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Kommen Sie nach Elbow Creek, Lassiter. Und klären Sie meinen Tod auf. Egal, was man Ihnen weismachen will - man hat mich umgelegt.
Lassiter blickte den Mann auf der anderen Seite des Tisches stirnrunzelnd an. "Wann kam das Telegramm?"
"Vor fünf Tagen. Ich habe Sie unverzüglich benachrichtigen lassen, als es mich erreichte." Sebastian Keller, Rechtsanwalt und neuerdings Kontaktmann der Brigade Sieben, beugte sich vor. "Glauben Sie etwa, man muss das ernst nehmen? Ich habe Mr. Bruback zwar nicht persönlich kennengelernt, aber man erzählt sich ja so einiges über ihn..." Vielsagend bewegte er die Augenbrauen.
Lassiter ignorierte die Frage und erhob sich. "Wissen Sie, wie ich nach Elbow Creek komme?"
Keller nickte. "Sicher. Es ist nur etwa ein Tagesritt von hier."
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Stanley Brubacks letzter Wille
Vorschau
Impressum
Stanley Brubacks letzter Wille
von Kolja van Horn
Kommen Sie nach Elbow Creek, Lassiter. Und klären Sie meinen Tod auf. Egal, was man Ihnen weismachen will – man hat mich umgelegt.
Lassiter blickte den Mann auf der anderen Seite des Tisches stirnrunzelnd an. »Wann kam das Telegramm?«
»Vor fünf Tagen. Ich habe Sie unverzüglich benachrichtigen lassen, als es mich erreichte.« Sebastian Keller, Rechtsanwalt und neuerdings Kontaktmann der Brigade Sieben, beugte sich vor. »Glauben Sie etwa, man muss das ernst nehmen? Ich habe Mr. Bruback zwar nicht persönlich kennengelernt, aber man erzählt sich ja so einiges über ihn...« Vielsagend bewegte er die Augenbrauen.
Lassiter ignorierte die Frage und erhob sich. »Wissen Sie, wie ich nach Elbow Creek komme?«
Keller nickte. »Sicher. Es ist nur etwa ein Tagesritt von hier.«
Mit finsterer Miene schwang Lassiter sich in den Sattel seines Braunen und warf einen kurzen Blick hinauf zu den Fenstern von Kellers Büro. Es war seine erste Begegnung mit Stanley Brubacks Nachfolger als Brigade-Kontaktmann hier in Durango gewesen, doch der gelackte junge Anwalt von der Ostküste war ihm schon jetzt zuwider.
Was nicht nur an dessen affektiertem Gehabe, sondern vor allem daran lag, wie abschätzig er über Stanley Bruback daher redete.
Die Abschrift des Telegramms trug keinen Datumsstempel, dennoch vermutete Lassiter, dass Keller gelogen hatte, als er behauptete, ihn unverzüglich verständigt zu haben.
Angesichts des fatalistischen Inhalts von Brubacks Botschaft mochte es aber vielleicht keine Rolle mehr spielen, wann er in Elbow Creek eintraf. Schließlich hatte der ehemalige Marshal offenbar schon beim Abschicken des Telegramms nicht mehr daran geglaubt, seinen bevorstehenden Tod noch abwenden zu können.
Trotzdem nahm Lassiter sich vor, Keller zur Verantwortung zu ziehen, sollte sich herausstellen, dass er wegen dessen Nachlässigkeit zu spät kam, um Brubacks Leben zu retten.
Wenigstens hatte er schnell in Durango sein können, denn der Prozess gegen eine Bande von Brandstiftern hatte ihn in Volver, einer Stadt nur dreißig Meilen südwestlich von Durango, festgehalten, da seine persönliche Aussage unabdingbar gewesen war. Auch sein brauner Wallach war daher nicht über Gebühr beansprucht worden und Lassiter konnte es dem Tier zumuten, ohne lange Rast den Weg nach Elbow Creek anzutreten.
Stanley Bruback hatte seine Nachricht nicht direkt von dort abgesandt, sondern bei einer Wells-Fargo-Station am Overlandtrail aufgegeben; laut der Karte, die Keller ihm überlassen hatte, etwa vier Meilen südlich des Kaffs in den Bergen. Was vermutlich daran lag, dass Elbow Creek selbst über keine Telegrafenverbindung verfügte, aber auch noch andere Gründe haben mochte.
