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Anfangs sah es noch so aus, als würde sich die Angelegenheit friedlich beilegen lassen. Die fremden Cowboys waren zu viert, und lediglich zwei von ihnen trugen Schießeisen an der Hüfte, wie Sheriff Dexter Finlay registrierte, als er sich aus dem Lehnstuhl erhob und den Männern über die Mainstreet hinweg entgegentrat. "Gibt es Probleme, Gentlemen?", fragte er, die Daumen hinter den Gürtel gehakt; eine Geste der Gelassenheit.
Der größte der Cowboys, ein Hüne von gut sechs Fuß mit einem Vollbart, der ihm weit über die Brust fiel, spitzte die Lippen, bevor ein brauner Strahl Kautabak nur eine Handbreit vor Finlays Stiefeln den Staub der Straße besudelte.
"In der Tat, Sheriff", knurrte der Mann. "Und es wäre besser, wenn Sie uns aus dem Weg gehen. Wir regeln unsere Angelegenheiten lieber selbst."
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Lassiter und die Gottesanbeterin
Vorschau
Impressum
Lassiter und die Gottes-anbeterin
von Kolja van Horn
Anfangs sah es noch so aus, als würde sich die Angelegenheit friedlich beilegen lassen. Die fremden Cowboys waren zu viert, und lediglich zwei von ihnen trugen Schießeisen an der Hüfte, wie Sheriff Dexter Finlay registrierte, als er sich aus dem Lehnstuhl erhob und den Männern über die Mainstreet hinweg entgegentrat. »Gibt es Probleme, Gentlemen?«, fragte er, die Daumen hinter den Gürtel gehakt; eine Geste der Gelassenheit.
Der größte der Cowboys, ein Hüne von gut sechs Fuß mit einem Vollbart, der ihm weit über die Brust fiel, spitzte die Lippen, bevor ein brauner Strahl Kautabak nur eine Handbreit vor Finlays Stiefeln den Staub der Straße besudelte.
»In der Tat, Sheriff«, knurrte der Mann. »Und es wäre besser, wenn Sie uns aus dem Weg gehen. Wir regeln unsere Angelegenheiten lieber selbst.«
Im Augenwinkel nahm Finlay eine Bewegung wahr. Vermutlich waren es einige Gäste des Dollar Inn, die die Ankunft der Freegrazer, der Lohn-Cowboys, bemerkt hatten und daraufhin durch die Schwingtür ins Freie getreten waren.
Der Sheriff wandte aber nicht für einen Moment den Blick von dem Bärtigen, sondern starrte seinem Gegenüber, das gut einen Kopf größer war als er, unverwandt mit schmalem Lächeln in die kalten grauen Wolfsaugen.
»Mag wohl sein, dass Ihre Gepflogenheiten draußen in der Weite der Great Plains andere sind, aber hier herrschen Recht und Ordnung, Mister. Um das durchzusetzen, haben die Bürger dieser Stadt und der Umgebung mich gewählt, und dafür trage ich den Stern an der Brust.« Nicht ohne Stolz fuhr sich Finlay dann kurz mit den Fingern der Linken über das Abzeichen an seiner Lederweste. Man hatte ihn vor sechs Wochen den Amtseid ablegen lassen, vor Friedensrichter Abraham Keller, der selbst erst seit einem halben Jahr seinen Posten innehatte.
Jericho war eine Stadt, so blutjung wie Finlays Tochter, die noch in der Wiege lag. Vor zwei Jahren hatte die Verwaltung des Territoriums Montana etwa zehntausend Hektar zur Besiedelung freigegeben, und man durfte sich unter bestimmten Voraussetzungen – und selbstverständlich gegen eine saftige Gebühr – für ein paar eigene Acres bewerben, je nachdem, was man im Sparstrumpf hatte.
Es waren weniger Anträge eingegangen als erwartet, sodass auch Finlay und seine schwangere Frau Elsbeth, die sich aus ganz anderen Gründen in Virginia City aufhielten, von der zweimal verringerten Summe erfuhren, sich ein Herz fassten und auf das Abenteuer einließen. Es war einfach zu verlockend gewesen, obwohl Finlay andere Pläne gehabt hatte, als Farmer oder Viehzüchter zu werden.
