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Es erscheint fast wie eine Disziplinarmaßnahme, als die Brigade Sieben Lassiter dazu verdonnert, für die Sicherheit von Ashton Moore zu sorgen. Als Mitglied eines zwölfköpfigen Teams muss er den Schutzengel spielen für einen rassistischen Demagogen auf dessen Wahlkampftour durch Texas, denn Moore greift nach dem Senatorenposten.
Lassiter und der blutjunge Dooley Finn sind die beiden einzigen Brigadeagenten in der Gruppe der Wachhunde; bei den anderen handelt es sich um State Marshals, Revolvermänner und zwei Elitesoldaten ohne Uniform.
Unter den Männern gehen die Meinungen über den aufstrebenden Politiker weit auseinander, weshalb sich schon bald eine gereizte Stimmung breitmacht. Lassiter ahnt, dass er auf einem Pulverfass sitzt, dessen Lunte bereits brennt...
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Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Schutzengel für einen Teufel
Vorschau
Impressum
Schutzengel für einen Teufel
von Kolja van Horn
Die Killerin schwenkte den Lauf des Präzisionsgewehrs – dunkel brüniert wie die ganze Waffe, um verräterische Lichtreflexe zu verhindern –, bis das Gesicht eines alten Bekannten im Fadenkreuz des Zielfernrohrs auftauchte. Verächtlich kräuselte sie die Lippen und murmelte: »Kaum zu glauben, dass du dich als Wachhund für einen derartigen Hurensohn hergibst, Lassiter.«
Doch als gedungene Attentäterin war sie wohl kaum in der Position, sich zur moralischen Instanz aufzuspielen. Also konzentrierte sie sich auf ihre Aufgabe und richtete das Gewehr ins Zentrum der Tribüne auf ein Rednerpult, hinter dem in wenigen Minuten ein aufstrebender junger Politiker namens Ashton Moore eine seiner flammenden Reden halten würde.
Seine letzte; dafür würde sie sorgen.
Zwanzig Tage zuvor, Clarksville, im Nordosten von Texas
»Hey, Lassiter...«
Der Träger eines buschigen rostroten Backenbarts winkte und grinste breit, doch Lassiter wusste, dass die joviale Freundlichkeit von Rob Porter in etwa so echt war wie das glänzende Toupet, das er auf dem platten Schädel trug.
Der Brigadeagent nahm den Zigarillo aus dem Mund und knurrte: »Was gibt's?«
Porter breitete die Hände aus und schwenkte einen Kartenstapel in seiner linken Hand, an der der kleine Finger fehlte. Die Männer links und rechts von ihm starrten zu Lassiter hinüber, mit wenig freundlichen Mienen, was wenigstens aufrichtig war.
Lassiter hatte es ziemlich schnell geschafft, sich bei der Gruppe aus Sternträgern, Soldaten und freischaffenden Revolverschwingern, die für die Sicherheit von Ashton Moore zuständig war, unbeliebt zu machen. Was vor allem daran lag, dass er kein Hehl aus der Verachtung machte, die er für Moore empfand. Während der Rest der Truppe sich fast ausnahmslos aus glühenden Verehrern des Abgeordneten rekrutierte, der sich anschickte, Gouverneur von Texas zu werden.
Weshalb die Brigade Sieben ausgerechnet ihn mit dieser Mission betraut hatte, entzog sich seiner Kenntnis. Aber er vermutete eine disziplinarische Maßnahme, weil er sich vor kurzem mal wieder als zwar einer der fähigsten, aber auch renitentesten Agenten erwiesen hatte.
»Wie steht's mit ein paar Runden Poker?«, fragte Porter und zwinkerte vertraulich. »Höchsteinsatz eine Seated Liberty, also keine Bange. Wir werden Sie schon nicht ausziehen bis aufs Hemd.«
Der Mann links von Porter, ein Mexikaner mit unstetem Blick und mehrfach gebrochener Nase, der auf den Namen Enrique Lorgía hörte, grinste herausfordernd, bis Lassiter abwinkte.
