1,99 €
Hinter den Feldern war offenes Land, und jenseits der Lichtung lag der Pinienwald mit dem dichten Buschwerk, nach dem die Mörder von Caroline Betts Ausschau hielten. Sie hatten ihr blutiges Handwerk verrichtet und befanden sich auf der Flucht. Einer von ihnen trug das Messer bei sich, mit dem sie ihrem Opfer die Kehle durchgeschnitten hatten.
"Verflucht!", raunte der Anführer der Horde. Er trug einen Regenmantel, dessen Saum zur Hälfte mit Schlamm und Blut beschmiert war. "Die Biester stellen uns noch nach. Wir hätten die Schießeisen mitnehmen sollen."
Sie hörten in den Feldern die Rotte rumoren, an deren Spitze ein zerzauster Keiler mit elfenbeinweißen Hauern stand. Über fünf Meilen hinweg hatten die Wildschweine nicht von den Männern abgelassen...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Texanisches Roulette
Vorschau
Impressum
TexanischesRoulette
von Marthy J. Cannary
Hinter den Feldern war offenes Land, und jenseits der Lichtung lag der Pinienwald mit dem dichten Buschwerk, nach dem die Mörder von Caroline Betts Ausschau hielten. Sie hatten ihr blutiges Handwerk verrichtet und befanden sich auf der Flucht. Einer von ihnen trug das Messer bei sich, mit dem sie ihrem Opfer die Kehle durchgeschnitten hatten.
»Verflucht!«, raunte der Anführer der Horde. Er trug einen Regenmantel, dessen Saum zur Hälfte mit Schlamm und Blut beschmiert war. »Die Biester stellen uns noch nach. Wir hätten die Schießeisen mitnehmen sollen.«
Sie hörten in den Feldern die Rotte rumoren, an deren Spitze ein zerzauster Keiler mit elfenbeinweißen Hauern stand. Über fünf Meilen hinweg hatten die Wildschweine nicht von den Männern abgelassen ...
Waterbury-Sumpf, eine Stunde zuvor
Nichts auf der Welt verabscheute Caroline Betts stärker, als bei Einbruch der Nacht in den Sumpf zu marschieren und die verdammten Wildschweine zu füttern. Die Rotte trieb sich meist im höher gelegenen Teil des Sumpfes herum, zwischen den Birken und Mooshöckern, die Mondlicht ein grausiges Bild abgaben. Noch vor einem Monat hatte Carolines Bruder Matthew diese Pflicht übernommen, doch nun war in Gastonbury und lernte in einer Schreinerei, wie man Balken aufeinander zapfte.
Durch den Sumpf schallten die Rufe der Käuzchen.
Sie waren die nächste Eigenheit dieses ungastlichen Ortes, der gute zwei Meilen von der Betts-Ranch entfernt lag. Neben den stinkenden Wasserläufen, den hohen Baumkronen, durch die ständig der Wind strich, und dem faulenden Laub, in das man bis zum Knöcheln einsinken konnte, waren die Käuzchen jedoch erträglich. Sie boten immerhin Abwechslung in der trostlosen Weite des Waterbury-Sumpfs.
Siebzig Dollar hatte ihr Vater Matthew geschenkt.
Er hatte die Scheine aus dem schwarzen Emailletopf geholt, sie auf den Tisch gezählt und seine Kinder dabei ernst angesehen. Er hatte davon gesprochen, dass irgendwann jemand die Ranch übernehmen müsse und dass er bei Caroline nur auf deren künftigen Ehemann vertrauen könne.
Caroline hatte ihren Vater auf Anhieb verstanden.
Er hatte ihnen wortreich sagen wollen, dass Matthew im Vergleich zu ihr eine sichere Bank war, dass ein Mann etwas aus seinem Leben zu machen verstand und dass diesem deshalb die Hälfte des kargen Familienvermögens zustand. Er hatte ihr gesagt, dass sie zu nichts weiter taugte, als sich einen Ehering anstecken zu lassen.
Noch immer war Caroline übel vor Zorn deshalb.
Sie hatte an dem Abend geschwiegen, an dem Matthew mit zufriedener und ernster Miene vor ihrem Vater gesessen hatte. Sie hatte den Mund darüber gehalten, dass es längst Rancherinnen gab, die sich vortrefflich auf Viehzucht verstanden, nicht zuletzt Emily Prendergast, die bloß zwei Ranches weiter wohnte und schon seit Jahren ohne Mann zurechtkam.
