Zum Teufel mit dem dritten Mann - Olaf Hauke - E-Book

Zum Teufel mit dem dritten Mann E-Book

Olaf Hauke

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Beschreibung

Helena Jäger hasst ihre Auftraggeberin, die sie die nächsten beiden Tage als Security begleiten soll. Pseudo-Prominente, die sich einbilden, die Welt drehe sich nur um sie, fielen ihr schon immer auf die Nerven. Aber die Auftragslage erlaubt ihr nicht, wählerisch zu sein. Doch ausgerechnet Helena ist das Alibi des Models, nachdem man ihren Ex-Mann erschossen aufgefunden hat. Immerhin war sie den ganzen Tag an ihrer Seite. Oder ist da eine Lücke im Zeitplan gewesen? Denn es gibt einen zweiten Toten, für dessen Ende es ein weitaus deutlicheres Motiv gibt, das bereits einige Jahre zurück liegt. Aber wieder ist da dieses unumstößliche Alibi. Schnell versteht Helena, dass die beiden nicht die letzten Opfer sein werden, denn da gibt es noch einen dritten Mann, dessen dunkle Vergangenheit ihn dazu treibt, Helena um ihren Schutz zu bitten, was sich schon bald als Fehler herausstellt. Die Ereignisse sorgen dafür, dass Helenas Leben nie wieder so sein wird wie bisher ...

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Ende

Die Jäger – Zum Teufel mit dem dritten Mann

Olaf Hauke

2021

Copyright 2021

Olaf Hauke

Greifswalder Weg 14

37083 Göttingen

Cover Pixabay

T. 01575-8897019

[email protected]

Kapitel 1

„Natürlich habe ich schlechte Laune. Nach so einem beschissenen Tag ist es mein gutes Recht, schlechte Laune zu haben.“

Helena Jäger ließ sich auf das Sofa fallen, die alten Federn stöhnten auf, was sie als eine weitere, pure Beleidigung empfand. Über den Tag verteilt hatte sie drei Aspirin geschluckt, zwei davon nicht mal mit Wasser. Der bittere Geschmack klebte noch an ihren Backenzähnen und verteilte sich in der Mundhöhle wie saurer Regen über einem Wald.

Aus der Küche quoll diese nervige, überdrehte Jazz-Musik, die Charly immer hörte, wenn er kochte. Er sang laut mit und machte ungeschickte Bewegungen, die wohl einen Tanz darstellen sollten. Dabei schaffte er es, keinen einzigen Ton zu treffen, während er versuchte, eine Melodie zu finden, die sowieso nicht vorhanden war. Wann hatte die Menschheit damit aufgehört, die Stille zu schätzen?

Helena streifte sich die Schuhe von den Füßen. Sie hatte das Gefühl, als würde aus ihnen eine dunkle, schwere Wolke aufsteigen. Die kühle Luft umstrich ihre Zehen, die rote und weiße Streifen zeigten, völlig verquollen waren und nur langsam die gepresste Form aufgaben, die sie die letzten zwölf Stunden hatten annehmen müssen.

„Oh, du bist schon zurück?“

Charly kam ins Wohnzimmer, ein Handtuch über die Schulter geworfen, das karierte Hemd locker über der Hose. Warum hatte dieser Mann ständig gute Laune? Gab es nichts, was ihn aufregte oder wütend machen konnte? Helena tastete nach ihren Schläfen, denn sie ahnte zumindest die Antwort.

„Schon?“ stieß sie dunkel hervor. „Sagtest du ‚schon’?“

„Ich? Nein, du musst dich verhört haben. Ich sagte: Oh, endlich bist zu zurück. Es war bestimmt ein harter Tag für dich. Zum Glück ist das Essen gleich fertig!“

Helena warf ihm einen verächtlichen Blick zu, aber sein breites Grinsen und die funkelnden, braunen Augen vertrieben einen Teil der Anspannung, die ihren Nacken im Würgegriff hielt.