»Ohne mich«, brummte Lassiter. »Sucht euch einen anderen Dummen, den ihr ausnehmen könnt.«
Lorgías Miene verfinsterte sich, als hätte Lassiter ihm ins Gesicht gespuckt. »Was willst du damit sagen, Hombre?«, zischte er. »Dass hier spielt jemand falsch?« Er machte Anstalten, aufzuspringen, doch Porter legte ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn davon ab.
»Ruhig Blut, Compadre«, sagte der State Marshal beschwichtigend, blickte dabei aber Lassiter an. »Der feine Herr hält sich eben für was Besseres. Will nichts mit uns zu tun haben. Wahrscheinlich hat er schon als Rotzlöffel gegen den Süden gekämpft, und jetzt rümpft er die Nase, weil er sich in Feindesland wähnt. Na, habe ich recht, Lassiter?«
Lassiter sparte sich die Mühe, Porter über seine Herkunft aufzuklären, schwang sich stattdessen wortlos vom Feldbett und schlenderte zur Tür der Baracke hinaus, das höhnische Lachen und die gemurmelten Beleidigungen der Männer in seinem Rücken ignorierend.
Die Hitze des texanischen Augusttages hatte nun, da sich die Sonne langsam den Dächern von Clarksville zuneigte, die hinter dem Lattenzaun des Hinterhofes aufragten, ein wenig nachgelassen. Dennoch ließen die Reittiere, die gegenüber unter dem Vordach des Stalls standen, weil die Boxen nicht für alle Pferde von Moores Tross ausreichten, erschöpft ihre Häupter hängen.
»Hey, Lassiter.« Der junge Bursche, der auf den Stufen der Treppe hockte, die zum Lieferanteneingang an der Rückfront des Hotels führte, ein Buch im Schoß wie üblich, tippte sich grüßend an die Krempe seines Stetsons, und Lassiter nickte leicht, während er zu ihm hinüber schlenderte.
»Howdy, Dooley.« Lassiter warf den Zigarillo fort und setzte sich neben seinen Leidensgenossen. Dooley Finn war der einzige weitere Agent, den die Brigade entsandt hatte. Was für Lassiter als Strafmaßnahme gelten durfte, war für den jungen Rekruten wohl eine Bewährungsprobe. Obwohl auch Dooley keinerlei Sympathien für den Rassisten und Demagogen Moore hegte, dies aber weit weniger offenherzig zum Ausdruck brachte, als Lassiter dies tat.
»Versucht Porter wieder, sich was dazu zu verdienen?« Das Grinsen des Agenten geriet ein wenig schief; zwei Tage zuvor hatte der Marshal ihn um sechs Dollar erleichtert, bis Dooley hinter die schamlose Betrugsmasche des Sternträgers gekommen und wutentbrannt den Spieltisch verlassen hatte. Lassiter hatte den Kollegen vorher gewarnt, doch Agent Finn hatte nicht glauben wollen, dass ein Gesetzeshüter sich dazu herabließ, falsch zu spielen. Eine kostspielige Lektion in Sachen Menschenkenntnis.
»Sollten wir nicht längst etwas zu Essen bekommen?«, fragte Lassiter mit einem Nicken in Richtung der geschlossenen Hintertür, um das Gespräch in eine mutmaßlich weniger deprimierende Richtung zu lenken. Ein untauglicher Versuch, wie sich herausstellte, denn Dooleys Miene verfinsterte sich.