»Wo steckt ihr räudigen Pelze?«, rief Caroline und schüttelte die Eicheltüte in der Hand. Sie wusste aus Erfahrung, dass die Wildschweine dem raschelnden Geräusch nicht zu widerstehen vermochten. »Kommt her! Kommt her!«
Erst näherte sich der mächtige Keiler, vor dem sie sich am meisten fürchtete, dann kamen die Bachen mit ihren Frischlingen, dazu ein paar jüngere Eber, die man bald aus der Rotte verstoßen würde. Sie fraßen von den Eicheln, die Caroline auskippte, und machten sich danach über die Pinienzapfen her, die sie ihnen ebenfalls hinwarf.
Ausgerechnet der schläfrige Matthew war Vaters Liebling.
Er hatte seine halbe Kindheit damit verbracht, auf den Heuschobern zu schlafen oder die Tauben aufzujagen, die auf den Schindeldächern der Ställe saßen. Er war nicht besonders klug, doch gerade deswegen hatte Vater ihn ins Herz geschlossen. Er hatte einen genügsamen Verbündeten in ihm, der keine eigenen Vorschläge hatte und damit nichts in Frage stellte, was Carolines Vater für richtig hielt.
Matthew war ein Sonntagskind.
Er hatte stets im rechten Augenblick Glück gehabt, hatte sich nicht einmal die Hand aufgeschnitten, als Vater die Bandsäge aus den Fingern gesprungen und sich neben Matthew in die Erde gegraben hatte. Er hatte die Lotterie von Olmstead gewonnen, ganze fünf Dollar, für die sie im Mail-Order-Katalog bestellt hatten. Er hatte sogar einmal Polly Nichols angebändelt, dem schönsten Mädchen von Meadow Hill, das sich dann aber mit einem Holzfäller namens Henry Menckes verlobt hatte.
»Nicht so gierig!«, ermahnte Caroline den Keiler, der die Pinienzapfen mit der Schnauze in die Luft warf. Sie konnte es nicht erwarten, dass ihr Vater das fette Vieh im Herbst schlachtete. »Sonst kriegen deine Mädchen nichts! Lass dir's gesagt sein, eine Dame duldet solche Zuchtlosigkeit nicht! – Du da! Aus dem Weg! Kusch, kusch, kusch!«
Sie sprang von Mooshügel zu Mooshügel, die unter ihrem Gewicht nachgaben und sich schmatzend mit schwarzem Wasser füllten. Als sie den fünften Sprung hinter sich hatte, lief die Rotte mit einem Mal davon. Die Wildschweine hoben die Häupter, als der Keiler ein lautes Grunzen von sich gab, und galoppierten wild davon. Aus dem Wald stieg ein Schwarm Karolinenenten auf und flatterte quakend über die Birkenkronen hinweg.
Danach herrschte tiefe Stille.
Der Sumpf war mit einem Mal erstorben, als hätte eine mächtige Hand in das brühige Wasser geschlagen, das bei Tag wie ein Ausfluss der Hölle aussah. Die Leute der anderen Ranches mieden den Waterbury-Sumpf, so gut sie konnten, und Caroline tat es ihnen gewöhnlich gleich.
Stumm kippte die junge Frau die restlichen Eicheln aus.
Sie starrte in die Dunkelheit über dem Wasser, spähte nach einem anderen Tier, der die Rotte verschreckt hatte, oder – noch schlimmer – einem anderen Menschen, der dafür verantwortlich war. Sie musste an Matthew denken, der ihr einmal gefolgt war, sich einen kahlen Rinderschädel über den Kopf gehalten und sie erschreckt hatte. Sie hatte einen ganzen Monat nicht ihm geredet.
In der Finsternis jedoch war nur Schwärze.
Sie konnte keinen Schatten erkennen, der sich rührte, keinen Umriss, der ihr verdächtig vorkam, und doch wusste sie, dass etwas Grauenerregendes im Sumpf sein musste. Sie knüllte das Papier in der rechten Hand zusammen und spürte mit den Fingern, dass sie zwei Eicheln darin vergessen hatte.
Als Caroline das Papier wieder auseinanderfalten wollte, legten sich zwei Hände um ihren Hals. Die Rancherstochter wurde mit einem Ruck von den Beinen gerissen, stolperte ins Wasser und trat um sich. Sie machte vier oder fünf Männer aus, die sie umringt hatten, und schrie, so laut sie nur konnte.
