Lassiter 2662 - Kolja van Horn - E-Book

Lassiter 2662 E-Book

Kolja van Horn

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Beschreibung

Als Lassiter aus der Bewusstlosigkeit erwachte, drangen heisere Vogelschreie an seine Ohren. Er öffnete die Augen und erblickte ein Geierpaar, das über ihm am Himmel enge Kreise zog.
Seine rechte Hand fühlte sich taub an, und als er den Arm hob, um vorsichtig die Stelle an der Hüfte abzutasten, von der ein brennender Schmerz in den ganzen Körper abstrahlte, schien es, als würde er mit Bleigewichten am Boden gehalten werden. Der Hemdstoff klebte an der Schusswunde, und als er sich die Hand vor Augen führte, glänzte sie rot vor Blut.
Zögerlich kehrte die Erinnerung zurück. Verdammt, der Schütze hatte ihn übel erwischt. Und war nun sicher schon auf dem Weg, um ihm den Rest zu geben...


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Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Die Wahrheit und ihr Preis

Vorschau

Impressum

Die Wahrheit und ihr Preis

von Kolja van Horn

Als Lassiter aus der Bewusstlosigkeit erwachte, drangen heisere Vogelschreie an seine Ohren. Er öffnete die Augen und erblickte ein Geierpaar, das über ihm am Himmel enge Kreise zog.

Seine rechte Hand fühlte sich taub an, und als er den Arm hob, um vorsichtig die Stelle an der Hüfte abzutasten, von der ein brennender Schmerz in den ganzen Körper abstrahlte, schien es, als würde er mit Bleigewichten am Boden gehalten werden.

Der Hemdstoff klebte an der Schusswunde, und als er sich die Hand vor Augen führte, glänzte sie rot vor Blut.

Zögerlich kehrte die Erinnerung zurück. Verdammt, der Schütze hatte ihn übel erwischt. Und war nun sicher schon auf dem Weg, um ihm den Rest zu geben...

Der erste Versuch, sich aufzusetzen, scheiterte kläglich. Sein Puls raste, als hätte er einen Spurt über eine halbe Meile hinter sich gebracht – wobei das wohl gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Denn als er das Magazin der Winchester leergeschossen hatte und Ruth Hoffstetter auf dem Braunen davongaloppiert und nun hoffentlich in Sicherheit war, hatte er nur noch die Beine in die Hand nehmen und fliehen können.

Der schnelle Herzschlag verhieß nichts Gutes. Er musste reichlich Blut verloren haben. Wenn es ihm nicht rasch gelang, die Blutung zum Stoppen zu bringen, würde er abermals die Besinnung verlieren – und dann wohl nicht mehr wieder aufwachen.

Mit zusammengebissenen Zähnen und eisernem Willen schaffte er es, sich in eine sitzende Position zu bringen. Ein kurzer Blick verriet ihm, dass er in eine von kniehohem Gras umstandene Grube gestürzt war, die etwa vier Fuß tief und drei mal drei Yards groß war.

Ihm war kalt, obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war, es daher noch recht mild sein musste. Ebenfalls Folge des Blutverlusts, wie ihm klar wurde. Er durfte keine Zeit verlieren, wollte er den Geiern über ihm nicht als üppiges Abendmahl dienen.

Dennoch brauchte er einige Minuten, bis er das Hemd am Körper zerrissen, mit einigen Fetzen notdürftig die Wunde gereinigt und aus dem übrigen Stoff mehrere Streifen gemacht hatte. Nun kam der schwierige Teil.

Erst musste er sich die Jacke abstreifen. Die Bewegungen, die dazu nötig waren, brachten ihn mehrfach kurz davor, vor Schmerzen zu brüllen. Doch der kleinste Laut konnte sein Todesurteil bedeuten, falls der Killer gerade ganz in der Nähe durch die Prärie streifte auf der Suche nach ihm.