»Als ich vor zehn Minuten geklopft habe, um mal höflich nachzufragen, ist mir Isaac Tolbrooke über den Mund gefahren wie einem kleinen Bengel, den er beim Äpfelklauen ertappt hat! Was der sich einbildet, frage ich dich. Aufgeblasener Arsch!«
Lassiter grinste verhalten, hob dabei aber ermahnend den Finger. »Obacht, Agent Finn. Auch wenn Tolbrooke derzeit keine Uniform trägt, also sozusagen inkognito operiert wie wir, ist er immerhin Corporal.«
Dooley schnaubte verächtlich. »Diesen Rang verdankt er doch wohl nur seinem reichen Vater, der ihn damit vor wirklich brisanten Einsätzen bewahren wollte! Wie sonst soll er sich in seinem Alter die Schulterklappen verdient haben? Er stammt aus Charleston, Herrgott! Das Schlimmste, was einem Soldaten dort passieren kann, ist, auf dem Exerzierplatz zu stolpern und sich dabei aus Versehen in den Fuß zu schießen.«
Obwohl Lassiter Dooleys Schlussfolgerungen durchaus für scharfsinnig hielt, schüttelte er den Kopf. »Besser, du eiferst mir nicht nach und machst dir die Leute zu Feinden. Wäre gut möglich, dass mal dein Leben von einem dieser Burschen abhängt.«
»Im Moment«, erwiderte der junge Brigadeagent mit gequälter Miene, »hängt mein Leben eher davon ab, etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Mein Magen knurrt wie eine Horde Schakale, bei meiner Ehre!«
Lachend erhob Lassiter sich und klopfte Dooley auf die Schulter. »Okay, okay. Dann werde ich mal sehen, ob ich Schlimmeres verhindern kann.«
✰
Diana Dunston hielt sich den Handrücken vor den Mund, um ein Gähnen zu unterdrücken. Sie wollte sich erheben, doch ihr Verlobter streckte die Hand aus und hielt ihr Handgelenk fest.
»Wohin des Weges, meine Liebe?«, fragte Ashton Moore mit einem Lächeln, das die Herrenrunde am Tisch wohl für charmant hielt, sie hingegen als eisig und argwöhnisch wahrnahm.
»Mich ein wenig frisch machen, wenn du erlaubst«, gab sie zurück und vermied es, auf ihren umklammerten Unterarm herabzuschauen. Mit einer gewissen Mühe gelang es ihr, den sorgsam trainierten verbindlichen Gesichtsausdruck aufrechtzuerhalten, der als stoische Fassade ihre schönen Züge beherrschte, seit sie Platz genommen hatte.
Obwohl sie nicht glaubte, dass die honorigen Gentlemen, die die Plätze am Dinner-Tisch des aufstrebenden Abgeordneten mit großzügigen Spenden für Moores Wahlkampf bezahlt hatten, mehr als einen beiläufigen Blick an ihr Antlitz verschwendeten, wusste sie, was von ihr erwartet wurde.
Aber auch ihr Pflichtbewusstsein hatte seine Grenzen, und nach einer Stunde Geschwätz und Schwadronieren über die immer gleichen Themen brauchte sie unbedingt eine kleine Pause an der frischen Luft und eine Zigarette, was ihr natürlich nur in aller Heimlichkeit gestattet war, denn der Genuss von Tabak gehörte sich schließlich nicht für eine Dame.
»Selbstverständlich«, schnarrte Moore und klang dabei fast schon so wie sein knorriger Vater, ein Viehbaron und General außer Dienst, auch wenn der Senior über dreißig Jahre älter war als sein Sohn. »Aber lass mich nicht zu lang allein, hörst du?«
Sie lächelte falsch. »Aber du bist doch nicht allein, sondern in bester Gesellschaft, mein Teuerster«, säuselte sie und wandte sich rasch ab, um endlich die Miene entspannen zu können, die sich vom stundenlangen Dauerlächeln schon anfühlte, als wäre ihr Kleister über das Gesicht geschüttet worden, der Haut und Muskeln beim Trocknen in eine starre Maske verwandelt hatte.
Diana schob sich zwischen den schweren Brokatvorhängen hindurch, die den abgetrennten Raum für besondere Gäste vom Speisesaal für die Normalsterblichen trennten, und sofort bedachte ihn einer der livrierten Kellner mit einem fragenden Blick. Vermutlich erwartete er eine weitere Reklamation. Es wäre wahrlich nicht die erste Beschwerde gewesen, die die anspruchsvolle Runde im Separee vorgebracht hätte, doch Diana winkte ab, und der Kellner nickte erleichtert.
