Lassiter 2642 - Kolja van Horn - E-Book

Lassiter 2642 E-Book

Kolja van Horn

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Erst vor einer Minute war Lassiter aus der Kajüte nach oben an Deck gekommen, doch schon jetzt hatte er das Gefühl, sein Gesicht sei gelähmt vom frostigen Wind und die Nase könne zerspringen wie ein Eiszapfen, sobald sie zu hart angefasst wurde. Nicht, dass er vorhatte, das zu versuchen. Auch seine Hände waren kalt, obwohl er sie in den Taschen der gefütterten Hirschlederjacke vergraben hatte. Mit dem Kopf tief zwischen den Schultern nickte er dem Steuermann zu und stellte sich neben ihn, um über den Bug zu spähen, obwohl es dort wenig bis gar nichts zu sehen gab. Nur Dunst und tristes Grau.
"Wann geht endlich die Sonne auf und brennt diesen verfluchten Nebel weg?", knurrte er, worauf der Mann neben ihm lachte.
"Es ist High Noon. Mehr Sonnenlicht werden Sie auf der Pendergast für 'ne Weile nicht zu sehen bekommen."


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Durch ein sonnenloses Land

Vorschau

Impressum

Durch einsonnenlosesLand

von Kolja van Horn

Erst vor einer Minute war Lassiter aus der Kajüte nach oben an Deck gekommen, doch schon jetzt hatte er das Gefühl, sein Gesicht sei gelähmt vom frostigen Wind und die Nase könne zerspringen wie ein Eiszapfen, sobald sie zu hart angefasst wurde. Nicht, dass er vorhatte, das zu versuchen. Auch seine Hände waren kalt, obwohl er sie in den Taschen der gefütterten Hirschlederjacke vergraben hatte. Mit dem Kopf tief zwischen den Schultern nickte er dem Steuermann zu und stellte sich neben ihn, um über den Bug zu spähen, obwohl es dort wenig bis gar nichts zu sehen gab. Nur Dunst und tristes Grau.

»Wann geht endlich die Sonne auf und brennt diesen verfluchten Nebel weg?«, knurrte er, worauf der Mann neben ihm lachte.

»Es ist High Noon. Mehr Sonnenlicht werden Sie auf der Pendergast für 'ne Weile nicht zu sehen bekommen.«

Lassiter starrte den Steuermann für einen Moment aus verengten Augen an, bevor er mürrisch nickte und sagte: »Erstaunlich, dass bei solchen Verhältnissen überhaupt ein Schiff den Hafen von Sitka erreicht.«

Der Steuermann klopfte auf die gläserne Halbschale an der Säule des Steuerruders, unter dem sich der Kompass befand. »Moderne Gerätschaften und solide Kenntnisse der Nautik, Lassiter. Das sind unabdingbare Voraussetzungen. Dennoch ist jede Passage hinauf nach Alaska immer noch ein riskantes Unternehmen. Wenigstens haben wir gutes Wetter, und das wird wohl bis zu unserer Ankunft morgen anhalten.«

»Gutes Wetter? Das nenne ich mal eine positive Sicht der Dinge.« Lassiter blinzelte gegen den steifen Wind an und zog sich den Schal wieder über die untere Gesichtshälfte. Kopfschüttelnd machte er kehrt und ging zurück zum Aufbau in der Mitte des Schoners, um die Treppe nach unten zu nehmen. Im schwankenden Bauch des Schiffes war es zwar auch alles andere als gemütlich, aber hier oben an Deck riskierte er wirklich, dass ihm irgendwann die Nase abfror.

Als er die steilen Stufen nach unten hinter sich gebracht hatte, musste er sich festhalten, weil der Bug der Pendergast unvermittelt in ein tieferes Wellental abtauchte. Die Laterne an der Decke des Mittelgangs schaukelte heftig hin und her, dann schlug sie scheppernd gegen den Querbalken, und fast wäre die Flamme darin erloschen.

Lassiter stützte sich mit beiden Händen an den Seitenwänden ab und wartete einen Moment, damit sein rumorender Magen Zeit hatte, sich zu beruhigen.

Dabei fragte er sich, warum man ausgerechnet ihn für diese Mission ausgewählt hatte, die in seinen Augen einer Strafexpedition gleichkam.

