Lassiter 2652 - Marthy J. Cannary - E-Book

Lassiter 2652 E-Book

Marthy J. Cannary

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Beschreibung

Die Sintflut im Marble Valley begann mit heftigen Schneefällen, die mitten im Dezember einsetzten und das einsame Gleis der Northern Pacific Railroad mit mannshohen Schneewehen überzogen. Die Lokomotiven gruben sich mit ihren rauchspeienden Schloten durch das unermessliche Weiß, von dem die grauen Felsgipfel der Marble Mountain Range eingehüllt waren, und widersetzten sich tapfer den Launen der Wettergötter.
Dagegen war dem Acht-Uhr-Zug aus Warford ein anderes Schicksal bestimmt. Er raste mit reifüberzogenem Kolbengestänge auf die Schleppweiche 234/C zu, die sich sieben Meilen hinter dem Abzweig nach Youngston befand. Die Zunge jener Weiche lag frei im Schnee, daneben die rostigen Befestigungsschrauben und deren Muttern, und jeder Zug, der diesen Schienenabschnitt passierte, musste unweigerlich entgleisen...


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Seitenzahl: 130

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Fünfzehn Ellen Flut

Vorschau

Impressum

FünfzehnEllen Flut

von Marthy J. Cannary

Die Sintflut im Marble Valley begann mit heftigen Schneefällen, die mitten im Dezember einsetzten und das einsame Gleis der Northern Pacific Railroad mit mannshohen Schneewehen überzogen. Die Lokomotiven gruben sich mit ihren rauchspeienden Schloten durch das unermessliche Weiß, von dem die grauen Felsgipfel der Marble Mountain Range eingehüllt waren, und widersetzten sich tapfer den Launen der Wettergötter.

Dagegen war dem Acht-Uhr-Zug aus Warford ein anderes Schicksal bestimmt. Er raste mit reifüberzogenem Kolbengestänge auf die Schleppweiche 234/C zu, die sich sieben Meilen hinter dem Abzweig nach Youngston befand. Die Zunge jener Weiche lag frei im Schnee, daneben die rostigen Befestigungsschrauben und deren Muttern, und jeder Zug, der diesen Schienenabschnitt passierte, musste unweigerlich entgleisen...

An diesem Abend war Mary Myers in ihren Mann Carl verliebt wie selten zuvor.

Der matte Lichtschein der Abteilleuchte erhellte ihr freudiges Gesicht, das mit seinen rundlichen Wangen und dem schön geschnittenen Mund zu beeindrucken wusste, und als Carl zu einem Kuss ansetzte, brach Mary in heiteres Lachen aus. Sie stieß Carl mit einer sanften Bewegung von sich und sprang von seinem Schoß.

»Bist du abermals zwanzig?«, rief Carl freudig aus und streckte die Hand nach seiner Frau aus. Er war ein ernster Mann mit klugem Geist und aufmerksamen Augen. »Ich erkenne dich nicht wieder, meine liebe Mary.«

Die vergangene Woche war wie ein einziger Augenblick verstrichen, was an dem fabelhaften Engagement gelegen hatte, das den Myers zuteilgeworden war. Sie hatten ihre Attraktion auf der State Fair in Denver vorstellen dürfen und waren von Gouverneur Mulligan zum Dinner eingeladen worden.

»Keine zwanzig mehr!«, seufzte Mary und schaute in das nächtliche Schneegestöber hinaus. Sie hatte über die beträchtlichen Niederschläge gelesen, die aus dem Norden und Westen des Landes gemeldet wurden. »Ich bin nur glücklich darüber, dass alles einen guten Gang genommen hat. Ich und du... Wir hätten längst bankrott sein können.«

Der Wasserstoffapparat ihres Mannes hatte in Denver alle Blicke auf sich gezogen, fast noch stärker als der Gasballon selbst, mit dem Mary fast zehntausend Fuß in die Höhe gestiegen war. Sie hatte Carl den königsblauen Ballon füllen lassen, den sie für Hoffman & Bellerjeau gefertigt hatten und der nie bezahlt worden war.

Fast fünfzehntausend Zuschauer waren auf das Feld geströmt.