Lassiter ritt in nördlicher Richtung aus Durango und versetzte den Braunen in strammen Trab. Bis zu der Wells-Fargo-Station war die Poststraße gut ausgebaut und sie hatten mehr oder weniger ebenes Gelände zu durchqueren. Er würde also zügig vorankommen, bevor es hinauf zur Mesa Verde ging. Kellers Schätzung von einem Tagesritt hielt er für großzügig bemessen, doch selbst wenn er es schneller schaffte – es war schon später Vormittag, deshalb konnte er kaum vor Einbruch der Dunkelheit sein Ziel erreichen.
Natürlich wusste er, warum Keller der Botschaft von Bruback mit unverhohlener Skepsis begegnete. Der Ruf des ehemaligen Marshals ließ sich wohl am freundlichsten mit »zwiespältig« umschreiben.
Bis Stanley Bruback in den Ruhestand ging, galt er als Schürzenjäger und trinkfreudiger Raufbold, der schnell aus der Haut fuhr und in vielem, was er tat und dachte, bereitwillig Grenzen überschritt. Auf der anderen Seite war Bruback ein geradezu fanatischer Verfechter von Gerechtigkeit, furchtlos bis zum Todesmut, tapfer und aufrecht dem Stern verpflichtet wie ein Kreuzritter seinem Christensymbol auf der Brust.
Lassiter war ihm schon als junger Agent begegnet und hatte so manche Schlacht mit Bruback geschlagen. Er empfand Hochachtung für den alten Kämpen und wäre jederzeit bereit, ihm sein Leben anzuvertrauen – was der Ex-Marshal ihm nicht nur einmal unter Einsatz des eigenen gerettet hatte.
Bruback mochte es im Herbst seines Lebens mit dem Saufen zu weit getrieben haben, weshalb sein Abgang auch nicht ganz freiwillig erfolgt war, wie man in Agentenkreisen raunte. Doch wenn der Ex-Marshal den eigenen Tod ankündigte, dann geschah das nicht als makabrer Scherz oder aus einer alkoholgeschwängerten Melancholie heraus. Auch der Umstand, dass sich Bruback an ihn, Lassiter, persönlich gewandt hatte – einen Agenten, den er wohl als ebenso hartnäckig und integer einschätzte wie sich selbst, und der ihm darüber hinaus noch etwas schuldig war –, schien zu unterstreichen, wie ernst seine Worte zu nehmen waren.
Lassiters letztes Zusammentreffen mit Bruback lag etwas weniger als eineinhalb Jahre zurück und war bereits ein Abschied gewesen. Den Stern des State Marshal hatte Bruback schon drei Monate zuvor an seinen Nachfolger abgegeben, die Geschäfte für die Brigade aber vorerst weitergeführt, weil für diese Aufgabe noch nach einem Nachfolger gesucht worden war.
Bruback hatte sich angesichts seines Dienstendes betont gelassen gegeben, seine üblichen Scherze getrieben und den gemeinsamen Abend im Saloon in die Länge gezogen, weshalb Lassiter, der eigentlich nur einen Bericht abliefern und sich dann auf den Weg nach Westen hatte machen wollen, erst spät in der Nacht betrunken ins Bett gefallen und am nächsten Tag mit einem Schädel aufgewacht war, der sich anfühlte, als wäre er als Abrissbirne benutzt worden.
Dennoch hatte er noch das meiste von dem in Erinnerung, was Bruback an dem feuchtfröhlichen Abend erzählt hatte. Es war viel von Dankbarkeit die Rede gewesen. Dem Schöpfer gegenüber, weil ihm nach all den Jahren im Kreuzfeuer sein Kopf immer noch auf den Schultern saß und er keine Gebrechen oder fehlenden Gliedmaßen zu beklagen hatte wie so viele andere überlebende Agenten seines Alters. Männern wie Lassiter gegenüber, ohne die das vielleicht trotz himmlischen Wohlwollens nicht geklappt hätte. Und Washington gegenüber, denn von dort war ihm immerhin eine ordentliche Pension zugestanden worden.
Bruback hatte ihm von Elbow Creek erzählt, einem »öden Nest in den Bergen, das man schneller vergessen hat, als man hindurchreiten kann«. Und auf die Frage Lassiters, warum er dann ausgerechnet dort seinen Lebensabend verbringen wollte, hatte der alte Marshal ein wenig dümmlich gegrinst; ein deutliches Indiz dafür, dass der Grund nur eine Frau sein konnte.