„Morgen werde ich sie töten, das schwöre ich dir, morgen ist es soweit! Ich werde ihr die Pistole in den Mund schieben, damit sie endlich mal die Schnauze hält. Ich werde ihren überraschten, ängstlichen Blick genießen und dann in aller Ruhe abdrücken.“

Charly setzte sich neben sie, nahm einen ihrer Füße und begann, ihn zu massieren. „So schlimm?“ fragte er und hatte dabei diesen schrecklich mitfühlenden Unterton in der Stimme, gegen den sie sich einfach nicht wehren konnte.

„Nein, schlimmer“, versuchte Helena ihre Wut und ihre Anspannung aufrecht zu erhalten. „Sie ist eine verdammte Kotztüte, das ist sie.“ Der Duft aus der Küche milderte ihre Wut jedoch beträchtlich.

„Sie kommt doch immer so natürlich rüber, so entspannt und klug.“

Mit einem Ruck richtete sich Helena auf. „Sie hat irgendwo an ihrem Körper einen Schalter, der sich umlegt, sobald eine Linse auf sie gerichtet ist, ich schwöre es dir. Dann säuselt sie all den Scheiß, den du dir im Internet ansehen oder in Magazinen nachlesen kannst.“

Charly machte keinen Versuch, erneut ihren Fuß zu greifen, obwohl seine Berührungen eine unglaubliche Wohltat gewesen waren. Helena legte den Kopf zurück auf die Lehne des Sofas und schloss die Augen.

„Nennt man sie nicht auch das Bio-Model? Jule Stromberg, so habe ich vor ein paar Tagen gelesen, ist ein Vorbild für eine Generation von jungen Frauen.“

Helena richtete sich auf und rieb sich über die müden Augen. „Ach Quatsch, sie ist eine riesige, atmende Verkaufsmaschine für überteuerten Scheiß – also im Grunde nichts anderes als andere Influencer oder Models. Der einzige Unterschied ist, dass sie sich ein Öko-Image gebastelt hat. Na ja, wie ich heute erleben durfte, stammt es nicht mal von ihr, sondern von einem ihrer Sponsoren, der hinter den Kulissen die Fäden zieht.“

„Aber ist es nicht gut, wenn man bei Kleidung mehr auf Nachhaltigkeit oder Natürlichkeit achtet?“ wandte Charly ein und erntete einen giftigen Blick von Helena, die sich in die Höhe stemmte. Ihre Füße schmerzten, es war ein hektischer, lauter, langer Tag gewesen.

„Oh Gott, Charly, es ist eine Verkaufsmasche. Dazu musst du sie nur erleben, wenn sie ihre Gefolgschaft zusammenfaltet, sobald niemand hinsieht. Was meinst du, was für eine Hysterie losbrach, als man ihr ein Wasser brachte, von dem man nicht erklären konnte, woher es stammt. Da war es aber vorbei mit der Natürlichkeit und der lächelnden Fröhlichkeit.“

„Die Frau hat eben ihre Grundsätze“, meinte Charly und schien sich gleich darauf über seine Bemerkung zu ärgern.

„Die habe ich auch, ich nehme eine Dusche vergesse den Job, der ohnehin beschissen genug bezahlt wird. Siehst du, und genau da hört nämlich Bio und Öko auf – bei anständigen Löhnen.“

„Morgen Abend bist du sie los, das ist doch auch was. Man kann sich seine Kunden nicht aussuchen, geht mir mit der Bar und dem Club doch genauso.“

Er stand mit ihr auf, warf sich wieder sein Tuch über die Schulter und lächelte sie an. Helena zuckte zusammen. „Entschuldige“, sagte sie eine Spur ruhiger, „wir haben uns fast eine Woche nicht gesehen. Und kaum hast du mal einen Abend frei und ich bin endlich meine Klientin losgeworden, da jammere und meckere ich wie diese blöde Kuh. Es tut mir leid.“ Sie trat auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Nacken und gab ihm einen herzlichen Kuss direkt auf den Mund.