»Hör zu, Bürschchen, denn ich sag's nur noch einmal«, knurrte der Bärtige und fletschte dabei ein lückenhaftes Gebiss. »Wir regeln das selbst mit diesen Hurensöhnen von der Palmer-Ranch. Sie sind doch da drüben im Dollar Inn, wie ich weiß.« Die Augen des Mannes verengten sich, während er zum Saloon hinüber spähte. »Na sicher! Einen der Dreckskerle erkenne ich schon. Tritt beiseite, damit wir ...«
Der Vollbart verstummte abrupt, als er den Lauf von Finlays Revolver spürte, der sich in seinen Bauch bohrte.
»Jetzt reicht's, Mister.« Finlays eben noch freundliche Miene war nun so hart wie die seines Gegenübers. »Als erstes lassen Sie und Ihr Kumpel da die Schießeisen auf den Boden fallen. Dann treten Sie drei Schritte zurück und teilen mir ganz höflich Ihr Begehren mit.«
Etwas glomm unheilvoll auf im Blick des Bärtigen, worauf Finlay den Hahn seines Sechsschüssers zurückzog. Es klickte.
»Ich scherze nicht, Mann!«, rief er. »Eine falsche Bewegung, und deine Innereien kommen dir zum Rücken raus.«
»Tu besser, was er sagt, Ben«, ließ sich der Nebenmann des Bärtigen vernehmen, während er mit gutem Beispiel voranging, vorsichtig seinen Revolver aus dem Holster zog und die Waffe von sich warf.
Ben knirschte noch ein wenig mit den wenigen Zähnen, die ihm verblieben waren, dann gab er klein bei. Finlay nickte zufrieden, als das Quartett schließlich merklich kleinlauter und in gebührendem Abstand vor ihm stand, hielt seinen Schofield aber einstweilen noch im Anschlag.
»Schon besser, Gents«, brummte er. »Also, nun mal in aller Ruhe: Was habt ihr mit Geoffrey Palmer am Hut?«
»Das sind nichts weiter als hergelaufene Strauchdiebe, Sheriff«, krakeelte jemand in seinem Rücken, und Finlay warf einen kurzen Blick über die Schulter. Er hatte die Stimme richtig zugeordnet. Der Mann, der mit zorngerötetem Gesicht auf ihn zumarschierte, war Copper Bolton, der Vormann von der Palmer-Ranch. »Mit denen sollten Sie gar nicht reden.«
»Verzieh dich zurück zu deinem Bier, Copper. Und überlass gefälligst mir die Entscheidung, was ich zu tun habe.«
Bolton schien Probleme mit dem Hörvermögen zu haben, denn er kam unverdrossen näher und lamentierte: »Diese Kerle haben ihr räudiges Vieh einfach so auf Mr. Palmers Grund getrieben und es dort fressen und saufen lassen. Das verstößt gegen das Gesetz!«
»Wir sind freie Männer und dies ist ein freies Land«, gab der Bärtige namens Ben unwillig zurück. »Deshalb lassen wir unser Vieh dort weiden, wo wir rasten, und ziehen weiter, wenn wir den Zeitpunkt dafür für gekommen halten. So haben wir es schon immer gehalten in den Plains.«
»Die Zeiten ändern sich, alter Mann!«, blaffte Copper Bolton, der bis auf wenige Schritte herangekommen war. »Und wenn wir euch heute noch einmal dort erwischen, kommt ihr nicht so glimpflich davon!«
Finlay platzte der Kragen. Er fuhr herum und richtete seinen Sechsschüsser nun auf die Stiefel von Bolton, der daraufhin verblüfft die Augen aufriss und wie angewurzelt stehenblieb. »Abmarsch, Copper«, knurrte der Sheriff gefährlich. »Unverzüglich! Wir reden später, hast du das jetzt verstanden?«
Grummelnd machte der Vormann kehrt, doch Finlay sah ihm noch einen Augenblick nach, bevor er sich wieder dem bärtigen Ben zuwandte.
»Ich bin Sheriff Dexter Finlay, und jetzt würde ich gern Ihre Namen hören, Messieurs.«
Der Bärtige hieß Ben Dobbs, seine Begleiter Luther Tibbits, Al Corley und Kenneth O'Shaunessy, wie sie Finlay nun umstandslos mitteilten.