Der Sumpf schwieg und schimmerte fahl im Mondlicht.
✰
Vierunddreißig Fahrpläne von dreizehn Eisenbahngesellschaften kannte George Pennell auswendig, und doch nutzte ihm dieser beachtliche Wissensschatz an diesem Morgen nichts. Er stand am Gleis der einzigen Gesellschaft, deren diesjähriges Kursbuch ihm nicht vorlag, und grübelte über das Telegramm aus Washington nach. Das Hauptquartier hatte ihm eine Ankunftszeit mitgeteilt, die so irrwitzig war, dass sie einem kindlichen Geist entsprungen sein musste.
Um zweieinhalb Minuten nach Mitternacht sollte der Zug aus Leesville einrollen.
Abgesehen von einer halben Minute, die eine Dampflokomotive mit schwerfälligem Kolbengestänge allein beim Anfahren vergeuden konnte, kam es selten vor, dass in Burkeville ein Zug nach zehn Uhr abends eintraf. Das Gleis verlief neben dem Haus des Bürgermeisters, der die Eisenbahngesellschaften per Kontrakt verpflichtet hatte, sich auf Fahrten am frühen Abend zu beschränken.
Trotzdem stampften im Dunkel die Kolben einer Lokomotive.
Die mächtige Frontlaterne des stählernen Ungetüms leuchtete den glänzenden Schienenstrang aus, und bald darauf konnte Pennell die Umrisse des Führerhauses erkennen. Aus dem Schornstein stieg die graue Rauchfahne ins Firmament, unter den Kolbenstangen quoll weißer Wasserdampf hervor, der sich wie schwerer Nebel auf das Gleis legte.
Der Bürgermeister von Burkeville würde die Nacht verfluchen.
Aus der Finsternis schälte sich der mächtige Kessel der Dampflokomotive hervor, der Tender und der angekoppelte Postwagen. Es war ein Waggon der Eastern Texas, wie ihn Pennell schon bei anderen Zügen gesehen hatte, und er wunderte sich, dass jemand den Aufwand betrieb, ihn von einer einzelnen Lokomotive ziehen zu lassen. Das Rätsel klärte sich auf, als ein Eastern-Texas-Angestellter von der Lokomotive sprang und über den Bahnsteig herangeeilt kam.
»Sir?«, fragte Pennell und setzte eine erstaunte Miene auf. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass tatsächlich –« Er zog sein Taschenchronometer aus der Weste und klappte es auf. Der Sekundenzeiger bewegte sich gerade auf die halbe Minute zu. »Man hat mir telegraphiert, dass Sie um diese krumme Zeit eintreffen würden.«
In der Tat zeigte der Chronometer zwölf Uhr, zwei Minuten und etwas mehr als dreißig Sekunden an. Nach dem Angestellten verließen der Lokomotivführer und die beiden Heizer den Führerstand. Sie winkten dem Angestellten knapp und verschwanden hinter dem Depotgebäude.
»Aus Leesville ist ein Gast gekommen«, sagte der Uniformierte und deutete auf den Postwagen. »Er besteht darauf, dass Sie und er sich im Waggon treffen. Er hat es sich auf den Postsäcken bequem gemacht.«
»Auf den Postsäcken?«, wiederholte Pennell ungläubig. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand die Reise von Leesville nach Burkeville in einem staubigen Güterwaggon antrat. »Er hat Ihnen nicht gesagt, zu wem er unterwegs ist? Sie ließen ihn zur Post?«
»Unsere Gesellschaft bekam diesen Auftrag«, rechtfertigte sich der Angestellte. »Eine Fuhre Post außer der Reihe und ein Passagier außer der Reihe. Ich... Nun, sehen Sie... Die Eastern Texas ist nicht in der Verfassung, um sich einen Transport durch die Lappen gehen zu lassen.« Er deutete über die Schulter zum Waggon. »Wir stellen keine Fragen, Sir.«
Mit diesen Worten begab sich der Eastern-Texas-Mann zu seinen beiden Gefährten, die sich hinter dem Depot die Tabakpfeifen angesteckt hatten. Pennell schüttelte den Kopf und marschierte auf den Güterwaggon zu. Er zerrte am Türhebel und drückte ihn vergeblich beiseite, bis ihm von der anderen Seite jemand half.