Jeder der Schaulustigen hatte fünfunddreißig Cent bezahlt, ein Vierspänner war für drei Dollar, ein Zweispänner für zwei Dollar hereingekommen. Eine Schar Hüte war Mary – die sich auf der State Fair Carlotta, die Aeronautin genannt hatte – entgegengeworfen worden, kaum dass sie die Taue des Ballons gekappt hatte.

»Ach, Mary!«, seufzte Carl und lehnte sich auf der Sitzbank zurück. Er war müde von der State Fair und hatte doch bis acht Uhr die Eisenbahnarbeiter beaufsichtigt, die ihre Ballonhüllen und den Apparat verladen hatten. »Ich wünschte längst, wir müssten nicht mehr über das liebe Geld nachdenken. Die Unternehmung... Ich weiß nicht...«

Gerührt wandte sich Mary ihrem Mann zu und strich ihm durchs Haar. Sie mochte die sanfte und überlegte Art, mit der er zu Werke ging, und konnte sich nicht vorstellen, dass sie es mit einem anderen Gemahl hätte besser treffen können. »Hör auf mit der Zweifelei, mein lieber Mann. Ich... Du weißt, dass mich der Mut packt! Ich steige noch höher, wenn es sein muss! Ich will mir das Ruder patentieren lassen!«

Der Zug rollte mit donnernden Rädern über eine stählerne Talbrücke, die unter dem Gewicht der Waggons zitterte und kreischte. Ein Schweif aus Eiskristallen stieg neben dem Wagenfenster in die Luft, verdrehte sich im Wind und stieß wie ein frostiger Drache in die Tiefe hinunter.

»Auf eine halbe Meile genau!«, sagte Carl und schüttelte in völligem Unglauben das Haupt. Er hatte seine Verwunderung schon in Denver zum Ausdruck gebracht. »Auf eine halbe Meile genau hast du es dem Kutscher gesagt! Du kennst die Ballons besser als jede andere! Du weißt, wo sie zu Boden gehen!«

Dass sie ihre Ballonfahrt auf weniger als eine Meile genau vorhergesagt hatte, erfüllte auch Mary mit Stolz. Sie hatte dem Kutscher einen Platz am Ufer des South Platte River genannt, an der sie mit dem Ballon landen würde, und in der Tat war das Gespann in Sichtweite gewesen, als sie den letzten Ballast abgeworfen hatte.

»Weiß ich's?«, erwiderte Mary und setzte sich wieder zu ihrem Mann auf die Bank. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und ergriff seine Hand. »Oder verlasse ich mir nur darauf, was mein Mann mir bereitstellt? Ich... Ich liebe dich, Carl.« Sie küsste ihn erneut. »Für die großartigen Ideen, die dein Kopf hervorbringt.«

Wieder stiegen Eis und Schnee neben dem Wagenfenster auf, schlugen knirschend gegen das Glas und wurden vom Fahrtwind davongerissen. Das Ehepaar mochte die rohe Gewalt des Winters nicht und wusste, dass ein Sturm wie dieser der Widersacher jedes Ballonfahrers war.

»Noch ein paar Tage«, sagte Carl und schloss für einen Moment die Augen. »Man wird uns in Kalifornien mit Parade und Kapelle begrüßen. Ich kenne Colladay und seine Bande... Er wird sich nicht lumpen lassen. Die Ballonattraktion ist vermutlich längst plakatiert und an die Zeitungen verteilt.«

Statt einer Antwort gab Mary ihrem Mann einen neuerlichen Kuss und erhob sich. Sie trat ans Fenster, sah dem stiebenden Schnee hinterher und wartete darauf, dass der Zug in die Kurve fuhr und sie die erleuchteten Fenster der hinteren Wagen sehen konnte.

»Schlaf noch ein wenig!«, sagte Carl und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Er fror leicht und hatte sich die Schafwolldecke über die Beine gebreitet. »Ich will's auch versuchen... Das ständige Tack-tack der Schienenstöße macht mich müde, Liebes. Ich will –«

Ein stählernes Fauchen erschlug die Stille im Eisenbahnwagen, der von einem dumpfen Schlag erst nach rechts, dann nach links getrieben wurde. Durch das Abteilfenster ging ein leuchtend weißer Riss, pflanzte sich bis zur unteren rechten Ecke fort, bevor das Glas splitterte und aus dem Rahmen brach.

Mary schrie vor Entsetzen auf.