Sie drückte sich am Rand des Speisesaals entlang an Tischen vorbei, von denen nur wenige besetzt waren, in Richtung eines Korridors, in dem sich die Toiletten und Waschräume befanden. Auch dort wartete ein junger Mann und fragte sie dienstbeflissen, ob sie etwas brauche. Ein Augenrollen unterdrückend ging sie mit leichtem Kopfschütteln an ihm vorbei und steuerte die Toiletten für weibliche Gäste an, als männliche Stimmen am Ende des Ganges ihre Aufmerksamkeit fesselten.
Der fensterlose Flur war nur von ein paar Öl-Lampen beleuchtet, und hinten an der Tür fiel das Licht der Sonne durch das Fenster, was die beiden Männer im Gegenlicht wie Silhouetten erscheinen ließ. Dennoch erkannte Diana die hochgewachsene Gestalt und das sonore Timbre von Lassiter sofort. Ebenso war unschwer wahrzunehmen, dass der gutaussehende Brigadeagent verärgert war.
Kurzentschlossen ging sie den Korridor hinunter auf die beiden Männer zu und erkannte schließlich auch, mit wem Lassiter diskutierte: Es war der arrogante Schnösel Isaac Tolbrooke, ein guter Kumpel ihres Bräutigams, auch wenn Tolbrooke ein paar Jahre jünger war.
»Gibt es hier irgendwelche Schwierigkeiten?«, ließ sie sich vernehmen, und die beiden Kontrahenten wandten nahezu gleichzeitig überrascht die Köpfe in ihre Richtung.
»Natürlich nicht, Dia... Miss Duncan«, beeilte sich Tolbrooke zu sagen.
»Und ob«, widersprach ihm Lassiter entschieden, und Dianas Mundwinkel hoben sich zu einem süffisanten Lächeln.
»Hörte sich gleich so an für mich, dass die Gentlemen sich über etwas uneins sind. Dürfte ich fragen, worum es geht?«
Tolbrooke holte Luft, doch Lassiter kam ihm zuvor.
»Die Männer hinten in der Baracke haben seit heute früh nichts mehr zu Essen bekommen, Ma'am. Uns wurde ein Imbiss versprochen, schon vor geraumer Zeit. Aber Mr. Tolbrooke hier scheint es damit nicht eilig zu haben.« Lassiter legte die Stirn in Falten, bevor er mit einem Fingerzeig in Richtung eines leeren Tellers auf dem Tisch hinter Tolbrooke hinzufügte: »Nicht weiter verwunderlich, denn er selbst hat sich ja bereits versorgt.«
»Kein Verhalten, das man von einem Offizier erwarten würde«, sagte Diana mit humorlosem Lächeln, worauf Tolbrooke die Röte ins Gesicht stieg.
»Es ist ja wohl unerhört, mir zu unterstellen, ich würde mich nicht um die Untergebenen kümmern«, schnappte er erbost.
Lassiter trat so nahe an Tolbrooke heran, dass der überrascht zurückwich, bis er mit dem Hinterkopf gegen die Wand stieß.
»Der Untergebene poliert dir gleich die Visage, wenn du dich weiter so aufbläst«, knurrte er. »Du hast niemandem etwas zu befehlen, und jetzt kümmere dich gefälligst um etwas zu Essen, sonst mache ich dir Beine!«
Tolbrooke schnappte nach Luft und setzte zu einer trotzigen Erwiderung an, doch Diana Dunston sprang Lassiter bei.
»Besser, du tust, was er sagt, Isaac.« Ihre Stimme klang scharf, und Tolbrooke blickte verblüfft in ihre Richtung. »Ansonsten werde ich Ashton holen müssen, und der hat sicher keine Lust, sich wegen deines kindischen Gehabes herbemühen zu müssen!«
Tolbrooke holte so tief Luft, dass es für einen Moment so aussah, als würde die Empörung ihn zum Platzen bringen. Doch dann sackten die Schultern herab und die Luft wich vernehmlich aus seinen Lungen, bevor er sich an Lassiter vorbeidrückte und die Schiebetür öffnete, die in die Küche führte. Im nächsten Moment war er verschwunden.