Ab und an führten ihn Aufträge der Brigade Sieben auch an Orte, die jenseits der Grenzen der Vereinigten Staaten lagen, Mexiko beispielsweise, oder Kanada. Selbst nach London hatte es ihn mal verschlagen. Bis zu diesen Tagen aber nicht nach Alaska, obwohl es seit einigen Jahren zum Staatsgebiet der USA zählte. Und so hätte es auch gern bleiben können, wäre es nach Lassiter gegangen. Was die Brigade Sieben aber nicht groß gekümmert hatte.

Eines der schweren Leinentücher, die die Kojen der Matrosen vom Mittelgang trennten, wurde zurückgeschlagen, und Jolly Humper streckte den Kopf in den Gang. Der muskulöse Oberkörper des jungen irischen Raufbolds war nackt bis auf ein fleckiges Unterhemd, und als er Lassiter gewahr wurde, verzerrten sich seine groben Gesichtszüge zu einem Lächeln, breit genug, um die Zähne selbst im fahlen Licht der Laterne zum Blitzen zu bringen.

»Hohoo, Mr. Lassiter«, rief er feixend aus, »Sie sind ja ganz grün im Gesicht! Obacht! Wer unter Deck auf die Planken kotzt, muss es selbst aufwischen. Passagier hin oder her, so lautet die Regel.«

Hinter Humper brach hämisches Gelächter aus. Ungeachtet der späten Stunde schienen die meisten Männer in den Matrosen-Kojen noch immer wach zu sein.

»Maul halten«, war es verschlafen hinter dem Vorhang auf der anderen Seite zu hören, womit sich Lassiter zu korrigieren hatte – die andere Hälfte der Matrosen unter Deck wenigstens schien sich ausruhen zu wollen.

Als Lassiter die Arme herunternahm und auf ihn zuging, blieb Jolly Humper im Gang stehen und verstellte ihm den Weg. Er grinste herausfordernd und holte einen Flachmann aus der Tasche seiner schmutzigen, weit geschnittenen Leinenhose hervor, die mit einem straff gebundenen Tau auf den Hüften gehalten wurde. Er streckte Lassiter die Schnapsflasche entgegen, nur scheinbar freundlich.

»Wie wär's mit 'nem Schluck Rum, Kumpel? Beruhigt den Magen ungemein, glaub mir.«

Lassiters linker Mundwinkel hob sich um eine Nuance. Seit sie vor einer Woche aus Portland in Washington aufgebrochen waren, hatte er die Spielchen der Seeleute stoisch hingenommen. Sie hatten ihn, die Landratte, den Cowboy aus dem Süden, bei jeder Gelegenheit zu provozieren versucht und ihre Scherze getrieben.

Käpt'n Lawrence Bicks, der das Kommando über den Schoner der US-Marine hatte, war dagegen nur sehr halbherzig vorgegangen, auch weil Lassiter sich nicht beschwert hatte. Entscheidender war aber wohl der Umstand, dass Bicks, seine Offiziere und die übrige Besatzung der Pendergast sich einig darüber waren, dass ihre Passagiere ein Ärgernis darstellten.

Daran waren zwar weder er noch die anderen beiden Brigade-Agenten schuld, stellten aber dennoch das einzige Ziel dar, an dem man sich abarbeiten konnte. Je länger die USS Pendergast gezwungen wurde, flaggenlos gen Norden zu segeln, mit getarntem Äußeren und auf Schlangenlinienkurs, um jeglicher Begegnung mit Handelsschiffen auszuweichen, desto mehr schwoll den stolzen Soldaten der Navy an Bord der Kamm – und Lassiter war das einzige Ventil, das sich bot, um Druck abzulassen. Denn Josh Porter und der junge Billy Deerborne hatten es seit den ersten Sticheleien meist vorgezogen, sich fortan nur noch in ihren Kabinen aufzuhalten.

»Na, was ist? Bist du dir zu fein, mit 'nem einfachen Seemann aus einer Flasche zu trinken?«

Wieder durchquerte die Pendergast ein Wellental, doch diesmal war Lassiter vorbereitet und geriet nur ein wenig ins Taumeln. Jolly Humper hingegen glich die Bewegung unter sich so geschmeidig mit Beinen und Hüften aus, dass es aussah, als stünde er auf festem Grund. Den Flachmann hielt er immer noch in der ausgestreckten Rechten, sein Lächeln jedoch war verschwunden.

»Keineswegs«, knurrte Lassiter. »Ich suche mir nur gern selbst aus, mit wem ich trinke. Und Sie, Humper, zählen nicht dazu. Also gehen Sie mir aus dem Weg.«

Der Rothaarige zog ein wenig den Kopf ein und beugte sich vor. Die Mundwinkel hoben sich wieder, aber Humpers Miene war nun verschlagen, lauernd.