Nach einer Weile lösten sie sich voneinander. „Ich muss nach dem Essen sehen“, sagte er sanft. „Du schlüpfst unter die Dusche. Und zur Strafe für dein Bio-Model habe ich alle Zutaten heute im Discounter gekauft. Außerdem gibt es eine große Portion Fleisch!“

Er schaute sie mit gespieltem Ernst an, Helena musste gegen ihren Willen lachen. Sie ging ins Bad, zog sich aus und stieg unter die heiße Dusche. Die warmen Strahlen lösten die Verspannungen aus ihrem Körper. Ein wenig schämte sie sich immer noch für ihr Benehmen. Charly hatte es nicht verdient, dass sie ihm die Ohren vollheulte. Sie hatte den Auftrag angenommen und die Security für die beiden Tage übernommen. Die Bezahlung entsprach ihrem Tarif. Das Management hinter der Stromberg hatte zwar Druck machen wollen, aber ziemlich schnell begriffen, dass er mit Helena nicht handeln konnte. Ein wenig hatte es sie selbst überrascht, dass man ihr den Zuschlag gegeben hatte.

Zugegeben, Jule Stromberg war unsensibel und arrogant, aber mit ihrem Benehmen befand sie sich in bester Gesellschaft mit anderen Menschen aus dem Show-Geschäft. Am liebsten waren Helena Geschäftsleute, die waren ruhig und diskret, effizient und auf stille Reibungslosigkeit bedacht. Aber alle, die ständig nach einer Kamera suchten, hatten in der Regel eine Schraube locker, das hatte sie in den vergangenen sechs Jahren, seit sie aus dem Polizeidienst ausgeschieden war und sich selbstständig gemacht hatte, gelernt.

Sie griff zu der Shampoo-Flasche und musste lächeln. Natürlich hatte Charly die Lebensmittel, die er gerade in der Küche zu einem wundervollen Mahl verarbeitete, nicht im Discounter gekauft. Das war eher die Art von Laden, in dem sie einkaufen ging. Er war über den Markt geschlendert, hatte mit Verkäufern gefachsimpelt, probiert, genickt oder den Kopf geschüttelt, sein Rezept erklärt und dann freundlich das Passende erhalten. Sie bekam von solchen Händlern höchstens einen verachtenden Blick zugeworfen und das Gemüse mit den bereits fauligen Stellen in die Tüte gestopft.

Wie hatte dieses verdammte Gemüse doch gleich geheißen, was er mit Hochgenuss geknabbert und von dem sie noch nie gehört hatte? Aber schließlich war er Gastronom und sie Leibwächterin und Security.

In den Wochen vor dem Auftrag mit Jule Stromberg hatte sie nur Jobs für ihre Leute gehabt, die in den Shopping-Centern Ladendiebe jagten. Das war langweilig genug gewesen. Zwar reichten diese Aufträge zum Leben, aber es fehlte jede Spannung, jede Aufregung, die, das wurde ihr immer wieder klar, im Grunde genommen ihr Lebenselixier waren.

In letzter Zeit gab es vermehrt ausländische Firmen, die auf den Markt drängten. Sie warben mit günstigen Preisen, die vermuten ließen, wie schlecht sie ihre Leute bezahlten. Bisher konnte Helena dagegen halten, doch wie lange würde sie so einen Kampf durchstehen? Die Kaufhäuser ließen sie bisher in Ruhe, weil es ihnen an Deutsch-Kenntnissen mangelte.

Sie spülte sich den Schaum aus den blonden Haaren und versuchte, während sie aus der Dusche stieg, die trüben Gedanken beiseite zu schieben. Sie wollte Charly nicht erneut die Ohren vollheulen. Sie hatten beide nur wenig Zeit füreinander, schließlich hatten sie keine Jobs, die von acht bis fünf gingen. Umso wichtiger war die gemeinsame Zeit, die sie miteinander verbrachten und mit angenehmen Dingen verbringen wollten.