Sie wurde neben ihrem Mann in die Polster geworfen, klammerte sich an Carls Schulter fest und rief wie von Sinnen seinen Namen. Der Schnee stob durch das zerbrochene Fenster herein, fasste wie eisige Hände nach ihren Gesichtern und löste sich in heulenden Wind auf.

Der Waggon kippte und stürzte in die Finsternis.

Die Korrespondentenberichte über die Flut im Marble Valley waren im Democratic Leader und der Wyoming Tribune erschienen und bescherten den Zeitungsjungen von Rawlins gute Geschäfte. Nahezu im Sekundentakt verkauften die Jungen die Wochenblätter, priesen deren Schlagzeilen an, als riefen sie den Fisch aus, der er einige hundert Yards weiter in den Docks zu haben war. Eine Schar gieriger Hände streckte sich ihnen über den ganzen Morgen hinweg entgegen.

»Keine Fuhre Mehl mehr!«, rief der Junge auch dem breitschultrigen Mann entgegen, der auf ihn zusteuerte. Er riss die Augen auf und verlas die anderen Überschriften. »Fünfzehn Ellen hoch steht die Flut! Häuser und Farmen weggeschwemmt! Die Flussdampfer fahren noch, Sir! Sie fahren noch hinauf ins Valley!«

Den Vierteldollar für die Wyoming Tribune und den Leader steckte Lassiter in die Hemdtasche des Jungen, während dieser ihm höflich die Wochenzeitungen zusammenfaltete und reichte. Der Mann der Brigade Sieben nahm die Blätter an sich und bahnte sich eine Gasse durch das vielstimmige Gedränge, das auf der Mainstreet herrschte.

Er war auf dem Weg zu Mittelsmann Phil Hanthorn.

Das Telegramm aus Washington hatte Lassiter an Hanthorn verwiesen, einen Polsterer aus Rawlins, der fünfzehn Jahre als Informant im Dienst der Brigade Sieben gestanden hatte, bevor man ihn im vorletzten Sommer für höhere Weihen vorgeschlagen hatte. Er war ein sanfter Mann von fünfundfünfzig Jahren, dem man zwar eine gewisse Verschlagenheit zutraute, ansonsten jedoch harmlos finden musste.

»Die Federn springen heraus«, sagte Hanthorn lakonisch und hieb mit der Hand auf einen durchgesessenen Stuhl. »Ich lasse frische Stahlfedern aus San Francisco kommen, setze sie ein und nehme den Leuten höchstens vier Dollar dafür ab. Sie jammern und klagen trotzdem darüber...« Er seufzte laut auf. »Keiner hat mehr etwas auf der Bank.«

Die Werkstatt roch nach Leinöl und Holzspänen und war mit allerlei Mobiliar zugestellt. An den Ohrensesseln, Chaiselongues, Diwanen und Eckbänken, die Hanthorn in der letzten Woche angenommen hatte, baumelten Pappkärtchen mit den Namen der Besitzer. An der Wand stand eine Werkbank, auf der sich Päckchen voller Heftklammern stapelten.

»Die Flut raubt den Leuten alles Hab und Gut«, bemerkte Lassiter und schaute sich in der beengten Polsterwerkstatt um. Er warf die Zeitungen auf den Tisch. »Das Marble Valley wird Hunderte arme Menschen hervorbringen.«

»Hunderte!«, bekräftigte Hanthorn nickend. Er hatte einen mächtigen Schädel mit ausgeprägter Kieferpartie, über die sich ein grauer Bartflaum zog. »Gar Tausende! Ich will gar nicht daran denken müssen! Diese armen Seelen!« Er wies zu seinem Schreibpult in der Ecke. »Ich habe einen Auftrag, der Sie ins Marble Valley führen wird.«

Die Ankündigung Hanthorns überraschte Lassiter keineswegs. »Man hat mir über das Marble Valley schon aus Washington telegraphiert. Die Wochenblätter sind voller Berichte darüber.«

»Entsetzlich!«, sagte Hanthorn und ließ sich auf einen der Sessel fallen. »Das Leid für die Menschen im Tal ist fürchterlich. Ich muss... Ich wollte jemanden zu meiner Tante schicken, die im Tal wohnt, aber sie ist bereits fort.« Er starrte eine Weile vor sich hin. »Sie müssen Saratoga-Sam für uns finden.«

»Saratoga-Sam?« Lassiter machte einen Schritt auf Hanthorn zu. »Ist er ein Sträfling?«

