Lassiter 2657 - Marthy J. Cannary - E-Book

Lassiter 2657 E-Book

Marthy J. Cannary

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Kleid mit den schwarzen Samtbändern lag sorgsam zusammengefaltet in der Frachtkiste und fiel Hardy Berey nicht weiter auf. Der junge Mann mit den blonden Locken und dem knabenhaften Gesicht, dem er seinen Spitznamen "Lucky Boy" verdankte, stieg auf das Fuhrwerk und begutachtete den Schaden. Der Kistendeckel war aus den Nägeln gerissen und hing seitlich herunter.
"Gazzy!", rief Berey laut und durchdringend. "Da will uns einer Ärger machen! Hat uns morsches Holz draufgepackt!"
Hinter dem Gespann erschien Gerald Packard, den alle wegen seiner ständigen Besäufnisse nur "Dizzy Gazzy" riefen, und reichte Berey den Hammer und die Nägel herauf. Er ahnte nichts davon, dass er Hardy zum letzten Mal Werkzeug brachte und sie ihre junge Freundschaft im Totenhaus beschließen würden ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Schüsse in der Nacht

Vorschau

Impressum

Schüsse in der Nacht

von Marthy J. Cannery

Das Kleid mit den schwarzen Samtbändern lag sorgsam zusammengefaltet in der Frachtkiste und fiel Hardy Berey nicht weiter auf. Der junge Mann mit den blonden Locken und dem knabenhaften Gesicht, dem er seinen Spitznamen »Lucky Boy« verdankte, stieg auf das Fuhrwerk und begutachtete den Schaden. Der Kistendeckel war aus den Nägeln gerissen und hing seitlich herunter.

»Gazzy!«, rief Berey laut und durchdringend. »Da will uns einer Ärger machen! Hat uns morsches Holz draufgepackt!«

Hinter dem Gespann erschien Gerald Packard, den alle wegen seiner ständigen Besäufnisse nur »Dizzy Gazzy« riefen, und reichte Berey den Hammer und die Nägel herauf. Er ahnte nichts davon, dass er Hardy zum letzten Mal Werkzeug brachte und sie ihre junge Freundschaft im Totenhaus beschließen würden...

Vor etwas mehr als einem Jahr hatte Hardy Berey sich den Tod als fernes Grau vorgestellt, das sich zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt über sein Leben wälzen und ihn erdrücken würde. Er hatte in jenen Tagen oft darüber nachgesonnen, ob und wann ein Mensch gehen musste, und das hatte daran gelegen, dass seine Schwester von einer Brougham-Kutsche der englischen Hooper & Co. überfahren worden war.

Die Räder des Einspänners waren aus leichtem Hickoryholz gewesen und hatten Bereys Schwester Margrett dennoch die Lunge zerquetscht. Die Ärzte des St. John Hospital in der Hawthorn Avenue hatten um Margretts Leben gerungen und sie am achtundzwanzigsten September um vier Uhr nachmittags für tot erklärt.

Berey hatte neben ihrem Bett gesessen.

Er hatte das Tuch seiner Schwester gehalten, ein weißes Leinentuch mit Blumenstickereien, hatte immer wieder Knoten hineingebunden, die er hernach wieder aufmachen musste. Die Ärzte hatten ihn sitzenlassen und mit ihren Stethoskopen hantiert, hatten ihm Tee bringen lassen und zum Schluss einen Pfarrer, der nichts gesagt und Berey eine Bibel unter die Hand geschoben hatte.

»Träumst du?«

Die Stimme seines Freundes Gazzy riss Berey aus seinen Gedanken. Er stand auf dem Gespann der Louisfield Transportation Co., deren Fracht am Nachmittag gekommen war und die einen Transport bis zum Morgengrauen gefordert hatte. Die Kisten auf dem Fuhrwerk mussten hinüber zum Eisenbahndepot, und dafür mussten die Deckel festsitzen.