»Mr. Pennell?«, fragte eine fremde Stimme. Sie klang sanft und schneidend zugleich. »Sind Sie Mr. George Pennell?«
»Mit Haut und Haaren«, brummte Pennell und zog die Waggontür auf. Ein dunkles Augenpaar starrte ihn an, das zu einem breitschultrigen Mann mit sandblondem Haarschopf gehörte. »Ich muss schon sagen, Sie haben eine ungewöhnliche Reiseart gewählt. – Mr. Lassiter, richtig?«
»Lassiter«, sagte der Zugpassagier. »Lassiter reicht vollkommen, Sir.«
»Wie es Ihnen gefällt!«, erwiderte Pennell und sah sich im Waggon um. Die wenigen Postsäcke der Eastern Texas hatte nicht einmal zum Sitzplatz getaugt. Der Mann aus Washington hatte auf dem blanken Bretterboden gesessen. »Sie sind kein Mensch, der Wert auf Bequemlichkeit legt, nicht wahr?«
»Not macht erfinderisch«, meinte der andere Mann und stand auf. Er trug ein Holster mit einem Remington-Revolver darin. »Man hat in Washington verlangt, dass ich Burkeville noch in dieser Nacht erreiche.«
»Sie haben keinen unauffälligen Weg gewählt«, bemängelte Pennell und zog das Kuvert hervor, das er im Gehrock bei sich trug. Der Kurier hatte es ihm erst vor wenigen Stunden zugestellt. »Immerhin rechtfertigt der Auftrag eine gewisse Eile. Ich bin autorisiert worden, Sie mit einer aufwendigen Tarnung auszustatten.«
Sie sprachen über den bevorstehenden Auftrag, der Lassiter – wie jedem anderen Brigade-Sieben-Agenten – telegraphisch angekündigt worden war. Pennell stellte fest, dass er es mit einem klugen und zugewandten Mann zu tun hatte, der seine Sache ernst nahm.
»Die Einzelheiten erläutere ich Ihnen in der Agency.« Pennell sprach rasch und ohne längere Unterbrechungen. »Sie müssen wissen, dass die Pine Woods Land Agency in Texas einen außergewöhnlich guten Ruf hat. Sie dürfen dieser Einrichtung keinen Schaden zufügen, Lassiter. – Sie hören mir noch zu?«
»Ich höre Ihnen noch zu«, sagte Lassiter ruhig und mit einem sanften Lächeln. Er blätterte den Inhalt des Kuverts durch, das mit handschriftlichen Berichten von Informanten, einigen Formularen und Bankanweisungen gefüllt war. Das Hauptquartier in Washington war um jede Einzelheit besorgt gewesen. »Ich schließe aus Ihren Worten, dass der Auftrag eine ganze Menge Leute betrifft.«
»Drei Familien in zwei Generationen«, erklärte Pennell und öffnete die Waggontür. »Sie werden mit Ihren Nachforschungen die Stadt Meadow Hill in Aufruhr versetzen. Die Familien, um die es gehen wird, sind jedermann gut bekannt.« Er seufzte. »Eine von ihnen hat Meadow Hill gegründet.«
Nacheinander sprangen sie vom Eisenbahnwaggon und teilten den Angestellten der Eastern Texas mit, dass sie die Postsäcke entladen konnten. Der Uniformierte nickte Pennell zu, betrachtete Lassiter eine Weile und trat seinen Weg zur Lokomotive an. »Was für eine Durcheinander in dieser Nacht.«
Pennell konnte ihm nur beipflichten.
✰
Selbst nach knapp fünfzehn Jahren ärgerte sich John Lockwood noch darüber, dass man ihn in der Gründungsversammlung überstimmt hatte. Statt für den Namen Meadow Hills hatte man sich für das elegantere Meadow Hill entschieden. Das geschwungene Terrain, auf dem sich die Häuser der Stadt drängten, setzte sich jedoch unzweifelhaft aus drei Hügelkuppen zusammen. Es wäre ein geringes Übel gewesen, die Stadt auch nach den Hills –eben diesen Hügeln – zu benennen.
Unten im Tal donnerten die Sägegatter.