Der Mittelsmann schilderte in knappen Worten, dass der Schaufelraddampfer Atlantic, der für die Kingsley Express Company fuhr, vor einer knappen Woche vierzig Männer im Marble Valley aufgenommen hatte. Die Männer hatten sich vor der Flut in die Kronen einer Baumgruppe geflüchtet. »Der Anführer war Samuel Moss, den wir auch Saratoga-Sam kennen.«

Eine halbe Stunde verging, in der Lassiter erfuhr, dass Saratoga-Sam zahlreicher Verbrechen beschuldigt wurde, vornehmlich durch die Northern Pacific Railroad, die Moss der Sabotage und der Erpressung bezichtigte. Auf die Ergreifung waren fünfzigtausend Dollar ausgesetzt.

»Sie müssen ihn lebend bekommen«, fügte Hanthorn hinzu. »Die Northern Pacific will einen Sündenbock und hat sich aus diesem Grund ans Justizministerium gewandt. Sie ist in einiger Not wegen der Sabotageakte.« Er stand auf und lief zu seinem Schreibpult. »Schauen Sie, es gibt ein Kuvert aus Washington... Sie finden darin alle Erkenntnisse und Berichte zu Saratoga-Sam. Ich habe vor einiger Zeit selbst über ihn geschrieben.«

»Was ist er für ein Kerl?«, erkundigte sich Lassiter und kam langsam näher. Er ergriff das Kuvert aus braunem Karton. »Ich muss nicht nur Moss, sondern dreißig andere Männer festsetzen. Sie sollten etwas auf dem Kerbholz haben.«

Durch die winzig kleinen Fenster der Werkstatt drangen die Rufe der Zeitungsjungen herein, die abermals eine Sonderausgabe der Tribune feilboten. Die Rufe lockten allerhand Passanten an, die sich um die wenigen gedruckten Exemplare stritten.

»Die Arbeit an den Schienen ist schwer und mühsam«, meinte Hanthorn und klopfte auf einen seiner Stühle. »Nicht zu vergleichen mit den Handgriffen eines Polsterers, der Watte unter den Samt stopft. Ich brauche keine Männer für meine Arbeit.« Er deutete mit dem Kinn in Richtung Kuvert. »Saratoga-Sam schon.«

Nacheinander gingen sie die einzelnen Fälle durch, die im Kuvert beschrieben wurden, und zu jedem davon wusste Hanthorn eine mehr oder minder nützliche Anekdote zu erzählen. Er kannte bei einem Vorfall den Heizer, den es vom Führerhaus geschleudert hatte, in einem anderen wusste er von den Gleisarbeitern, die hinauf in die Berge geschickt worden waren, um den beschädigten Schienenstrang zu reparieren.

»Skrupellos und eitel«, fasste Hanthorn die Natur von Samuel Moss zusammen. »Er prahlt gewöhnlich mit seinen Taten, tritt vor seinen Leuten als Gesetzesbrecher auf, dem niemand etwas anhaben kann.« Er lächelte grimmig. »Bis zum heutigen Tag hatte er damit recht. Sie werden und müssen ihn lehren, dass sein Geschäft vorüber ist.«

»Wie viel hat ihm die Northern Pacific gezahlt?«, fragte Lassiter und verschloss das Kuvert. »Er rückt der Company schon zwei Jahre lang zu Leibe.«

Verschwörerisch legte Hanthorn die Hand an den Mund. »Psst... Sie dürfen es keinem verraten. Ich weiß es über einen anderen Mittelsmann. Es müssen...« Er dämpfte die Stimme zu einem Flüstern. »Es müssen fast hunderttausend Dollar sein... Die Eisenbahngesellschaft ist in Not und schaltet deshalb den Justizminister ein.«

Mit dem Kuvert unter dem Arm verließ Lassiter die Polsterei von Phil Hanthorn wenig später. Er ging den Zeitungsjungen aus dem Weg, die ihm weitere Sonderblätter aufschwatzen wollten, und ließ sich im Mietstall denselben Fuchs geben, mit dem er bereits nach Rawlins gekommen war.