»Okay, Mr. Dobbs«, brummte der Sheriff und musterte sein Gegenüber eindringlich. »Entspricht es der Wahrheit, was Mr. Bolton – in zugegeben nicht besonders umgänglichem Ton – geäußert hat?«
»Habe ich doch schon gesagt. Und das haben wir schon immer so gemacht«, erwiderte Dobbs und schob dabei störrisch die Unterlippe vor.
»Das mag wohl sein, Sir«, sagte Finlay und unterdrückte ein Seufzen, »und es war früher auch kein Problem, dass Sie über herrenlosen Grund gezogen sind. Jetzt aber hat sich die Lage hier eindeutig geändert. Das gesamte Gebiet zwischen Yellowstone River und dem Pokeepsy Valley bis zur Staatsgrenze nach Wyoming ist von der Territoriumsverwaltung zur Besiedelung freigegeben worden. Bis auf wenige Parzellen bedeutet das, es gibt Eigentümer von jedem Stückchen Grund und Boden, und deshalb ist es das Mindeste, diese Eigentümer um Erlaubnis zu bitten, bevor Sie Ihr Rindvieh dorthin treiben.«
Dobbs verzog die Lippen und spuckte Kautabak aus, besaß diesmal aber wenigstens so viel Anstand, sich dabei halb von Finlay abzuwenden.
»Und woher soll'n wa wissn, was da wen g'hört?«, meldete sich O'Shaunessy schwer verständlich zu Wort. Auffordernd hob er die buschigen Augenbrauen. »Hab keine Zäune nich gesehn, Sherf ...«
»Das wird sich bald ändern«, klärte Finlay die Cowboy-Nomaden auf. »Die Rancher weiter unten im Süden haben bereits damit begonnen, ihren Grund abzustecken, die anderen werden bald folgen.« Er bedachte Dobbs, der ganz offensichtlich ihr Wortführer war, mit einem ernsten Blick. »Einige der Landbesitzer benutzen dafür eine neue Art von Weidedraht, mit spitzen Stacheln bewehrt. Passen Sie besser auf, denn wenn Ihr Vieh sich darin verfängt, kann es böse Verletzungen geben.«
»Weiß, was Sie meinen, Sheriff«, sagte Corley, und die Miene des wohl jüngsten der vier verfinsterte sich. »Haben oben bei Virginia City eine gute Färse verloren wegen diesem Teufelszeug.«
»Weshalb sind Sie hergekommen, Gentlemen?«, versuchte Finlay, zum Wesentlichen zurückzukommen. »Haben Palmers Leute Ihnen Gewalt angetan?«
»In der Tat haben sie das!«, schnaubte Dobbs und ballte die Hände zu Fäusten. Die zahlreichen Falten auf dem wettergegerbten Gesicht vertieften sich. »Kamen mitten in der Nacht in unser Lager und haben in die Luft geballert wie besoffene Schwarzfußindianer! Natürlich geriet die Herde völlig außer Rand und Band und ist blindlings auseinander gestoben in die Dunkelheit.«
»Zwei Kälber kamen unter die Hufe der anderen Tiere. Eins wird wohl durchkommen, aber das andere mussten wir erschießen«, ergänzte Tibbits, und Corley fügte hinzu: »Bis vor einer Stunde waren wir damit beschäftigt, die Herde wieder zusammenzutreiben. Eine Kuh vermissen wir immer noch. Gut möglich, dass sie im Valley den Abhang hinabgestürzt ist.«
Finlay nickte. Das Verhalten von Palmers Männern war in der Tat alles andere als hinnehmbar, selbst wenn die Cowboys des Ranchers das Recht hatten, dessen Grund und Boden verteidigten. Er würde Judge Keller zu Rate ziehen müssen.
»Wo befindet sich Ihre Herde jetzt?«, fragte er.
Dobbs deutete mit dem Daumen hinter sich und präzisierte die Angabe: »Am Westufer des Yellowstone River, dort, wo er sich um einen Hügel windet, der dicht mit Rotkiefern bestanden ist. Die Indianer nennen die Stelle ›Bärennase‹.«
»Sind die Tiere allein?«
Dobbs schnaubte entrüstet. »Sind Sie noch ganz bei Trost? Vince und Dave sind bei ihnen und passen auf.«
Finlay nickte und rief sich die Landkarte hinter seinem Schreibtisch in Erinnerung, auf der auch die Parzellen und deren Besitzer eingezeichnet waren.