Endlich war er die Jacke los und konnte den Verband anlegen. Aber da er nur seinen Zweck erfüllte, wenn er mit Druck über Ein- und Austrittswunde lag, war auch das eine Tortur, als würde man ihn mit Feuerzangen bearbeiten. Einmal schoss der Schmerz derart intensiv durch seinen Körper, dass er Sterne sah und um ein Haar wieder das Bewusstsein verloren hätte. Nach Luft schnappend musste er eine Weile innehalten und neue Kräfte schöpfen, ehe er die Selbstversorgung der Verletzung fortsetzen konnte.

Immerhin schien das Projektil keine lebenswichtigen Organe getroffen zu haben und war glatt durch sein Fleisch gefahren. Die Wunde blutete zwar stark, war ansonsten aber nicht lebensgefährlich, wenigstens hoffte er das.

Endlich saß der provisorische Verband dicht über dem Hosenbund, und Lassiter lauschte. Zunächst hörte er nichts außer den Aasfressern über sich, deren Krächzen nun enttäuscht zu klingen schien, und einem heulenden Kojoten in der Ferne. Er wollte sich schon erlauben, ein wenig zu entspannen, aber dann spürte er ein leichtes Beben im Boden. Und vernahm kurz darauf Hufschlag.

»Goddam«, knurrte er und tastete nach dem Remington. Unter der blutbesudelten Hand klebten die Griffschalen, als er den Sechsschüsser aus dem Holster zog und sich wappnete.

Es handelte sich eindeutig nicht nur um ein Pferd, das näherkam. Mindestens drei Tiere, möglicherweise mehr. Lassiter richtete sich auf, stützte sich an der Grubenwand ab und schaffte es mit Mühe, auf die Füße zu kommen. Wenn die Killer zu dritt oder mehr waren, würde es in seinem Zustand schwer werden, den Kampf zu gewinnen. Aber er war fest entschlossen, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Und hatte immerhin den Vorteil, hier im Erdloch gut verborgen zu sein.

Vorsichtig spähte er über den Rand der Grube hinweg durch die mattgrünen Grashalme hindurch, konnte von den Reitern aber noch nichts sehen. Der Hufschlag kam näher, aber die Pferde bewegten sich jetzt langsamer, nurmehr in gemäßigtem Trab.

Lassiter ignorierte den bohrenden Schmerz in der Hüfte und hob den rechten Arm über den Grubenrand. Er spannte den Hahn des Remington und machte sich bereit zu feuern, sobald einer der Bastarde ihm ein Ziel bot.

Hätte er frühzeitig auf seinen sechsten Sinn gehört und Ruth zur Umkehr nach Harpers Edge aufgefordert, anstatt als lebende Zielscheibe durch die Prärie zu reiten, wäre er jetzt nicht in dieser fast hoffnungslosen Lage – der Gedanke ließ ihn grimmig das Gesicht verziehen.

Doch es half nichts, mit sich selbst zu hadern im Angesicht tödlicher Gegner. All seine Fähigkeiten waren gefragt, wenn er am nächsten Tag noch einmal die Sonne aufgehen sehen wollte.

Am Unterarm, der auf dem Grubenrand ruhte, spürte er jetzt deutlich die leichten Erschütterungen, die von den Hufen der Pferde ausgingen. Hören konnte er aber nichts mehr außer dem Wind, der durch das Gras strich. Offenbar waren die Tiere in gemächlichem Schritt unterwegs – weil ihre Reiter, die Gewehre schussbereit in Händen, sich aufmerksam nach ihm umsahen?

Lassiters Nerven waren nun zum Zerreißen gespannt. Angestrengt starrte er durch die Grasbüschel hindurch auf den schmalen Ausschnitt der Prärie, den er einsehen konnte. Er legte die linke Hand unter die rechte, hielt den Revolver nun mit beiden Händen, die Arme steif voran gestreckt.