Sie würde ihren Magen endlich mit vernünftigem Essen füllen und nicht bloß mit dem Grünzeug, das man diesem dämlichen Bio-Model und der Begleitmannschaft serviert hatte. Und bestimmt hatte der Abend noch weitere Überraschungen für sie parat.

Helena ahnte noch nicht, wie richtig sie mit dieser Annahme liegen würde. Allerdings war die Überraschung nicht so schön und romantisch, wie sie in diesem Augenblick noch hoffte.

Kapitel 2

„Gott, bin ich satt. Ich glaube, ich komme nicht mal mehr bis zum Sofa“, stöhnte Helena und war froh über die Entscheidung, eine Jogginghose übergezogen zu haben. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und versuchte, möglichst vorsichtig zu atmen. In ihr machte sich eine tiefe, warme Entspannung breit, eine schwere Müdigkeit, die sie zwang, die Augen zumindest halb geschlossen zu halten.

Charly war nicht nur ein guter Gastronom, er war auch ein ausgezeichneter Koch. Er lächelte sie an und legte ebenfalls das Besteck beiseite. Sogar an Kerzen hatte er gedacht. Hatte sie, als sie noch allein gewesen war, jemals Kerzen für sich angezündet? Sie verliehen mit ihrem warmen, orangen, zuckenden Licht dem Raum eine beruhigende, entspannende Atmosphäre, die sich wie ein kühlendes Balsam über ihre aufgepeitschten Nerven legte.

„Na, geht es wieder besser?“ fragte er mit einem ruhigen Lächeln. Helena stieß einen Seufzer aus.

„Mir geht es wieder besser, vielen Dank“, sagte sie und zwang sich zu einem milden Lächeln. Sie sah ihm in die Augen und betrachtete seine Pupillen, die den Hauch eines Zitterns zeigten.

„Wir hatten doch über den Scheiß geredet, Charly. Hör bitte auf, das Zeug zu nehmen. Und vor allem hör auf, es hier in den Briefkasten werfen zu lassen.“

„Das habe ich noch nie“, begehrte er auf und wusste im gleichen Moment, dass dies die falsche Bemerkung gewesen war. „Ich habe dir nichts versprochen, und ich brauche von Zeit zu Zeit eine Prise, um runterzukommen. Hier in der Wohnung ist alles clean, das wird es auch immer bleiben. Ich weiß, dass dein Laden daran hängt.“

Sie sah ihn noch einmal ernst an und nickte dann zögernd. „Tut mir leid, ich hätte nicht davon anfangen sollen. Es ist die alte Bullenkrankheit“, sagte sie mit einem schuldbewussten Lachen.

„Wir sollten aufhören, uns gegenseitig zu entschuldigen.“ Er überlegte einen Moment. „Der Nachtisch kann noch warten. Wir könnten in der Zwischenzeit etwas tun, für das man sich wirklich entschuldigen muss!“

Er lachte dunkel auf und erhob sich im Zeitlupentempo. Sie rollte mit den Augen. „Oh, soll das die Ouvertüre zu einer Verführung werden, Herr Sonntag?“

Im gleichen Moment dröhnte wie in einem lächerlichen Film die Klingel an der Tür durch die Wohnung. Charly zuckte zusammen und stieß ein Stöhnen aus. „Das darf ja wohl nicht wahr sein“, protestierte er. Dann schien er es sich zu überlegen und kam weiter auf sie zu.

„Öffne lieber, ich habe den Verdacht, dass es deine Tochter ist.“

Helena und Jasmin hatten sich in den vergangenen Monaten alle Mühe gegeben, doch so recht wollten sie einfach nicht miteinander harmonieren. Trotzdem gab sich die Leibwächterin auch jetzt keine Blöße und versuchte, ein ungezwungenes Gesicht zu machen. Der Gedanke an die ernste Gestalt von Charlys Tochter löste jedoch keine Freude in ihr aus.