»Und was sonst? Mr. Lassiter?«

»Sonst holst du dir eine blutige Nase. Und einen Anschiss von deinem Käpt'n.« Lassiter blieb ungerührt, hielt beide Hände locker an den Hüften, die Finger nur leicht gekrümmt.

Im schummrigen Laternenlicht wirkte sein Blick fast träge.

Humper lachte kehlig und drehte den Kopf zum Vorhang, hinter dem seine Kumpane hockten. Hinter dem Leinenstoff sah Lassiter das schwache Licht weiterer Laternen.

»Habt ihr das gehört, Folks? Der Bursche droht mir Prügel an! Das ist doch wohl eine ziemliche Frechheit, findet ihr nicht auch?«

»Gib ihm ein paar aufs Maul, Jolly«, ließ sich jemand hinter dem Stoff vernehmen, kläffend wie ein Köter aus sicherer Distanz. Ein paar andere bekundeten grunzend und johlend ihre Zustimmung.

Lassiter seufzte vernehmlich. Es half alles nichts. Offenbar hatten die Burschen genug Rum im Blut, um Dampf ablassen zu müssen. Was vor allem für ihren Rädelsführer galt.

Als Humper sich ihm wieder zuwandte, riss er gleichzeitig die Augen auf. Denn Lassiter hatte seinen Unterarm mit dem Flachmann ergriffen und war ein wenig in die Knie gegangen. Dabei stemmte er die Fersen fest auf die Planken des Ganges und riss den Seemann dann ruckartig nach vorn. Rechtzeitig wich er seitwärts aus, sodass genug Platz für Humper blieb, um an ihm vorbei krachend zu Boden zu gehen.

»Verdammt, du...!« Weiter kam der Rothaarige nicht, denn Lassiter hatte sich bereits zu ihm herunter gebeugt und mit der linken Hand den Hinterkopf umfasst, um ihn kurz darauf mit Macht gegen die Bodenplanken zu schmettern.

Zufrieden erkannte der Agent der Brigade Sieben, wie Humper unter ihm erschlaffte, richtete sich auf und ging ohne weitere Umschweife den Gang hinab in Richtung der Offizierskabinen.

»Jolly? Hey, was ist los?«, hörte er noch einen von Humpers Kumpanen rufen, doch er drehte sich nicht mehr um.

»Wie lange muss ich noch hier ausharren an diesem schrecklichen Ort?«, fragte die rothaarige Frau Colonel Matthew Daltrey erbost, und der Kommandant hatte Mühe, die Ruhe zu bewahren.

»Darf ich Sie bitten, die Tür zu schließen, Ma'am?«, knurrte er, doch die Angesprochene ignorierte die Aufforderung und stolzierte stattdessen, das Kinn ihres hübschen Gesichts erhoben, bis vor seinen Schreibtisch und verschränkte die Arme vor dem Busen. Er nickte seinem Adjutanten Colin Banks zu, der daraufhin entnervt von seinem Stuhl aufstand und die Tür der Kommandantur zuwarf, um den eisigen Wind auszusperren. Noch ein paar letzte Flocken aus Schnee und Eis tanzten durch die Luft, ehe sie träge auf die Bodendielen sanken.

»Meine Geduld ist an ihrem Ende, Colonel«, verkündete die Dame etwas Offenkundiges. Allein an diesem Tag bekam Daltrey es zum zweiten Mal zu hören, dabei waren seit dem Morgen-Appell kaum fünf Stunden vergangen.

»Es wird keinen Deut schneller gehen, Madam Rubliewa, wenn Sie ständig bei mir auftauchen und sich beschweren. Schließlich liegt es nicht in meiner Macht – das Schiff ist unterwegs, mehr kann ich Ihnen auch jetzt nicht verkünden!« Im Stillen betete Daltrey darum, dass die USS Pendergast wie geplant spätestens morgen in der Frühe den kleinen Hafen des Stützpunkts erreichen würde, damit er endlich diesen Plagegeist loswurde.

Kaum zwei Wochen waren vergangen seit der Ankunft der Gräfin Katinka Rubliewa, doch ihm kam es vor wie ein Jahr. Der kapriziösen Russin offenbar wie lebenslange Lagerhaft, was aber kein Trost war. Ihr Begleiter, ein amerikanischer Botschaftsattaché namens Harvey Oswald, hatte Daltrey versichert, dass die Dame eine hochgradig wichtige Persönlichkeit sei und man Washington auf telegrafischem Wege bereits über ihr Kommen in Kenntnis gesetzt habe. Die Gräfin sei im Besitz hochbrisanter Geheimdokumente und wolle im Austausch dafür um politisches Asyl ersuchen.