»Du weißt, ich habe wenig ausgelassen«, hatte Bruback gesagt und sich dabei mit schalkhaftem Lächeln über den Bart gestrichen, »aber Lucille... die war etwas Besonderes, bei meiner Ehre. Sie ist mir nie aus dem Kopf gegangen.«
»Elbow Creek ist doch nicht weit von hier«, hatte Lassiter erwidert, »warum bist du also nicht einfach mal zu ihr geritten?«
Bruback hatte nach seinem Whiskey gegriffen, das Glas auf einen Zug geleert und dabei den Kopf geschüttelt. »Glaub es oder lass es bleiben, Compadre – ich hab mich schlicht nicht getraut. Bin damals einfach abgehauen, wie ein Dieb in der Nacht. Dabei war es mir eigentlich ernst, zum ersten Mal. Ich hab ihr sogar einen Ring geschenkt, und wir schmiedeten Hochzeitspläne.« Sein Blick hatte sich umwölkt, während er fortfuhr. »Irgendwann und irgendwie bekam ich dann Angst vor der eigenen Courage. Es... fühlte sich immer noch richtig an, nur war da diese Stimme tief im Grund meiner Seele, die um Hilfe schrie und so verzweifelt war, dass ich regelrecht Kopfschmerzen davon bekam. Kannst du mir folgen, Kumpel?«
Lassiter hatte wortlos genickt. Obwohl er sich noch nie dazu hatte hinreißen lassen, einer Geliebten Hoffnungen darauf zu machen, in den Hafen der Ehe fahren zu wollen, wusste er genau, worüber Bruback sprach. Wie er war auch Lassiter ein ruheloser Wolf, denkbar ungeeignet für dauerhafte Zweisamkeit, die ihn zwingen würde, an einem Ort Wurzeln zu schlagen.
Und da waren sie wahrlich nicht die einzigen im Kader der Brigadeagenten. Denn eheliche Bindungen, womöglich gar Kinder, ließen sich kaum mit ihrem Job vereinbaren.
»Seitdem trage ich das mit mir herum... und Lucilles wunderschönes Gesicht taucht immer wieder in meinen Träumen auf.« Bruback hatte die Achseln gezuckt. »Vor zwei Jahren habe ich mich tatsächlich hingesetzt und ihr einen Brief geschrieben! Wie ein verliebter Jungspund! Kannst du dir so etwas vorstellen?«
»Und? Was ist dann passiert?«, hatte Lassiter gefragt und dafür ein Kopfschütteln geerntet.
»Nichts. Keine Antwort, bis heute.« Brubacks Blick war so traurig wie wehmütig gewesen. »Vielleicht ist Lucille ja längst fortgezogen. Lebt verheiratet mit einem ganzen Stall voller Kinder irgendwo in einer ganz anderen Ecke von God's Own Country und hat den Mistkerl, der ihr damals die Unschuld raubte, längst vergessen.«
»Gibt wohl nur einen Weg, das herauszufinden, nicht wahr?«
Auf Lassiters Bemerkung hatte Bruback genickt und verkündet, sich auf den Weg machen zu wollen, sobald in Durango alle persönlichen Dinge geregelt seien.
Hatte Bruback dort oben in Elbow Creek seine große Liebe wiedergefunden? Oder nur den Tod? Lassiter hoffte, darauf bald Antworten zu erhalten.
✰
Die Poststation der Wells Fargo bestand aus einem zweigeschossigen Gebäude, unter dessen Dach sich das Telegrafenbüro, Lagerräume, ein paar Kammern zum Übernachten und ein Gastraum, in dem einfache Speisen und Getränke für Reisende und Kutscher angeboten wurden, befanden. Daneben erhoben sich lange Stallungen mit Platz für ein gutes Dutzend Pferde und mehrere Fuhrwerke.
Offenbar handelte es sich bei der Station um einen Standort im südlichen Colorado, den die Wells Fargo als bedeutend betrachtete.
Lassiters Vermutung, dass Elbow Creek selbst über keine Telegrafenverbindung verfügte, hatte er bereits bestätigt gefunden. Denn auf der Straße die Berge hinauf waren keinerlei mit Drähten verbundene Masten zu sehen gewesen.
Lassiter gönnte dem Wallach eine Ruhepause und sich selbst einen Teller Bohneneintopf mit Brot, dazu ein Bier. Als ihm beides vorgesetzt wurde und er sich einen Platz suchte, hielt vor der Station gerade eine vierspännige Postkutsche, deren Passagiere kurz darauf den Schankraum betraten.
