend Telegramme aus Washington erhalten, als bekannt geworden war, dass er mit Eve McCoubery zusammengetroffen war. »Sie meinen Miss Sellers? Die Tochter des Rinderzüchters Charles W. Sellers?«

Boutwell nickte und ging weiter. »Mr. Sellers ist einer der bekanntesten Rinderzüchter in Montana. Er hat sich an das Justizministerium gewandt, um seine Tochter zu finden.« Er blieb abermals stehen. »Sie waren mit Miss Sellers... Nun, Sie waren mit ihr zusammen?«

»Ich kenne Miss Sellers«, gab Lassiter zur Antwort. Er hatte dem Hauptquartier die gleiche Auskunft gegeben. »Ich war bei ihr, als Mrs. McCoubery mit ihren Männern erschienen ist.«

Außer einem matten Lächeln war Boutwell kein weiterer Kommentar zu entlocken. Er winkte gleichgültig ab und tippelte mit kleinen Schritten den Parkweg hinunter. »Ich will nicht über Sie oder Miss Sellers urteilen. Sie muss zu ihrem Vater zurück. Er droht dem Justizministerium, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.«

»Worüber niemand in Washington begeistert sein dürfte«, bemerkte Lassiter und wandte sich zum Haus um. Die Abendsonne stand hinter den Gauben des Schindeldaches und war zu einem karmesinroten Glutball geworden. »Mrs. McCoubery bringt die Regierung in Bedrängnis.«

»Sie haben die Dame enttarnt?«, fragte Boutwell und kehrte sich ebenfalls der Abendsonne zu. Er wurde milder in der Stimme. »Sie müssen Mrs. McCoubery verärgert haben, als Sie ihr einen Heiratsantrag machten, der sich später als Lüge herausstellte. Der Zweck heiligt niemals die Mittel.« Er seufzte. »Aber in diesem Fall...«

Ein Gefühl von Schuld ergriff Lassiter. »Ich tat, was man von mir verlangte. Ich habe Mrs. McCoubery enttarnt. Das Heiratsversprechen war notwendig.« Er schwieg einen Moment lang. »Weiß man bereits, wo sich McCoubery und ihre Männer aufhalten.«

»Nahe Helena«, meinte der Mittelsmann und stocherte mit seinem Stock im Sand. Er zeichnete eine grobe Karte der Stadt auf. »Sie hat das einstige Minengebäude neben der Wanderschneiderei bezogen. Sie hält die junge Miss Sellers vermutlich im Kohlespeicher gefangen.« Er fügte zwei Kreuze hinzu. »Sie könnten hier... und hier... ins Haus gelangen. Sie müssen Miss Sellers finden und in Sicherheit bringen.«

Die Abendsonne versank hinter dem Haus und brachte die Wolken zum Glühen. Eine Gruppe Mädchen erschien vor der Schule, vergnügte sich mit dem Reifenspringen und rannte wieder davon.

»Vor Eve McCoubery ist niemand sicher«, sagte Lassiter und hockte sich vor Boutwells Skizze. Er prägte sich den Grundriss des Hauses ein. »Wir müssen Clara... Miss Sellers... irgendwo verstecken. Die Verbindungen von McCoubery reichen weit.«

»Man nennt sie im Hauptquartier die Viper«, meinte Boutwell und kniff den Mund zusammen. »Ich habe vorgeschlagen, dass Sie Miss Sellers in der Wanderschneiderei verstecken. Ich kenne ein paar Näherinnen dort, die sich um das Mädchen kümmern.« Er sann eine Weile nach. »Die Schneiderei dürfte... Moment... Sie dürfte in zwei Tagen weiterziehen...«