Lässig stützte sich Lassiter an der Wand ab und grinste. »Herzlichen Dank für die Unterstützung, Miss Dunston.«
Sie schenkte ihm ein Lächeln, trat so nah an ihn heran, dass ihre Gesichter nurmehr eine Handbreit voneinander entfernt waren, und sagte leise: »Keine Ursache. Nicht auszudenken, müsstest du hungern und wärst dann nicht bei Kräften, wenn es darauf ankommt.«
Er ächzte tonlos, als er ihre Hand in seinem Schritt spürte, die beherzt zudrückte.
Über ihre Schulter hinweg sah er den Kellner vor den Toiletten stehen, der ihnen den Rücken zukehrte; doch das konnte sich jeden Augenblick ändern. Er schob ihre Hand fort und raunte: »Bloody Hell, Diana, bist du von Sinnen?!«
Lächelnd schaute sie zu ihm auf und fuhr sich dabei mit der Zunge lasziv über die vollen Lippen. »Natürlich, Großer. Sobald ich nur daran denke, was wir heute Nacht tun werden.«
»Unmöglich.« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Nicht hier in diesem Hotel. Das ist viel zu gefährlich.«
»Au contraire, mein Hengst«, flüsterte sie und streckte abermals die Hand in Richtung seiner Körpermitte aus. Als er daraufhin rasch einen halben Schritt zurückwich, lachte sie leise.
Der Kellner vorn am Durchlass zum Speisesaal schaute kurz in ihre Richtung, und Lassiter brummte: »Besser, du gehst jetzt.«
Doch Diana war noch nicht bereit dazu. Ihre geröteten Wangen verrieten, dass ihr die prekäre Situation sogar zu gefallen schien, wenn sie sie nicht sogar erregte.
»Nach dem Essen will Ashton sich noch mit anderen Leuten treffen, irgendwo in einem Etablissement, vermutlich ein Puff«, verkündete sie. »Er wird für Stunden weg sein, und ich habe dafür gesorgt, dass du, mein Süßer, heute meinen Schlaf bewachen darfst.«
Lassiter riss die Augen auf. »Was hast du? Du bist doch nicht etwa selbst an Porter herangetreten und hast mich... Diana, wenn du...«
Sie winkte ab und unterbrach ihn. »Hältst du mich etwa für so ein Dummerchen, Großer? Keine Sorge, es war ganz unverfänglich. Du wärst ohnehin heute Nacht dran, und als ich hörte, dass dieser stinkende Lorgía vor meiner Tür Wache halten soll, habe ich einfach nur insistiert und gesagt, der soll unten aufpassen und du dafür vor unserer Suite.« Sie schürzte die Lippen, und für einen Moment glaubte Lassiter, sie würde ihn jetzt hier in aller Öffentlichkeit küssen wollen, doch Diana beherrschte sich.
»Also: Versprich mir, dass wir es heute Nacht tun.«
Lassiter fasste sie an den Schultern und schob sie in Richtung Speisesaal. »Was du jetzt als Erstes tust, ist zurück zu gehen zu deinem Bräutigam«, brummte er mit strenger Miene, drückte ihr dabei aber verstohlen den Hintern. Mit einem leisen Kichern gehorchte sie und entfernte sich endlich.
Nur zehn Minuten später tauchte Tolbrooke wieder auf, gefolgt von ein paar Bediensteten, die endlich das versprochene Abendessen brachten.
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»Was für eine ausnehmend attraktive Braut haben Sie da an Land gezogen, Sir.« Emerson Brashleys feiste Wangen glühten, als er Moore auf die Schulter klopfte. »Bei meiner Ehre, da kann man wohl vom Jagdglück eines Waidmanns sprechen, der sicher mehr Trophäen an der Wand hängen hat als alle anderen hier am Tisch.«
Ein heischender Blick in die Runde war nötig, bis jeder den müden Scherz zur Kenntnis genommen hatte und in ein kurzes Gelächter einstimmte, mit dem die Männer sich verbrüderten.