Eine Frau in mittleren Jahren, gekleidet in ein knöchellanges Kleid, beklagte sich mit gedämpfter Stimme bei ihrem Begleiter über die unerträgliche Hitze in der Kabine und wedelte sich dabei mit der behandschuhten Linken Luft zu, bevor sie an einem Tisch gegenüber dem von Lassiter Platz nahm. Der Mann an ihrer Seite sagte etwas zu ihr und ging dann zu der Durchreiche, an der man etwas bestellen konnte.
Drei junge Asiaten in der schlichten Kleidung von Landarbeitern nahmen an einem Tisch neben dem Eingang Platz, schauten sich kurz verstohlen um und holten dann Münzen hervor, die sie in die Tischmitte legten. Offenbar wollten sie feststellen, was sie sich gemeinsam leisten konnten.
Als Lassiters Blick zurückwanderte, traf er unerwartet auf das grüne Augenpaar der Dame im Kleid, die ihn unverhohlen musterte und, als sie sah, wie er ihren Blick erwiderte, kokett mit den Wimpern klimperte.
Lassiters Mundwinkel hoben sich unmerklich, bevor er zum Bierkrug griff und ihn leerte. Die Frau schürzte die Lippen, während ihr Begleiter hinten an der Durchreiche stand und auf seine Bestellung wartete.
Er erhob sich und schlenderte auf die Frau zu, worauf sich ihr Mund erwartungsvoll öffnete.
Und wieder schloss, als er ohne einen Blick in ihre Richtung an der Frau vorbeiging und den Saal verließ.
Einem Impuls folgend ging er zum Schalter des Telegrafen hinüber und klopfte an die Scheibe, die kurz darauf hochgeschoben wurde, um einem bebrillten Clerk die Gelegenheit zu geben, ihn fragend anzuschauen.
»Sie wünschen, Sir?«
»Mein Name ist Lassiter. Vor knapp einer Woche hat ein Gentleman namens Stan Bruback hier ein Telegramm für mich aufgegeben. Erinnern Sie sich vielleicht noch daran?«
Der Clerk kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, was sein kinnloses Gesicht endgültig in die übergroße Karikatur eines Maulwurfs verwandelte. Er schien angestrengt nachzudenken, bevor er schließlich antwortete: »Ja, in der Tat, Sir. Obwohl es meiner Erinnerung nach schon einige Tage länger her ist. Bruback, nicht wahr? Natürlich, der Gent war öfter mal bei uns, auch um Medikamente abzuholen, die die Postkutsche hier für ihn hinterlegte. Wohnt oben in Elbow Creek, wenn ich mich nicht irre.«
»Ist Ihnen irgendwas seltsam vorgekommen an Mr. Bruback?«, fragte Lassiter, worauf der Clerk zögernd den Kopf schüttelte, sich dann aber berichtigte.
»Nur... es hatte den Anschein, als würde er noch etwas abgeben wollen. Einen Umschlag, den er in den Händen hielt.«
»Aber das hat er nicht getan?«
»Nein, Sir.« Der Clerk senkte vertraulich die Stimme und fixierte Lassiter mit einem eindringlichen Blick. »Er hat sich umgeschaut, und dabei offenbar jemand bemerkt. Vielleicht Verfolger, die ihn beobachtet haben. Von hier aus konnte ich niemanden entdecken, aber er hat das Kuvert zurückgesteckt in die Innentasche und ist dann eilig fort.«
Lassiter bedankte sich und ging zum Hitchrack hinüber, an dem der Wallach auf ihn wartete. Er schwang sich in den Sattel und lenkte das Pferd an den Gebäuden vorbei auf den ansteigenden Weg hinauf in die Berge.
Ein nagendes Gefühl im Bauch ließ ihn vermuten, dass Stan Brubacks Ankündigung seines Todes bereits wahr geworden war.
✰
Es dämmerte, und mit der ersterbenden Sonne kroch kühle Bergluft unter Lassiters Kluft, während er den Wallach über die Berge trieb. Die vier Meilen bis nach Elbow Creek, die das Schild unten am Overland Trail verkündet hatte, erwiesen sich als großzügige Untertreibung.
Nach einer Stunde, als sich bereits die Dunkelheit über die Berge senkte, lenkte er den Braunen hinauf auf eine Anhöhe, auf der ein Ortsschild einsam und verwaist völlig deplatziert wirkte:
Elbow Creek
136 Citizens
las er auf dem verwitterten Holz, und als er den Blick nach rechts über die grasbedeckte Kuppe wandte, erkannte er um die zwei Dutzend Häuser und Gebäude, die sich in einer etwa eine halbe Meile durchmessenden Senke um einen Platz mit einem Brunnen gruppierten.