Hier, am erfrorenen Arsch der Welt, hatten sie keine Telegrafenverbindung. Doch vor wenigen Tagen war Daltrey durch eine Depesche, die ein Kurier aus Lumberton überbracht hatte, bestätigt worden, dass eine Eskorte für Madam Rublieva auf dem Weg sei. Agenten des Justizministeriums, die mit der USS Pendergast kommen würden, einem der beiden Marine-Schiffe, die für eine Fahrt in die nördlichen Gewässer gerüstet waren.

Wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Der Winter kam, und mit ihm die Eisschollen, die sich hier oben vor der Küste allmählich zusammenzogen wie Zeugnisse einer unsichtbaren Armee, die ihre Verteidigungsanlagen aufbaute.

Gut möglich, dass die Pendergast ihren Hafen noch erreichte – dann aber überwintern musste in Sitka, sollte die Eisschicht über dem Meer zu dick werden. Manchmal geschah das binnen ein oder zwei Tagen und Nächten – wobei beides in diesen Breiten nun allmählich eins wurde.

Er zwang sich zu einem Lächeln. »Wie wäre es mit einem Kaffee, Madam? Ist gerade frisch aufgebrüht worden.«

Katinka Rublieva schnaubte verächtlich, ließ sich aber dazu herab, auf dem Lehnstuhl vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen und für eine Weile zu schweigen, bis Banks ihr einen Becher servierte. Ungeniert holte sie einen Flachmann aus den Tiefen ihres Pelzmantels hervor und goss etwas aus dessen Inhalt in den Becher.

Weder Banks noch sein Vorgesetzter zeigten eine Reaktion darauf. Dass die Rublieva eine Liebe zum Alkohol – insbesondere dem hochprozentigen – pflegte, war ebenso wenig eine Neuigkeit für die Militärs wie ihre täglich mehrmals endende Geduld.

Oder die Argumente, mit denen sie den Colonel ermahnte.

»Das sind mächtige Leute, die hinter mir her sind und mich kaltmachen wollen«, gab sie augenrollend zu verstehen, nachdem sie einen kräftigen Schluck direkt aus dem Fläschchen genommen hatte. Dabei sprach sie jeden Kehllaut und jedes R aus, als wäre es dreifach im Wort enthalten. »Sie werden längst Mörder auf meine Spur gesetzt haben. Also es ist wichtig, ich muss rasch weiter, weg von hier, von altem russischem Land.«

Daltrey nickte langmütig. »Ich versichere Ihnen, dafür ist alles in Bewegung gesetzt worden. Und bis man Sie abholt, dürften Sie hier wohl keine Angst haben müssen. Sitka ist ein Armeestützpunkt, Madam, Sie werden von einer ganzen Kompanie beschützt.«

Das fast mitleidige Lächeln der Gräfin verärgerte Colonel Daltrey mehr als ihre blasierte Arroganz. Offenbar hielt die Dame nicht viel von der Armee des Landes, in dessen Obhut sie sich geflohen hatte.

»Wenn die Assassinen mich finden, werden weder Ihre Palisaden noch Ihre Soldaten Sie aufhalten, Colonel«, sagte Katinka Rublieva und richtete den Blick zum Fenster hinaus, hinter dem die Dämmerung der Nacht wich. »Sie kennen dieses Land nicht.«

»Meine Männer sind kampferprobte Soldaten, die sich überall zu behaupten wissen, Madam«, knurrte Daltrey indigniert. »Auch gegen gedungene Meuchelmörder aus dem russischen Zarenreich. Wenn es gilt, amerikanischen Boden zu verteidigen, nimmt die amerikanische Armee es mit jedem Gegner auf!«

Daltrey bemerkte die erhobenen Augenbrauen seines Adjutanten und registrierte, dass er wohl ein wenig zu laut geworden war. Die Gräfin hingegen schien wenig beeindruckt. Sie trank einen Schluck aus dem Kaffeebecher, dann schwenkte sie ihn hin und her und erwiderte: »Große Worte, Colonel. Dabei haben Sie nicht einmal die Wilden im Griff, wie sich vor wenigen Tagen erst deutlich gezeigt hat.«

Ihr süffisantes Lächeln ließ Daltrey die Backen aufblasen, doch er beherrschte sich. Schließlich hatte die Frau nicht ganz unrecht.