Moores Lächeln hingegen war schmallippig. »Über kurz oder lang werden auch Sie noch über ein leckeres Beutestück stolpern, mein lieber Emerson«, erwiderte er, »und wir alle wünschen Ihnen natürlich, dass die Rute dann auch ausschlägt.«
Das Gelächter war so laut, dass die Kellnerin, die durch den Vorhang gekommen war und ein Tablett mit Weinkaraffen balancierte, fast das Gleichgewicht verloren hätte.
Aber nur fast, wie Moore registrierte. Die Blonde war ein wenig zu dünn für seinen Geschmack, aber ihr freches Lächeln und der wache Blick aus dunkelgrünen Augen, den sie in die Runde warf, faszinierte ihn.
»Nun aber mal im Ernst«, meldete sich Lionel Dobson zu Wort. Der Dickwanst starrte ihn aus Froschaugen an, die den Eindruck erweckten, als wollten sie gleich aus dem feisten Schädel fallen und über die Tischplatte zu ihm herüber rollen, um die Forderungen seines Besitzers zu unterstreichen. »Ich vertrete die Zukunft, Mr. Moore. Meine vierunddreißig Bohrlöcher bieten mehreren hundert Männern Lohn und Brot.«
»Mir bekannt, Sir«, gab Moore knapp zurück und lächelte unverbindlich. »Texas feiert Sie dafür.«
Entschieden schüttelte Dobson den Kopf. »Derart hohles Geschwätz können Sie dem Pöbel unterjubeln. Ich habe gelesen, was Sie vorhaben, Mr. Moore. Sie wollen per Gesetz verbieten, Mexikaner und Chinesen auf den Ölfeldern arbeiten zu lassen.«
»Eine Maßnahme, die ich nur unterstützen kann und die längst überfällig ist«, meldete sich ein stiernackiger Kerl vom Ende der Tafel zu Wort. »Ihr geldgierigen Ölbarone weigert euch, aufrechte Amerikaner zu fairen Löhnen einzustellen, weil ihr den Hals einfach nicht voll kriegt! Die Schlitzaugen und Bohnenfresser lassen sich mit Dreck abspeisen, und unsereins schaut zu beim so genannten Boom ums schwarze Gold!«
Der Angesprochene warf sich entrüstet in die Brust: »Spar dir die Tiraden für deine nächste Rede vor den Arbeitern auf, McVane. Wir haben deinem Verein ein hoch anständiges Angebot unterbreitet, aber ihr spuckt darauf. Dann dürft ihr euch nicht wundern, wenn wir uns woanders nach Arbeitswilligen umschauen.«
Collin McVane, einflussreicher Arbeiterführer, schnaubte wutentbrannt und ballte die fleischigen Fäuste zu Seiten seines geleerten Tellers. Das üppige Drei-Gänge-Menü hatte er gierig verschlungen und damit offenbar ausreichend Energie aufgenommen, um sich lebhaft an die hungrigen Männer und Frauen zu erinnern, wegen denen er am Tisch saß.
»Anständiges Angebot? Da lachen ja die Hühner! Der Stundenlohn auf zwei Jahre festgelegt, sechzig Arbeitsstunden pro Woche, selbst der Kirchgang nur an jedem zweiten Sonntag erlaubt! Und für die elenden Baracken sollen die Leute auch noch Miete zahlen. Das war kein Angebot, sondern ein Tritt in die Eier!«
Die Blondine kicherte leise, während sie sich zu Moore herabbeugte, um ihm Wein nachzuschenken. Sie roch nach Kirschwasser, und ihm war nicht entgangen, dass zwei Knöpfe mehr an ihrer Bluse geöffnet waren, als es eigentlich schicklich schien. Er erwiderte ihren Blick mit einem verstohlenen Lächeln, bevor er Hände und Stimme erhob: »Gentlemen, ich muss doch bitten. Es sind Damen anwesend, also mäßigen Sie sich.«
Eine weitere Kellnerin, deutlich weniger attraktiv als die heiße Blondine, war erschienen, und die Streithähne Dobson und McVane rissen sich am Riemen, während die Weinkelche nachgefüllt wurden. Moore nutzte den Moment erzwungenen Waffenstillstands.