Eine Schweißperle lief die Stirn hinab und blieb an seiner rechten Augenbraue hängen. Er blinzelte und schüttelte sie mit einer kurzen Kopfbewegung ab.

Dumpfes Klopfen auf dem Boden, jetzt ganz deutlich zu spüren. Mindestens einer der Reiter schien direkt auf ihn zuzukommen.

Kurz darauf sah Lassiter den Schatten, der sich ihm über die Spitzen der Grashalme näherte. Er legte den Finger um den Abzugsbügel und dachte: Wenn die Burschen ausgeschwärmt sind, habe ich keine Chance. Ich kann einen erledigen, vielleicht noch einen zweiten. Aber danach...

»Lassiter?«

Der Ruf kam von so nah und war derart laut, dass Lassiter um ein Haar gefeuert hätte. Erst im letzten Moment wurde ihm bewusst, dass er die Stimme kannte und keinen der Killer vor sich hatte.

Er stieß die Luft aus und zog den Abzugsfinger zurück, ehe er sich bemerkbar machte.

»Sheriff Bowers!« Lassiter schüttelte den Kopf, entgeistert und erleichtert. »Tausend Teufel! Nicht viel hat gefehlt, und ich hätte Ihnen eine Kugel verpasst!«

Lassiters erste Frage, nachdem man ihn mit vereinten Kräften aus der Grube befreit hatte und Doc Morris, den Bowers in weiser Voraussicht mitgenommen hatte, sich um dessen Wunde kümmerte, galt Ruth Hoffstetter.

»Sie ist wohlauf«, informierte der Sheriff ihn und verbarg seine Amüsiertheit hinter einem spöttischen Heben der Augenbrauen. Offensichtlich hatte Lassiter einen Narren an der blonden Schönheit gefressen, dabei allerdings wohl ein wenig an Weitsicht und Vernunft eingebüßt. Was ihn fast den Hals gekostet hätte.

»Der Schütze befand sich da oben«, sagte Lassiter und zeigte mit schmerzverzerrtem Gesicht zum kargen Hügel hinauf, der sich eine halbe Meile vor ihnen in den Abendhimmel erhob. »Als ich den Hufschlag hörte, hatte ich geglaubt, er wäre gekommen, um sein Werk zu vollenden. Wir sollten hinaufreiten und nachsehen, ob er Spuren hinterlassen hat.«

»Sie reiten nirgendwo hin«, brummte Doc Morris unwillig, während er Lassiters Notverband entfernte, »außer auf kürzestem Weg zurück in die Stadt. Ein paar Tage strengste Bettruhe sind das Mindeste.«

Lassiter schüttelte den Kopf, während Morris seine Tasche öffnete und ein Fläschchen mit Jodtinktur hervorholte.

»Flicken Sie mich einfach wieder zusammen, Doc. Danach werde ich...« Er brach ab, verzog das Gesicht und stieß zischend die Luft zwischen den Zähnen aus, als der Arzt ihm kurzerhand eine großzügige Menge der desinfizierenden Flüssigkeit direkt auf die offene Wunde träufelte.

»Das könnte etwas weh tun«, sagte Morris verspätet und grinste dabei boshaft. Lassiter starrte ihn wütend an, doch der Arzt ignorierte den Blick und forderte stattdessen die beiden Männer, die Lassiter stützten, auf: »Dreht ihn um, Jungs. Hinten hat er auch noch ein Loch.«

»Bloody... hell!«, ächzte Lassiter. »Was der Killer nicht geschafft hat, wollt ihr Burschen jetzt wohl zu Ende bringen?«

Bowers blickte zu den Felsen hinauf und sagte zu Bobby Chance, seinem Deputy, der neben ihm stand: »Wir schauen uns da oben mal um, Bobby. Die anderen bringen Lassiter zurück nach Harpers Edge.«

Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie der Brigadeagent zu einem Protest ansetzte, und kam dem zuvor.