Lächelnd nahm Berey Hammer und Nägel entgegen. »Gazzy, hätte ich dich nicht, wär' ich aufgeschmissen! Hättest mir ruhig 'ne ganze Handvoll bringen können!«

»Hämmer?«, alberte Gazzy herum und lehnte sich an das Gespann. Er hatte verkrusteten Schlamm an der Wange, gähnte und wischte ihn sich mit zwei Fingern ab. »Mir geht die Louisfield vielleicht auf den Zeiger, mein Lieber... Ständig kommen sie hergelaufen und stellen Forderungen! Wie soll sich einer ordentlich besaufen, wenn fortwährend die Arbeit ruft!«

Unter den Tagelöhnern war es ein alter Hut, dass Gazzy schon trank, bevor jemand ins Horn stieß und die Zahlstunde ankündigte. Er soff Kentucky-Bourbon, den er billig von einem Kerl in Redford bekam; manchmal kippte er zwei Flaschen Branntwein, die weniger schlimm stanken als er selbst. Er war eine gutmütige Seele, die sich dem Fusel verschrieben hatte, sooft Gazzy auch beteuerte, dass er mit dem Teufelszeug aufhören und ein anständiger Mann werden würde.

»Wen kümmert's!«, brummte Berey und riss den Deckel ganz von der Frachtkiste. Er betrachtete das Kleid, dessen Ärmel und Ellbogen mit Samt verstärkt waren, ebenso wie der untere Saum, der hervorschaute. Das Kleidungsstück erinnerte ihn an Margretts Garderobe. Sie war nie aus dem Haus gegangen, ohne sich zurechtzumachen.

»Hau die Nägel rein!«, drängelte Gazzy und sprang ebenfalls auf das Gespann. Er starrte in die Kiste und verlagert das Gewicht von einem Bein auf das andere. »Hau sie rein, damit wir was trinken können! – Für wen mag das gute Stück sein! Vornehm geht die Welt zugrunde, was?«

Auf dem Kistendecke fand sich ein halb abgekratztes Papieretikett, das die Velvet Manufacturing William Russell im Montana-Territorium als Hersteller benannte. Das Kleid war am achten Oktober verpackt und zwei Tage darauf nach Kansas geschickt worden.

Margrett...

Sie hatten in ihrem Kleid auf der Straße gelegen, die Hände unter dem Rücken, die Haare aufgelöst, als hätte sie die hölzernen Spangen herausgezogen, wie sie es jeden Abend tat. Sie hatte Berey angeblickt, so gütig und warmherzig, wie es ihre Art war, und dann hatte der Schmerz ihre Züge in Besitz genommen.

Berey wischte die Erinnerung beiseite.

Er wollte den Deckel wieder aufsetzen, legte ihn aber beiseite und hockt sich vor die Kiste. Er ließ die Finger über die Samtbänder wandern, die sich weich und angenehm anfühlten, strich wieder darüber und noch einmal und noch einmal. Er weinte und schämte sich der Tränen nicht, und Gazzy begriff, dass etwas vorging in seinem Freund.

»Margrett?«, fragte Gazzy und klopfte Berey auf die Schulter. »Ich kann's auch nicht glauben, Hardy... Ich kann's auch nicht glauben.«

Eine Weile setzten sie sich auf das Gespann, rauchten und redeten über Bereys Schwester, die Gazzy oft ins Gewissen geredet hatte. Sie lachten über ihre hilflose Strenge, über ihre Vorschriften, die sie stets wieder aufgegeben hatte, sowie Gazzy nachts betrunken vor der Tür gestanden hatte.

»Sie war ein gutes Ding«, sagte Gazzy und stieß Berey mit der Schulter an. »Ich wünschte, dass es ihr nicht passiert wäre. Ich wünschte, dass sie mir wieder in den Arsch treten würde.«

Ein beklommenes Schweigen legte sich über das Lastgespann, um das herum ein Heer anderer Arbeiter schuftete, damit die Terminfracht zu den Güterwaggons gelangte. Berey erhob sich ebenfalls und beugte sich über die Kiste, die er eigentlich zunageln wollte. Er nahm das Kleid heraus, in dem etwas leise knackte, und hielt es unter die Nase.

Der Samt roch nach Staub und trockenem Holz.

Er roch nicht nach jener todbringenden Menge Gift, die aus einer zerbrochenen Glasphiole unter dem Saum tropfte. Die schmierige Flüssigkeit an seinem Finger fiel Berey erst auf, als er sich die Augen trockenwischte und das Gegenteil dessen erreichte. Er fluchte und schaute zu Gazzy, der ihn fragend ansah.