Charly zog die dichten Augenbrauen zusammen. „Ach Unsinn, ich habe meinen freien Abend, sie führt die Bar. Wenn es Probleme gäbe, hätte sie angerufen.“

„Hast du dein Handy dabei?“ fragte Helena herausfordernd. Charly war ziemlich nachlässig, was sein Mobiltelefon anging. In der Vergangenheit hatte er meist sieben Tage die Woche in seinen Lokalen verbracht, so dass er es immer in einer breiten Tasche am Gürtel bei sich gehabt hatte. Nun blieb es wieder und wieder an den unmöglichsten Orten liegen.

„Okay, Botschaft angekommen“, grollte er und marschierte düster Richtung Tür. Natürlich war es ihm nicht verborgen geblieben, dass die beiden Frauen in seinem Leben nicht gerade ein Herz und eine Seele geworden waren, obwohl er sich alle Mühe gab, dies zu ändern.

Helena erhob sich und überlegte, ob sie den Tisch abräumen und die Kerzen ausblasen sollte. Andererseits sollte Jasmin, die sie wie immer mit ihren schweren, melancholischen Blicken bedenken würde, ruhig begreifen, dass sie störte. Merkwürdig, dachte Helena Jäger, gegenüber ihren Gästen ist sie die pure Lebensfreude, genau wie ihr Vater. Allerdings fällt im richtigen Leben diese Maske ziemlich schnell.

Sie blieb stehen und stützte sich auf eine Stuhl-Lehne, lauschte in den Flur. Charly hatte die Tür geöffnet, gleich würde er seine Tochter begrüßen und versuchen, mit einem Scherz die Situation zu entspannen, was ihm wie meist nicht gelingen würde.

Aber zu ihrer Überraschung klang er förmlich. „Ja, einen Moment, sie ist da. Kommen Sie herein!“

Helena hatte eine Stimme gehört, eine weibliche Stimme. Scheiße, das darf doch nicht wahr sein, zuckte ein Gedanke durch ihren Kopf. War der Tag nicht bereits nervig genug gewesen? Aber er schien noch eine Steigerung für sie in der Hinterhand zu haben.

Und im nächsten Moment trat Jule Stromberg in den Raum und starrte Helena mit großen Augen an.

Helena versuchte, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten als sie sich irritiert umsah. „Störe ich Sie?“

Die Person, der sie den ganzen Tag gefolgt war, hatte keinen Platz in ihrem Privatleben. Sie wirkte in der Küche wie ein Fremdkörper. Sie gehörte in die Veranstaltungshalle, in die Limousine, vielleicht noch in ihr Büro, aber nicht in ihre Wohnung, in den Schein der Kerzen, die Charly für sie angezündet hatte.

Im gleichen Moment tauchte Charly hinter ihr auf und schaltete die Deckenbeleuchtung an, Helena schloss leicht geblendet die Augen. „Was denken Sie?“

Charly zog einen der Stühle zurück und machte eine einladende Handbewegung. Er warf Helena einen kurzen, intensiven Blick zu. „Nehmen Sie Platz“, sagte er. „Darf ich Ihnen etwas anbieten?“

Die Frau sah ihn mit einem verwirrten Seitenblick an. Helena hatte sie den ganzen Tag begleitet, dabei ihre Gestik und Mimik studiert. Die Selbstsicherheit, mit der sie den Tag durchquert hatte, war in diesem Moment wie weggewischt. Ihre vollen Lippen zuckten unruhig, die Blicke flogen unstet durch den Raum. Kein Zweifel, etwas hatte die Frau aus dem Gleichgewicht gebracht, zutiefst verunsichert.

Sie trat an den Stuhl, nahm jedoch nicht Platz. Sie trug noch immer diese merkwürdig geschnitten Leinenbluse mit den reichlich dämlichen Schnüren, die Helena schon beim ersten Anblick genervt hatte. In den hochgesteckten dunkelblonden Haaren saß noch immer diese Holzspange, die aussah, als hätte sie ein Zwölfjähriger im Bastelunterricht für seine Mama gefertigt. Sie kam aus Afrika, Asien oder sonst wo her, war bestimmt irrsinnig wertvoll und nachhaltig.