Sie zerteilten die letzten Pinienstämme, die aus dem Holzfällerlager am Cushy Point gekommen waren und die beinahe auch das letzte Holz waren, das in den Lockwood-Mühlen zu Brettern und Balken geschnitten wurde. Die Wälder waren ausgedünnt, die Forste erschöpft, die Pinienhaine größtenteils kahl. Über ein Jahrzehnt der Lockwood Sawing Works hatten die unermesslichen Holzschätze aufgezehrt.
Mit versteinerter Miene sah Lockwood zur Ranch der Betts hinüber.
Die drei ältesten Familien von Meadow Hill – die Lockwoods, die Betts, die Strickfus – hatten ihre Wohnstätten auf jeweils benachbarten Hügeln erbaut. Die Betts besaßen den nördlichen Hügel, die Strickfus den südlichen, und die Lockwoods hatten sich auf der mittleren Erhebung niedergelassen. Lockwoods Frau hatte gute Sicht auf die Sägemühle haben wollen, solange ihr Mann darinnen – wie sie es nannte – kostbare Zeit vertrödelte.
Vier Jahre war Ira schon tot.
Sie hatte dem Fieber von der Ostküste nicht standgehalten, das sie von ihrer Reise nach Washington D. C. mitgebracht hatte. Ein Hafenarbeiter hatte es ihr mitgegeben, ein freundlicher Mann mit buschigen Brauen, der den halben Tag mit ihr im Gepäcklager verbracht hatte. Der Arbeiter war zum Begräbnis bekommen, und irgendwie hatte Lockwood diese Einzelheit als tröstliche Erinnerung an diesen Tag behalten.
Der Mord an Caroline Betts hätte Ira in Zorn versetzt.
Sie wäre wie ein Wirbelwind durch Meadow Hill gefegt, hätte keinen Stein auf dem anderen gelassen, bis die Mörder vor dem Richtertisch gestanden hätten. Sie hatte eine Kraft in Leib und Geist, die Lockwood abging und die er vermisste, so oft er an seine Frau zurückdachte.
Die junge Caroline...
Sie war eines Tages durch die Tür des Lockwood-Hauses gekommen, in einem lichten Sommerkleidchen, das bei jedem Schritt über die Dielen schwebte. Sie hatte sich gewandt nach Lockwood umgedreht, der im Rauchsalon gestanden und mit einer solchen Erscheinung nicht gerechnet hatte. Caroline hatte ihm zugelächelt, und Lockwood war gewiss, dass sie seinen Sohn Howard genauso um den Finger gewickelt hatte.
Sechs Fuß tief lag Caroline nun unter der Erde von Meadow Hill.
Die Strickfus waren wie die Lockwoods zum Begräbnis gegangen, hatten sich höflich in eine der Seitenbänke gesetzt und den getragenen Worten von Prediger Joseph Warren gelauscht. Die Familien waren vor Trauer gelähmt gewesen; Howard hatte nicht zu seiner Schwester Abigail geblickt. Kein einziges Mal hatte er herübergesehen, um seine mit Tränen gefüllten Augen zu verbergen.
Sie hatten einander geliebt.
Die Ehe mochte auf ihre Art arrangiert gewesen sein – immerhin hatte Caroline schon mit fünf Jahren von ihrem Bräutigam gewusst –, doch sie hätte glücklich und harmonisch verlaufen können. Howard hätte Carolines Eifer zu handhaben gewusst, und Caroline hätte Lockwoods Sohn die verbiesterten Marotten ausgetrieben, die auch sein Vater besaß.
✰
»Howard! Abigail!«
Lockwoods Stimme schallte durch das leere Treppenhaus ins Obergeschoss und verlor sich im dahinterliegenden Gang. Die geschäftigen Schritte von Lockwoods Tochter Abigail waren zuerst zu vernehmen, dann folgten die sanften Pantoffeltritte Howards. Die Kinder waren inzwischen zweiundzwanzig und achtundzwanzig Jahre alt und befolgten nur noch selten die Ratschläge ihres Vaters.
»Was hast du, Papa?«, fragte Abigail und kam die Stufen herunter. Sie hatte ihr brünettes Haar zu einem Zopf gebunden und legte die Stirn in Falten. »Sonst rufst du in keinem solchen Ton nach uns.«
Howard erschien einen Augenblick später und hielt noch den Papierbogen in der Hand, auf dem er gerade einen Brief begonnen hatte. Er stützte sich mit dem Arm auf den Handlauf und blickte zu Lockwood. »Sie hat recht, Papa. Du hast uns seit langer Zeit nicht mehr in diesem Ton gerufen.«