Der Mann auf dem Flur des Justizministeriums beschleunigte seine Schritte. Er war mit dem Fünf-Uhr-Zug aus Long Branch gekommen, hatte sechs Stunden bis in die Hauptstadt gebraucht. Er war in Begleitung seines Dieners gewesen, der ihm einen Kutscher versorgt und sich um eine Herberge gekümmert hatte.

Der Termin mit Justizminister August Hill Garland ging indes vor.

Die Zusammenkunft war für zwölf Uhr anberaumt, und keinesfalls wollte Robert Burriss diese Vereinbarung brechen. Er hatte nach Washington D.C. telegraphiert, auf dieselbe Weise, wie er zuvor selbst Telegramme aus Kansas und den Diplomatenbüros erhalten hatte.

Der Justizminister war ein einfältig wirkender Mann mit rundem Gesicht und aufmerksamen Augen. Er stand an seinem Schreibtisch, hielt eine Feder in der Hand und wollte soeben ein Schriftstück unterzeichnen, als man Burriss zu ihm hereinbat. Er setzte sein Signum, steckte die Schreibfeder in die Halterung zurück und nahm Platz.

»Justizminister Garland«, grüßte Burriss und senkte das Haupt. Er mochte Garland nicht, was – so weit ihm bekannt war – durchaus eine gegenseitige Angelegenheit war. »Ich bin so rasch gekommen, wie ich konnte. Die Nachricht aus Kansas ist entsetzlich.«

»Nicht so entsetzlich wie Ihr Eifer«, erwiderte Garland und bot seinem Gast einen Stuhl an. Er lehnte sich nach vorn und verschränkte die Hände auf dem Tisch. »Wie man mir zugetragen hat, sind Sie umgehend in den Zug gestiegen, Mr. Burriss. Ich habe solche Eile zuletzt bei Ihnen gesehen, als es um die Bedford-Sache ging.«

»Dieses Vorkommnis ist weit tragischer«, sagte Burriss und hob nach einer Pause zu einer längeren Schilderung an. »Vor ein paar Tagen, behaupten unsere Quellen, starb in Kansas ein Arbeiter, der mit Fracht für das englische Königshaus betraut war. Er nahm offenbar ein Kleid zur Hand, das für Königin Victoria bestimmt war.« Burriss räusperte sich. »Er starb an einer starken Dosis Gift, Minister Garland.«

»Gift?« Garlands Mimik war gegen das helle Fenster kaum zu erkennen. »Sie teilen mir mit, dass es in einer Lieferung für die englische Königin Gift gab? Womöglich in verbrecherischer Absicht?«

»Verbrecherisch ganz ohne Zweifel«, versicherte Burriss und nickte. »Das Gift war in eine zerbrechliche Phiole abgefüllt, die man am Saum festgenäht hat. Das Kleid war eine Maßanfertigung für die Königin. Ihre Majestät hätte es vermutlich selbst in die Hand genommen.«

Garland versteinerte an seinem Tisch. »Ich muss Ihnen nicht sagen, welchen diplomatischen Skandal eine solche Sache heraufbeschwören könnte. Ich möchte Sie bitten, dass Sie –«

»Nein, Minister Garland!«, ging Burriss brüsk dazwischen. Er war nicht nach Washington D.C. gekommen, um sich lediglich den Mund verbieten zu lassen. »Ich kenne das Gebot der Schweigsamkeit und habe alles Notwendige veranlasst. Aber Sie müssen handeln, Sir! Sie müssen die Schuldigen dieses Verbrechens finden.« Er nahm einen tiefen Atemzug. »Sie sollten die Brigade Sieben einschalten.«

Ein feines Zucken in der Wange zeigte Garlands Anspannung. »Sie kennen die Brigade Sieben? Sie wissen von ihr?«

»Ich war einer ihrer Agenten«, erklärte Burriss. »Fast sieben Jahre lang.«

Über den Ruby Mountains glühte der Morgennebel in der Sonne und legte sich als weißes Leichentuch auf die gezackten Gipfel. Er war aus dem Nordwesten herangezogen, nahezu die ganze Nacht lang, und hatte sich erst in der Frühe zu einem feinen Schleier aufgelöst, den der Wind vor sich hertrieb. Die Beifußsträucher an den Hängen waren mit schimmerndem Reif übergossen.

Lassiter blies eine Atemwolke in die klare Luft hinaus.