Außerdem sah er Rauch aufsteigen von den Überresten eines Hauses, das ein gutes Stück abseits des Dorfes auf einem kleinen Hügel, halb verborgen hinter Bäumen, gestanden hatte.
Lediglich die Fackeln der Leute, die um die Überreste herumstanden, zeigten ihm, was dort passiert sein mochte. Eine Ansammlung von Menschen – ob zwanzig oder vierzig, war aus der Entfernung nicht genau zu bestimmen, stand in einem Halbkreis um die rauchenden Trümmer herum.
Lassiter schnalzte mit der Zunge und musste nur leicht die Zügel bewegen, damit der Braune sich wieder in Bewegung setzte.
Der Weg nach Elbow Creek lehnte sich wie eine betrunkene Braut an die karstigen Felsen und beschrieb eine enge Rechtskurve, bevor man durch einen Kiefernhain hindurch direkt auf den Dorfplatz gelangte.
Als Lassiter den Wallach am Brunnen, einem Saloon und ein paar Geschäften vorbei lenkte und den Weg neben den Bäumen vorbei nahm zum Hügel, auf dem die Trümmer eines Hauses immer noch anklagende Rauchsäulen in den Himmel steigen ließen, wurde der Hufschlag seines Wallachs vernehmlich genug. Ein paar Köpfe wandten sich ihm zu. Die Mienen, denen er begegnete, waren ohne Ausnahme abweisend, einige wirkten sogar feindselig.
Ein hochgewachsener Mann mit Spitzbauch, Walrossbart und einem gewaltigen Stetson auf dem kantigen Schädel löste sich aus der Gruppe und trat ihm entgegen. Ein Stern glänzte im Abendlicht an der Hemdbrust, als der Mann den Kopf hob und Lassiter eisig in den Blick nahm.
»Wer sind Sie, Mister?«
Lassiter stützte beide Hände auf den Sattelholm und setzte ein schmales Lächeln auf. »Wird man immer so nett begrüßt in Elbow Creek?«
»Kommt drauf an...«, knurrte der Sheriff und drehte sich um, weil er bemerkte, wie Lassiter an ihm vorbeischaute.
Das Haus, offenbar komplett aus Holz errichtet, war bis nahezu auf sein Fundament herabgebrannt. Selbst vom Inventar war kaum etwas übrig geblieben außer verkohlten, nicht zu identifizierenden Klumpen, Brocken, Haufen und Asche, die im Wind durch die Luft trudelte wie frisch geschlüpfte Mottenschwärme. Ein paar Männer waren schon zuvor durch die Überreste des Hauses gestapft, und nun winkte einer von ihnen den anderen zu.
Sekunden später hoben die Männer erst zwei schwarze Gliedmaßen an, danach den Rest eines völlig verkohlten Leichnams. Ein Raunen ging durch den Halbkreis der Zuschauer, und Lassiter vernahm auch erstickte Laute von Abscheu, wenig später ein Würgen.
Der Sheriff sah wie gebannt dabei zu, wie die Männer die verbrannte Leiche aus der Asche hoben, und schien den Besucher für den Moment völlig vergessen zu haben.
»Ist das da Stanley Bruback, Sheriff?«, fragte Lassiter, und seine Stimme war laut und scharf genug, um den Sternträger dazu zu bewegen, sich umzudrehen.
Der Sheriff schnaubte und wischte sich über den Mund, weil die Ascheflocken ihm direkt ins Gesicht wehten und er sich wohl gerade darüber bewusst wurde, dass ein Teil davon auch zu den Überresten des Toten gehören mochte.
»Ich frage Sie nur noch einmal, Mister«, brummte er unwillig und schob angriffslustig die breiten Schultern vor. »Wer sind Sie und was wollen Sie hier?«
Gleichmütig hob Lassiter die Achseln. »Okay... Mein Name ist Lassiter. Und ich bin gekommen, weil mein alter Freund Stan Bruback mich darum gebeten hat.« Er beugte sich ein wenig herab und fixierte den Sternträger mit regloser Miene. »Sieht aber so aus, als sei ich dafür zu spät gekommen. Habe ich recht?«
Der Sheriff erwiderte den Blick ungerührt, bevor er nach einer Weile die Mundwinkel zu einem humorlosen Grinsen hob. »Tut mir aufrichtig leid, Sir. Aber es stimmt, bei dem Kohlenmann da hinten handelt es sich um Mr. Bruback.« Er winkte. »Also, vaya con dios, Mr. Lassiter.«