Aber die selbstsichere Überlegenheit war aus ihren Zügen verschwunden. Sie war nicht mehr die schlanke, hochgewachsene Frau, die mit langen Fingern ihre Umgebung dirigierte. „Ist das Fleisch?“ fragte sie etwas dämlich und starrte auf den Teller, den Charly gerade vom Tisch nahm.

Helena hatte eine scharfe Antwort auf den Lippen, doch ihr Freund kam ihr zuvor. „Jeder Mensch hat seine eigene Einstellung zu den Dingen und dem Leben“, sagte er und klang dabei so sanft, dass Helena ihm am liebsten einen Vogel gezeigt hätte. Doch sein Lächeln verfehlte seine Wirkung nicht.

„Entschuldigung“, sagte die Frau und faltete die Finger, die nach wie vor wie Dirigentenstäbe wirkten, vor ihrem Schoß. „Es geht mich nicht das Geringste an.“

„Ich kann Ihnen einen Kaffee oder ein Mineralwasser bringen“, sagte Charly, ganz der geborene Gastwirt.

„Was wollen Sie?“ fragte Helena eher schroff dazwischen. Einen Drink konnte sie sich im Pascha, Charlys Bar, abholen. Helena dämmerte langsam, wie diese Frau, die ihr einen mehr als anstrengenden Tag mit ihren Schikanen und Auflagen bereitet hatte, nun alles daran setzte, auch ihren Abend zu ruinieren.

„Ich brauche Ihre Hilfe“, sagte das Model zögernd. Zum ersten Mal, seit Helena sie kennengelernt hatte, machte sie einen menschlichen Eindruck. Während des gesamten Tages hatte sie autoritär gewirkt, mit irgendwelchen erschlagenden Floskeln über Klima, Nachhaltigkeit und Bio um sich geworfen und damit ihre Umgebung tyrannisiert. Es hatte mit dieser dämlichen Diskussion um eine Elektro-Limousine begonnen, die es nach ihren naiven Vorstellungen einfach nicht gab, weil derartige Motoren für solch schwere Fahrzeuge nun mal nicht angeboten wurden.

Normalerweise hätte Helena eine Frage wie ‚was kann ich für Sie tun’ gestellt, doch es wollte ihr einfach nicht über die Lippen kommen. „Aha“, sagte sie einfach und fing sich den nächsten strafenden Blick ihres Freundes ein, der mit einer Ladung Geschirr Richtung Küche marschierte.

„Ich habe gerade erfahren, dass sich meine Tochter vermutlich bei der Polizei befindet“, sagte Jule zögernd.

Helena zuckte mit den Schultern. „Wäre es nicht sinnvoller, wenn Sie zu ihr fahren und nicht zu mir?“

„Sie sind ... Sie waren doch mal Polizistin, nicht wahr? Robert erwähnte so etwas.“

Helena nickte mechanisch. „Was hat Ihre Tochter denn angestellt?“ fragte sie.

„Sie hat gestohlen“, kam die Antwort.

„Und was?“

„Einen Schinken!“

Kapitel 3

„Nein, tut mir leid, Frau Stromberg, aber auf der Wache ist Ihre Tochter mit Sicherheit nicht. Ich habe gerade mit einem alten Kollegen gesprochen, der hat den Namen des Mädchens in den Computer eingegeben.“

Wiederwillig hatte sich Helena zumindest eine Jeans und eine Jacke angezogen und zugesagt, ihren Schützling zu begleiten. Lust verspürte sie nicht, eher das komplette Gegenteil. Sie kannte die Tochter nicht, aber die Vorstellung, wie ein junges Mädchen ausgerechnet einen Schinken klaute, wo ihre Mutter für einen veganen Lebensstil stand, löste eine entspannte Heiterkeit in ihr aus. Das Mädchen war ihr schon jetzt sympathisch.

„Das verstehe ich nicht, ihre Nachricht war eindeutig.

---ENDE DER LESEPROBE---