Er stand auf dem Vorsprung eines breiten Felsplateaus, das im Westen in eine Grassteppe, im Osten in eine Geröllhalde überging. Er war die halbe Nacht in die Berge hinaufgestiegen, lediglich vom Schein einer Petroleumlampe geführt, die nun an scheppernd an dem Bündel auf seinem Rücken hing. Er war auf dem Weg zur Elk Horn Mill, einer Steinmühle im hinteren Teil des Elk Valley, in dem Mittelsmann Walt Richardson der einzige Bewohner war.

Am Abend zuvor war ein Telegramm aus Washington eingetroffen.

Man hatte Lassiter von einer nutzlosen Mission entbunden, die ihm nichts als Ärger eingebrockt hatte und obendrein kostspielig gewesen war. Er hatte Senator Edwin Orcott aufspüren sollen, der seiner Familie einen rätselhaften Abschiedsbrief hinterlassen hatte. Die Nachforschungen hatten fünftausend Dollar verschlungen, zuvorderst deshalb, weil Orcott ein kompliziertes Geflecht aus Strohmännern gesponnen hatte. Vermutlich war er ein Heiratsschwindler, der seine Spuren verwischen musste.

Die Elk Horn Mill lag tausend Fuß tiefer im Tal.

Ein schäumender Gebirgsbach trieb das knarrende Wasserrad an, das sich träge unter einem Schindeldach drehte und seine Kraft auf eine schwere hölzerne Welle übertrug. Aus den Schornsteinen auf den Mühlenbauten stieg Rauch auf, und als Lassiter den Steigpfad herunterkam, liefen einige staubbedeckte Gestalten zu ihm heraus. Es waren junge Männer mit rosigen Gesichtern und schwieligen Händen, teils in zerlumpten Hosen und Jacken.

»Sie arbeiten nicht genug«, sagte Walt Richardson eine Viertelstunde darauf. Er goss Lassiter einen Kaffee ein und trat zu ihm auf die Galerie heraus, unter der sprudelndes Flusswasser gluckste. »Sie arbeiten ein oder zwei Tage, bevor ihnen die Lust vergeht. Sie hauen sich den halben Tag aufs Ohr, und ich... Ich muss ihnen den Lohn kürzen. Ich brauche keine Männer, die nur arbeiten, solange es ihnen lustig ist.«

Der Mittelsmann war ein fünfzigjähriger Knurrhahn mit tiefer Stimme, buschigen Brauen und zornigem Äußeren. Er ließ kein gutes Haar an seinen Leuten, die vermutlich halb so schlecht waren, wie er vorgab, dass sie es seien. Er arbeitete seit fünf Jahren für die Brigade Sieben, stets mit Hingabe, teilte er Lassiter mit und steckte ihm das Kuvert zu, das er aus Washington erhalten hatte.

»Aus dem Justizministerium?«, fragte Lassiter und schaute in den Papierumschlag. Er konnte das Siegel des Justizministers erkennen. »Von oberster Stelle?«

»Von oberster Stelle«, bestätigte Richardson zäh und trank von seinem Kaffee. »Der Mord ist in Kansas geschehen. Es hat einen jungen Tagelöhner getroffen. Sein Name war Hardy Berey.« Er wandte sich Lassiter halb zu. »Aber der eigentliche Skandal liegt darin, dass die Ware für das britische Königshaus bestimmt war.«

»Königin Victoria?«

Der Besitzer der Steinmühle nickte gewichtig. »Die königliche Majestät sollte das Kleid erhalten, das Berey gewissermaßen getötet hat. Es enthielt eine eingenähte Giftphiole. Das Justizministerium verlangt Aufklärung in dieser Angelegenheit, bevor der ganze Skandal ruchbar wird.« Er musterte Lassiter prüfend. »Das Hauptquartier hat Sie deshalb von Ihrer Mission abberufen.«

»Durchaus im Interesse der Organisation«, seufzte Lassiter und erzählte Richards von Orcott, der sich als Heiratsbetrüger erwiesen hatte. Er warf einen weiteren Blick in das Kuvert. »Wen hat man unter Verdacht?«

»Ein guten Freund«, sagte Richardson und presste die Lippen zusammen. »William Russell aus Elk Horn.«

Erst vor fünf Jahren war die Manufaktur und Näherei von William Russell eröffnet worden, und als Nachfahre schottischer Einwanderer hätte er sich nicht träumen lassen, dass er so rasch das Justizministerium zu Gast haben würde. Die Velvet Manufacturing Co. von Elk Horn galt als verlässlicher Lohnzahler und hatte sich mit Ausnahme eines Transportvergehens nichts zu Schulden kommen lassen. Die Kleider verkauften sich selbst auf Messen in New York und Paris.