»Dann dürften Sie sich jetzt nicht mehr auf Mr. Palmers Besitz aufhalten, sondern auf dem von Harper Collins.« Das war keine schlechte Nachricht, denn Finlay kannte Collins als weit umgänglicheren Charakter, als Palmer einer war. Dennoch galt es, weitere Auseinandersetzungen unbedingt zu vermeiden.
»Ein Vorschlag zur Güte, Gentlemen.« Finlay bemühte sich um ein Lächeln. »Einer von Ihnen sucht Mr. Collins auf seiner Ranch auf und bittet in aller Form darum, dass Sie Ihre Herde für ein paar Tage auf seinem Grund grasen und saufen lassen dürfen. Wenn Sie die nötige Höflichkeit an den Tag legen, nehme ich an, dass er es Ihnen erlauben wird.«
Dobbs verzog die Lippen unter dem dichten Bart, sagte aber vorerst nichts, wohl weil er ahnte, dass Finlay noch nicht am Ende war. Und damit hatte er recht.
»Möglicherweise«, fuhr Finlay fort, »könnte Collins eine kleine Gebühr von Ihnen verlangen, aber darüber werden Sie sich bestimmt einigen können.«
»Nix da!«, schnaubte O'Shaunessy, »Maham Vieh verlorn! Wir krien erstma Geld!«
»Genau!«, stimmte Tibbits seinem Nebenmann zu. »Diese Hurensöhne haben eine halbe Stampede ausgelöst. Zwei der Kühe sind trächtig, gut möglich, dass wir die auch noch verlieren.«
Dobbs nickte seinen Begleitern zu, bevor er sich wieder dem Sheriff zuwandte.
»Sie haben meine Männer gehört. Nicht einzusehen, dass wir auch nur einen Cent rausrücken, bevor wir nicht entschädigt werden.« Er schaute kurz zum Himmel hinauf, als würde er nachdenken, dann ergänzte er: »Es geht um zwölf Dollar, mindestens. Davon dürfte einiges übrig sein, selbst wenn wir einverstanden wären, für das Weiden und das Flusswasser zu bezahlen.«
»So einfach ist das nicht«, insistierte Finlay.
»Ach nein?« Dobbs beugte sich vor und starrte ihn an. »Ich dachte, hier herrschen Recht und Ordnung. Dann beweisen Sie es mir, Sheriff.«
Finlay tat sein Bestes, gelassen zu bleiben. Schließlich hatte man ihn auch deshalb zum Sheriff gewählt, weil er selten die Contenance verlor und ein Talent dafür hatte, Streit zu schlichten und Kompromisse zu finden. Doch diese Lage war kompliziert.
»Selbst wenn Ihre Ansprüche an Mr. Palmer gerechtfertigt sein sollten, und das gilt es erst noch zu prüfen«, begann er, »dann hat das nichts mit Mr. Collins zu tun, auf dessen Land Ihre Herde sich jetzt befindet, Sir. Sie können nicht einfach das eine mit dem anderen in einen Topf werfen ...«
Dobbs hob beide Hände, als hätte Finlay gerade erst den Revolver gezückt, den er längst wieder zurück ins Holster geschoben hatte. »Okay, okay.«
Er nickte seinen Kumpels zu und machte kehrt. Ohne ein weiteres Wort gingen die vier Männer zu ihren Pferden, die gegenüber vor dem Drugstore angeleint waren.
Finlay brauchte ein paar Sekunden, bevor er ihnen nachrief: »Hey! Was soll das? Wo wollen Sie hin?«
Dobbs schwang sich in den Sattel, und die anderen taten es ihm gleich, während ihr Wortführer seinen Falben ein paar Schritte in Finlays Richtung laufen ließ, bevor er antwortete: »Sie haben's doch gerade selbst gesagt, Sheriff. Dieser Collins schuldet uns nichts. Dafür aber Palmer. Also werden wir die Herde dahin zurücktreiben, wo sie letzte Nacht war. Dort bleiben wir, bis wir unser Geld bekommen haben.«
Er zog an den Zügeln und gab Finlay keine Chance mehr zu einer Antwort. Die Cowboys galoppierten in Richtung Osten aus der Stadt hinaus, und nur eine Staubwolke blieb, als Finlay bereits mit sorgenvoll gefurchter Stirn zum Saloon marschierte.