»Hoch ins Valley?«, staunte der Stalljunge und biss sich auf die Unterlippe. »Sie müssen Nerven haben.«

Aus den stählernen Kronen, die beide Schornsteine der Atlantic zierten, quoll rußschwarzer Rauch und zog über den breiten Strom des Marble River davon. Die Kessel des Schaufelraddampfers standen unter höchstem Druck, was sich in hellen Dampfwolken äußerte, die hin und wieder aus dem Maschinenraum emporkrochen. Einige Matrosen waren mit der Landungsbrücke beschäftigt, andere spannten die Flagge der Kingsley Express Company am Bugmast auf.

Ansonsten war im Tal nichts wie gewohnt.

Höchstens zweihundert Fuß maß der Marble River sonst in der Breite, ein behaglich dahinfließender Fluss mit seichten Mäandern, in denen die Kinder badeten oder Viehhirten die Rinder tränkten. Die Ufer waren von niedrigen Büschen und struppigen Bäumen bewachsen, deren Zweige bis dicht übers Wasser hingen und oft bis in den Oktober hinein die Blätter behielten. Die Temperaturen waren mild und angenehm, als hätte sich stets Gottes gnädige Hand des Marble Valley erbarmt.

Vor einer Woche dagegen war die Sintflut ins Tal gekommen.

Sie hatte sich mit langen Wasserzungen angekündigt, die zwischen die Häuser und Baracken von Yellow Bluffs gekrochen waren, später bei den Senkloten aus Blei, die nicht mehr bis zum Grund gereicht hatten. Die Kingsley Express Company schätzte, dass die Flut in der Zwischenzeit auf fünfzehn Ellen gestiegen war.

Reglos starrte Claire Robbins den Kapitän an.

Sie hatte Bob Hooks auf der Landungsbrücke gesehen, als er sich die fettige Stirn mit einem Tuch abgewischt und trübe auf den Fluss geschaut hatte. Er war der einzige Mann im Marble Valley, der es noch wagte, seinen Dampfer den Fluss hinaufzuschicken.

»Sie können und dürfen mich nicht umstimmen, Miss«, sagte Hooks mit kühler Gelassenheit. »Ich vermag Ihnen nicht zu helfen. Sie sind eine Frau mit Einfluss in Yellow Bluffs und deshalb will ich Ihnen nicht –«

»Aber Sie lehnen meine Bitte ab!«, schimpfte Claire und warf ihr rotes Haar zurück. Sie wusste von ihrer letzten Begegnung, dass Hooks ein Auge auf sie hatte. »Sie wollen niemanden hinauf zu diesem Zug schicken! Ein Zug in grimmiger Eiseskälte, Kapitän Hooks!«

»Hören Sie auf damit!«, brummte Hooks und zupfte an seinem Flaum. Er war stolz auf seinen Seefahrerbart, der in Wahrheit so kümmerlich war, dass er jeder Beschreibung spottete. »Sie bilden sich ein, dass dort oben die Waggons entgleist sind! Die Northern Pacific hätte es längst an die große Glocke gehängt!«

Das Gleis der Northern Pacific Railroad verlief einige Meilen nördlich des Valley durch die Marble Mountain Range, ein spitz gezacktes Felsmassiv, das einen kraterhaften Kessel umrahmte, den die Siedler Devil's Pot getauft hatten. Die Hänge der Range raubten jedes Jahr ein oder zwei Menschen das Leben, und Claire fürchtete, dass ihre gute Freundin Mary Myers darunter war.

»Sie hätte geschwiegen«, gab Claire trotzig zurück und schaute nach der rauchenden Atlantic. »Wie diese Company zu allem schweigt, was sie angeht. Ich kenne die Sabotagefälle, ich kenne Leute in höchsten Ämtern. Der Acht-Uhr-Zug aus Warford hat es nicht über die Range geschafft, Bob.«

»Papperlapapp!«, wischte Hooks ihre Bedenken beiseite und schritt auf die Landungsbrücke zu. Er pfiff nach seinen Matrosen. »Macht die Leinen los, Männer! Wir fahren! Wir fahren hinauf!«

Ohnmächtig schaute Claire zu, wie die Atlantic sich zum Ablegen bereitmachte und sich ihre letzte Hoffnung zerschlug. Sie schaute sich an den Docks um und entdeckte einen einzelnen Passagier, der noch zu dem Schaufelraddampfer wollte. Es war ein großgewachsener Mann mit blondem Haar, der sie über Vorübergehen musterte und den Arm nach Hooks ausstreckte.