»Sie machen sich keine Vorstellung«, übertönte Russell die ratternden Webstühle. Er ging einige Schritte vor Lassiter und wies mit dem Arm immer wieder auf seine Arbeiterinnen. »Die Webstühle sind aus England importiert worden und leisten hervorragende Dienste. Die Manufaktur stellt Samt von höchster Güte her. Ich beliefere selbst noch Nähereien an der Ostküste.«

Der breitschultrige Fremde mit dem blonden Haarschopf versäumte kein Wort von Russell. Er trat zwischen die Webstühle, ging in die Hocke und sah den hin und her sausenden Schiffchen zu, die den Faden an die vorgesehenen Stellen schossen. Die Samtweberinnen machten im Platz und setzten ihre Arbeit danach umgehend fort.

»Sie müssen die Näherei sehen«, sagte Russell und führte seinen Begleiter aus der Werkhalle heraus. Die Säle der Näherinnen befanden sich im angrenzenden Gebäude und gingen rechts und links von einem langen Gang ab. »Ich beschäftigte fast fünfzig Frauen aus Elk Horn und den umliegenden Ortschaften. Sie sind froh, sich ein paar Dollars verdienen zu können. Die Farmen und die Minen der Gegend werfen oft kaum genug ab, dass die Familien durch den Winter kommen.«

Eine der Näherinnen brachte Russell ein Stück des gewünschten schwarzen Samtes, der makellos weich und schmeichelnd an den Händen war. Der Fabrikant bedankte sich mit einem Nicken und reichte dem Mann, der sich ihm als Lassiter vorgestellt hatte, den Samtfetzen.

»Äußerst beeindruckend«, lautete die Antwort Lassiters. »Ich bin nicht gekommen, um Sie zu verhaften, Mr. Russell. Ich bin gekommen, um zu verstehen, weshalb sich in einem Ihrer Kleider Gift befunden hat. Ein Tagelöhner in Kansas ist daran gestorben.« Er zog eine ernste Miene. »Aber das Kleid war für den britischen Hof bestimmt.«

Der Schweiß trat Russell auf die Stirn, als er diese Anschuldigungen hörte. Er war über die Beschlagnahme seiner Fracht in Kansas benachrichtigt worden, nicht jedoch über den Tod jenes Mannes. »Ich... ich weiß nichts dazu zu sagen. Ich hatte einen Auftrag über drei Kleider dieser Art. Männer aus England kamen ins Montana-Territorium und wählten eines der Kleider aus. Sie verlangten von mir, dass ich es nach London liefern lasse.«

»Was Sie offenkundig taten«, meinte Lassiter und gab Russell den Stoff zurück. »Das Ministerium treibt um, wie das Gift in jenes Kleid gelangte. – Sie sprachen von drei Kleidern?«

»Drei Kleider«, blieb Russell bei seiner Behauptung und nickte. Er kannte seine Bücher und wusste, dass es einen Auftrag über drei gleichartige Kleider gegeben hatte. »Ich nehme jedes meiner Fabrikate selbst in Augenschein und lasse fortbringen, was nicht für den Verkauf taugt. Ich lasse den guten Namen Russell nicht beschmutzen.«

»Wo befinden sich die übrigen Kleider?«, verlangte Lassiter zu erfahren. Er sah sich in der Näherei um. »Von Ihren Arbeiterinnen dürfte es keine tragen.«

»Nein, nein«, erwiderte Russell. »Keine meiner Arbeiterinnen könnte sich ein solch teures Kleid leisten. Es sind einfache Frauen mit schlichten Bedürfnissen. Ich wüsste nicht, ob –... Aber lassen wir dieses Gerede.« Er wies zur Tür. »Eines der Kleider ist meines Wissens auf dem Weg nach Missouri. Bei dem anderen müsste ich meinen Kontoristen bemühen.«