✰
Locksley Range, etwa fünfzig Meilen nordwestlich von Jericho
»Leg noch ein Scheit nach, Dave«, brummte der Mann mit dem grauen Spitzbart, der sich eine Decke über die Schultern geworfen hatte, weil er trotz der dicken Jacke fröstelte. Hier an den Ausläufern der Rockies war es Ende August in den Nächten manchmal bereits empfindlich kalt.
Dave, der jüngere der beiden Cowboys, die die kleine Herde Longhorn-Rinder hüteten und nach Virginia City bringen sollten, hob träge die Lider. Er hatte den Kopf auf seinen Sattel gebettet und war fast schon eingeschlafen.
»Im Ernst? Warum schläfst du nicht einfach, Jack? Es sind nur noch ein paar Stunden bis zum Sonnenaufgang, gottverdammt.«
»Nimm den Namen des Herrn nicht ungebührlich in den Mund«, mahnte Jack Pendergast, »und jetzt tu, was ich dir sage. Die Tiere sind unruhig, also habe ich lieber ein Auge auf sie. Du kannst dich dann von mir aus aufs Ohr legen.«
Etwas Unverständliches vor sich hin brummelnd, raffte Dave sich auf und nahm zwei kleinere Holzstücke vom Haufen neben der Feuerstelle, die er in die Glut legte. Er schürte sie mit einem dünnen Ast, bis ein paar Funken in den Nachthimmel aufstiegen wie Glühwürmchen und die Flammen wieder empor züngelten. »Wir haben kaum noch trockenes Feuerholz, und hier ist das gar nicht leicht zu finden um diese Jahreszeit«, murrte er, während er sich wieder in seine Decke einrollte.
»Was du nicht sagst«, erwiderte der Graubart mit einem Schmunzeln. Schließlich hatte Dave dieses Wissen von ihm.
»Gute Nacht, Pa«, murmelte Dave und schien schon fast eingeschlafen.
»Nacht, mein Junge.«
Pendergast wartete noch einen Moment, bevor er sich aufrichtete, etwas näher ans Feuer heranrückte und eine Pfeife und einen ledernen Tabaksbeutel aus der Manteltasche zog. Er wollte es dem Junior gegenüber nicht eingestehen, doch im Grunde waren es weniger die Tiere, die ihn vom Schlafen abhielten, sondern seine schmerzenden Gelenke.
Rheuma hatte ihm der Doc vor ein paar Wochen attestiert und dringend dazu geraten, den Job als Cowboy endlich an den Nagel zu hängen.
»Die vielen Nächte draußen in der feuchten Kälte, das macht keiner lange mit«, war der Bescheid gewesen, und natürlich wusste Pendergast, dass der Arzt recht hatte.
Doch noch reichte das Geld, das er auf der Bank hatte, nicht aus für einen bescheidenen Lebensabend. Außerdem musste er an Dave denken. Sollte er den Jungen vielleicht allein durch die Plains ziehen lassen oder mit irgendwelchen Fremden? Nur noch ein Jahr, vielleicht zwei, dann konnte er sich eine kleine Blockhütte in den Bergen bauen, würde mit Dave auf die Jagd und zum Fischen gehen und keine Sorgen mehr haben.
Leises Schnarchen kam von der anderen Seite des Lagerfeuers. Dave hatte einen gesegneten Schlaf, selbst das Brüllen einer gebärenden Kuh würde ihn jetzt nicht wecken können – da kam er gar nicht nach seinem Vater.
Dafür hatte der Junge etwas im Kopf, war blitzgescheit. Bis zu ihrem Tod hatte seine Mutter Dave unterrichtet, und schon mit sechs Jahren hatte er richtige Bücher lesen können und war dem Vater im Rechnen weit voraus.
Nur zu gern hätte Pendergast ihn auf die Schule geschickt, aber erstens war immer das Geld knapp und zweitens ... wer hätte sich um den kleinen Burschen kümmern sollen, wenn die Schule aus war? Er hatte ja keine Familie mehr, und Pendergast selbst blieb nur im Winter für ein paar Wochen in Virginia City; ansonsten war er immer unterwegs durch die Great Plains, sodass sein Kind keine Wahl hatte, als das gleiche ruhelose Leben zu führen.