Immer wieder versetzten die Indianer vom Stamm der Tlingit ihnen Nadelstiche; kleine Angriffe, die zwar nur wenig Schaden anrichten konnten, aber dennoch für eine ständige Unruhe unter der Belegschaft des Stützpunkts sorgten.

Der Vorfall, auf den die Gräfin anspielte, war in der Tat ein kleiner Höhepunkt gewesen. Die Rothäute hatten sich mitten in der Nacht an das Südtor angeschlichen, ein Dutzend Fackeln entzündet und sie über den Palisadenwall geschleudert. Mehrere davon waren auf den Misthaufen vor den Stallungen gelandet, die schnell lichterloh in Brand gestanden hatten. Es hatte Stunden gedauert, die in Panik geratenen Tiere unter Kontrolle zu bringen und die Brände zu löschen. Der Schaden war durchaus beträchtlich gewesen, weshalb Daltrey nun die Wachen verstärkt hatte.

Ihm war es ein Rätsel, wie die Indianer derart zielgenau hatten zuschlagen können. Als könnten sie durch die Palisaden hindurch den Stützpunkt genau in Augenschein nehmen und selbst in dunkler Nacht so gut sehen wie Schleiereulen.

Und selbst wenn er es gegenüber der Rublieva niemals eingestehen würde: Natürlich war es ein Unterschied, seinen Dienst in New Mexico, Minnesota, Virginia zu tun – oder hier oben in Alaska, einem gottverlassenen Ort, an dem die Sonne sich jetzt schon kaum mehr zeigte und in wenigen Tagen für viele Wochen ganz verschwunden sein würde.

Die Tlingit kamen damit zurecht. Es war ihre Heimat. Seine Soldaten hingegen klagten zunehmend über körperliche und vor allem seelische Beschwerden – Schwermut, Schlaflosigkeit, Alkoholismus. Probleme, die Daltrey in seinen zweiundzwanzig Dienstjahren noch nie in einem solchen Maß hatte erleben müssen wie hier in Sitka.

Auch deshalb hatte er schon vor mehreren Wochen ein dringliches Gesuch an den oberkommandierenden General, geschickt mit der Bitte, seine Männer heimzuholen und durch frische Kräfte zu ersetzen. Mit der Ergänzung, dass kein Soldat länger als fünfzehn Monate hier oben Dienst tun sollte.

Bisher war die Antwort auf seinen Brandbrief ausgeblieben.

»In nicht einmal vierundzwanzig Stunden werden Sie unseren Stützpunkt verlassen können, Gräfin«, erwiderte Daltrey kühl. »Bis dahin möchte ich darum bitten, dass Sie mich und meine Männer Ihren Pflichten nachgehen lassen und fortan Ihr Quartier nicht mehr ohne zwingenden Grund verlassen.« Er erhob sich und deutete eine Verbeugung an, doch seine Miene war so eisig wie der Wind, der draußen um die Kommandantur heulte. »Zu Ihrer eigenen Sicherheit. Mr. Banks. Geleiten Sie Madam Rublieva bitte zu Ihrer Unterkunft.«

Banks erhob sich und verzog die Lippen, bevor er die Tür aufzog.

»Darf ich bitten, Ma'am?«

Die Russin verzog die Lippen, dann stand sie auf und stellte den Kaffeebecher auf dem Schreibtisch ab, bevor sie hinaus rauschte.

»Sewards Eisschrank«, verkündete der junge Brigadeagent mit dem rostroten Haarschopf unter der keck ein wenig schief in die Stirn geschobenen Mütze, der links von Lassiter an der Reling stand. »So hat's wenigstens die New York Tribune genannt. Da fragt man sich doch schon, warum unser werter Außenminister hier unbedingt das Sternenbanner hissen wollte. Schnee, Eis, Robben und ein paar Bären. Nichts, was man nicht auch in Maine oder Vermont genießen kann, oder?«

»Über sieben Millionen haben sie dem Zaren bezahlt«, ergänzte der Mann mit dem grauen Walrossbart an Lassiters anderer Seite. »Eine ganze Menge sauer verdienter Steuergelder für ein paar tausend Acres trostloser Einöde.«

Lassiter nahm einen Zug von seinem Zigarillo, sagte: »Es handelt sich wohl eher um ein paar Millionen Acres, Porter«, und wandte den Blick über die Schulter, als er vernahm, wie die Tür zu den Kajüten geöffnet wurde und schwere Schritte sich über die Decksplanken bewegten.