»Vergessen Sie's, Lassiter. Sie sind dem Teufel gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. Jetzt fordern Sie es nicht heraus und tun, was der Doc sagt. Wenn ich irgendetwas finde, lasse ich es Sie wissen, keine Sorge.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, stiefelte er davon, und Bobby folgte ihm. Sie stiegen in die Sättel und lenkten ihre Pferde zunächst nordwärts, denn um auf die Felsklippe zu gelangen, von der aus Lassiter und Miss Hoffstetter beschossen worden waren, musste man sich eine halbe Meile weiter nördlich durch einen schmalen Canyon an den Aufstieg machen.

Auf ihrem Weg kamen sie nah an den Überresten der Siedlung von New Hanover vorbei. Von den Gebäuden standen nur noch einige Teile der Scheune und der Ställe, weiter hinten auf einem Hügel ragte ein mächtiges Holzkreuz auf.

Achtzehn Menschen waren an diesem Ort gestorben, mitten in der Nacht überfallen und ermordet worden. Ihre Leichen derart verbrannt, dass sich manche sterbliche Überreste nicht einmal mehr einzelnen Personen zuordnen ließen. Deshalb war entschieden worden, die Toten nicht jeden für sich zu bestatten, sondern in einer gemeinsamen Grabstätte.

Erst vor wenigen Wochen waren die Deutschen hier in die Gegend gekommen, und sie hatten glaubwürdig nachweisen können, Eigentümer des wohl besten Grund und Bodens zu sein, der in der Region noch nicht in Besitz genommen worden war.

Was für reichlich böses Blut unter den alteingesessenen Grundbesitzern gesorgt hatte. Die nun wohl ihre Chance gewittert hatten nach dem Massaker an Roland Hoffstetter und den Familien Merling und Becker. Denn ohne Überlebende wäre das Land – gute viertausend Acres bester Acker- und Weideboden – wieder frei.

Bis vor zwei Tagen eine Frau auftauchte in Harpers Edge, die sich mit Papieren als Ruth Hoffstetter auswies. Letzte Überlebende der Familie nach einem Überfall, den Indianer auf den Zug verübt hatten, mit dem sie, ihre Brüder und ihre Mutter dem Vater nachgereist waren.

Und nun die letzte Hoffstetter. Erbin eines Landbesitzes, der offensichtlich Begehrlichkeiten geweckt hatte, die jemand auch vor Mord nicht hatten zurückschrecken lassen.

Massenmord, musste man wohl schon sagen angesichts der achtzehn Toten von New Hanover, darunter vier Kinder. Kein Wunder, dass es nicht lang dauerte, bis sich Miss Hoffstetters Ankunft herumgesprochen hatte und postwendend versucht wurde, ihr das Lebenslicht auszublasen.

Sie war unverletzt davon gekommen und befand sich nun in ihrem Gästezimmer über dem Jakal-And-A-Gun-Saloon, bewacht von mehreren Männern und somit vorerst außer Gefahr. Allerdings ahnte Bowers, dass die Lage damit nur für kurze Zeit entschärft war. Schließlich konnte man Miss Hoffstetter nicht bis in alle Ewigkeit einsperren oder von einer Leibwache schützen lassen.

»Scheint, als hätte Lassiter recht behalten«, ließ sich Bobby vernehmen und holte Bowers damit aus seinen Gedankengängen zurück in die Wirklichkeit. Er drehte den Kopf und warf seinem Deputy einen kurzen Seitenblick zu.

»Womit?«, brummte er mürrisch.

Bobby druckste einen Moment herum, ehe er erwiderte: »Die Schüsse auf ihn und Miss Hoffstetter. Das muss ein Scharfschütze gewesen sein, mit einem Gewehr, das man nicht bei Kendricks im Eisenwaren-Laden kaufen kann.«

»Ja. Und?«

»Nun«, gab Bobby gedehnt zurück, »das werden dann wohl kaum die Lakota gewesen sein, möchte man meinen.«

Bowers' Gesicht verfinsterte sich. Er hatte geahnt, worauf der Deputy hinauswollte. Und musste sich eingestehen, so schwer es ihm auch fiel, dass an den Schlussfolgerungen etwas dran war.

Dennoch war er noch nicht bereit, die jungen Krieger, die sich weiter oben in den Western Hills, wo sie dicht bewaldet und weit unzugänglicher waren als hier im Süden, versteckten und immer wieder mit Vandalismus und Viehdiebstählen ihrer Wut über die Vertreibung des Stammes in ein Reservat Luft machten, als Täter auszuschließen.

»Es ist längst nicht immer alles so, wie es aussieht, Bobby«, brummte er deshalb und lenkte sein Pferd am Schecken seines Deputies vorbei, weil der Hohlweg nun schmaler wurde und steiler anstieg. »Wer von da oben auf Lassiter und die Lady geschossen hat, wird wohl keine rote Hautfarbe gehabt haben. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Lakota unschuldig sind, was den Überfall auf New Hanover angeht.«

Bowers wusste selbst, wie störrisch und wenig überzeugend seine Worte klangen, und er spürte förmlich den Blick von Bobby Chance, der skeptisch auf seinen Rücken geheftet war. Da er aber keine große Lust hatte, das Thema weiter mit dem jungen Burschen zu vertiefen, trieb er sein Pferd mit kräftigem Schenkeldruck zu höherer Eile an und registrierte zufrieden, dass der Deputy ihm wortlos folgte, ohne weiter zu insistieren.

Sally hockte auf der Bank neben der Schwingtür des Saloons und rauchte eine Zigarette. Drinnen im Schankraum saßen bereits die ersten Gäste zum Abendessen, aber Donovan, der junge Sohn des Besitzers, hatte hinter der Theke Dienst und Marita, eine Mexikanerin, die vor ein paar Wochen in die Stadt gekommen war, übernahm in der Küche die Zubereitung der Mahlzeiten. Sie übertrieb es manchmal mit den Gewürzen, stellte sich aber sonst nicht dumm an und war zuverlässig.

Mit leerem Blick starrte Sally hinaus auf die Mainstreet, auf der die Schatten nun länger und tiefer wurden, während die Sonne hinter den Bergen unterging. Und fragte sich, ob Lassiter noch lebte.

Etwas mehr als eine Stunde war vergangen, seit Ruth Hoffstetter zurückgekommen war nach Harpers Edge, völlig aufgelöst mit Panik in den Augen, und ihr, Deputy Chance und Sheriff Bowers vom Attentat draußen an den Western Hills berichtet hatte.

Die Sternträger waren unverzüglich aufgebrochen, begleitet von Doc Morris und zwei weiteren Männern, um sich auf die Suche nach Lassiter zu begeben. Bowers hatte sie dazu aufgefordert, sich um Ruth zu kümmern, und das hatte sie getan – wenn auch mit Widerwillen und grimmigem Zorn, der in ihr aufgestiegen war wie ein saurer Geschmack in der Kehle. Weil die Blonde womöglich verantwortlich war für den Tod des großen Mannes, in dessen Armen sie noch vor kurzem gelegen hatte, in einer heißen Nacht leidenschaftlich vereint.

Dabei war es geblieben, und für Sally schien die Ankunft von Ruth der Grund zu sein. Die Blonde war jünger, schöner, heißer als sie. Natürlich hatte Lassiter nur wegen der Deutschen schlagartig das Interesse an ihr verloren.

Und war nun, weil er die blöde Kuh nach New Hanover begleitet hatte, vielleicht in eine tödliche Falle geraten. Tot – wegen Ruth?

Ein anderer Gedanke war in ihren Kopf gekrochen, während sie die Blonde auf ihr Zimmer gebracht, den Männern, die Bowers zur Bewachung geschickt hatte, gezeigt hatte, wo die Schutzbefohlene sich befand und danach mit Donovan gemeinsam den Schankraum geputzt und auf die abendlichen Gäste vorbereitet hatte.

Der Gedanke an die beiden Männer, die seit ein paar Tagen regelmäßig bei ihr zu Gast gewesen waren. Sinistre Burschen, einem fehlte der kleine Finger an der rechten Hand.

Sally hatte die Gents für Freegrazer gehalten; nomadisierende Cowboys, die einem der hiesigen Rancher eine Herde Tiere gebracht hatten und kurz Station in Harpers Edge machten. Keine ungewöhnliche Sache, sie hatte regelmäßig derlei Gäste.

Allerdings selten öfter als für ein oder zwei Besuche, dann zogen sie im Allgemeinen weiter. Die beiden Kerle hingegen hatten über mehrere Tage hinweg in der Stadt herumgelungert und waren bei ihr eingekehrt. Außerdem, beim letzten Mal, hatte sich der Mann mit neun Fingern nach Ruth erkundigt.

Weshalb sollte ein Cowboy so etwas tun? Und ihr dann auch noch zehn Dollar zahlen für zwei Bier und eine Antwort?

In dem Moment, als es passierte, hatte sie sich nichts dabei gedacht und munter drauflos geplappert, während sie die Dollarnote einsteckte, die für sie einem Wochenlohn extra entsprach.

Nun, nach den jüngsten Ereignissen, wurde ihr allmählich bewusst, welch ein fataler Fehler das gewesen sein mochte. Und dass es vielleicht nicht die ahnungslose Ruth Hoffstetter gewesen war, die Lassiters Leben auf dem Gewissen hatte, sondern eine schwatzhafte, eifersüchtige und geldgierige Barkeeperin, deren Gesicht ihr an jedem Morgen aus dem Spiegel entgegenblickte.

Hufschlag ertönte, aus Süden kommend, und Sally sprang auf. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, während sie gebannt die Straße hinabblickte, wo hinter der Kurve am Ortsende gleich die Reiter auftauchen mussten.

Es waren vier, und sie stieß erleichtert die Luft aus, als sie Lassiter unter ihnen erkannte. Er saß gebeugt und eigentümlich ungelenk im Sattel, aber er lebte!

»Lassiter! Dem Himmel sei Dank!«, rief sie ihm entgegen, als er sich dem Saloon näherte, und der große Mann rang sich ein schiefes Grinsen ab. Sichtbar unter Schmerzen quälte er sich aus dem Sattel, und Doc Morris, der neben ihm sein Pferd zügelte, setzte eine strenge Miene auf.

»Ich habe strikte Bettruhe angeordnet und erwarte von Ihnen, darauf zu achten, dass er sie auch einhält, Sally«, ermahnte er die Bartenderin, und sie nickte besorgt.

»Du bist verletzt«, stellte sie fest, doch Lassiter winkte ab.

»Halb so wild. Ein glatter Durchschuss«, raunte er ihr so leise zu, dass Morris es nicht hören konnte.

»Hm«, machte Sally skeptisch und blickte auf seinen nackten Oberkörper unter der Jacke, der über dem Revolvergurt eine gute Handbreit von einem festen Druckverband bedeckt war. »Wie eine Lappalie kommt das aber nicht daher.«

»Ein Drink und etwas zwischen die Zähne«, brummte er. »Dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.«

»Ich schaue morgen früh nach Ihnen und wechsle den Verband«, verkündete der Doktor, ehe er kehrtmachte und mit seinen beiden Begleitern in Richtung Mietstall davon trabte.

»Komm erstmal rein. Ich hole dir ein frisches Hemd und mache etwas zu essen«, forderte Sally Lassiter auf, und sie gingen gemeinsam in den Schankraum.